Rede von
Heinz
Westphal
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Gansel auf:
Ist der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen bereit, sich für seine Äußerung „Ich sehe es mit Entsetzen, daß die DDR-Sozialdemokraten sich hemmungslos mit ehemaligen Mitgliedern der SED vollsaugen und ohne jede Hemmung bereit sind, eine Parteiakademie der Kommunisten zu übernehmen" mit seiner Unkenntnis des Vorstandsbeschlusses der „SPD in der DDR" vom 21. Januar 1990 und des Umstandes, daß es sich bei der „Parteiakademie der Kommunisten" um die 1. Etage eines Gebäudes handelt, das der SPD 1933 widerrechtlich entzogen und 1946 widerrechtlich an die SED übereignet wurde, zu entschuldigen, und wie kann die Bundesregierung sicherstellen, daß der Parlamentarische Staatssekretär zukünftig über die politische Entwicklung in der DDR so informiert wird, daß er mit seinen Äußerungen die innerdeutschen Beziehungen nicht weiter beschädigt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Hennig, Parl. Staatssekretär: Auch hier erlaube ich mir den Hinweis, daß diese Frage nicht mit mir abgesprochen ist. Aber das wird vielleicht auch keiner vermuten. Ich beantworte die Frage jedoch ausgesprochen gerne, weil sie einen wichtigen Hintergrund, der aufklärungsbedürftig ist, zum Inhalt hat.
Herr Kollege Gansel, die Tatsache, daß der Vorstand der SPD in der DDR am 21. Januar den von Ihnen zitierten Beschluß gefaßt hat, beweist die von der Bundesregierung mit Sorge beobachtete Entwicklung, daß nämlich bereits zahlreiche ehemalige SED-Mitglieder von der Sozialdemokratischen Partei in der DDR aufgenommen worden sind und daß eine große Zahl von Personen von der SED zur SPD überwechseln will.
Der genannte Vorstandsbeschluß enthält keinerlei Verbot eines Übertritts von SED-Mitgliedern zur SPD. Lediglich bei der Neugründung von Ortsverbänden soll der Anteil ehemaliger SED-Mitglieder 30 % der Mitglieder des Ortsverbandes nicht überschreiten.
Der Geschäftsführer der SPD in der DDR, Ibrahim Böhme, hat am 8. Dezember öffentlich geäußert, SED-Mitglieder, die sich an den Grundwerten der SDP orientierten, hätten ein Recht einzutreten.
Gegenüber der Presse und zuletzt auf dem Bezirksparteitag der Ost-Berliner SPD am 4. Februar hat Herr Böhme den Anteil ehemaliger SED-Mitglieder in der SPD mit rund 10 % beziffert. Da die SPD zur Zeit 80 000 Mitglieder hat, sind also etwa 8 000 ehemalige SED-Mitglieder Parteimitglieder in der SPD.
Herr Böhme hat offensichtlich ein sehr pragmatisches Verhältnis zu SED-Mitgliedern. So äußerte er am 2. Februar gegenüber einer Zeitschrift, daß er — ich zitiere wörtlich — ein Träumer sei, wenn er glaubte, am Anfang völlig ohne frühere und heutige SED-Mitglieder auskommen zu können. Vor allem im Verwaltungsapparat müsse jede Verweigerung verhindert werden.
Auch Sie selbst, Herr Kollege Gansel, der Sie Ende 1989 noch Ihrer Partei das Prinzip vom Wandel durch Abstand von dieser SED empfohlen haben, meinten am 23. Januar gegenüber der Presse, eine Unterwanderung der SPD durch SED-Mitglieder bestehe nicht. Sie verwiesen dabei darauf, daß ehemalige SED-Leute sehr wohl in die SPD aufgenommen werden sollten, wenn die Basis der Partei das entscheide, weil die Betreffenden keinen Dreck am Stecken hätten und ihr Gesinnungswandel glaubwürdig sei.
Herr Kollege Gansel, der massenhaft bereits erfolgte und noch bevorstehende Wechsel von ehemaligen SED-Mitgliedern zur SPD entspricht politischer Logik, da sich beide Parteien dem demokratischen Sozialismus verpflichtet sehen.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Momper, hat im DDR-Rundfunk zur Fortsetzung des Dialogs mit der SED aufgerufen und die Auffassung vertreten, seine Partei habe sich früherer Gespräche mit der SED in keiner Weise zu schämen. Herr Mom-per ist der Auffassung, daß man erst recht mit einer sich reformierenden SED, mit einer SED, die ja erkennbar darum bemüht ist, selbst den Weg des demokratischen Sozialismus einzuschlagen, reden muß.
— Herr Kollege Becker, diese Entwicklung des Verhältnisses zweier Parteien — —
Herr Kollege Becker, ich kann für diese Frage nun wirklich nichts; ich versuche aber, sie wahrheitsgetreu zu beantworten. — Diese Entwicklung des Verhältnisses von SPD und PDS in den beiden Teilen Deutschlands wird von der Regierung aufmerksam verfolgt.
Im übrigen, Herr Kollege Gansel, ist — das ist mein letzter Satz — zu keiner Zeit behauptet worden, die Enteignung des in Rede stehenden Gebäudes durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 sei nicht widerrechtlich erfolgt.