Rede:
ID1121201600

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Nun: 1
    2. erteile: 1
    3. ich: 1
    4. dem: 1
    5. Abgeordneten: 1
    6. Hoss: 1
    7. das: 1
    8. Wort.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/212 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 212. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1990 Inhalt: Begrüßung des Bundespräsidenten . . . 16665 A Begrüßung der Präsidentin der Volkskammer der DDR, Frau Dr. Bergmann-Pohl, sowie der Mitglieder des Ausschusses Deutsche Einheit der Volkskammer der DDR . 16665 A Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Köhler (Wolfsburg) 16665 B Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Drucksache 11/7171) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1990 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 1990) (Drucksache 11/7150) c) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Wirtschaftsplan des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1990 (Zweites ERP-Nachtragsplangesetz 1990) (Drucksache 11/7185) Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . . 16666 A Frau Matthäus-Maier SPD 16678 A Dr. Faltlhauser CDU/CSU 16681 B Dr. Dregger CDU/CSU 16683 B Hoss GRÜNE 16686 D Mischnick FDP 16689 C Momper, Regierender Bürgermeister des Landes Berlin 16694 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 16695 C Dr. Waigel CDU/CSU 16696 D Roth SPD 16697 B Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 16699 C Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 16700D Rühe CDU/CSU 16702 B Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 16704 C Frau Unruh fraktionslos 16707 C Schäfer (Offenburg) SPD 16708 A Frau Vennegerts GRÜNE 16710 C Wüppesahl fraktionslos 16712 A Tagesordnungspunkt 2: Überweisung im vereinfachten Verfahren Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau von Hemmnissen bei Investitionen in der Deutschen Demokratischen Republik und Berlin (Ost) (DDR-Investitionsgesetz) (Drucksache 11/7207) 16714 B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1990 Tagesordnungspunkt 3: Beratungen ohne Aussprache a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 11/7072, 11/7176, 11/7211) b) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Drucksachen 11/6790, 11/7176) 16714 C Nächste Sitzung 16715 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16716 * A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. Mai 1990 16665 212. Sitzung Bonn, den 23. Mai 1990 Beginn: 9.01 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Adler SPD 23. 05. 90 Dr. Ahrens SPD 23. 05. 90 Amling SPD 23. 05. 90 Austermann CDU/CSU 23. 05. 90 Bohlsen CDU/CSU 23. 05. 90 Brandt SPD 23. 05. 90 Brauer GRÜNE 23. 05. 90 Brück SPD 23. 05. 90 Clemens CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Conrad SPD 23. 05. 90 Daubertshäuser SPD 23. 05. 90 Daweke CDU/CSU 23. 05.90 Dr. Dollinger CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Emmerlich SPD 23. 05. 90 Engelsberger CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Fell CDU/CSU 23. 05. 90 Francke (Hamburg) CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Geißler CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. von Geldern CDU/CSU 23. 05. 90 Genscher FDP 23. 05. 90 Glos CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Götz CDU/CSU 23. 05. 90 Graf SPD 23. 05. 90 Großmann SPD 23. 05. 90 Grünbeck FDP 23. 05. 90 Haar SPD 23. 05. 90 Dr. Häfele CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 23. 05. 90 Haungs CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 23. 05. 90 Hinrichs CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Hürland-Büning CDU/CSU 23. 05. 90 Graf Huyn CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Jenninger CDU/CSU 23. 05. 90 Jung (Düsseldorf) SPD 23. 05. 90 Jung (Limburg) CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Kelly GRÜNE 23. 05. 90 Koschnick SPD 23. 05. 90 Kreuzeder GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Kronenberg CDU/CSU 23. 05. 90 Kühbacher SPD 23. 05. 90 Dr. Graf Lambsdorff FDP 23. 05. 90 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Lennartz SPD 23. 05. 90 Lowack CDU/CSU 23. 05. 90 Lüder FDP 23. 05. 90 Meneses Vogl GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 23. 05. 90 Meyer SPD 23. 05. 90 Möllemann FDP 23. 05. 90 Niegel CDU/CSU 23. 05. 90 Oesinghaus SPD 23. 05. 90 Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Osswald SPD 23. 05. 90 Petersen CDU/CSU 23. 05. 90 Pfeifer CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Pfennig CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Pohlmeier CDU/CSU 23. 05. 90 Poß SPD 23. 05. 90 Rappe (Hildesheim) SPD 23. 05. 90 Rauen CDU/CSU 23. 05. 90 Richter FDP 23. 05. 90 Rossmanith CDU/CSU 23. 05. 90 Schäfer (Mainz) FDP 23. 05. 90 Frau Schilling GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Schöfberger SPD 23. 05. 90 Frau Schoppe GRÜNE 23. 05. 90 Frhr. von Schorlemer CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Schulte (Hameln) SPD 23. 05. 90 Schwarz CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Seiler-Albring FDP 23. 05. 90 Dr. Solms FDP 23. 05. 90 Frau Dr. SPD 23. 05. 90 Sonntag-Wolgast Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Stercken CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Struck SPD 23. 05. 90 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 23. 05. 90 Frau Trenz GRÜNE 23. 05. 90 Dr. Uelhoff CDU/CSU 23. 05. 90 Urbaniak SPD 23. 05. 90 Verheugen SPD 23. 05. 90 Wetzel GRÜNE 23. 05. 90 Frau Wollny GRÜNE 23. 05. 90 Würtz SPD 23. 05. 90 Dr. Wulff CDU/CSU 23. 05. 90 Dr. Zimmermann CDU/CSU 23. 05. 90
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Alfred Dregger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin Matthäus-Maier, das war ein wortgewaltiger, temperamentvoller Vortrag, den Sie dem Hause geboten haben.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber die politischen Grundfragen, die zu beantworten sind, und zwar verantwortlich für die Fraktionen und die Parteien, wurden dadurch nicht beantwortet.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Deswegen möchte ich zwei Grundfragen an die Opposition richten: Wollen Sie die staatliche Einheit Deutschlands, oder ziehen Sie nach wie vor die Zweistaatlichkeit vor, die jahrelang die Linie Ihrer Politik gewesen ist?

