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ID1121900400

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    Plenarprotokoll 11/219 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 219. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Graf Huyn, Engelsberger und Schartz sowie des Bundesministers Dr. Zimmermann 17359 A Verzicht der Abg. Frau Schoppe auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag . . . 17359 B Eintritt des Abg. Dr. Roske in den Deutschen Bundestag 17359 B Tagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. August 1990 zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik — Drucksache 11/7624 — Dr. Schäuble, Bundesminister BMI . . . . 17359 D Dr. Penner SPD 17361 D Lüder FDP 17365 B Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . . . 17365 D Brück SPD 17365 D Häfner GRÜNE 17367 A Porzner SPD 17368 D Dr. Bötsch CDU/CSU 17370 D Conradi SPD 17372 A Frau Unruh fraktionslos 17374 A Wüppesahl fraktionslos 17374 D Nächste Sitzung 17375 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 17377* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17359 219. Sitzung Bonn, den 8. August 1990 Beginn: 14.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 09. 08. 90 Buschfort SPD 09.08.90 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 09. 08. 90 Dr. Dollinger CDU/CSU 09. 08. 90 Duve SPD 09.08.90 Dr. Ehrenberg SPD 8. 08. 90 Frau Folz-Steinacker FDP 9. 08. 90 Frau Garbe GRÜNE 09. 08. 90 Frau Geiger CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 8. 08. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 9. 08. 90 Heimann SPD 08.08.90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 09. 08. 90 Hoss GRÜNE 09.08.90 Kalisch CDU/CSU 09.08.90 Dr. Knabe GRÜNE 09. 08. 90 Kreuzeder GRÜNE 09.08.90 Lennartz SPD 09.08.90 Frau Luuk SPD 09. 08. 90 Dr. Mahlo CDU/CSU 09. 08. 90 Meneses Vogl GRÜNE 09. 08. 90 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Menzel SPD 08.08.90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 08. 08. 90 Niegel CDU/CSU 09.08.90 Dr. Pfennig CDU/CSU 8. 08. 90 Pfuhl SPD 09.08.90 Rauen CDU/CSU 09.08.90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 9. 08. 90 Frau Rock GRÜNE 09. 08. 90 Frau Schilling GRÜNE 09. 08. 90 Schmidt (München) SPD 09. 08. 90 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 09. 08. 90 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Schöfberger SPD 09. 08. 90 Schreiber CDU/CSU 09.08.90 Schulhoff CDU/CSU 08.08.90 Schwarz CDU/CSU 08.08.90 Frau Dr. Segall FDP 09. 08. 90 Dr. Soell SPD 09. 08. 90 Frau Steinhauer SPD 08. 08. 90 Frau Teubner GRÜNE 08. 08. 90 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 8. 08. 90 Frau Trenz GRÜNE 9. 08. 90 Frau Vennegerts GRÜNE 8. 08. 90 Waltemathe SPD 09.08.90 Dr. de With SPD 9. 08. 90 Dr. Wittmann CDU/CSU 08. 08. 90 Würtz SPD 08.08.90 Zink CDU/CSU 09.08.90
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Willfried Penner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung

    (Zuruf von der CDU/CSU: Asylrecht!)

    einen Wahlrechtsvertrag zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Dieser soll die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß in ganz Deutschland gewählt werden kann, in Leipzig wie in Köln, in München und in Dresden, in Rostock wie in Lübeck und in Sonneberg wie in Hof. Darum geht es heute in dieser Debatte. Wir wollen die rechtlichen Voraussetzungen für die Wahl eines ersten gesamtdeutschen Parlaments und damit für die Bildung einer ersten gesamtdeutschen Regierung seit vielen Jahrzehnten schaffen.

