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ID1121900200

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    Plenarprotokoll 11/219 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 219. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Graf Huyn, Engelsberger und Schartz sowie des Bundesministers Dr. Zimmermann 17359 A Verzicht der Abg. Frau Schoppe auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag . . . 17359 B Eintritt des Abg. Dr. Roske in den Deutschen Bundestag 17359 B Tagesordnungspunkt 1: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3. August 1990 zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik — Drucksache 11/7624 — Dr. Schäuble, Bundesminister BMI . . . . 17359 D Dr. Penner SPD 17361 D Lüder FDP 17365 B Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE . . . 17365 D Brück SPD 17365 D Häfner GRÜNE 17367 A Porzner SPD 17368 D Dr. Bötsch CDU/CSU 17370 D Conradi SPD 17372 A Frau Unruh fraktionslos 17374 A Wüppesahl fraktionslos 17374 D Nächste Sitzung 17375 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 17377* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17359 219. Sitzung Bonn, den 8. August 1990 Beginn: 14.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Biedenkopf CDU/CSU 09. 08. 90 Buschfort SPD 09.08.90 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 09. 08. 90 Dr. Dollinger CDU/CSU 09. 08. 90 Duve SPD 09.08.90 Dr. Ehrenberg SPD 8. 08. 90 Frau Folz-Steinacker FDP 9. 08. 90 Frau Garbe GRÜNE 09. 08. 90 Frau Geiger CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 8. 08. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 9. 08. 90 Heimann SPD 08.08.90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 09. 08. 90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 09. 08. 90 Hoss GRÜNE 09.08.90 Kalisch CDU/CSU 09.08.90 Dr. Knabe GRÜNE 09. 08. 90 Kreuzeder GRÜNE 09.08.90 Lennartz SPD 09.08.90 Frau Luuk SPD 09. 08. 90 Dr. Mahlo CDU/CSU 09. 08. 90 Meneses Vogl GRÜNE 09. 08. 90 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Menzel SPD 08.08.90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 08. 08. 90 Niegel CDU/CSU 09.08.90 Dr. Pfennig CDU/CSU 8. 08. 90 Pfuhl SPD 09.08.90 Rauen CDU/CSU 09.08.90 Dr. Riedl (München) CDU/CSU 9. 08. 90 Frau Rock GRÜNE 09. 08. 90 Frau Schilling GRÜNE 09. 08. 90 Schmidt (München) SPD 09. 08. 90 Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 09. 08. 90 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 09. 08. 90 Dr. Schöfberger SPD 09. 08. 90 Schreiber CDU/CSU 09.08.90 Schulhoff CDU/CSU 08.08.90 Schwarz CDU/CSU 08.08.90 Frau Dr. Segall FDP 09. 08. 90 Dr. Soell SPD 09. 08. 90 Frau Steinhauer SPD 08. 08. 90 Frau Teubner GRÜNE 08. 08. 90 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 8. 08. 90 Frau Trenz GRÜNE 9. 08. 90 Frau Vennegerts GRÜNE 8. 08. 90 Waltemathe SPD 09.08.90 Dr. de With SPD 9. 08. 90 Dr. Wittmann CDU/CSU 08. 08. 90 Würtz SPD 08.08.90 Zink CDU/CSU 09.08.90
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Vertrag zur Vorbereitung und Durchführung der ersten gesamtdeutschen Wahl des Deutschen Bundestages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR wird ein weiterer wichtiger Schritt zur Einheit Deutschlands in Freiheit getan. Dieser Schritt fügt sich ein in den konsequenten Weg, den beide Teile Deutschlands in diesem Jahr gegangen sind:
    Die Wahlen am 18. März haben ein klares Votum für die Ordnung des Grundgesetzes auch für das Gebiet der DDR und für einen Beitritt nach Art. 23 unseres Grundgesetzes erbracht. Mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und mit dem Abbau aller Grenzkontrollen zwischen beiden Deutschen Staaten ist die deutsche Einheit schon ein ganzes Stück weit Realität im täglichen Leben der Menschen geworden. Mit dem Ergebnis der Gespräche von Bundeskanzler Helmut Kohl in der Sowjetunion ist klargestellt, daß die Bundesrepublik Deutschland auch nach der Vereinigung bleibt, was sie war: ein Teil der freien Wertegemeinschaft und ein verläßlicher Partner im freien Europa.
