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ID1121204600

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    Plenarprotokoll 11/212 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 212. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1990 Inhalt: Begrüßung des Bundespräsidenten . . . 16665 A Begrüßung der Präsidentin der Volkskammer der DDR, Frau Dr. Bergmann-Pohl, sowie der Mitglieder des Ausschusses Deutsche Einheit der Volkskammer der DDR . 16665 A Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Köhler (Wolfsburg) 16665 B Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Drucksache 11/7171) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 1990) (Drucksache 11/7150) c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 (Zweites ERP-Nachtragsplangesetz 1990) (Drucksache 11/7185) Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . . 16666 A Frau Matthäus-Maier SPD 16678 A Dr. Faltlhauser CDU/CSU 16681 B Dr. Dregger CDU/CSU 16683 B Hoss GRÜNE 16686 D Mischnick FDP 16689 C Momper, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 16694 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 16695 C Dr. Waigel CDU/CSU 16696 D Roth SPD 16697 B Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 16699 C Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 16700D Rühe CDU/CSU 16702 B Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 16704 C Frau Unruh fraktionslos 16707 C Schäfer (Offenburg) SPD 16708 A Frau Vennegerts GRÜNE 16710 C Wüppesahl fraktionslos 16712 A Tagesordnungspunkt 2: Überweisung im vereinfachten Verfahren Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Hemmnissen bei Investitionen in der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin (Ost) (DDR-Investitionsgesetz) (Drucksache 11/7207) 16714 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1990 Tagesordnungspunkt 3: Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 11/7072, 11/7176, 11/7211) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 11/6790, 11/7176) 16714 C Nächste Sitzung 16715 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16716 * A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1990 16665 212. Sitzung Bonn, den 23. Mai 1990 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Adler SPD 23. 05. 90 Dr. Ahrens SPD 23. 05. 90 Amling SPD 23. 05. 90 Austermann CDU/CSU 23. 05. 90 Bohlsen CDU/CSU 23. 05. 90 Brandt SPD 23. 05. 90 Brauer GRÜNE 23. 05. 90 Brück SPD 23. 05. 90 Clemens CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Conrad SPD 23. 05. 90 Daubertshäuser SPD 23. 05. 90 Daweke CDU/CSU 23. 05.90 Dr. Dollinger CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Emmerlich SPD 23. 05. 90 Engelsberger CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Fell CDU/CSU 23. 05. 90 Francke (Hamburg) CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. von Geldern CDU/CSU 23. 05. 90 Genscher FDP 23. 05. 90 Glos CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Götz CDU/CSU 23. 05. 90 Graf SPD 23. 05. 90 Großmann SPD 23. 05. 90 Grünbeck FDP 23. 05. 90 Haar SPD 23. 05. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 23. 05. 90 Haungs CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 23. 05. 90 Hinrichs CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Hürland-Büning CDU/CSU 23. 05. 90 Graf Huyn CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Jenninger CDU/CSU 23. 05. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 23. 05. 90 Jung (Limburg) CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Kelly GRÜNE 23. 05. 90 Koschnick SPD 23. 05. 90 Kreuzeder GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Kronenberg CDU/CSU 23. 05. 90 Kühbacher SPD 23. 05. 90 Dr. Graf Lambsdorff FDP 23. 05. 90 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Lennartz SPD 23. 05. 90 Lowack CDU/CSU 23. 05. 90 Lüder FDP 23. 05. 90 Meneses Vogl GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 23. 05. 90 Meyer SPD 23. 05. 90 Möllemann FDP 23. 05. 90 Niegel CDU/CSU 23. 05. 90 Oesinghaus SPD 23. 05. 90 Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Osswald SPD 23. 05. 90 Petersen CDU/CSU 23. 05. 90 Pfeifer CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Pfennig CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Pohlmeier CDU/CSU 23. 05. 90 Poß SPD 23. 05. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 23. 05. 90 Rauen CDU/CSU 23. 05. 90 Richter FDP 23. 05. 90 Rossmanith CDU/CSU 23. 05. 90 Schäfer (Mainz) FDP 23. 05. 90 Frau Schilling GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Schöfberger SPD 23. 05. 90 Frau Schoppe GRÜNE 23. 05. 90 Frhr. von Schorlemer CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Schulte (Hameln) SPD 23. 05. 90 Schwarz CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Seiler-Albring FDP 23. 05. 90 Dr. Solms FDP 23. 05. 90 Frau Dr. SPD 23. 05. 90 Sonntag-Wolgast Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Stercken CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Struck SPD 23. 05. 90 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Trenz GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Uelhoff CDU/CSU 23. 05. 90 Urbaniak SPD 23. 05. 90 Verheugen SPD 23. 05. 90 Wetzel GRÜNE 23. 05. 90 Frau Wollny GRÜNE 23. 05. 90 Würtz SPD 23. 05. 90 Dr. Wulff CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Zimmermann CDU/CSU 23. 05. 90
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Herta Däubler-Gmelin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich dem nur anschließen.
    Herr Rühe, vom Temperament her würde es mich schon reizen, Ihnen jetzt so richtig zu kontern. Aber ich sage Ihnen: Das, was Sie gesagt haben, war so leicht durchschaubar und so unsinnig, daß die Menschen, die uns zusehen, sehr gut selbst wissen, in welche Ecke sie das stellen müssen. Und deswegen werde ich Ihnen nicht antworten.