    (Beifall bei der SPD)

    Für mich ganz persönlich sage ich: Dabei mitmachen zu dürfen, wird für mich vielleicht das herausra-
    17362 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990
    Dr. Penner
    gende politische Erlebnis bleiben. Ich bin dankbar dafür und werde das nicht vergessen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Für die Sozialdemokraten stelle ich fest: Wir sind voller Genugtuung, daß das kommen wird, wofür auf unserer Seite Willy Brandt, Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Egon Bahr und Erhard Eppler — jeder auf seine Art —,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    aber auch Kurt Schumacher und viele andere mehr leidenschaftlich gerungen haben,

    (Beifall bei der SPD)

    nämlich ein deutscher Staat, der demokratisch ist, ein deutscher Staat, der sich einfügt, der sich in die internationale Völkergemeinschaft integriert, der auf andere Länder und auf deren Interessen Rücksicht nimmt und der seinen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten will und leistet. Bei aller notwendigen Auseinandersetzung über die besseren Wege zur Meisterung der immer drückender werdenden Probleme in der DDR, aber auch bei allem Streit über Wahltermine und über Einzelheiten des Wahlrechts dürfen wir dies einfach nicht untergehen lassen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die diesen Staat tragenden Parteien sollten darauf achten, daß diese erste gesamtdeutsche Wahl in demokratisch besonders vorbildlicher Weise durchgeführt wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Das sind Sie besonders den Bürgerinnen und Bürgern der DDR schuldig. Diese haben jahrzehntelang erleben müssen, daß man ihr Wahlrecht mit Füßen getreten hat,

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Wie ihr jetzt!)

    daß man es zur Farce degradierte und die Ergebnisse auf das schamloseste verfälscht hat.
    Mit der ersten gesamtdeutschen Wahl verbinden die Bürgerinnen und Bürger der DDR große Erwartungen. Gerade deshalb sollten wir uns besondere Mühe geben.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Möglichst schnell!)

    Das Wahlrecht ist in unserer Demokratie ein hohes Gut, das nicht einmal dem Verdacht der Unkorrektheit ausgesetzt werden darf.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir beharren darauf, daß in Wahlen Parteien unter fairen Bedingungen miteinander ringen. Dazu gehört auch, Herr Bundeskanzler, daß bei der Festlegung des Wahltermins das Grundgesetz beachtet wird

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall des Abg. Dr. Müller [CDU/CSU])

    und eine ausreichende Zeitspanne für eine kritische Auseinandersetzung zwischen den Parteien über unterschiedliche politische Optionen gewährleistet ist.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Bundesinnenminister, der vor mir gesprochen hat, hat mit seinem Partner in der DDR eine Vorlage zum Wahlrecht erarbeitet, in der von vorgezogenen Wahlterminen nicht die Rede war.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!) Ganz im Gegenteil!


    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Seit wann stehen Wahltermine im Wahlgesetz? So ein Quatsch!)

    Dr. Schäuble hat durch Paraphe bekräftigt, daß für Wahlen zum Bundestag wie bisher Art. 39 unserer Verfassung maßgebend sein sollte, was einen Wahltermin vor Ende November ausschließt.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Habt ihr Angst vor Wahlen?)

    Der Bundeskanzler, Herr Minister, hat sich Ende vergangener Wochen zehn Stunden — ich betone: zehn Stunden — nach Ihrer Unterschrift darauf besonnen, daß ein früherer Termin als der durch Ihre Unterschrift besiegelte

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Irrtum!)

    seinen höchstpersönlichen Interessen doch mehr entgegenkäme, weil sich das ganze Ausmaß des Desasters in der DDR entgegen seinen beschwichtigenden Prognosen bis dahin vielleicht noch verbergen lassen könne.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Lafontainer!)

    Herr Bundeskanzler, ich wende mich direkt an Sie. Bei Ihrem Wahltermin am 14. Oktober geht es um Kohl, nicht etwa um den Staat, nicht um die staatliche Einheit,

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)

    nicht um die Bundesrepublik, nicht um die DDR und schon gar nicht um die Menschen in der DDR.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!)

    Wir Sozialdemokraten halten an den von der Verfassung vorgesehenen terminlichen Möglichkeiten fest.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Lafontaine!)