    Nun ist es an der Zeit, die Voraussetzungen zu schaffen, die letzten Bausteine einzusetzen, mit denen sich die staatliche Einheit Deutschlands vollenden wird. Die erste Wahl eines gesamtdeutschen Parlaments ist dabei besonders wichtig. Der Vertrag, den wir auf Bitten des Parlaments der DDR mit der Regierung der DDR verhandelt haben, soll nach übereinstimmender Auffassung beider Ausschüsse Deutsche
    17360 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990
    Bundesminister Dr. Schäuble
    Einheit von Bundestag und Volkskammer in der vergangenen Woche die Voraussetzungen schaffen, um die Wahl des gesamtdeutschen Bundestages durch ein einheitliches Gesetz mit einheitlichen Organen bereits vor der Herstellung der staatlichen Einheit so vorzubereiten, daß das Ziel — ich erinnere an dieses gemeinsame Ziel, das in der Beratung beider Ausschüsse in der vergangenen Woche bekräftigt worden ist — , die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands und die Wahl eines gesamtdeutschen Parlaments zeitlich möglichst eng beisammen zu haben, erreicht werden kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das war der übereinstimmende Wille aller Fraktionen in der gemeinsamen Sitzung beider Ausschüsse beider deutscher Parlamente in der vergangenen Woche. Diesem Ziel wird hiermit Rechnung getragen. Mit diesem Vertrag ermöglichen wir die Vorbereitung der Wahl des gesamtdeutschen Parlaments und schaffen die Voraussetzungen dafür, Wahltermin und Termin des Wirksamwerdens des Beitritts der DDR zeitlich eng zusammenzuhalten.
    Der Vertrag ist unabhängig von der Frage des Wahltermins abgeschlossen worden, so daß es insofern einer Regelung dazu nicht bedarf. Allerdings haben beide Parlamente in der Sitzung der beiden Ausschüsse in der vergangenen Woche nachdrücklich den Wunsch geäußert, daß vor der Ratifizierung des Zustimmungsgesetzes verbindlich geklärt werden solle, auch durch den Ministerpräsidenten der DDR, daß sich der Beitritt der DDR spätestens unmittelbar vor der Wahl eines gesamtdeutschen Parlaments vollziehen solle.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, was immer im übrigen zu der Erklärung von Ministerpräsident de Maizière vom Freitag vergangener Woche in diesen Tagen hier zu diskutieren ist und zu diskutieren sein wird, die Erklärung von Ministerpräsident de Maizière erfüllt die Anforderung, die auch Sie, Herr Kollege Vogel, in der Sitzung beider Ausschüsse gestellt haben. Er sagt ja, daß der Beitritt unmittelbar vor der Wahl in einer Sondersitzung der Volkskammer erklärt und damit auch vollzogen werden solle, so daß auch diese von den Fraktionen des Hohen Hauses genannte Anforderung mit der Vorlage dieses Vertrages erfüllt ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Der Wahlvertrag und die im Wahlvertrag vorgeschlagenen Änderungen im Bundeswahlgesetz tragen im übrigen dem Umstand Rechnung, daß sich die erste Wahl eines gesamtdeutschen Bundestages von den vorangegangenen elf Bundestagswahlen unterscheidet. Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland hat sich in den 40 Jahren ein vergleichsweise stabiles Parteiensystem entwickelt. Bei uns gibt es das Bewußtsein, daß Parteien 5 % der Wählerstimmen erlangen müssen, um die Legitimation zu haben, am parlamentari schen Willensbildungsprozeß teilzunehmen. Nur wer diesen Wettbewerb bestanden hat, soll Anspruch auf Teilnahme im Parlament haben. Dies ist gefestigte
    Überzeugung in diesem Teil unseres deutschen Vaterlandes.