    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb, lieber Herr Rühe, darf ich Ihnen nur einen kleinen Hinweis geben. Das letzte Mal, als Herr Bohl hier so unsinnige Sätze von sich gab, hatten wir, eine Woche später, glaube ich, Wahlen in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen. Die haben Sie dann auch prompt verloren.

    (Rühe [CDU/CSU]: Das hat es entschieden! — Zurufe von der SPD: Weiter so!)

    Sie sollten sich wirklich überlegen, ob Sie nicht über die Köpfe und die Interessen der Menschen hinwegreden.

    (Beifall bei der SPD)

    Ich halte es für gescheiter und auch für konstruktiver, gegen Schluß dieser ersten Beratung nochmals zu fragen: Wo sind wir uns einig, und wo gibt es bei all dem gravierende Unterschiede, was jetzt noch auf dem Weg zur deutschen Einheit vor uns steht? Ich möchte das deshalb betonen, weil wir auf Ihre Kooperation rechnen, während die Beratungen über diesen ersten Staatsvertrag laufen.
    Wenn das richtig ist, was Sie auch heute pausenlos über staatspolitische Verantwortung und über die Notwendigkeit, die Unsicherheit der Menschen in der DDR zu beenden, gesagt haben, dann erwarten wir von Ihnen, Herr Rühe, nicht, daß Sie so reden, wie Sie das getan haben, sondern daß Sie mithelfen, unsere Forderungen zu prüfen. Dann werden Sie feststellen: Sie sind berechtigt. Dann sollten Sie mithelfen, daß sich die Regierungsfraktionen bewegen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wo sind wir also einig? Wir sind uns einig bei dem Ja zur deutschen Einheit. Wir sind uns auch in der Beurteilung einig, daß dieser Wirtschafts-, Währungs- und Sozialvertrag ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit ist. So steht es in seiner Präambel.
    Wir streiten uns mit Ihnen darüber, was im Zusammenhang mit diesem ersten Staatsvertrag und im weiteren Verfahren geändert werden muß, damit aus diesem ersten gewichtigen Schritt auch ein richtiger Schritt wird, damit also die deutsche Einheit gelingen kann.

    (Beifall bei der SPD)

    Weil wir dies wollen, haben wir schon Ostern, als Ihre
    ersten Pläne bekannt wurden, gesagt, daß wir Ände-



    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    rungen fordern. Wir haben gesagt: Marktwirtschaft ohne ebenso starke sozialstaatliche Ordnung ist nicht möglich; sie liegt nicht im Interesse der Menschen. Wir stellen mit Befriedigung fest, daß sich in diesem Punkt bis heute vieles bewegt hat,

    (Zustimmung der Abg. Frau Dr. Timm [SPD])

    gerade weil die Sozialdemokraten in Ost und West diese Änderungen bei Ihnen eingefordert haben, meine Damen und Herren von der Bundesregierung.
    Die Sozialdemokraten sind in Ost und West das soziale Gewissen unseres Landes.

