Rede von
Wolfgang
Lüder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Fraktion hat heute eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Situation der Akademie der Wissenschaften in Berlin" beantragt, weil in weniger als Monatsfrist das Abgeordnetenhaus von Berlin endgültig darüber entscheiden will, ob eine Fehlentscheidung festgeschrieben wird oder nicht.
Wir haben uns hier vor zehn Monaten schon einmal in einer von unserer Fraktion beantragten Aktuellen Stunde mit dem Thema befaßt.
Damals erklärte Kollege Heimann in der Aktuellen Stunde über die zu jener Zeit neu vorliegenden Pläne der rot-grünen Koalition in Berlin, die gerade erst errichtete Akademie der Wissenschaften wieder abzuschaffen, daß eine solche Einrichtung in Berlin nicht gebraucht werde. So war seine Formulierung. Kollege Heimann fragte dabei, wo denn die Einheit Berlins bliebe, wenn auch im Westen eine Akademie der Wissenschaft bestünde. Die Zwischenfrage meines Parteivorsitzenden Graf Lambsdorff — ich zitiere — : „Das heißt, die Ost-Berliner Akademie reicht Ihnen?" blieb unbeantwortet.
Die Frage nach der Einheit Berlins ist nähergerückt. Seit dem 9. November letzten Jahres gehört es wohl zu unser aller Sprachgebrauch, daß die Entwicklungen in der DDR, daß die Perspektiven zur Einheit, die Ansätze für konföderative Strukturen — oder wie immer man das nennen mag — auch zum Überdenken früher eingenommener Positionen auffordern. Dieser Aufforderung soll die heutige Aktuelle Stunde dienen.
Noch hat Berlin, noch hat der Berliner Senat, noch hat die Berliner Koalition die Chance, die Fehlentscheidung des letzten Jahres zu korrigieren und der Berliner Akademie der Wissenschaften zu einer gesicherten Existenz zu verhelfen; ich füge hinzu: wenn es gewünscht wird, auch mit Unterstützung aus dem Bund.
Der Hinweis auf die Akademie in Ost-Berlin kann und darf da nicht bremsen. Seit Öffnung der Mauer sollte dieser Hinweis eher motivieren: Die Öffnung der Grenzen, die Perspektiven des Zusammenwachsens, die Hoffnung auf eine starke Funktion Berlins — beider Teile Berlins in Gemeinsamkeit — im deutschen Staatengefüge der Zukunft verlangen da nach einem Miteinander von Institutionen aus Ost und West. Im Zusammenwirken von Ost und West, von vergleichbaren Institutionen hier und solchen dort sollte Gemeinsames geschaffen werden. Jetzt zeigt sich, daß zum Miteinander Partner gehören. Die Partnerakademie der Wissenschaften in West-Berlin fehlt, wenn das Gesetzgebungsverfahren zur Abschaffung durchgeführt wird. Wenn und solange der Berliner Senat und die ihn tragenden Parteien nicht die Kraft finden, die Fehlentscheidung des letzten Jahres zu korrigieren, machen sie einen deutschlandpolitischen Fehler zusätzlich zu dem wissenschaftspolitischen Fehler, den wir voriges Jahr gerügt haben.
Auch deutsch- deutsche Wissenschaftskontakte und Forschungsinitiativen sollten zur gemeinsamen Kommunikationschance genutzt und wahrgenommen werden.
Die Akademiefrage war und ist mehr als ein Streit um Formen der Organisation von Wissenschaft. Wir Freien Demokraten haben schon in früheren Debatten deutlich gemacht, welchen Stellenwert wir einer Akademie der Wissenschaften einräumen, da die Konzentration auf die Hochschulen, die der Berliner Senat jetzt anstrebt, auch zu einer Einengung von Wissenschaftsarbeit und Wissenschaftsfreiheit führen kann und führt.
Der Regierende Bürgermeister hat in seiner Regierungserklärung das Kapitel über die Wissenschaft mit „Ausstrahlung durch Vielfalt" überschrieben. Die Chancen zur Vielfalt sind seit Öffnung der Grenzen in Berlin größer geworden. Sie zu nutzen ist eine politische Aufgabe, vor der sich niemand drücken sollte. Vielfalt verlangt vielseitiges Denken, vielfältiges Handeln und vielfache Initiativen. Abbau von Mauern kann und darf aber nicht einhergehen mit Abbau von Wissenschaftsinstitutionen. Wir fördern die Vielfalt der Wissenschaften nur dann, wenn wir vielfache Institutionen fordern.
Deswegen appellieren wir heute an den Senat von Berlin, er möge die Kraft finden, seine Fehler von gestern, wenn schon nicht im Licht besserer Argumente, so doch unter dem Feuerwerk deutsch-deutscher Gemeinsamkeit zu überprüfen und zu korrigieren.