    (Hüser [GRÜNE]: Aber nicht bei allen!)

    — Aber doch weitgehend gefestigt. Das ist in einem solch hohen Maße verfestigt, daß man den Begriff schon gebrauchen kann, Herr Kollege.
    Aber auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland mußte diese Überzeugung wachsen, wie auch das Parteiensystem allmählich gewachsen ist. 1949, als unser politisches System noch in den Kinderschuhen steckte, trug man den Gegebenheiten eines sich bildenden Parteienspektrums durch die Zählweise nach Ländern für eine Fünfprozentklausel durchaus Rechnung. Nicht unähnlich ist die Situation heute in der DDR. Zwar haben sich dort bei den Wahlen vom 18. März die Menschen mit überwiegender Mehrheit an dem Modell orientiert, das die Bundesrepublik Deutschland 40 Jahre lang vorgelebt hat, doch es bleibt der Umstand, daß sich mehr als ein Viertel der Wähler in der DDR am 18. März für andere Gruppierungen entschieden hat. Außerdem ist das politische System in den künftigen Ländern der DDR auch noch nicht so festgefügt. Dies können wir bei der rechtlichen Gestaltung der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl nicht völlig ignorieren.
    Umgekehrt galt auch, den Beitritt der DDR und die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl nicht zum Anlaß zu nehmen, das bewährte politische System der Bundesrepublik Deutschland grundlegend zu verändern.
    Deswegen und auch weil wir über Wahlrechtsfragen nicht gern streitig, sondern im Konsens entscheiden wollen, mußten wir einen Konsens finden. Dazu war es notwendig, zwischen den verschiedenen Lösungsansätzen einen Kompromiß zu finden, denn Konsens bedeutet immer, daß man zum Kompromiß bereit sein muß. Ich bin froh, daß wir Ihnen mit dem vorliegenden Wahlvertrag einen solchen, weit über die Regierungsmehrheit, die Mehrheit der Koalition hinausgehenden Kompromiß oder Konsens für ein Wahlrecht für die erste Wahl eines gesamtdeutschen Parlaments vorschlagen können.
    Dieser gefundene Kompromiß beläßt es bei der für das gesamte Wahlgebiet geltenden Prozentklausel, läßt aber ihre Überwindung auch durch Listenverbindungen verschiedener Parteien zu, soweit diese Parteien in keinem Land miteinander konkurrieren.
    In den letzten Tagen ist die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung teilweise mit der Begründung bezweifelt worden, der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit werde verletzt.

    (Häfner [GRÜNE]: Allerdings!)

    Dazu ist zu bemerken, daß das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung betont, daß der Grundsatz der Gleichheit der Wahl eine besonders formalisierte Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes darstellt, der besagt, daß jeder sein Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise soll ausüben können und daß Differenzierungen, die zu einer Abweichung davon führen, besonderer rechtfertigender Gründe bedürfen, wie sie eben etwa in der für das Verhältniswahlrecht typischen Gefahr einer Par-
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17361
    Bundesminister Dr. Schäuble
    teienzersplitterung zu sehen sind, die die Regierungsbildung erschweren oder unmöglich machen können. Deswegen ist ja eine wie immer geartete Prozentklausel eine Einschränkung des Grundrechts der Wahlgleichheit. Das Verfassungsgericht hat allerdings Sperrklauseln bis zu einer Höhe von 5 % als zulässig angesehen und in einem Fall ausdrücklich ausgeführt: „Ob der Gesetzgeber den Hundertsatz auf das gesamte Wahlgebiet oder nur auf den Listenwahlkreis bezieht, liegt in seinem Ermessen" .
    Es hat im Bundeswahlgesetz neben der Fünfprozentklausel für zulässig angesehen, die Zuteilung von Sitzen auch solchen Parteien zu gewähren, die zwar nicht 5 % der im Wahlgebiet abgegebenen Stimmen erzielt haben, aber drei Sitze — Direktmandate — in Wahlkreisen errungen haben, und zwar wegen des besonderen Charakters der personalisierten Verhältniswahl. Im übrigen haben wir auch eine Ausnahme von der Sperrklausel für nationale Minderheiten mit Rücksicht auf die dort vorliegenden besonderen Verhältnisse.
    Vor diesem Hintergrund ist zu der Regelung über die Zulassung von Listenverbindungen verschiedener Parteien, die in keinem Land miteinander konkurrieren, bei der Wahl zum 12. Deutschen Bundestag zu bemerken, daß es sich dabei ja um eine Abmilderung der Fünfprozentklausel handelt, die in sich verfassungsrechtlichen Bedenken zunächst einmal nicht begegnen kann. Die Zulassung von Listenverbindungen verschiedener Parteien ist in der Literatur generell nicht unumstritten. Das Verfassungsgericht hat sich lediglich einmal mit der Frage beschäftigt, ob ein Verbot von Listenverbindungen zulässig ist. Es hat dies mit der Begründung bejaht, daß eine Umgehung der Sperrklausel verhindert werden solle und daß damit ein legitimes Ziel verfolgt werde. Aber indem wir Listenverbindungen nur für nicht miteinander konkurrierende Parteien zulassen, tragen wir genau diesem Gesichtspunkt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung und eröffnen so keine generelle Umgehungsmöglichkeit der Fünfprozentklausel.
    Ich denke, daß wir darüber hinaus — wir werden darüber noch einmal zu reden haben — deswegen eine Ausnahme für das Land Berlin schaffen müssen — das ist im Vertrag so vorgesehen — , weil der 12. Deutsche Bundestag schon im Land Berlin gewählt wird, und im Land Berlin, in Berlin-Ost und in Berlin-West, kommen die Gruppierungen, die heute noch in der DDR und in der Bundesrepublik, je für sich, kandidiert haben, zusammen, so daß die Situation, die generell zur Zulässigkeit von Listenverbindungen führt, in Berlin eben genau umgekehrt ist mit der Folge, daß wir dort das Verbot der Konkurrenz nicht in die Listenverbindungs-Regelung aufnehmen dürfen.
    Frau Präsidentin, der Wahlvertrag beschränkt sich im übrigen, wie ich finde, aus guten Gründen auf die Ausgestaltung der ersten Wahl zu einem gesamtdeutschen Bundestag. Das Interesse der Vertragsparteien besteht gerade darin, die Unterschiede, die im Hinzutreten des Territoriums der DDR und der Menschen im Vergleich zur bisherigen Bundesrepublik Deutschland bestehen, nicht zu verewigen. Es entspricht ja im übrigen gutem demokratischen Stil, die Entscheidung darüber, wie der Deutsche Bundestag zukünftig gewählt werden soll, diesem in seiner vergrößerten Zusammensetzung sich selbst zu überlassen und nicht durch ein Regierungsabkommen — auch wenn es der Ratifizierung bedarf — zu präjudizieren.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der die historischen Ereignisse beinahe von Woche zu Woche in einer solchen Geschwindigkeit aufeinanderfolgen, müssen wir manchmal innehalten, um noch zu begreifen, was sich vollzieht.