    (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Die SPD-Ost stimmt doch zu!)

    Gerade weil wir dieses soziale Gewissen sind, stellen wir die Forderung nach Änderungen, über die heute geredet wird: erstens zum Umweltschutz. Mein Kollege Schäfer wird dazu noch etwas sagen. Deshalb bestehen wir zweitens darauf, daß Arbeitslosigkeit auch durch strukturpolitische Maßnahmen von vornherein gesenkt wird. Deshalb bestehen wir — drittens — aus Gerechtigkeitsgründen auch darauf, daß das Vermögen des Stasi und der SED zur Sanierung der DDR und zur Entschädigung der SED-Opfer herangezogen wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie sagen, Herr Rühe, Sie seien auch dafür, und wenn Sie sagen, Herr Mischnick — er ist augenblicklich nicht im Saal — , er hätte in der letzten Sitzung des Ausschusses Deutsche Einheit auch darauf hingewiesen, dann fragen wir Sie: Warum haben Sie das alles nicht gleich im Vertrag verankert? Sie hätten es auch durch ein Protokoll, durch einen Briefwechsel zusätzlich verankern können. Die Instrumente kennen Sie alle. Wir wollen das sicherstellen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn Sie das mittragen, ist uns das recht. Wenn Ihre Kooperationsbereitschaft auch durch die neuen Mehrheiten im Bundesrat gefördert wird, dann soll uns das ebenfalls recht sein. Das ist gut für die Menschen, und es ist auch gut für die deutsche Einheit.
    Einig sind wir uns, wie ich annehme, auch in einem anderen Punkt: Wir brauchen weitere Schritte hin zur staatlichen Einheit. Streiten tun wir uns wahrscheinlich mit Ihnen, wie diese Einheit aussehen soll. Wir stellen drei wichtige Forderungen: Wir wollen diese Einheit zügig, aber ohne verantwortungslosen Zeitdruck. Wir wollen die nächsten Schritte im breiten Zusammenwirken im Bundestag über Parteigrenzen hinweg unter Einbeziehung des Bundesrates in partnerschaftlichen Verhandlungen mit der DDR vereinbaren. Wir wollen, drittens, daß auch die Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR zum Ergebnis dieses Einigungsprozesses Stellung nehmen können.

    (Beifall bei der SPD) Diese drei Forderungen haben wir.

    Zum Zeitdruck: Wir wollen die Einheit zügig, aber nicht unter verantwortungslosem Zeitdruck, habe ich gesagt, und unter parteitaktisch motiviertem Druck schon überhaupt nicht. Das gilt für den Beitritt der DDR, und das gilt für den Termin für die ersten gesamtdeutschen Wahlen. Der Hebel für beide — das wissen wir — liegt in der DDR. Aber wir sollten heute völlig klarstellen, daß wir von uns aus niemanden unter Druck setzen.
    Herr Bundesfinanzminister, Ihren Hinweis auf die Schwierigkeiten der Sowjetunion — sie sollen ja auch Druck erzeugen; gestatten Sie mir, das zu sagen — halte ich nicht für besonders hilfreich. Das ist weder hilfreich für die Politik Gorbatschows, die wir brauchen und von der wir profitieren, noch helfen Sie damit den Menschen bei uns in Deutschland. Und bei der Verwirklichung der staatlichen Einheit helfen sie auch nicht.