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Duve [SPD]: Eine Unverschämtheit! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Fragen Sie doch einmal Ihren Kanzlerkandidaten, was er dazu meint, und prüfen Sie sein Verhalten! — Die zweite Frage ist: Wenn Sie die staatliche Einheit Deutschlands wollen, wollen Sie sie jetzt, oder wollen Sie sie auf ungewisse Zeit mit ungewissem Ergebnis vertagen?
    Unsere Position ist ganz eindeutig: Wir wollen die staatliche Einheit Deutschlands. Wir wollten sie immer, und wir sind von diesem Kurs nie abgewichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir wollen die staatliche Einheit jetzt, weil die Rahmenbedingungen dafür nie günstiger als in der gegenwärtigen Situation gewesen sind.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Unsere Wirtschafts- und Finanzkraft hat nach acht Jahren der Konsolidierung und der inneren Reformen einen Gipfelpunkt erreicht. — Der Finanzminister hat das vorhin an Hand von Zahlen sehr überzeugend dargelegt. — Wir sind die drittgrößte Industrienation der Welt. Wir sind — abwechselnd mit den USA — Weltmeister im Export. Mit der Deutschen Mark haben wir neben dem Dollar die wichtigste Reservewährung der Welt, die in Europa Leitwährung ist.
    Unsere Verbündeten, insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und Großbritannien, stehen in der Frage des Staatsvertrages und der Wiedervereinigung nach Art. 23 GG an unserer Seite.
    Für die Sowjetunion sind wir ein wichtiger Partner ihrer technischen und ökonomischen Entwicklung.

    (Zuruf von der SPD: Ja, wir sind die Größten!)

    Mit ihr verbindet uns der Wunsch nach Abrüstung und enger Zusammenarbeit. Die Sowjetunion hat die Wiedervereinigung Deutschlands zur deutschen Sache erklärt und hinzugefügt, daß die Klärung der äußeren Aspekte nicht zu einer Diskriminierung des vereinigten Deutschlands führen dürfe.
    Unsere östlichen Nachbarn — Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn — , mit denen sich ein Verhältnis des Vertrauens und enger Zusammenarbeit herausbildet, sehen — wie wir selbst — unseren Platz in der NATO. Diese Rahmenbedingungen sind vor allem das Werk von Helmut Kohl, des Bundeskanzlers, und seines Außenministers Hans-Dietrich Genscher, denen wir Dank für ihre historische Leistung sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Allen, die jetzt bremsen oder zögern, sage ich: Es wäre unverantwortlich, darauf zu vertrauen, daß sich an dieser von uns mit geschaffenen Konstellation nichts ändern könnte. Deshalb handeln wir jetzt. Der Kairos, der geschichtliche Augenblick, ist da. Wer ihn versäumt, setzt unsere Zukunft aufs Spiel. Auch für den wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung, für die Sanierung der vom Sozialismus heruntergewirtschafteten DDR, nicht nur ihrer Betriebe, sondern vor allem auch ihrer Natur und ihrer Umwelt, ist jetzt entschlossenes Handeln geboten.
    Meine Damen und Herren der SPD, es gehört leider zu Ihren Traditionen, sich an den Wendepunkten der Geschichte in den Krähwinkel zurückzuziehen. Die SPD war gegen die Soziale Marktwirtschaft, gegen die Westbindung, gegen die NATO-Mitgliedschaft, gegen einen deutschen Verteidigungsbeitrag.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Die CDU war gegen die Ostpolitik!)