    (Sehr richtig! und Beifall bei der SPD)

    — Ich finde schon, daß es ein bemerkenswertes und erfreuliches Ereignis ist, das uns in der Sommerpause des Deutschen Bundestages zusammenruft, um die erste Wahl eines gesamtdeutschen Bundestages vorzubereiten.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Weil dies so ist, möchte ich noch die Bemerkung machen, daß wir Deutsche im Vergleich zu vielen unserer Nachbarn in Europa den Weg zu den parlamentarischen Demokratien des Westens relativ spät gefunden haben. Wir haben anders als viele unserer Nachbarn nicht die Möglichkeit gehabt, die parlamentarische Demokratie über die Jahrhunderte hinweg zu entwikkeln.
    Nun, da wir die Chance haben, einem vereinten Deutschland eine freiheitliche und demokratische Staatsform zu geben, sollten wir diese Chance so schnell wie möglich und so gut wie möglich nutzen, im Interesse der Menschen in Deutschland, im Interesse unserer Nachbarn und Partner sowie im Interesse des gesamten europäischen Kontinents. Der Wahlvertrag, den wir Ihnen heute vorlegen, schafft einen Teil der Voraussetzungen dafür.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Penner.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Willfried Penner


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung

    (Zuruf von der CDU/CSU: Asylrecht!)

    einen Wahlrechtsvertrag zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Dieser soll die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, daß in ganz Deutschland gewählt werden kann, in Leipzig wie in Köln, in München und in Dresden, in Rostock wie in Lübeck und in Sonneberg wie in Hof. Darum geht es heute in dieser Debatte. Wir wollen die rechtlichen Voraussetzungen für die Wahl eines ersten gesamtdeutschen Parlaments und damit für die Bildung einer ersten gesamtdeutschen Regierung seit vielen Jahrzehnten schaffen.

