Rede von
Gertrud
Unruh
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GRÜNE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Frau Präsidentin! Werte Volksvertreter und Volksvertreterinnen! Was sich Herr Bötsch,
— meinetwegen sprechen Sie es auch noch bayerisch aus —, der lange im Deutschen Bundestag sitzt, gerade geleistet hat, war kein Beispiel für Demokratie und war kein Beispiel dafür, wie man unsere Freunde in der DDR, egal welcher Partei sie angehören, ermuntern kann, unserer Verfassung noch irgendwelchen Glauben zu schenken.
Was Sie über Volksentscheide gesagt haben, spottet jeder Beschreibung. Jeder Bürger und jede Bürgerin möchte gerne politisch teilnehmen, wenn sie nur ermutigt würden, das zu tun.
Bei der ersten freien Wahl in der Deutschen Demokratischen Republik haben Sie, Herr Bundeskanzler, den Mut bewiesen, keine Fünfprozentklausel vorzusehen und politische Bewegungen zuzulassen. Das war etwas sehr Gutes, das war etwas Ermutigendes. Was jetzt daraus geworden ist — ob Listenverbindung, ob Huckepack, egal wie, ob der Herr Kanzler zum Schein die Vertrauensfrage gestellt hätte und Sie zum Schein gegen Ihren Kanzler votiert hätten, was bei der SPD mit Herrn Brandt ja schon einmal gelaufen ist —, ist schlimm. Allerdings wäre eine fingierte Abstimmung über die Vertrauensfrage das Schlimmste vom Schlimmsten gewesen.
Unser Grundgesetz wegen der historischen Stunde in diesem Deutschen Bundestag eventuell mehrheitlich zu ändern hätte man draußen noch verstehen können. Aber dazu ist die SPD nicht bereit; das hat man zu respektieren.
Wenn wir zur Kenntnis nehmen, daß nur 3,9 % unserer bundesrepublikanischen Bürgerinnen und Bürger überhaupt Mitglieder in Parteien sind, und uns unsere Parteiendiktatur ansehen, kann man wirklich schon Horrorvorstellungen bekommen. Wenn man sich die FDP ansieht, die letztlich die Kronzeugenregelung zugelassen hat, dann ist es doch auch nicht verwerflich, wenn die GRÜNEN auf ihre Art kämpfen, wenn sie — wie sie selbst sagen — jetzt geschickt ein Bündnis 90 geschaffen haben.
Verwerflich ist, daß die Großparteien ständig manipulieren — auch mit Geld — , während Kleinstparteien wie z. B. die im Aufbau befindlichen Grauen, hervorgegangen aus den Grauen Panthern, nach dem Geld überhaupt nicht fragen.
— Woher denn? Wer soll uns denn Geld geben? Wir versuchen, dadurch zu Geld zu kommen — hören Sie einmal zu; auch das gibt
es noch — , daß sich die einzelnen Mitglieder über
Kleinbürgschaften verschulden. Wir schielen nicht:
Wo kann ich eventuell an PDS-Gelder kommen, wie
kann ich eventuell an Gelder der Blockparteien kommen? Ich kann Ihnen nur sagen: Wir versuchen,
mit unserer Kraft und ohne diese Schmiergelder auszukommen. Da können Sie noch so dreckig lachen.
Wir vertrauen auf die Kraft der alten Menschen, die erlebt haben, wie ihre Belange mißachtet worden sind, egal ob hier oder da. Wir versuchen hier und in der DDR, in aller Bescheidenheit diese neue Partei aufzubauen. Ich kann Ihnen sagen: In der Bundesrepublik Deutschland sind alle elf Länderlisten gelaufen; in der DDR ist alles bescheiden, aber voller Idealismus im Aufbau begriffen.
Ihr SPDler — das muß ich euch sagen — habt die Pflichtversicherten verraten durch die Reform der Rentenversicherung. Alle miteinander habt ihr die Menschen in unserem Staate verraten, die nicht die Siegerpose hatten, die nicht das Glück hatten, hoher Gewerkschaftsfunktionär zu sein, die nicht das Glück hatten, Minister oder sonst etwas zu sein.
Die Altersarmut, meine Herren und Damen, wird Sie mit Ihrem Denken im Kopf vielleicht besiegen: Nimm, was du kriegen kannst, und die, die draußen vor der Tür geblieben sind, sollen sehen, wie sie zurecht kommen. Deshalb bin ich guten Mutes, daß wir Grauen, hervorgegangen aus den Grauen Panthern, über 5 % kommen. Dann wird hier anders gesprochen werden als bis jetzt.