Rede von
Dr.
Wolfgang
Bötsch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Was der Bundeskanzler und Herr de Maizière geheimhalten wollten, müssen Sie den Herrn Bundeskanzler und Herrn de Maizière fragen.
— Selbstverständlich; das kann ich nicht für ihn beantworten. Wir sind im Ziel einig. Möglicherweise hätte man die CSU etwas früher informieren können.
Das ist übrigens keine neue Aussage. Die habe ich schon letzte Woche gesagt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bis Dezember zu warten, heißt jedenfalls, in der Zwischenzeit unnötigerweise Unsicherheit bestehen zu lassen; es belastet zudem durch alle Auswirkungen eines langen Wahlkampfes.
Die Haltung der SPD, schnellstmöglicher Beitritt jetzt noch vor dem 14. Oktober, Wahl aber erst im Dezember, soll wohl dazu führen, daß die Bundesregierung und die Koalitionsparteien in diesem Hause arbeiten müssen; und Sie wollen dann uneingeschränkt Wahlkampf machen, meine Damen und Herren. So stellen Sie sich die Arbeitsteilung vor: Wir lösen die Probleme, und Sie machen Wahlkampf. Das nenne ich Verweigerungshaltung und nicht eine verantwortliche Haltung in einer außergewöhnlichen historischen Lage, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich bedaure, daß der sozialdemokratische Kanzlerkandidat
— ach so! — gangbare Wege von vornherein durch taktische Überlegungen verbaut hat und die SPD somit die Gemeinsamkeit, die in der Wahlrechtsfrage bei der Suche nach Lösungen ja zutage trat, wie wir heute gehört haben, nicht fortgesetzt hat.
Herr Kollege Penner, ich habe zu Ihren allgemeinen Ausführungen Positives gesagt. Was Sie aber im Zusammenhang mit dem Wahltermin gesagt haben, läßt doch den Verdacht aufkommen, daß Sie manche mangelnde Übereinstimmung mit Ihrem Kanzlerkandidaten, die in den letzten Tagen in anderen Fragen sichtbar geworden ist — Stichwort Asyl — , heute vielleicht durch etwas mehr Polemik ausgleichen wollten, um auch bei Herrn Lafontaine die nötige Aufmerksamkeit zu erregen.
— Ja, bei der Aufzählung der bedeutenden Sozialdemokraten haben Sie ihn sicher nicht vergessen, sondern Sie meinten bewußt, er gehöre nicht in diese Reihe. Und darin stimme ich Ihnen zu.
Meine Damen und Herren, es steht nicht im Belieben des Gesetzgebers, das Wahlrecht etwa so zu ändern, wie es ihm gerade gefällt. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings in Kenntnis der Komplexität der denkbaren und möglichen Änderungen der Wirklichkeit dem Gesetzgeber schon bisher ein breites Ermessen bei der Gestaltung des Verhältniswahlrechts zuerkannt. Das zieht sich wie ein roter Faden durch alle Urteile des Bundesverfassungsgerichts und auch durch viele Urteile von Landesverfassungsgerichten, die sich mit der Fünfprozentklausel oder
— früher — mit der Zehnprozentklausel auf Bezirksebene in Bayern auseinandergesetzt haben.
Insofern wäre sicherlich auch eine Fünfprozentklausel auf Länderebene für die Wahl zum 12. Deutschen Bundestag verfassungsrechtlich zulässig gewesen. Das gilt auch für die Fünfprozentklausel in getrennten Wahlgebieten, wenn der Beitritt nach dem Wahltag erfolgen würde. Auch diese Modelle wären verfassungsrechtlich akzeptabel gewesen, um die Nachteile für die jungen politischen Parteien und Gruppierungen in der DDR auszugleichen. Aber die nunmehr gefundene Lösung bewahrt die bewährten Wahlrechtsgrundsätze bei bestmöglicher Chancengleichheit für politische Gruppierungen in der DDR.