    (Beifall bei der SPD)

    Für mich ganz persönlich sage ich: Dabei mitmachen zu dürfen, wird für mich vielleicht das herausra-
    17362 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990
    Dr. Penner
    gende politische Erlebnis bleiben. Ich bin dankbar dafür und werde das nicht vergessen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Für die Sozialdemokraten stelle ich fest: Wir sind voller Genugtuung, daß das kommen wird, wofür auf unserer Seite Willy Brandt, Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Egon Bahr und Erhard Eppler — jeder auf seine Art —,

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    aber auch Kurt Schumacher und viele andere mehr leidenschaftlich gerungen haben,

    (Beifall bei der SPD)

    nämlich ein deutscher Staat, der demokratisch ist, ein deutscher Staat, der sich einfügt, der sich in die internationale Völkergemeinschaft integriert, der auf andere Länder und auf deren Interessen Rücksicht nimmt und der seinen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten will und leistet. Bei aller notwendigen Auseinandersetzung über die besseren Wege zur Meisterung der immer drückender werdenden Probleme in der DDR, aber auch bei allem Streit über Wahltermine und über Einzelheiten des Wahlrechts dürfen wir dies einfach nicht untergehen lassen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die diesen Staat tragenden Parteien sollten darauf achten, daß diese erste gesamtdeutsche Wahl in demokratisch besonders vorbildlicher Weise durchgeführt wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Das sind Sie besonders den Bürgerinnen und Bürgern der DDR schuldig. Diese haben jahrzehntelang erleben müssen, daß man ihr Wahlrecht mit Füßen getreten hat,

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Wie ihr jetzt!)

    daß man es zur Farce degradierte und die Ergebnisse auf das schamloseste verfälscht hat.
    Mit der ersten gesamtdeutschen Wahl verbinden die Bürgerinnen und Bürger der DDR große Erwartungen. Gerade deshalb sollten wir uns besondere Mühe geben.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Möglichst schnell!)

    Das Wahlrecht ist in unserer Demokratie ein hohes Gut, das nicht einmal dem Verdacht der Unkorrektheit ausgesetzt werden darf.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir beharren darauf, daß in Wahlen Parteien unter fairen Bedingungen miteinander ringen. Dazu gehört auch, Herr Bundeskanzler, daß bei der Festlegung des Wahltermins das Grundgesetz beachtet wird

    (Lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall des Abg. Dr. Müller [CDU/CSU])

    und eine ausreichende Zeitspanne für eine kritische Auseinandersetzung zwischen den Parteien über unterschiedliche politische Optionen gewährleistet ist.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Bundesinnenminister, der vor mir gesprochen hat, hat mit seinem Partner in der DDR eine Vorlage zum Wahlrecht erarbeitet, in der von vorgezogenen Wahlterminen nicht die Rede war.

    (Zuruf von der SPD: So ist es!) Ganz im Gegenteil!


    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Seit wann stehen Wahltermine im Wahlgesetz? So ein Quatsch!)

    Dr. Schäuble hat durch Paraphe bekräftigt, daß für Wahlen zum Bundestag wie bisher Art. 39 unserer Verfassung maßgebend sein sollte, was einen Wahltermin vor Ende November ausschließt.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Habt ihr Angst vor Wahlen?)

    Der Bundeskanzler, Herr Minister, hat sich Ende vergangener Wochen zehn Stunden — ich betone: zehn Stunden — nach Ihrer Unterschrift darauf besonnen, daß ein früherer Termin als der durch Ihre Unterschrift besiegelte

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Irrtum!)

    seinen höchstpersönlichen Interessen doch mehr entgegenkäme, weil sich das ganze Ausmaß des Desasters in der DDR entgegen seinen beschwichtigenden Prognosen bis dahin vielleicht noch verbergen lassen könne.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Lafontainer!)

    Herr Bundeskanzler, ich wende mich direkt an Sie. Bei Ihrem Wahltermin am 14. Oktober geht es um Kohl, nicht etwa um den Staat, nicht um die staatliche Einheit,

    (Lebhafter Beifall bei der SPD)

    nicht um die Bundesrepublik, nicht um die DDR und schon gar nicht um die Menschen in der DDR.

    (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!)

    Wir Sozialdemokraten halten an den von der Verfassung vorgesehenen terminlichen Möglichkeiten fest.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Lafontaine!)

    Wenn die Menschen in der DDR schon jetzt eine gesamtdeutsche Regierung wollen,

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie wollen wählen!)

    wofür immer mehr Anzeichen sprechen — , kann die Volkskammer den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland mit der Folge erklären, daß Bonn dann auch das Gebiet der DDR regiert. So einfach ist das!

