Zunächst einmal freue ich mich, lieber Herr Kollege Porzner, da Sie Vorsitzender des Geschäftsordnungsausschusses sind, daß Sie, wenngleich unter dem Etikett der Frage hier doch auch einmal von dem Instrument der Kurzintervention Gebrauch gemacht haben.
Ihre Frage verdient zwei Antworten. Die erste ist: Wenn Sie mich recht verstanden haben, dann haben Sie gemerkt, daß ich im Moment gar nicht die Fünfprozentklausel allgemein kritisiert habe — diese kritisiere ich auch, aber nicht jetzt — , sondern daß ich kri-
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Häfner
tisiert habe, daß 5 % im gesamten Wahlgebiet für die in der DDR originär existierenden Parteien — —
— Wenn Sie mir zugehört haben, dann haben Sie festgestellt, daß ich gesagt habe: Wir haben 40 Jahre getrennte Geschichte; wir haben eine unterschiedliche politische Vergangenheit; wir haben deshalb auch unterschiedliche politische Gruppierungen und Parteien. Das werden Sie doch nicht leugnen wollen. Wir werden bei der ersten gesamtdeutschen Wahl nicht nur den bundesdeutschen Parteien, sondern auch denen, die es allein in der DDR gibt, Rechnung tragen müssen. Das tun wir durch die einheitliche Anwendung der Fünfprozentklausel nicht, weil man, egal welche Klausel man nimmt, diese in der DDR wegen des kleineren Wahlgebietes immer mal fünf nehmen muß. Selbst wenn Sie eine Dreiprozentklausel festlegen, benötigt eine Partei immer noch 15 % der Stimmen in der DDR, was eine eklatante Ungleichbehandlung von Parteien, die es nur in der DDR gibt, wäre.
Das ist die erste Antwort.
Die zweite Antwort, Herr Kollege Porzner, ist grundsätzlich. Ich persönlich bin der Meinung, daß es zur Demokratie gehört, daß man alle politischen Auffassungen, welcher Art auch immer, erträgt.
Bekämpfen will ich Menschen argumentativ; bekämpfen will ich übrigens auch jemanden, der — das gibt es ja in der rechtsextremen Szene — losmarschiert und anderen eins über den Schädel brät. Das kann man strafrechtlich bekämpfen. Aber ich will nicht politische Überzeugungen, die mir nicht passen
— dazu gehören die, die Sie genannt haben —, einfach aus dem Parlament ausschließen wollen, weil ich sie politisch ablehne. Ich bin der Meinung, wenn wir Demokratie ernst nehmen, muß auch mit diesen Kräften die Auseinandersetzung hier im Parlament geführt werden und nirgendwo sonst.
Ich hatte darauf hingewiesen, daß wir durch die unterschiedliche Geschichte in den beiden deutschen Staaten, die hier sicherlich niemand leugnen wird, unterschiedliche Parteien und unterschiedliche Gruppierungen haben und daß das oberste Prinzip dieses Wahlrechts bei dieser ersten gesamtdeutschen Wahl sein muß, den Gruppierungen aus der DDR ebenso wie denen aus der Bundesrepublik faire und gleiche Chancen einzuräumen.
Davon kann bei dem vorliegenden Gesetzentwurf keine Rede sein. Er bevorzugt ausschließlich BRDGroßparteien oder solche Gruppierungen, die sich als Anhängsel von BRD-Großparteien gerieren. Aber darauf möchte ich im einzelnen nur ungern näher eingehen; denn wenn man näher hinschaut, sieht man — da kann man tatsächlich die SPD ausnehmen — , daß sich die Koalitionsparteien sehr schnell die ehemaligen Blockparteien — deshalb kommt mir der Vorwurf gegenüber der PDS manchmal etwas verlogen vor — mitsamt ihrem Vermögen und Apparat einverleibt haben, um ihre eigenen Chancen in diesem Wahlkampf zu stärken.
Man hat ein Wahlrecht geschaffen, das all jenen Parteien, die nicht mit bundesdeutschen Großparteien liiert sind, zwar das Antreten ermöglicht, aber den Wahlerfolg von vornherein nimmt, egal, wieviel sie erreichen werden. Durch das Listenverbindungsverfahren, wie Sie es jetzt konzipiert haben, nämlich mit dem Ausschluß der Listenverbindung konkurrierender Parteien und Gruppierungen, haben Sie — das wissen Sie, das hat inzwischen auch die Öffentlichkeit begriffen, und das pfeifen alle Spatzen von den Dächern — eine Lex CDU/DSU geschaffen, eine Lex
— das sage ich als Bayer — , die einer inzwischen immer mehr absterbenden Partei
mit Hilfe der Krücke eines getürkten Wahlrechtes das Überleben in diesem Parlament sichern soll und die nicht gleiche Chancen etwa für die Bürgerrechtsbewegung, Bündnis 90 und andere schafft. Das Unerträglichste ist, daß mit der Begründung, man wolle diesen Gruppierungen, Bürgerbewegungen usw. den Einzug ins Parlament ermöglichen, ein Wahlrecht geschaffen wurde, das genau dies ausschließen sollte. Sie wissen: Gäbe es diese Bürgerbewegungen nicht, gäbe es nicht die Kräfte der Herbstrevolution, dann gäbe es keine erste gesamtdeutsche Wahl:
Deshalb ist es mehr als unanständig, das Wahlrecht so zu gestalten, wie Sie es gemacht haben.
Sie wissen, wir haben Ihnen und all denen, die damit das Kalkül hatten, lediglich die DSU in das Parlament zu bringen und die anderen draußen zu lassen, mindestens, was das Bündnis 90 betrifft, ein Schnippchen geschlagen, und wir sind froh darüber. Wir sind froh darüber, damit rechnen zu können, daß die Kräfte der Herbstrevolution gemeinsam mit den GRÜNEN, daß die Bürgerbewegungen gemeinsam mit den GRÜNEN im nächsten deutschen Parlament sitzen werden. Das ändert aber nichts an dem undemokratischen und aus unserer Sicht eindeutig verfassungswidrigen Charakter des von Ihnen vorgelegten Wahlrechts.
Wir werden es mit dieser Debatte hierüber nicht bewenden lassen.
Wir haben Ihnen für die Abstimmung einen Antrag vorgelegt, der der geschichtlichen Tatsache der ersten gesamtdeutschen Wahl Rechnung trägt.
— Herr Kansy, ich bin heute ein bißchen erkältet und schwer bei Stimme. Sie rufen so laut, daß Sie mich zwingen, noch lauter zu sprechen.
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