    (Beifall bei der SPD)

    Auch Ihr parteitaktisches Lavieren mit dem Wahltermin hat großen Unmut hervorgerufen. Zu Recht. Vor der Niedersachsen-Wahl haben Sie, Herr Bundeskanzler, wie wir fanden, mit guten Gründen, den 2. Dezember 1990 als Termin für Bundestagswahlen betont. Es hat schon Erstaunen hervorgerufen, daß es nur der verlorenen Niedersachsen-Wahl bedurfte, um Sie plötzlich ganz anderen Sinnes werden zu lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    So baut man die deutsche Einheit nicht.
    Weil wir wollen, daß die deutsche Einheit ein Erfolg wird, wollen wir, daß sie auf einem breiten Fundament abgestützt wird. Deshalb wollen wir auch jetzt über die Gestaltung der deutschen Einheit reden, uns auch streitig mit Ihnen auseinandersetzen. Sie sollten eines nicht mißverstehen: Unser Ja zur Einheit bedeutet nicht das Ja zum Einigungsmodell des Bundeskanzlers oder zu den Einheitsvorstellungen der CDU/ CSU.

    (Beifall bei der SPD)

    Die sind uns zu eng, die sind uns zu parteipolitisch, und die sind uns zu konservativ.
    Zum dritten Punkt. Wenn wir sagen, die Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR soll gefragt werden, ob sie mit dem, was beim Einigungsprozeß herauskommt, auch einverstanden ist, dann hat das seinen Grund. Wenn die deutsche Einigung wirklich die historische Stunde bedeutet, von der wir immer reden — und ich halte sie dafür —,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Sie bedeutet das!)

    dann ist es schlicht ein Gebot des demokratischen Anstandes, die Männer und Frauen bei uns und in der DDR um ihre Meinung zu fragen, sie abstimmen zu lassen.

    (Beifall bei der SPD)

    Deswegen fordern wir Sie auf: Sperren Sie sich doch nicht länger gegen diese Forderung.
    Zügige Einheit ohne verantwortungslosen Zeitdruck,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Die machen die Revolution, damit Sie darüber abstimmen!)




    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    ein breites Fundament, Herr Kittelmann, und die Akzeptanz durch unsere Bevölkerung — alle drei Elemente brauchen wir; denn wir haben noch eine gewaltige Wegstrecke vor uns.
    Sie wissen genauso gut wie ich, daß nach Abschluß des ersten Staatsvertrages eine Menge von Problemen zu bewältigen sind. Es hat sich eben in 40 Jahren Grundlegendes auseinanderentwickelt, nicht nur beim Geld, nicht nur in der Wirtschaft, sondern in allen wichtigen Bereichen des Lebens: im Bildungswesen, bei den Lebens- und Arbeitsbedingungen und auch — da hat die Kollegin Beck-Oberdorf doch recht — bei den Frauen und bei den Rechten der Frauen.
    Wir sind uns sicherlich einig, daß es gut ist, daß die DDR von unseren Erfahrungen profitiert und viele unserer Regelungen übernimmt. Aber wir sagen auch: Wir wollen nicht mit der arroganten Haltung des wirtschaftlich Stärkeren und Reicheren der DDR einfach auch unsere anderen Regelungen überstülpen. Wer das anstrebte, der müßte mit unserem Widerspruch rechnen. Wir wollen, daß Erfahrungen ausgewertet werden. Wir wollen, daß Partnerschaft stattfindet. Wir wollen in das geeinte Deutschland übernehmen, was gut ist, was sich bewährt hat.
    Seien Sie doch ehrlich: Jeder von uns weiß, daß es eine Menge gibt, worüber wir mit der DDR noch reden müssen, bevor die staatliche Einheit kommt. Ich will stichwortartig ein paar Punkte aufzählen. Was ist denn mit dem öffentlichen Dienstrecht in dem neuen, in dem geeinten Deutschland? Wir haben das Berufsbeamtentum. Das hat sich — jedenfalls grundsätzlich— bewährt. Die DDR hat kein Berufsbeamtentum. Wäre das nicht ein Grund, aus Anlaß des deutschen Einigungsprozesses die Diskussion über das einheitliche öffentliche Dienstrecht wiederaufzunehmen, die wir in der Bundesrepublik zu Anfang der 70er Jahre begonnen haben?