    (Beifall bei der SPD)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, was das Wahlgesetz im einzelnen angeht, so halten wir das Ergebnis für akzeptabel. Wir haben zu einem sehr frühen Zeitpunkt einheitliches Wahlgebiet und einheitliches Wahlrecht gefordert, und das ist erreicht worden, wie wir meinen; das ist durchgesetzt worden.
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17363
    Dr. Penner
    Leider gibt es auch bei den ersten deutschen Wahlen Besonderheit für Berlin. Es wäre begrüßenswert, wenn es in den Ausschußberatungen gelänge — jedenfalls vor der zweiten und dritten Lesung —, Regelungen zu finden, die diese Stadt mit dieser Geschichte gerade bei dieser ersten gesamtdeutschen Wahl noch stärker als Teil des neuen einheitlichen Ganzen herausstellte.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Ausdehnung der Fünfprozentklausel auf das gesamte Bundesgebiet und nicht ihre Beschränkung auf einzelne Bundesländer hat für uns einen hohen Rang.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir hätten uns im Hinblick auf die besondere Situation der DDR im Übergang eine gruppenfreundlichere Regelung gewünscht.
    Es ist richtig, daß das vorgesehene Huckepackverfahren nach dem Willen der konservativen Mehrheit auf die Bedürfnisse einer CSU-DSU-Kombination zugeschnitten war.

    (Zustimmung bei der SPD — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)

    Ebenso soll die für Berlin speziell geltende Möglichkeit der Listenverbindung wohl helfen, auch noch den letzten Wähler vom äußersten rechten Rand bei der konservativen Stange zu halten.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Durch euch kommt jetzt die PDS in den Bundestag!)

    Natürlich hatten de Maizière und Kohl mit dem Beitritt der DDR nach den Wahlen auch handfeste Wahlinteressen im Sinne, und zwar ohne Rücksicht auf die immer wieder behauptete und eigentlich politisch selbstverständliche, gebotene Einheitlichkeit der Wahl nach Gebiet und Recht. Um Aufsplitterung des linken Wählerspektrums ging es den beiden, weil die Fünfprozentklausel in diesem Fall für die Gebiete der DDR und der Bundesrepublik hätte getrennt errechnet werden müssen.
    Richtig ist auch, daß SPD wie FDP als Bündnispartner für Listenverbindungen von vorneherein ausgeschlossen sind. Es ist die Folge des vorgesehenen Konkurrenzverbots und der Tatsache, daß sich beide Parteien flächendeckend zur Wahl stellen. Unbestreitbare Tatsache bleibt aber auch, daß von der neuen, nur bei dieser Wahl geltenden Regelung nicht nur CSU und DSU, sondern auch Bündnis 90 und GRÜNE Gebrauch gemacht haben. Auch das muß hier festgehalten werden.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Immerhin! — Zurufe von den GRÜNEN)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es ist wahr, daß es die Konkurrenzklausel den politischen Gruppierungen nicht leicht macht, in den Bundestag gewählt zu werden. Nach dem jetzt geltenden Wahlrecht der Bundesrepublik, ohne Möglichkeit der Listenverbindung mit Partnern, wären die Chancen überdies gleich Null gewesen. Aber auch eine deren Interessen entgegenkommendere rechtliche Regelung würde die tatsächlichen Chancen nicht beträchtlich ändern. Es ist beispielsweise nicht verborgen geblieben, daß das Bündnis 90 in der DDR nicht etwa die SPD oder eine andere große Partei als Partner suchte, sondern andere bevorzugte.
    Die Partei des Herrn Eppelmann geht übrigens einen anderen Weg: Sie wird kraft eigenen Entschlusses in der nächsten Zeit in der CDU aufgehen.
    Ich halte fest: Nicht nur der Zuschnitt des Rechts allein, sondern die politische Festlegung der Gruppierungen, ihr Profil, entscheidet mit über ihre eigenen politischen Chancen.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die SPD hat immer Rolle und Bedeutung der politischen Gruppierungen in der DDR und dabei auch ihrer Wortführer im Auge gehabt. Sie ist in der DDR selbst politische Gruppierung gewesen, ehe sie sich wieder gründete.