    Dr. Dregger
    Jetzt ist sie — jedenfalls nach Vorstandsbeschluß — gegen den Staatsvertrag mit der DDR, gegen den Beitritt der DDR zum Bund gemäß Art. 23 GG und gegen baldige gesamtdeutsche Wahlen.
    Im übrigen, meine Damen und Herren, erwecken die SPD-Parteien in Ost und West nicht den Eindruck, als ob sie Schwesterparteien seien. Die SPD-Ost stimmt dem Staatsvertrag zu, die SPD-West dagegen sagt: Ja, aber vielleicht nein. Die SPD-Ost ist nicht der Meinung, der Staatsvertrag zugunsten des DDR-Gebiets bedürfe der Nachbesserung. Eben das sagt die SPD-West jetzt. Sie setzt sich damit in vollen Widerspruch zu dem, was Sie bisher gesagt hat. Meine Damen und Herren der SPD, Sie haben bei den Wählern in der Bundesrepublik Deutschland bisher doch den Eindruck zu erwecken versucht, die Bundesrepublik Deutschland leiste nicht zuwenig, sondern zuviel an die DDR, wodurch der Wohlstand in Westdeutschland gefährdet werde.
    Frau Matthäus-Maier, die Einzelvorschläge, die Sie machen, sind im Staatsvertrag weitgehend enthalten. Das gilt z. B. in vollem Umfang für den Umweltschutz und die Umweltunion. Hier ist in Absprache mit der DDR-Regierung sichergestellt, daß in der DDR entsprechende gesetzliche Bestimmungen erlassen werden. Gleiches gilt für die Behandlung unrechtmäßig erworbenen Parteivermögens und des Stasi-Vermögens. Meine Damen und Herren, damit rennen Sie doch offene Türen ein. Wir wollen selbstverständlich, daß diesen Leuten diese Vermögen weggenommen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Über all das haben wir übrigens bereits in der letzten Woche im Ausschuß Deutsche Einheit gesprochen und Einvernehmen erzielt. Zur Verwirklichung dieser Ziele — das ist jetzt das Entscheidende — bedarf es keiner Änderung des Staatsvertrages. Es besteht kein sachlicher Grund, sein Inkrafttreten deshalb zu vertagen. Das, was noch abzusprechen ist, kann auch außerhalb des Staatsvertrages geschehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Meine Damen und Herren, ich möchte nach dieser Klarstellung alle Deutschen in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland dazu aufrufen, jetzt die gemeinsame Sache in den Vordergrund zu stellen. Die friedliche Revolution in der DDR ist noch nicht vollendet. Die SED, die Partei des Mauerbaus, des Stacheldrahts, der Massengräber, des Schießbefehls und des Stasi-Terrors, ist nicht verschwunden. Sie hat nur ihren Namen geändert; sie heißt jetzt PDS. In unglaublicher Frechheit spielt sie sich heute als Hüterin der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit auf — Werte, die sie während der Zeit ihrer Herrschaft in infamster Weise mißachtet hat.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zustimmung des Abg. Porzner [SPD])

    Es gibt immer noch Angst in der DDR vor dieser SED/ PDS und ihrem noch nicht vergessenen Stasi-Terror. Es werden wohl noch Jahre vergehen, bis die geistigen, moralischen und politischen Folgen dieser
    40 Jahre roter Diktatur, die auf die braune Diktatur gefolgt ist, behoben sein werden.

    (Vorsitz : Vizepräsident Cronenberg)

    Meine Damen und Herren, wie ist es bei uns? Begreift man wenigstens jetzt, was drüben geschehen ist? Begreift man, daß eine erfolgreiche demokratische Revolution in der DDR auch uns Westdeutsche und ganz Europa von einer großen Gefahr befreit? Oder fragt man bei uns nur, was es uns kosten könnte, wenn wir zur friedlichen Revolution in der DDR, zum Sieg der Freiheit, der Demokratie und der Menschenrechte im anderen Teil unseres Vaterlandes unseren Beitrag leisten?
    Es ist doch beschämend, daß sich der Kanzlerkandidat der SPD zum Sprecher einer solch kleinkarierten Auffassung macht.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren von der SPD, erwecken Sie doch nicht den Eindruck, daß Ihnen anstatt des Herzens ein Rechenschieber eingesetzt worden wäre. Wir, die CDU/CSU, sind jedenfalls nicht bereit, durch soziale Verweigerung die Grenze zur DDR wieder zu schließen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Ich frage den Partei- und Fraktionsvorsitzenden der SPD, Herrn Kollegen Vogel, der sich interessanterweise heute nicht zu Wort gemeldet hat, ob es seine Absicht ist, all das auszuführen, was ihm der kleine Machiavelli von der Saar vorgibt, der mit Deutschland nichts am Hut hat und der bereit ist, eine Frage unserer nationalen Existenz seinen persönlichen Machtinteressen unterzuordnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Damit, meine Meine Damen und Herren, wird er scheitern; damit werden auch Sie scheitern, Herr Oppositionsführer; damit wird auch die SPD scheitern. Das alles ist erträglich. Aber lassen Sie Deutschland nicht scheitern! Erinnern Sie sich an Kurt Schumacher!

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Er hätte in dieser Stunde seine patriotische Pflicht ganz gewiß allen parteitaktischen Überlegungen übergeordnet.
    Daß die SPD im übrigen, was die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen der Wiedervereinigung angeht, falsch rechnet, ergibt sich aus nahezu allen Gutachten sachverständiger Institute, die außerordentlich positiv lauten. Es kann kein Zweifel sein: Die Wiedervereinigung wird nach einigen Übergangsschwierigkeiten allen zugute kommen, auch uns Westdeutschen.
    Aber das ist nicht das Entscheidende. Wer seinem Nachbarn, ja in diesem Falle seinem Bruder, in einer schwierigen Lage nicht beisteht, der handelt verwerflich.

    (Stücklen [CDU/CSU]: Richtig!)