    Wenn die Menschen in der DDR schon jetzt eine gesamtdeutsche Regierung wollen,

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie wollen wählen!)

    wofür immer mehr Anzeichen sprechen — , kann die Volkskammer den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland mit der Folge erklären, daß Bonn dann auch das Gebiet der DDR regiert. So einfach ist das!

    (Beifall bei der SPD)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, was das Wahlgesetz im einzelnen angeht, so halten wir das Ergebnis für akzeptabel. Wir haben zu einem sehr frühen Zeitpunkt einheitliches Wahlgebiet und einheitliches Wahlrecht gefordert, und das ist erreicht worden, wie wir meinen; das ist durchgesetzt worden.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17363
    Dr. Penner
    Leider gibt es auch bei den ersten deutschen Wahlen Besonderheit für Berlin. Es wäre begrüßenswert, wenn es in den Ausschußberatungen gelänge — jedenfalls vor der zweiten und dritten Lesung —, Regelungen zu finden, die diese Stadt mit dieser Geschichte gerade bei dieser ersten gesamtdeutschen Wahl noch stärker als Teil des neuen einheitlichen Ganzen herausstellte.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Ausdehnung der Fünfprozentklausel auf das gesamte Bundesgebiet und nicht ihre Beschränkung auf einzelne Bundesländer hat für uns einen hohen Rang.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir hätten uns im Hinblick auf die besondere Situation der DDR im Übergang eine gruppenfreundlichere Regelung gewünscht.
    Es ist richtig, daß das vorgesehene Huckepackverfahren nach dem Willen der konservativen Mehrheit auf die Bedürfnisse einer CSU-DSU-Kombination zugeschnitten war.

    (Zustimmung bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)

    Ebenso soll die für Berlin speziell geltende Möglichkeit der Listenverbindung wohl helfen, auch noch den letzten Wähler vom äußersten rechten Rand bei der konservativen Stange zu halten.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Durch euch kommt jetzt die PDS in den Bundestag!)

    Natürlich hatten de Maizière und Kohl mit dem Beitritt der DDR nach den Wahlen auch handfeste Wahlinteressen im Sinne, und zwar ohne Rücksicht auf die immer wieder behauptete und eigentlich politisch selbstverständliche, gebotene Einheitlichkeit der Wahl nach Gebiet und Recht. Um Aufsplitterung des linken Wählerspektrums ging es den beiden, weil die Fünfprozentklausel in diesem Fall für die Gebiete der DDR und der Bundesrepublik hätte getrennt errechnet werden müssen.
    Richtig ist auch, daß SPD wie FDP als Bündnispartner für Listenverbindungen von vorneherein ausgeschlossen sind. Es ist die Folge des vorgesehenen Konkurrenzverbots und der Tatsache, daß sich beide Parteien flächendeckend zur Wahl stellen. Unbestreitbare Tatsache bleibt aber auch, daß von der neuen, nur bei dieser Wahl geltenden Regelung nicht nur CSU und DSU, sondern auch Bündnis 90 und GRÜNE Gebrauch gemacht haben. Auch das muß hier festgehalten werden.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Immerhin! — Zurufe von den GRÜNEN)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist wahr, daß es die Konkurrenzklausel den politischen Gruppierungen nicht leicht macht, in den Bundestag gewählt zu werden. Nach dem jetzt geltenden Wahlrecht der Bundesrepublik, ohne Möglichkeit der Listenverbindung mit Partnern, wären die Chancen überdies gleich Null gewesen. Aber auch eine deren Interessen entgegenkommendere rechtliche Regelung würde die tatsächlichen Chancen nicht beträchtlich ändern. Es ist beispielsweise nicht verborgen geblieben, daß das Bündnis 90 in der DDR nicht etwa die SPD oder eine andere große Partei als Partner suchte, sondern andere bevorzugte.
    Die Partei des Herrn Eppelmann geht übrigens einen anderen Weg: Sie wird kraft eigenen Entschlusses in der nächsten Zeit in der CDU aufgehen.
    Ich halte fest: Nicht nur der Zuschnitt des Rechts allein, sondern die politische Festlegung der Gruppierungen, ihr Profil, entscheidet mit über ihre eigenen politischen Chancen.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die SPD hat immer Rolle und Bedeutung der politischen Gruppierungen in der DDR und dabei auch ihrer Wortführer im Auge gehabt. Sie ist in der DDR selbst politische Gruppierung gewesen, ehe sie sich wieder gründete.