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wie ist es denn mit den Frauen, die im Staatsvertrag nur an einer einzigen Stelle Erwähnung finden? Sind nicht auch Sie der Meinung, daß das für 52 % der Bevölkerung und für die Rechte und den Schutz, um den es geht, ein bißchen wenig ist? Wir sollten auch hier bald darüber reden, ob wir im geeinten, im neuen Deutschland das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft aufnehmen sollten und daß der Staat werdendes Leben durch soziale, durch gesellschaftspolitische Hilfsangebote schützen und zugleich die Einbildung, ja die Anmaßung aufgeben sollte, er könne werdendes Leben durch Strafrecht oder gar ausschließlich durch strafrechtliche Verbote schützen.
    Es gibt noch viele weitere Punkte. Wir sollten uns die Zeit dafür nehmen. Das geht zügig, da wird nichts unsinnig verzögert.
    Und noch etwas: Es ist heute viel über Kosten und Kleinkrämerei geklagt worden. Ich glaube, diese Vorwürfe liegen neben der Sache. Wir wissen: Deutsche Einheit ist nicht nur ein Gebot der Verfassung, sondern, Herr Mischnick, für sehr viele eine Herzenssache, gerade auch für Sozialdemokraten.
    Ich hätte mich gefreut, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie in diesem Zusammenhang nicht nur tote Sozialdemokraten genannt hätten,

    (Roth [SPD]: Er muß kungeln!)

    sondern auch ausnahmsweise einmal lebende Sozialdemokraten. Wir alle haben nämlich Willy Brandts Entspannungspolitik, mit der er die Unions-Politik der rituellen Einheitsbeschwörungen ablöste, gerade deshalb unterstützt, weil sie Chancen für eine Einigung geboten hat.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir begrüßen auch aus ganzem Herzen, daß die Menschen im letzten Herbst in der DDR auf die Straße gegangen sind und daß ihr Ruf „Wir sind das Volk" die Tore zur Einheit aufgestoßen hat.
    Das ist so. Aber, meine Damen und Herren, die Menschen in Ost und West — das können Sie doch gar nicht leugnen — sind in den letzten 40 Jahren durch eine zweite Grunderfahrung geprägt worden: Die Nation vermittelt uns Gefühle der Zusammengehörigkeit, begründet durch Geschichte, Tradition, Sprache und Kultur. Aber jeder von uns weiß zugleich, daß der Nationalstaat heute keine der Probleme mehr lösen, daß er keine Antworten auf die Fragen mehr geben kann, die uns heute bedrängen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Diese Erfahrungen sind überall vorhanden, und sie sind eindeutig: Verteidigung kann im nationalen Rahmen nicht mehr gesichert werden und ist nur noch durch überstaatliche Verträge möglich. Wirtschaft ist längst international. Deshalb ist es auch kein Wunder, daß eine Umfrage unter westdeutschen Industriemanagern, die gestern bekannt wurde, zeigt, daß die den europäischen Binnenmarkt für noch wichtiger halten als die deutsche Einheit. Was die Umwelt angeht, so weiß heute jeder, daß sich Waldsterben und Smog von nationalen Grenzen nicht aufhalten lassen.
    Es ist richtig — Jaspers hat das schon 1960 festgestellt — : Der Nationalstaat ist tot. Auch der deutsche Nationalstaat ist tot. Er ist auch tot, wenn wir uns jetzt auf den Weg zur deutsch-deutschen Einigung machen, wie wir das wollen.
    Ich war Ihnen für Ihre Klarstellung zu Bismarck sehr dankbar, Herr Bundesfinanzminister. Bismarck und seine Zeit wollen wir nicht, Sie auch nicht. Gut. Ich könnte Ihnen noch ein paar Gründe dafür nennen: Bismarck hat nämlich nicht nur Sozialdemokraten einsperren lassen, er mochte auch keine Demokraten und Liberalen und die Katholiken auch nicht.
    Auch wenn wir heute nach vorne schauen, sollten wir uns an das erinnern, was wir etwa vor einem Jahr, zum 40. Jubiläum unseres Grundgesetzes, gesagt haben. Ich selber habe damals darauf hingewiesen, daß gerade die jungen Menschen in unserem Land, daß unsere Kinder ein anderes, neues Lebensgefühl besitzen, das sich von dem früherer Generationen grundlegend unterscheidet. Sie sind anders aufgewachsen.