    Dr. Dregger
    Wenn das die Politik Ihres Kanzlerkandidaten, meine Damen und Herren der SPD, ist, dann mögen Sie das mitverantworten. Wir, die CDU/CSU, halten an der Politik der Solidarität und der Freiheit Deutschlands fest. Wir haben das getan, seitdem es uns gibt, und das wird so bleiben.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Bei allen Rechnereien über den Staatsvertrag sollten wir nicht vergessen, um was es in der DDR ging und geht. An den Demonstrationen gegen das kommunistische Regime haben sich Zehntausende, Hunderttausende, ja Millionen beteiligt. Beeindruckend war die Friedlichkeit dieser Demonstrationen. Keine Scheibe ging zu Bruch, kein Demonstrant war vermummt, von keinem ging Gewalt aus. Die Demonstranten trugen Kerzen durch die Straßen ihrer Städte und setzten sie den Bewaffneten vor die Stiefel. Die Welt hat es mit Respekt und Bewunderung gesehen. Wir Westdeutsche haben allen Anlaß, uns bei unseren Landsleuten in der DDR zu bedanken, weil sie ein moralisches Kapital geschaffen haben, das nun dem ganzen deutschen Volk zugute kommt.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zu danken haben wir auch den Ungarn. Sie trafen vor dem Hintergrund der Entwicklung in der DDR eine mutige Entscheidung. Sie erlaubten den Flüchtlingen aus der DDR, über Österreich in die Bundesrepublik Deutschland auszureisen.

    (Frau Unruh [fraktionslos]: Im Einverständnis mit Gorbatschow!)

    Daß die Ungarn, die 1956 durch eine sowjetische Interventionsarmee blutig niedergeschlagen worden waren, das wagten, war tapfer. Es war ein Akt großmütiger Solidarität, die wir Deutsche den Ungarn nie vergessen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber, meine Damen und Herren, die Tapferkeit der Ungarn wäre ohne Grundlage gewesen, wenn wir, die CDU/CSU Deutschlands, nicht mit Entschiedenheit

    (Dr. Vogel [SPD]: Helsinki!)

    die gemeinsame Staatsbürgerschaft der Deutschen bei uns und in der DDR auch gegen anderslautende Vorschläge führender Sozialdemokraten, z. B. des jetzigen Kanzlerkandidaten, verteidigt hätten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Ohne die gemeinsame Staatsbürgerschaft hätten unsere Botschaften in Budapest, Prag und Warschau den Flüchtlingen aus der DDR Reisepässe der Bundesrepublik Deutschland nicht ausstellen können.
    Es gab noch einen zweiten Punkt, der den grundsätzlichen Unterschied zwischen unserer Deutschlandpolitik und der der SPD deutlich gemacht hat. Die sozialdemokratisch regierten Bundesländer haben es zuletzt abgelehnt, die Erfassungsstelle in Salzgitter mitzufinanzieren.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Zu Recht!)

    Meine Damen und Herren, Salzgitter hat den StasiTerror nicht verhindert, aber Salzgitter hat ihn gebremst und trägt heute dazu bei, die SED-Verbrechen in rechtsstaatlichen Verfahren anklagen zu können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

    Unsere Deutschlandpolitik der Standhaftigkeit und Konsequenz brauchte und braucht zum Erfolg eine konstruktive Europa-, eine ebenso konstruktive Allianz- und eine ebenso konstruktive Ostpolitik ebenso wie eine nicht minder erfolgreiche Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzpolitik. Allen diesen Erfordernissen sind wir gerecht geworden. Unsere Politik beruht auf zwei Grundentscheidungen: auf der Entscheidung für die Soziale Marktwirtschaft und auf der Entscheidung für den Westen, d. h. für die Allianz der westlichen Demokratien und für die Europäische Gemeinschaft. Ohne diese Entscheidungen hätten wir heute weder Verbündete im Westen noch Optionen im Osten, der Ring des Mißtrauens hätte sich schon längst wieder, wie so oft in diesem Jahrhundert, um unser Land geschlossen. Die Entscheidung für den Westen war moralisch ebenso wie strategisch richtig. Moralisch war sie richtig, weil sie unser Volk in die Gemeinschaft der freien Völker führte, zu deren Staatsräson Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gehören. Sie war strategisch richtig, weil wir als Volk in der Mitte Europas ohne Verbündete uns nicht behaupten können, wie die tragische Geschichte dieses Jahrhunderts gezeigt hat. Jetzt haben wir die richtigen Verbündeten, von denen wir uns auch dann nicht trennen werden, wenn Deutschland wiedervereinigt ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es gehört zu unserem Selbstbestimmungsrecht, uns die Bündnisse zu wählen, in denen wir Sicherheit finden. In der KSZE-Schlußakte ist dieses Recht auch von der Sowjetunion anerkannt worden, was bisher viel zu wenig gewürdigt wird.
    Dabei ist folgendes zu bedenken. Auch das vereinigte Deutschland wird politisch-militärisch keine Großmacht sein. Die Sowjetunion ist dagegen nukleare Weltmacht und wird es bleiben. Sie ist auch in Zukunft die einzige Großmacht in Europa. Nur sie kann sich auch ohne Bündnis und ohne Glacis allein behaupten. Alle anderen europäischen Staaten — es sind Kleinstaaten oder Mittelmächte — bleiben dagegen auf das Bündnis und auf die Mitwirkung Deutschlands angewiesen, da das Bündnis ohne uns seinen Zusammenhalt verlöre.
    Wir haben trotz aller Einwendungen, die wir jetzt aus Moskau hören, die Aussicht, daß auch die Sowjetunion im Zuge der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen dieser Einschätzung zustimmt. Die Sowjetunion braucht jetzt etwas anderes als militärische Obermacht. Sie braucht volle Regale und glückliche Menschen. Das ist nicht mit Panzern zu erreichen. Dazu ist die Hilfe des Westens nötig, nicht zuletzt die Hilfe der Deutschen, die der größte Handelspartner der Sowjetunion sind. Wir haben in der Vergangenheit bewiesen, daß wir dazu bereit sind, und wir werden nach der Wiedervereinigung Deutschlands in noch weit größerem Umfang dazu bereit sein.
    Meine Damen und Herren, unseren Landsleuten in der DDR möchte ich sagen: Die Soziale Marktwirt-



