Ich werde auf die wirtschaftlich notwendige Kooperation und Hilfe der Bundesrepublik gegenüber der DDR — das gilt auch gegenüber den anderen mittel- und osteuropäischen Ländern — im zweiten Teil meiner Rede ausführlich eingehen. Aber soviel sei gesagt: Wenn wir uns in dieser Deutlichkeit kritisch gegenüber dem hohen Wirtschafts- und Wachstumspotential in der Bundesrepublik zeigen, heißt das nicht, daß wir dogmatisch die gleiche Kritik und die gleiche Zielbestimmung auch für die Mangelwirtschaft in der DDR und noch mehr in Polen und anderen osteuropäischen Ländern z. B. der Sowjetunion, äußern. Dort gibt es notwendige Wachstumspotentiale. Aber für die DDR, noch mehr für Polen gilt in ganz hervorragender Weise: Die ökologische Katastrophe dort ist noch um Dimensionen schlimmer als in der Bundesrepublik. Deswegen ist für den notwendigen Umbau der DDR-Wirtschaft, auch den marktwirtschaftlich gesteuerten Umbau, wesentlich wichtiger als eine Wachstumseuphorie
eine Politik, die auf die ökologische Erneuerung und den ökologischen Umbau setzt. Das heißt z. B. auch Schrumpfung für die ökologisch verheerende Braunkohlenbranche der DDR.
Der zweite Bereich meiner Kritik bezieht sich auf das Verhältnis von Erwerbslosigkeit und Arbeitszeitverkürzung: Herr Haussmann, Sie weisen im Jahreswirtschaftsbericht mit Recht auf die Wachstumsraten von 2,5 bis 3 % seit 1982 hin, aber Sie verschweigen, daß wir in dieser Zeit eine anhaltend hohe Erwerbslosigkeit, schwankend um 2 Millionen Erwerbslose, haben. Alle Ihre Vorschläge zur Flexibilisierung der Arbeitszeit, alle Ihre arbeitsmarktpolitischen Instrumente sind nicht in der Lage, auch nicht mittelfristig in einem Zeitraum von fünf Jahren, die Massenerwerbslosigkeit drastisch abzubauen und sinnvolle Arbeit für alle zu schaffen.
Unter Arbeitsmarktpolitikern und Arbeitszeitpolitikern ist Konsens, daß der entscheidende Hebel zur mittelfristigen Überwindung der Erwerbslosigkeit die Arbeitszeitverkürzung ist. Deswegen äußern wir GRÜNEN massive Kritik an der Haltung von Gesamtmetall bei den derzeit laufenden Tarifauseinandersetzungen in der Metallindustrie — und in anstehenden Tarifauseinandersetzungen in anderen Branchen — und auch an Ihrer persönlichen Haltung, Herr Haussmann, der Sie sagen: Mit der 35-Stunden-Woche müssen wir warten, bis 1993 der EG-Binnenmarkt durchgesetzt ist. Wir müßten zunächst ein paar Erfahrungen mit dem EG-Binnenmarkt machen, und erst dann könnten wir an weitere Arbeitszeitverkürzung denken. Das bedeutet gleichzeitig, daß Sie sich mit einer Erwerbslosigkeit in der Größenordnung von 1,5 bis 2 Millionen über weitere fünf Jahre abfinden. Ich halte das für sozial völlig unverantwortlich und wiederhole, was ich schon früher an dieser Stelle gesagt habe: Herr Haussmann, Sie leisten damit dem Erstarken des Rechtsradikalismus in diesem Lande Vorschub, weil die hohe Erwerbslosigkeit und die damit einhergehende Zunahme der Armut ein Herd, nicht der alleinige, für das Erstarken von Rechtsradikalismus ist.