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Und haben mehr Sinn für Geschichte als Sie!)




    Frau Dr. Däubler-Gmelin
    Ihre Kleidung, ihre Lieder gleichen denen der jungen Leute in Ost und West — übrigens in der DDR und in Polen ebenso wie in Frankreich, in der Bundesrepublik und auch in England.
    Ich habe damals darauf hingewiesen, daß viele der jungen Leute jenen historischen Themenwechsel längst vollzogen haben, der unsere Politik in der Zukunft prägen muß, wenn wir überleben wollen, auch wenn die Umstellung der Politik in Bonn bisweilen schwerer möglich erscheint, als es notwendig wäre. Die jungen Leute sind sich der globalen Gefahren deutlicher und schärfer bewußt, unter denen sie leben.
    Wenn das so ist — und es ist so; ich beziehe ausdrücklich Ost und West ein — , dann ist es auch kein Wunder, daß es ihnen nicht reicht, wenn sie auf die Frage „Wie geht es weiter, und wie geht es weiter in Deutschland?" nur die Antwort „Deutsche Einheit" bekommen und sonst nichts. Dies ist auch der Grund, warum sie mit nationalem Pathos nichts mehr anfangen können.

    (Hornung [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

    Diese jungen Leute fragen ganz konkret: Wie sichern wir im geeinten Deutschland den Frieden mit unseren Nachbarn?

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Ohne Niveau!)

    Deshalb drängen wir auf Europa. Deshalb drängen wir auf die Aussöhnung mit Polen. Deshalb, Herr Bundeskanzler, fanden wir Ihre schwankende Haltung zur polnischen Westgrenze so unerträglich, um ein Lieblingswort von Ihnen zu verwenden.

    (Beifall bei der SPD)

    Die jungen Menschen fragen zum zweiten: Wie sichern wir im geeinten Deutschland mehr Demokratie? „Wir sind das Volk" : Das ist eine Feststellung, die nicht nur in der DDR gerne gehört wurde, die gilt auch bei uns. Deshalb sagen wir: Wir wollen die Beteiligung der Menschen an Entscheidungsprozessen in dem geeinten Deutschland stärken, und zwar im staatlichen Bereich und in der Wirtschaft.
    Zum dritten fragen sie auch: Wie sichern wir die soziale Gerechtigkeit im geeinten Deutschland? Denn 2 Millionen Arbeitslose und noch mehr Menschen in Armut sind doch kein Ruhmesblatt und auch kein Vorbild. Unsere Antwort ist: Wir wollen das Sozialstaatsgebot, das Recht auf Arbeit ausbauen.
    Als vierte und wichtigste Frage hören wir: Wie stellen wir sicher, daß das geeinte Deutschland in die Lage versetzt wird, an der Lösung der globalen Aufgaben und Probleme mitzuwirken, die in Zukunft immer drängender werden? Darauf müssen Sie, meine Damen und Herren, und wir Antworten finden, gerade weil wir die staatliche Einheit wollen.
    Wir sind dazu bereit, die Diskussion, die Auseinandersetzung darüber schon heute mit Ihnen auf zunehmen. Ich sage Ihnen: Erst wenn alle drei Elemente vorliegen — Verständigung um die Inhalte, zügige Einheit, aber keine einseitige verantwortungslose Terminfestsetzung, und die Abstimmung der Bevölkerung in der Bundesrepublik und in der DDR zu den Ergebnissen des Einigungsprozesses — , befinden wir uns auf einem guten Weg. Dann kann die deutsche Einheit ein Erfolg werden. Daran arbeiten wir mit.