    Dr. Dregger
    schaft ist keine kapitalistische Veranstaltung. Sie hat unseren Arbeitern nicht nur Spitzenlöhne, vermögenswirksame Leistungen und Eigentum gebracht, sondern auch das Betriebsverfassungsgesetz und die Mitbestimmung. Nicht Gängelei und Fremdbestimmung durch Funktionäre, sondern persönliche Mitverantwortung in den Betrieben, das ist das Markenzeichen eines Modells, das der Europäische Gewerkschaftsbund jetzt auf ganz Europa übertragen sehen möchte.
    Meine Damen und Herren, es ist unser Modell; es soll in Zukunft auch für unsere Landsleute in der DDR gelten. Wir sehen in diesem Modell einen Beitrag zur Produktivität und zur Effizienz der Unternehmen und damit auch der Volkswirtschaft. Aber es ist vor allem Ausdruck unseres Respekts vor der Würde des arbeitenden Menschen.
    Meine Damen und Herren, unsere auf der Sozialen Marktwirtschaft beruhende wirtschaftliche Stärke hat es uns ermöglicht, der frei gewählten Regierung der DDR ein wirklich großzügiges Angebot zu machen, das seinen Niederschlag in dem Staatsvertrag findet, der jetzt dem Deutschen Bundestag zur Beratung vorliegt. Dieser Vertrag enthält das bisher einmalige Unterfangen, ein verrottetes und gescheitertes System sozialistischer Mißwirtschaft über Nacht in eine marktwirtschaftliche Ordnung zu überführen.
    Die Währungsreform des Jahres 1948 war demgegenüber einfacher und nur in ihrer Kühnheit vergleichbar mit dem, was wir jetzt mit der Gründung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion der beiden deutschen Staaten unternehmen. Denn diesmal sind die Erwartungen höher. Es soll einfach alles von Anfang an stimmen — was sicherlich nur begrenzt möglich sein kann — : die Einkommen, die Sozialsysteme, die Investitionsanreize, die Rechtssicherheit und die Stabilität der gemeinsamen Währung.
    Das letzte, meine Freunde, meine Damen und Herren, ist das Wichtigste. Geldwertstabilität ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine soziale Errungenschaft. Dafür, daß sie erhalten bleibt, steht auch die unabhängige und mit Recht hochangesehene Deutsche Bundesbank.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Zwischen der Öffnung der Mauer und der Unterzeichnung des Staatsvertrages lagen nur sechs Monate und neun Tage, angefüllt mit politischer Arbeit, wie sie dichter, intensiver und erfolgreicher nicht hätte geleistet werden können. Wir standen unter Zeitdruck. Denn es stellte sich ja die Frage: Wie können wir verhindern, daß die Menschen die DDR verlassen, ohne daß sie die Grenze wieder zumachen? Wir mußten schnell handeln. Von Hektik in diesem Zusammenhang zu reden, Frau Matthäus-Maier, ist wirklich völlig unangebracht und absurd.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir sollten auch nicht vergessen, daß unsere Regierung, insbesondere der Bundeskanzler und der Außenminister, ständig vor der Aufgabe stand, unsere Verbündeten in der Europäischen Gemeinschaft und in der atlantischen Allianz, aber auch unsere großen Partner in Osteuropa über das zu informieren, was wir hier mit der deutschen Einheit erstreben und was das für sie bedeutet.
    Es ist wirklich Übermenschliches geleistet worden. Das mit Hektik abzuwerten ist völlig unmöglich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich möchte jedenfalls den Verhandlungsführern, den zuständigen Ressortministern und den Chefs der beiden deutschen Regierungen für diese ungewöhnliche Leistung danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, am 2. Dezember oder am 13. Januar wird zumindest der neue Bundestag gewählt. Meiner Meinung nach wäre es gut, wenn sich unsere Landsleute in der DDR an dieser Wahl beteiligen könnten.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Denn nur die staatliche Einheit, die damit vollzogen würde, gibt denen volle Sicherheit, die in der heutigen DDR als Unternehmer investieren oder als Arbeitnehmer oder Selbständige arbeiten wollen. Sie könnten dann ihr Aufbauwerk in der beruhigenden Gewißheit leisten, daß sie in einem vereinigten Deutschland arbeiten und daß sich die Lebensverhältnisse im östlichen Landesteil denen im wesentlichen Landesteil in kurzer Zeit angleichen würden.
    Die Entscheidung hierüber liegt nicht bei uns, sondern bei der Volkskammer und der Regierung der DDR. Wir werden nicht unziemlich drängen, da wir den Arbeitsdruck kennen, der auch im Bereich der Gemeinden und der noch zu errichtenden Länder auf unseren Freunden in der DDR lastet. Wir sind aber der Meinung, daß jetzt die nationale Frage vorgeht und daß von der Entscheidung, die nach Art. 23 Grundgesetz in Ost-Berlin zu treffen ist, der Erfolg unserer gemeinsamen Politik für ganz Deutschland abhängt. Wir sind der Überzeugung, daß die staatliche Einheit Deutschlands unsere Schritte auf dem vor uns liegenden Weg beflügeln und zum baldigen Erfolg führen wird.
    Lassen Sie mich in zwei Sätzen zusammenfassen, was Ziel und Weg unserer Politik für Deutschland sind. Aus der Solidarität der einen unteilbaren deutschen Nation heraus binden wir die getrennten Teile wieder aneinander. Ein Deutschland der Demokratie und ein Europa des Friedens und der Freiheit werden das Ergebnis sein.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Nun erteile ich dem Abgeordneten Hoss das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Willi Hoss


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aussicht auf die Wiedervereinigung hat noch vor Monaten bei der überwiegenden Mehrheit der Bürger der DDR und auch bei uns in der Bundesrepublik Begeisterung und Freude ausgelöst.