    (Beifall bei der SPD)

    Und trotzdem ist die SPD immer auch für jene offen geblieben, die nicht den Weg in die Ost-SPD gefunden haben — bis in die jüngste Zeit hinein übrigens. Das Angebot, einzelnen aus den Gruppierungen jenseits der SPD ohne Preisgabe ihrer politischen Identität Listenplätze zu sichern,

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist Huckepack!)

    war ernst gemeint, ist — bisher jedenfalls — jedoch nicht aufgenommen worden. Gemessen an den bisherigen Erfahrungen einschlägiger Art in und mit der SPD mußten deren Chancen nicht unbedingt schlecht sein; denn schließlich sind Gustav Heinemann, Johannes Rau, Erhard Eppler und Diether Posser, allesamt in den 50er Jahren aus der GVP kommend, einflußreiche sozialdemokratische Politiker geworden.

    (Beifall bei der SPD)

    Die haben sich nicht verbiegen müssen und haben gerade deswegen die Politik in der SPD besonders mit beeinflussen können. Daß einige politische Gruppierungen jetzt mit den GRÜNEN gehen, ist eher Sache ihrer freien Entscheidung — mag sein auch Ergebnis politischer Selbstbeschränkung — , nicht so sehr aber Folge wahlrechtlicher Vorschriften.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, trotzdem wird von maßgebender Seite angemerkt, daß die Chancengleichheit verletzt sein könne. Unbestreitbar, sage ich, gibt es in der DDR unterschiedliche Wahlstartchancen. So hat die SED/PDS mit immer noch Tausenden hauptamtlicher Mitarbeiter unvergleichlich bessere Möglichkeiten als die SPD-Ost, die erst Ende vergangenen Jahres neu gegründet worden ist.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr!)

    Die alte SED-Filiale CDU-Ost hat ebenfalls eingefahrene Organisationsstrukturen, die ihr ganz klare Startvorteile gegenüber der SPD sichern. Nichts anderes gilt für die Liberalen in der DDR, die als ehemaliger Teil des SED-Systems die damit verbundenen organisatorischen und technischen Vorteile in die Gegenwart hinübergerettet haben.

    (Zustimmung bei der SPD)

    17364 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990
    Dr. Penner
    Wenn man über die fehlende Chancengleichheit redet, wenn man darüber lamentiert, dann geht es also nicht nur um die sogenannten politischen Gruppierungen; denn sie sind nicht jünger als die SPD-Ost.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Ungerechtigkeiten würden zu einem guten Teil beseitigt sein, wenn endlich das alte SED/PDSVermögen nebst dem ihrer politischen Ableger aufgeteilt würde. Speziell für die SPD muß ich in diesem Fall anmahnen, daß ihre berechtigten Entschädigungsansprüche endlich durchgesetzt werden müssen.

    (Beifall bei der SPD)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, im übrigen liegt den rechtlichen Bedenken ein fundamentaler Irrtum zugrunde. Die Veränderungen in der DDR sind — auf der Basis günstiger außenpolitischer Rahmenbedingungen — durch das Volk selbst, durch die Hunderttausende, die wochenlang auf die Straße gegangen sind und einem verrotteten Regime den Garaus gemacht haben möglich geworden. Wenn es denn eine Organisation gibt, die zu dem Wandel in der DDR maßgeblich ihren Beitrag geleistet hat, dann ist es die evangelische Kirche gewesen. Aber die steht schließlich nicht zur Wahl.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Einzelpersönlichkeiten sind wichtig. Was deren politische Gestaltungsmöglichkeiten als Aktivbürger angeht, so hat die SPD praktische Möglichkeiten eröffnet. Das neue Recht gibt zusätzliche Chancen für parlamentarische Mitwirkung. Andererseits darf die Achtung vor diesen Menschen nicht so weit gehen, aristokratischen oder oligarchischen Tendenzen das Wort zu reden.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich betone: Es ist nicht anstößig, eher geboten, daß das Wahlrecht auch die Arbeitsfähigkeit des Parlaments mit erreichen helfen soll. Dazu gehört, daß das Parlament nicht in unzählige Einzelteile zerlegt wird.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wüppesahl!)

    Gewiß, Chancen anderer, gerade neuer Bewerber dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben. Aber nach meiner Einschätzung ist das auch nicht der Fall.
    Im übrigen muß darauf hingewiesen werden, daß die Scheu der Mitglieder oder Anhänger politischer Gruppierungen in der DDR, sich als Parteien oder in Parteien zu betätigen, ohnehin nur in Grenzen zu respektieren wäre.