    (Beifall bei der SPD — Kroll-Schlüter [CDU/ CSU]: Ja, im Jahre 2200!)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gertrud Unruh


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Herr Präsident! Werte Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Um es im vorhinein zu sagen: Auch wenn jetzt noch Protokolle oder Aktenvermerke oder sonst etwas dazukommen
    — immer machen, immer machen — , muß nach diesem Staatsvertrag ganz schnell die Vereinigung erfolgen. Meine Hoffnung ist ein gesamtdeutsches Parlament, um dann mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern alles das in die Wirklichkeit umzusetzen, was in diesen Verträgen, in diesen Gesetzen, in den Protokollen usw. steht.
    Ich weiß gar nicht, worum Sie sich eigentlich streiten. Die SPD muß dagegen sein, sonst wäre es ja furchtbar, sonst hätte sie ja keine Wähler oder sonst etwas zu beruhigen. Sie betreibt eine gewisse Schaumschlägerei; das kann ich verstehen. Das machen Sie ja auch, wenn es Ihnen paßt. Daß die GRÜNEN einen absoluten Nein-Standpunkt beziehen, kann ich auch verstehen. Es ist das Recht der GRÜNEN, nach außen zu dokumentieren, wie sie sich vielleicht ein Gesamtdeutschland vorstellen.
    Aber wenn ich von einem Abgeordneten der GRÜNEN höre, daß man Beiträge erhöhen sollte, dann bricht das natürlich für mich Grenzen der Zusammenarbeit im parlamentarischen Raum. Genau das ist der Punkt. Hier sind nicht die Wahlen wegen der Verunsicherung bezüglich Gesamtdeutschlands verloren worden.

    (Roth [SPD]: Trude, fang' den Panther ein!)

    Die Wahlen hier sind vielmehr wegen der großen sozialen Unsicherheit in der Bundesrepublik verloren worden.
    Wir haben doch letztlich diese wahnsinnige Armut. Wir haben doch unsere Rentnerinnen und Rentner, die nur eine Rentenerhöhung von 3,1 % bekommen haben. Herr Mischnick, Ihre Rede war spitze.

    (Zustimmung bei der FDP)

    — Jetzt kommt allerdings das große Aber: Warum haben Sie nicht mehr für den sozialen Ausgleich in der Bundesrepublik Deutschland getan? Ich muß mir hier anhören: Berufsbeamtentum, Berufsbeamtentum. Ich breche bald zusammen. Nein, wir brauchen kein Berufsbeamtentum mit noch wahnsinnigeren Privilegien. Wir brauchen eine Ordnungspolitik in einem Gesamtdeutschland, in dem dann, glaube ich, wir Alten sehr gefragt sind.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Sie sind doch noch nicht alt!)

    — Werden Sie erst einmal 65. Dann können Sie vielleicht mitreden.

    (Heiterkeit bei allen Fraktionen)

    Ich meine, daß wir Alten — wir unverbogenen Alten — sehr wohl darüber mitreden können, wie wir



    Frau Unruh
    uns für unsere Kinder und Kindeskinder eine andere, blühende Zukunft vorstellen. Das hat etwas mit der sozialen Ordnung in der Alterssicherung zu tun. Das hat damit etwas zu tun, daß viele Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen werden müssen, um in Zukunft wieder eine menschenwürdige, im ökologischen Bereich saubere Politik verfolgen zu können.
    Es muß eine soziale Gesetzgebung erfolgen — es müssen ja alle Geld verdienen, damit sie leben können — , damit Massenarbeitslosigkeit anders als in der Bundesrepublik Deutschland aufgefangen wird. Wenn Sie als Familienvater mit drei Kindern arbeitslos würden und Ihre Schulden bei der Bank nicht mehr bezahlen könnten oder wenn Sie als Bauer Haus und Hof verlören, weil Sie nicht mehr wissen, wie Sie die Schulden bezahlen sollen, dann wäre auch Ihnen einsichtig, daß wir ein anderes Bankensystem, ein anderes Volksversicherungssystem, ein anderes Versichertensystem benötigen. Das haben Sie in Ihrem Kopf, verehrte CDU/CSU- und FDP-Freunde, nicht drin.
    In einem gesamtdeutschen Parlament mit Parteien, die es heute noch gar nicht gibt, könnte ich mir vorstellen — dazu gehören auch die Grauen; das ist doch logo —, daß Grau Zukunft hat. Also, Freunde, ran und ein gesamtdeutsches Parlament schaffen.