    (Gattermann [FDP]: Das ist immer noch so!)

    Die Bilder vom Brandenburger Tor und von all den
    anderen Grenzübergängen sind uns noch in Erinnerung. Diese Bilder sind inzwischen der Verunsiche-



    Hoss
    rung und sogar Ängsten gewichen: Wie geht es weiter? Die Bürger in der DDR haben Angst um ihre Arbeitsplätze und fürchten — obwohl sie möglichst schnell westlichen Lebensstandard wollen — die Risiken und die ungewohnten Arbeits- und Lebensabläufe der Marktwirtschaft.

    (Dr. Knabe [GRÜNE]: Das stimmt!)

    Wir GRÜNEN gehen davon aus, daß diese Risiken abgemildert werden können. Abnehmen kann sie den Bürgern in der DDR aber niemand. Den Wiederaufbau der DDR müssen sie selbst zustande bringen.
    Unsere Bürger in der Bundesrepublik haben auch Angst bekommen. Sie fürchten, daß sie für die Kosten der Vereinigung zahlen müssen, aber auch, daß es mehr sein wird, als sie heute ahnen. Die Politiker der Regierungsparteien stellen sich in ihre Wahlveranstaltungen und verkünden: Kostet nichts, kostet nichts. Wir erhöhen keine Beiträge, erheben keine neuen Steuern, und es wird auch keine inflationären Tendenzen geben.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: „Kostet nichts" sagt niemand!)

    Dabei weiß doch jeder: Wer ein neues Haus baut, braucht Geld, braucht Hypotheken, muß Zinsen zahlen.
    Die Sozialdemokraten sprechen in diesem Konzert mit zwei Stimmen. Für die DDR fordern sie zu Recht die Abmilderung der schlimmsten Auswirkungen der Währungsunion, und sie fordern Nachbesserungen. Bei uns in der Bundesrepublik suggerieren sie aber, die Vereinigung brauche den Bürger nichts zu kosten,

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das ist falsch!)

    und verlangen sogar noch Beitragssenkungen in der Sozialversicherung.
    Um die Verwirrung komplett zu machen, sind die Sozialdemokraten in der DDR für den Staatsvertrag in der jetzt vorliegenden Form. Die Politiker der Regierung und auch der SPD schenken den Bürgern in diesem ganzen Prozeß keinen reinen Wein ein. Sie nehmen die Bürger nicht ernst, denken in dieser Situation mehr daran, Wählerstimmen zu behalten oder hinzuzugewinnen, als im offenen Dialog Klarheit zu schaffen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Weil die Bürgerinnen und Bürger das spüren, wächst ihre Verunsicherung. Weil Sie von der Regierung und auch Sie von der SPD so kurz denken, gelingt es Ihnen nicht, die Vereinigung zu einem wirklichen Neuanfang zu machen. Neuanfang, das heißt nicht, auf einen wiedererstandenen Nationalstaat zu setzen, der unsere Nachbarn wieder in Unruhe versetzt, heißt nicht, die ökonomische Macht zu benutzen, um Europa zu dominieren, heißt nicht, in eine neue Konsumwelle zu flüchten, um sich vor der Auseinandersetzung über die gemeinsame und getrennte Geschichte beider deutscher Staaten zu drücken.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Es stimmt ja, daß wir mitten in Europa als große Wirtschaftsmacht die europäischen Märkte kontrollieren. Es stimmt, daß sich das eher noch verstärken wird, wenn aus 60 Millionen 77 Millionen Deutsche werden, die in einigen Jahren insgesamt über eine potente Qualifikations- und Produktionsstruktur verfügen werden. Ich frage: Warum soll es eigentlich unmöglich sein, die Wirtschaftskraft, die Ressourcen der neuen deutschen Republik für die großen heute vor uns liegenden Menschheitsaufgaben einzusetzen?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das wäre ein anderes Deutschland. Warum soll es unmöglich sein, mit der Umweltzerstörung bei uns, dem verschwenderischen Energieverbrauch, der Vergiftung der Böden und des Wassers sofort aufzuhören? Warum soll es unmöglich sein, das ausbeuterische Verhältnis zur Dritten Welt aufzugeben und den Rüstungswahn zu stoppen?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Mit dem heute vorliegenden Staatsvertrag, den wir GRÜNEN ablehnen, beschreiten Sie von der Regierungskoalition einen anderen Weg. Sie haben ein anderes politisches Programm.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Gott sei Dank haben wir ein anderes politisches Programm!)