    (Beifall bei der SPD)

    Und trotzdem ist die SPD immer auch für jene offen geblieben, die nicht den Weg in die Ost-SPD gefunden haben — bis in die jüngste Zeit hinein übrigens. Das Angebot, einzelnen aus den Gruppierungen jenseits der SPD ohne Preisgabe ihrer politischen Identität Listenplätze zu sichern,

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist Huckepack!)

    war ernst gemeint, ist — bisher jedenfalls — jedoch nicht aufgenommen worden. Gemessen an den bisherigen Erfahrungen einschlägiger Art in und mit der SPD mußten deren Chancen nicht unbedingt schlecht sein; denn schließlich sind Gustav Heinemann, Johannes Rau, Erhard Eppler und Diether Posser, allesamt in den 50er Jahren aus der GVP kommend, einflußreiche sozialdemokratische Politiker geworden.

    (Beifall bei der SPD)

    Die haben sich nicht verbiegen müssen und haben gerade deswegen die Politik in der SPD besonders mit beeinflussen können. Daß einige politische Gruppierungen jetzt mit den GRÜNEN gehen, ist eher Sache ihrer freien Entscheidung — mag sein auch Ergebnis politischer Selbstbeschränkung — , nicht so sehr aber Folge wahlrechtlicher Vorschriften.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, trotzdem wird von maßgebender Seite angemerkt, daß die Chancengleichheit verletzt sein könne. Unbestreitbar, sage ich, gibt es in der DDR unterschiedliche Wahlstartchancen. So hat die SED/PDS mit immer noch Tausenden hauptamtlicher Mitarbeiter unvergleichlich bessere Möglichkeiten als die SPD-Ost, die erst Ende vergangenen Jahres neu gegründet worden ist.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr!)

    Die alte SED-Filiale CDU-Ost hat ebenfalls eingefahrene Organisationsstrukturen, die ihr ganz klare Startvorteile gegenüber der SPD sichern. Nichts anderes gilt für die Liberalen in der DDR, die als ehemaliger Teil des SED-Systems die damit verbundenen organisatorischen und technischen Vorteile in die Gegenwart hinübergerettet haben.

    (Zustimmung bei der SPD)

    17364 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990
    Dr. Penner
    Wenn man über die fehlende Chancengleichheit redet, wenn man darüber lamentiert, dann geht es also nicht nur um die sogenannten politischen Gruppierungen; denn sie sind nicht jünger als die SPD-Ost.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Ungerechtigkeiten würden zu einem guten Teil beseitigt sein, wenn endlich das alte SED/PDSVermögen nebst dem ihrer politischen Ableger aufgeteilt würde. Speziell für die SPD muß ich in diesem Fall anmahnen, daß ihre berechtigten Entschädigungsansprüche endlich durchgesetzt werden müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, im übrigen liegt den rechtlichen Bedenken ein fundamentaler Irrtum zugrunde. Die Veränderungen in der DDR sind — auf der Basis günstiger außenpolitischer Rahmenbedingungen — durch das Volk selbst, durch die Hunderttausende, die wochenlang auf die Straße gegangen sind und einem verrotteten Regime den Garaus gemacht haben möglich geworden. Wenn es denn eine Organisation gibt, die zu dem Wandel in der DDR maßgeblich ihren Beitrag geleistet hat, dann ist es die evangelische Kirche gewesen. Aber die steht schließlich nicht zur Wahl.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Einzelpersönlichkeiten sind wichtig. Was deren politische Gestaltungsmöglichkeiten als Aktivbürger angeht, so hat die SPD praktische Möglichkeiten eröffnet. Das neue Recht gibt zusätzliche Chancen für parlamentarische Mitwirkung. Andererseits darf die Achtung vor diesen Menschen nicht so weit gehen, aristokratischen oder oligarchischen Tendenzen das Wort zu reden.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich betone: Es ist nicht anstößig, eher geboten, daß das Wahlrecht auch die Arbeitsfähigkeit des Parlaments mit erreichen helfen soll. Dazu gehört, daß das Parlament nicht in unzählige Einzelteile zerlegt wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wüppesahl!)