    (Zustimmung bei der SPD)

    Eine Organisation, die sich mit dem Ziel an Wahlen beteiligt, parlamentarisch vertreten zu sein, kann beim Finanzgebaren wie auch insbesondere bei der Kandidatenaufstellung nicht willkürlich verfahren. Einschlägige, für Parteien geltende Grundsätze müssen auch von diesen Gruppierungen in diesem Fall beachtet werden. So gesehen, ist auch für politische Gruppierungen der Weg über förmliche Festlegung Voraussetzung für eine parlamentarische Beteiligung und mündet letztlich doch im Organisationsmuster nach Art der ihnen so fremden Parteien.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, albern, ungerecht und heuchlerisch ist ein Vorwurf von GRÜNEN wegen Teilnahme an einer angeblichen Wahlmanipulation. Ich sage: Auch mit noch so gebrochener Stimme vorgetragene Klagen

    (Lachen bei der CDU/CSU)

    vermögen nichts daran zu ändern, daß auch die GRÜNEN ihre Interessen und die Interessen ihnen nahestehender Organisationen im Auge haben, wenn es denn ums Wahlrecht geht.

    (Beifall bei der SPD — Häfner [GRÜNE]: Herr Penner, lieber gebrochene Stimme als gebrochenes Recht!)

    Daraus haben Sie auch, zuletzt im Ausschuß Deutsche Einheit, keinen Hehl gemacht.
    Die CDU hatte ihre Interessen, und das nicht nur in Berlin. Die CSU hat ihre Interessen gehabt und sie vielleicht besser als andere durchgesetzt. Die FDP hatte wie die SPD aus unterschiedlichen Gründen besonderes Interesse an einer bundesweiten Fünfprozentklausel.
    Konrad Weiß vom Bündnis 90 wäre ein lupenreines Verhältniswahlrecht ohne Sperrklausel am liebsten gewesen, aus seiner Interessenlage erklärbar. Eine länderbezogene Fünfprozentklausel hätte ihm übrigens als zweitbeste Lösung genügt.
    Auch die PDS/SED hatte Vorstellungen angemeldet, die ihren Interessen entsprach, eine länderbezogene Fünfprozentklausel.
    Die SPD hat über ihre eigenen Interessen hinaus entgegen engstirnigem Parteiegoismus

    (Beifall bei der SPD — Lachen und Oh-Rufe von der CDU/CSU und den GRÜNEN)

    für eine gruppenfreundlichere Regelung geworben. Ohne Erfolg!

    (Erneute Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich frage: Kann für Interessen einzutreten ehrenrührig sein, zumal wenn man obendrein die Interessen anderer

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Auch noch!)

    aus staatspolitischen Gründen mitvertritt? Fehlt nur noch, daß von der SPD Überlebenshilfe für die SED/PDS gefordert wird!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das ist es!)

    Wir sind dafür, daß auch sie ihre Chance bekommt. Wir sind aber strikt dagegen, daß das über speziell für sie zugeschnittene Vergünstigungen geschieht.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von den GRÜNEN: Dann schon lieber für die DSU!)

    Die SED/PDS hat den geringsten Grund, über fehlende Startchancen zu lamentieren.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Richtig!) Davon war an anderer Stelle schon die Rede.


    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist schon ein starkes Stück, daß diejenigen, die das
    ganze Unglück in der DDR mit angerichtet haben,
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. August 1990 17365
    Dr. Penner
    nunmehr Anspruch darauf erheben, über rechtliche Privilegien ins Parlament zu kommen.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Noch eines wird immer wieder übersehen: Die SPD hat im Bund nicht die Mehrheit und in der DDR schon gar nicht. Wir wollen das ändern, aber noch ist es nicht so weit.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die SPD wird die Gesetzesvorlage trotz der Kürze der Zeit intensiv beraten. Wir wissen, daß das eine notwendige Arbeit ist, und wir nehmen sie ernst. Aber wir wissen auch, daß das Wahlrecht die kardinalen Probleme der Menschen in der DDR nicht löst.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Die wollen wählen!)

    Die Furcht vor der Zukunft, besonders aber die Sorge um den Arbeitsplatz und die Wohnung, die Angst, in das soziale Nichts zu fallen, da sind Sie gefordert, Herr Bundeskanzler, und nicht bei Terminen.

    (Beifall bei der SPD)

    Tun Sie da Ihre Pflicht!
    Schönen Dank.

    (Anhaltender Beifall bei der SPD)