    Sie unterstellen mit Ihren Paragraphen die Möglichkeit unbegrenzten Wachstums. Wenn Sie so, als hätten wir nichts dazugelernt, „Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie Preisbildung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern und Dienstleistungen" allein zur Grundlage der Wirtschaftsunion machen, dann ist die Chance, ein neues Verhältnis von Ökologie und Ökonomie zu finden, vertan.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Ihnen geht es wieder nur darum, Emissionen hier und da zu reduzieren. Aber Produkte und Produktionsverfahren von vornherein zu planen, ökologisch zu gestalten, das haben Sie in Ihrem Staatsvertrag erst gar nicht vorgesehen.
    Es stimmt schon, was ein Abgeordneter der Volkskammer gesagt hat: Solange im Staatsvertrag über das Branntweinmonopol mehr steht als über den Schutz der Umwelt, dann drückt das genau den Geist dieses Staatsvertrages aus.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Die Atomlobby hat sich durchgesetzt. Nach dem Vertrag sollen alle Atomkraftwerke in der DDR fünf, längstens zehn Jahre weiterlaufen. Selbst nach westdeutschem Atomrecht wären diese Reaktoren sofort abzustellen. Der Greifswalder Reaktor z. B. ist mindestens ebenso unsicher und gefährlich wie der von Tschernobyl.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Dank der kommunistischen Mißwirtschaft! Da haben Sie recht!)

    Damit riskieren Sie, meine Damen und Herren von der Regierung und von der Koalition, wissentlich einen Super-GAU in Mitteleuropa. Neue Industrieanlagen, Mülldeponien oder Verbrennungsanlagen kön-



    Hoss
    nen in der DDR nach dem Staatsvertrag ohne Öffentlichkeitsbeteiligung eingerichtet werden.

    (Dr. Knabe [GRÜNE]: Unmöglich!)

    Die Autolobby hat sich durchgesetzt. Der Gebrauchtwagenmarkt in der Bundesrepublik ist leergefegt. Die DDR nimmt die unökologischen Wagen auf. Es ist schon abzusehen, daß eine Straßenbauorgie folgen wird.
    Die DDR als Gebrauchtwarenland, als Land für alles das, was für uns schon nicht mehr akzeptabel ist, ist das die Perspektive, die Sie den Menschen in der DDR mit dem Staatsvertrag anbieten?
    Indem Grund und Boden im Staatsvertrag ohne alle Einschränkungen frei verkäuflich gemacht werden, wird jede sinnvolle Landschafts-, Regional- und Strukturplanung unmöglich.
    Ich könnte noch viele andere Beispiele dieser Art aufzeigen. In dem Zielkonflikt von Wirtschaften und Schutz unserer langfristigen Lebenschancen entscheiden Sie sich wiederum für die kurzfristigen Wirtschaftserfolge. Sie scheuen die Auseinandersetzung mit den Bürgern der DDR und der Bundesrepublik, um dem selbstzerstörerischen Mechanismus des Wachstums beizukommen.
    Die schnelle Mark, der Sprung in die Konsumgesellschaft und ökologischer Neuanfang gehen einfach nicht zusammen. Eine langsamere, besonnenere, umweltverträglichere Entwicklung ist der DDR-Bevölkerung nur zuzumuten, wenn auch hier in der Bundesrepublik ökologisch begründete Einschränkungen politisch von allen Kräften dieses Hauses durchgesetzt werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Es gibt in Zukunft nur noch eine deutsche Republik in einem hoffentlich bald vereinigten Europa, für die ein ökologischer Pfad gefunden werden muß. Das ist ein ganz anderes Konzept, als im Staatsvertrag vorgesehen ist.
    Ihr Konzept ist Anbau der DDR; unseres ist der Neubau einer deutschen Republik.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Zu einem Neubau gehören auch Planung und vernünftige Arbeitsschritte. In der Hektik, mit der von Regierungsseite die Einigung betrieben wird, ist davon nichts zu erkennen. Von einer ernsthaften Beratung in den Ausschüssen des Bundestages und auch der Volkskammer kann doch gar keine Rede sein. Das werden Sie, die heute hier anwesenden Abgeordneten der Volkskammer dort oben auf der Zuschauertribüne, mir doch bestätigen müssen.
    Auch der Bundesrat kann die in Art. 76 des Grundgesetzes bei Regierungsinitiativen zunächst vorgesehene Beratung der Länder und die Erarbeitung einer eigenen Stellungnahme für den Bundestag, bevor dieser mit seinen Beratungen beginnt, nicht ausschöpfen. Um Tempo zu machen, ist das Ratifizierungsgesetz gleichzeitig im Bundesrat als Regierungsinitiative und im Bundestag als CDU/FDP-Parteienvorschlag eingebracht worden. Am heutigen Verfassungstag umgehen damit Regierungs- und Koalitionsfraktionen die
    Verfassung. Das steht am Anfang der neuen deutschen Republik.

    (Dr. Knabe [GRÜNE]: Leider, leider! — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Unsinn!)

    Ob die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Lafontaine diesen Staatsvertrag wirklich aufhalten will, muß auch bezweifelt werden.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Da haben Sie wieder mal recht!)