    Gewiß, Chancen anderer, gerade neuer Bewerber dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben. Aber nach meiner Einschätzung ist das auch nicht der Fall.
    Im übrigen muß darauf hingewiesen werden, daß die Scheu der Mitglieder oder Anhänger politischer Gruppierungen in der DDR, sich als Parteien oder in Parteien zu betätigen, ohnehin nur in Grenzen zu respektieren wäre.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Eine Organisation, die sich mit dem Ziel an Wahlen beteiligt, parlamentarisch vertreten zu sein, kann beim Finanzgebaren wie auch insbesondere bei der Kandidatenaufstellung nicht willkürlich verfahren. Einschlägige, für Parteien geltende Grundsätze müssen auch von diesen Gruppierungen in diesem Fall beachtet werden. So gesehen, ist auch für politische Gruppierungen der Weg über förmliche Festlegung Voraussetzung für eine parlamentarische Beteiligung und mündet letztlich doch im Organisationsmuster nach Art der ihnen so fremden Parteien.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, albern, ungerecht und heuchlerisch ist ein Vorwurf von GRÜNEN wegen Teilnahme an einer angeblichen Wahlmanipulation. Ich sage: Auch mit noch so gebrochener Stimme vorgetragene Klagen

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    vermögen nichts daran zu ändern, daß auch die GRÜNEN ihre Interessen und die Interessen ihnen nahestehender Organisationen im Auge haben, wenn es denn ums Wahlrecht geht.

    (Beifall bei der SPD — Häfner [GRÜNE]: Herr Penner, lieber gebrochene Stimme als gebrochenes Recht!)

    Daraus haben Sie auch, zuletzt im Ausschuß Deutsche Einheit, keinen Hehl gemacht.
    Die CDU hatte ihre Interessen, und das nicht nur in Berlin. Die CSU hat ihre Interessen gehabt und sie vielleicht besser als andere durchgesetzt. Die FDP hatte wie die SPD aus unterschiedlichen Gründen besonderes Interesse an einer bundesweiten Fünfprozentklausel.
    Konrad Weiß vom Bündnis 90 wäre ein lupenreines Verhältniswahlrecht ohne Sperrklausel am liebsten gewesen, aus seiner Interessenlage erklärbar. Eine länderbezogene Fünfprozentklausel hätte ihm übrigens als zweitbeste Lösung genügt.
    Auch die PDS/SED hatte Vorstellungen angemeldet, die ihren Interessen entsprach, eine länderbezogene Fünfprozentklausel.
    Die SPD hat über ihre eigenen Interessen hinaus entgegen engstirnigem Parteiegoismus

    (Beifall bei der SPD — Lachen und Oh-Rufe von der CDU/CSU und den GRÜNEN)

    für eine gruppenfreundlichere Regelung geworben. Ohne Erfolg!

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich frage: Kann für Interessen einzutreten ehrenrührig sein, zumal wenn man obendrein die Interessen anderer

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Auch noch!)

    aus staatspolitischen Gründen mitvertritt? Fehlt nur noch, daß von der SPD Überlebenshilfe für die SED/PDS gefordert wird!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das ist es!)

    Wir sind dafür, daß auch sie ihre Chance bekommt. Wir sind aber strikt dagegen, daß das über speziell für sie zugeschnittene Vergünstigungen geschieht.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von den GRÜNEN: Dann schon lieber für die DSU!)

    Die SED/PDS hat den geringsten Grund, über fehlende Startchancen zu lamentieren.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Richtig!) Davon war an anderer Stelle schon die Rede.