Das, was Herr Häfner von den GRÜNEN dazu gesagt hat, ist natürlich nur verständlich, wenn man sich
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17373
Dr. Bötsch
auch damit beschäftigt, wie er sich selbst darstellt. Das „Handbuch des Deuschen Bundestages" enthält eine ganze Latte von Angaben. Dort heißt es u. a.: „ 1986 Gründung und Sprecher der bundesweiten Initiative ,Volksentscheid gegen Atomanlagen', die sich für die Ergänzung der parlamentarischen Demokratie durch Volksbegehren und Volksentscheid einsetzt. "
Von diesem Grundsatz waren seine Ausführungen hier natürlich geprägt.
— Ja, Argumente werden natürlich oft auch vor dem persönlichen Hintergrund dessen verständlich, der sie vorträgt. Insofern ist es schon interessant, einmal zu sehen, was jemand in einem Handbuch des Deutschen Bundestages schreibt. Das gehört nämlich überhaupt nicht dort hinein, meine sehr verehrten Damen und Herren. Hier sind nämlich, soviel ich weiß, keine politischen Bekenntnisse, sondern Daten zur Person gefragt.
Aus den Ausführungen des Herrn Häfner sprach von vorne bis hinten die Trauer über den Untergang des real existierenden Sozialismus, der uns hier doch jahrelang als Modell dafür vorgeführt wurde, wie man die Bundesrepublik Deutschland möglicherweise umgestalten könnte. Das ist doch der Sachverhalt!
Darum ging es Ihnen. Die Anwürfe, die Sie auch im Vorfeld im Zusammenhang mit der jetzigen Diskussion gemacht haben, kann man nur als ungeheuerlich bezeichnen. Ich überlasse es jedem, zu entscheiden, ob das, was wir beschließen wollen unanständig ist, wie Sie sagten.
Hier von einem Anschlag auf die Demokratie zu sprechen, ist geradezu lächerlich. Herr Häfner, ich will jetzt nicht zitieren. Vielleicht muß ich sonst erzählen, daß Sie z. B. „judex" mit „justitia" verwechselt und gemeint haben, „justitia" sei die weibliche Form von „judex".
Im übrigen ist es nicht so, daß Sie, wie Sie darzustellen beliebten, keinen Bündnispartner in der DDR finden. Wie ich den Meldungen entnommen habe, sollten Sie eigentlich dafür dankbar sein, daß Sie Ihre Partner in der Noch-DDR gewissermaßen in einen heilsamen Zwang gebracht haben, sich zu einigen
und damit eine gemeinsame Plattform zu finden.
Im übrigen wird das System, über das hier zu befinden ist, immer als Huckepackverfahren bezeichnet. Das, was der Kollege Penner geschildert hat, nämlich
Mitglieder anderer Parteien auf die eigene Liste zu nehmen, wäre ein Huckepackverfahren. Die Listenverbindung ist kein Huckepackverfahren, weil die Eigenständigkeit der jeweiligen Partei gewährleistet ist. Insofern ist dieser Begriff, der auch in der Öffentlichkeit gebraucht wird, in dem Zusammenhang sicherlich nicht richtig.
Ich will noch etwas zu der Frage sagen, aus welchem Grund speziell für die Wahl zum 12. Bundestag diese Listenverbindungen zugelassen werden sollen.
Das liegt eigentlich in der Natur der Sache, weil über diesen Termin hinaus kein Regelungsbedarf besteht. Denn für künftige Wahlen ist der gesamtdeutsche Gesetzgeber zuständig. Das gesamtdeutsche Parlament wird dann allerdings im Lichte der Mehrheitsverhältnisse abzuwägen haben, ob Listenverbindungen auch für spätere Wahlen sinnvoll erscheinen oder nicht. Ich möchte das jedenfalls nicht von vornherein ausschließen.
In die Überlegungen ist natürlich auch das einzubeziehen, was der Kollege Lüder sagte, nämlich die Frage, ob ein gesamtdeutsches Parlament auf Dauer wirklich in der Addition der Mitglieder des jetzigen Bundestages und der aus der DDR hinzukommenden Abgeordneten bestehen muß.
Ich möchte darüber hinaus alle bitten, zu überlegen, ob wir uns in der nächsten Legislaturperiode nicht auch über die Frage unterhalten sollten, ob eine fünfjährige Legislaturperiode, wie sie manche Bundesländer bereits haben, der Arbeitsfähigkeit eines Parlaments nicht besser dienen könnte als die vierjährige.