    Die Vorschläge zum Nachbessern sind nicht prinzipieller Natur. Die SPD will die Schwierigkeiten, die nach dem 2. Juli unbestritten eintreten werden, sozialer gestalten. Dagegen ist nichts einzuwenden, und Herr Kohl wird da gewiß noch mit sich handeln lassen. Aber dann muß die SPD zustimmen, sitzt mit im Boot und ist für alles mitverantwortlich.
    Die Chance, den Neuanfang demokratisch und ökologisch mit uns anzugehen, sucht die SPD nicht. Mit dieser Position kann Oskar Lafontaine den für alle Reformkräfte in der DDR und hier bei uns so wichtigen Machtwechsel kaum bewerkstelligen. Dabei ist der Machtwechsel dringend nötig. Wie in Niedersachsen sind wir auch im Bund und in der neuen deutschen Republik bereit, ihn mit der SPD herbeizuführen.
    Zwei bis vier Millionen Arbeitslose sind durch die Radikalkur der Währungsunion zu erwarten. Der Kirchenmann Konsistorialrat Stolpe hat in einem Interview vorgestern in der „Frankfurter Rundschau" vor gewaltsamen Auseinandersetzungen im Herbst in der DDR und einer neuen Ausreisewelle gewarnt. Nach meiner Überzeugung werden die Menschen in der DDR die besonderen Belastungen des Wiederaufbaus ihrer Städte und Dörfer, das Schaffen neuer Arbeitsplätze und die radikale kulturelle Wende nur dann zu ertragen bereit sein, wenn wir Bürger der Bundesrepublik sie dabei solidarisch unterstützen. Auch ökologisch überlegte Investitionen oder Kapitaltransfer allein würden da nicht ausreichen.
    Neben den schon vorgesehenen Elementen der Rentenversicherung und der Arbeitsverwaltung gehört auch die Einführung einer ausreichenden Grundsicherung in der DDR zu den unverzichtbaren Voraussetzungen für sozialen Frieden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Grundsicherung heißt für mich, die gute alte Tradition der Gewerkschaftsbewegung — Selbsthilfe und genossenschaftliches Denken — neu zu beleben.

    (Dr. Vogel [SPD]: Richtig!)

    Das ist gerade in der Krise wichtig. Wir sind für die DDR-Bürger in diesem Sinne mitverantwortlich. Deswegen müssen wir sogar bereit sein, für die Mindestrenten der alten Menschen in der DDR vorübergehend Beitragserhöhungen in Kauf zu nehmen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir müssen auch bereit sein, vorübergehende Sonderabgaben zur Abmilderung der Folgen von Arbeitslosigkeit und für die Hilfe zur Selbsthilfe zu bezahlen. Damit meine ich auch nach Einkommen differenzierte Steuererhöhungen.



    Hoss
    Kolleginnen und Kollegen von der SPD, es genügt nicht, nur in Richtung der Regierung die Frage zu stellen „Was kostet das denn, und wer soll es bezahlen?' , sondern von Ihnen erwartet man, daß Sie sich über die Lage klar werden und auch Finanzierungsvorschläge machen, die die Solidarität der Bürger miteinbeziehen.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Haben wir doch!)

    Ohne direkte Solidarität der Menschen hier zu den Menschen in der DDR wird die Einheit nur für die gut, die sie als Geschäft betrachten. Es genügt nicht, den für alles sorgenden Staat verantwortlich zu machen. Das ist übrigens auch ein Wort an unsere Gewerkschaften, die sich bisher scheuen, mit ihren Mitgliedern über den Preis der Einheit und über echte Solidarität zu sprechen.
    Wenn der Staatsvertrag am 2. Juli in Kraft tritt, gibt die DDR faktisch ihre Souveränität auf. Das für die Souveränität zentrale Budgetrecht liegt dann beim Bundesfinanzminister Waigel.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na und? Das ist sehr beruhigend!)

    Angesichts dieser Situation ist für uns klar, daß es gesamtdeutsche Wahlen schon bald geben wird und geben muß.
    Aber eines ist für uns auch klar: Die gesamtdeutschen Wahlen können erst nach der Bildung der Länder in der DDR und nach den dortigen Landtagswahlen stattfinden.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    In diesem Bereich muß die DDR souverän entscheiden. Jede Erpressungspolitik verschärft nur die Schwierigkeiten. Wenn die Bundesregierung, nur weil Herr Kohl es nicht abwarten kann, möglichst schnell gesamtdeutscher Kanzler zu werden, die Bundestagswahlen nicht in dem verfassungsmäßig dafür vorgeschriebenen Zeitrahmen durchführt, werden wir die Beachtung der Verfassung vor dem Bundesverfassungsgericht einklagen.
    Wie und wann sich der Bundestag auflöst, wann der Zeitpunkt der gesamtdeutschen Wahlen gekommen ist, kann der Bundestag in seiner eigenen Souveränität entscheiden, wie es auch die Volkskammer kann. Das ist keine Frage der Regierung, sondern allein eine Frage des Parlaments. Der Verfassungsgedanke ist uns in diesem Sinne ein zentrales Anliegen im Prozeß der Einigung. Wir wollen nicht weniger demokratische Kultur, sondern mehr.
    Das Grundrecht muß fortentwickelt werden, anstatt es im deutsch-deutschen Einigungsprozeß zu schwächen. Was derzeit in Berlin mit den Sinti und Roma passiert, die aus Rumänien zu uns geflüchtet sind und abgewiesen werden, ist eine Sorte von Einheit, die wir nie und nimmer akzeptieren werden. Tausende Roma und Sinti wurden von den Nazis umgebracht, und wenn deren Nachfahren heute zu uns fliehen, haben wir eine besondere Verpflichtung, sie aufzunehmen. Wir wollen gerade nicht an die Traditionen anknüpfen, die an das alte Deutschland erinnern. Die Chance, neu anzufangen, müssen wir nutzen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)