    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist schon ein starkes Stück, daß diejenigen, die das
    ganze Unglück in der DDR mit angerichtet haben,
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17365
    Dr. Penner
    nunmehr Anspruch darauf erheben, über rechtliche Privilegien ins Parlament zu kommen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Noch eines wird immer wieder übersehen: Die SPD hat im Bund nicht die Mehrheit und in der DDR schon gar nicht. Wir wollen das ändern, aber noch ist es nicht so weit.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die SPD wird die Gesetzesvorlage trotz der Kürze der Zeit intensiv beraten. Wir wissen, daß das eine notwendige Arbeit ist, und wir nehmen sie ernst. Aber wir wissen auch, daß das Wahlrecht die kardinalen Probleme der Menschen in der DDR nicht löst.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Die wollen wählen!)

    Die Furcht vor der Zukunft, besonders aber die Sorge um den Arbeitsplatz und die Wohnung, die Angst, in das soziale Nichts zu fallen, da sind Sie gefordert, Herr Bundeskanzler, und nicht bei Terminen.

    (Beifall bei der SPD)

    Tun Sie da Ihre Pflicht!
    Schönen Dank.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Lüder.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Lüder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sollten uns in der heutigen Debatte wenigstens einen kurzen Blick ein Jahr zurück erlauben. Heute vor einem Jahr begann der Flüchtlingsstrom aus der damals noch sozialistisch regierten DDR über Ungarn und Prag in die Bundesrepublik, das erste weltweit sichtbare Zeichen vom Ende des damaligen DDR-Regimes. Ein Jahr erst ist das her, und heute freuen wir uns darauf, ein Wahlgesetz für die ersten gesamtdeutschen Wahlen zum Deutschen Bundestag zu schaffen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Herr Penner, so sehr ich manche Ihrer Bemerkungen aufnehme — ich werde darauf eingehen —, so sehr lagen Sie doch schief, als Sie das Wahlthema, die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen damit polemisierten, daß Sie fragten, wem diese wann wie nützen könnten. Sie nützen allein den Bürgern in den heute noch beiden deutschen Staaten, die dann vereinigt sein werden.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir haben in der deutschen Politik einen langen Weg bis zu diesem Punkt hinter uns. Sie haben einige Namen erwähnt, viele andere könnten ergänzend genannt werden. Heute sollten wir den Weg zueinander suchen, um das Wahlrecht in diesen zwei Tagen so zu verabschieden, daß es dauerhafte Stabilität im einigen Deutschland bringen kann.
    Für uns Liberale gab es zwei Grundsätze, die unverzichtbar sind und die sich im Wahlvertrag und den zu ändernden Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes wiederfinden. — Wenn ich an dieser Stelle „für uns Liberale" sage, so, Herr Penner, gestatten Sie mir noch eine Bemerkung. Sie haben mit einer neuen Variation versucht, meine Parteifreunde in der DDR zu verunglimpfen. Ich lade Sie herzlich ein — ich mache mich stark dafür, daß der Parteitag dem zustimmt —, kommen Sie am Sonnabend und Sonntag nach Hannover zum Vereinigungsparteitag der FDP und sprechen Sie mit den Leuten, die mit uns in Deutschland Politik machen werden.

    (Kuhlwein [SPD]: Was machen Sie mit dem Vermögen?)

    — Zu dem Zwischenruf betreffend das Vermögen sage ich ganz klar: Die liberale Partei ist die Partei des Eigentums.

    (Lachen und lebhafte Zurufe von der SPD)

    Das heißt, daß wir nur Vermögen akzeptiert haben und akzeptieren werden, das unzweifelhaft rechtmäßig erworben worden ist, und nichts anderes.

    (Beifall bei der FDP — Kuhlwein [SPD]: Wir werden Sie daran erinnern!)

    Wenn Sie ernsthaft glauben, daß Sie mit diesen Fragen davon ablenken können, daß wir uns im gemeinsamen Bemühen doch anstrengen müssen, ein Wahlrecht zu finden, das auch die Bürger der DDR akzeptieren, dann sind Sie noch auf einem falschen Weg.