Rede von
Wolfgang
Börnsen
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fahrer und Unternehmer sind in Limburg verurteilt worden, nicht der Staat.
Herr Daubertshäuser, vor und nach Herborn hat die Bundesregierung bei Gefahrguttransporten zügig und sachgerecht gehandelt.
Das Parlament, die Opposition eingeschlossen, hat einen erheblichen Anteil daran, weil ständig gedrängt, gefordert und vorgeschlagen wurde. Vorrang für mehr Sicherheit ist unsere gemeinsame Devise. Wir haben der Gesundheit der Menschen zu dienen und die notwendigen Wirtschaftsabläufe zu garantieren. Dies gilt in dieser Reihenfolge und nicht anders. Die Bedingungen, unter denen wir zu arbeiten haben, sind in unserem Land nicht einfach. Wir haben die höchste Verkehrsdichte in Europa, wir sind das größte Durchfahrtsland und werden in Zukunft noch mehr zur Drehscheibe des europäischen grenzüberschreitenden Verkehrs werden.
Der Rhein ist jetzt schon die meistbefahrene Wasserstraße der Welt. Mit dem Wachstum der Wirtschaft wächst der Anteil der Gefahrgüter. 386 Millionen t Gefahrgüter waren es 1986; gut 400 Millionen t werden es in diesem Jahr sein. Das Datenmaterial ist mit vier Jahren zu alt, um klare Konsequenzen zu ziehen. Auch ohne gesetzliche Grundlagen bleibt die Regierung zur Aktualisierung aufgefordert. Kein Verkehrsaspekt löst soviel Ängste bei den Menschen aus, wie es die Gefahrguttransporte tun. Sie lassen sich nicht aus der Welt schaffen. Aber ihre Risikoschwelle läßt sich senken. Jährlich etwa 80 Tankwagenunglücke und 30 Unglücke mit Stückguttransporten fordern uns alle zu einer permanenten Sicherheitskampagne heraus. Die Regierung handelt verantwortungsbewußt. Das machen alle Vorlagen deutlich. Wir gehen unbestreitbar mit einer neuen Sicherheitsqualität in die 90er Jahre. In der Fahrzeugtechnik gibt es Forschritte, Altfahrzeuge mußten bis zum Ende des Jahres umgerüstet werden. Ich nenne die neue „Bauchbinde" bei den Tankwagen. Die Kippstabilität ist verbessert worden. Der Retarder gehört zur zukünftigen Ausrüstung ebenso wie ABV. Der Geschwindigkeitsbegrenzer wird und muß auf europäischer Ebene kommen. Einigen Verantwortlichen ist immer noch nicht bewußt, daß ihre Transporte mobile Bomben sind. Wer nicht bereit ist, seinen 40-Tonner bei 80 km einzubremsen, der muß vom Gesetzgeber gestoppt werden.
Wir gehen unbestritten aber auch mit einem höheren Sicherheitsniveau in die 90er Jahre. Bei den Verkehrswegen: 140 neue Ortsumgehungen für über eine Milliarde DM sind gebaut worden, um mehr Sicherheit zu bekommen. 400 Ortsumgehungen befinden sich in der Planung. Doch anhaltender Protest gegen den Straßenneubau verzögert den Bau von Si-
14626 Deutscher Bundestag 11. Wahlperiode — 1W4 Sitzung. Bonn. Freitag, den 19. Januar 1990
Börnsen
cherheitsstraßen. Jede zweite Maßnahme in unserem Land wird nicht mehr im Planungszeitraum realisiert. Wer hier abblockt, sollte daran denken, daß er zu mehr Gefahr im Stadtkern beiträgt.
50 % aller Nahverkehrsgüter werden auf der Straße transportiert. Es gibt zur Straße keine Alternative. Die Verkehrsverlagerung auf Bahn und Binnenschiff ist nur im Fernverkehr möglich. Dort wird sie, was richtig ist, zunehmend praktiziert. Die Ausweitung der Liste hochgefährlicher Güter auf 190 Stoffe hat dazu beigetragen.
In den letzten Jahren ist der Bahnanteil um fast 20 gestiegen — ein Erfolg. Doch die Deutsche Bundesbahn verspielt ihren Kredit, wenn zutrifft, was jetzt ein großes Magazin schreibt, daß ihre Betriebstochter NCS beim Transport nuklearen Abfalls vorschriftswidrig die Straße bevorzugt. Dieser Vorgang gehört aufgeklärt.
Auch die Bundesbahn ist nicht der Königsweg der Sicherheit. Die Großunfälle in Gorki, Paris und Kaiserslautern im Jahre 1988 machen deutlich, daß auch beim Transport auf der Schiene Risiken bestehen. Das Gefährdungspotential von Güterzügen mit Gefahrgut sollte niemand unterschätzen. Die Menge ist groß, der Transport führt durch Ballungszentren, und das Umladerisiko kommt hinzu.
Der Verkehrsweg Straße hat sowohl durch den neuen Gefällstreckenatlas wie durch die Fahrverbotsregelung bei wetterbedingter Sichtbehinderung an Sicherheit gewonnen.
Die Möglichkeit für die Behörden, entschärfte Wege anzuweisen, erhöht die Sicherheit.
Daß wir mit einer höheren Risikoschwelle in die 90er Jahre gehen, gilt auch für den dritten Bereich, für die Verantwortung des Menschen. 90 % aller Unfälle gehen auf sein Fehlverhalten zurück. Wir haben in Europa anerkanntermaßen die besten Sicherheits- und Verkehrsvorschriften. Doch sie verlieren ihren Zweck, wenn sie nicht eingehalten werden.
Richtig ist, über 180 000 Tankwagenfahrer auszubilden und darüber hinaus die Fahrer von Versandstücken einzubinden. Richtig ist die Stabilisierung der Gefahrgutkette durch die Benennung von Gefahrgutbeauftragten in den Betrieben. Richtig ist, nach dem neuen Bußgeldkatalog beide — Fahrer und Betreiber — bei Verstößen zu belangen, um den treibenden Zeitdruck zu nehmen.
Besorgnis und Beunruhigung bleiben jedoch auch zu Beginn der 90er Jahre bestehen, wenn man feststellt, daß die Verstöße bei Gefahrguttransporten wegen der Fülle der Vorschriften sicher nicht weniger werden. Jeder vierte Transport wird von der Polizei beanstandet, so sagt eine Meldung aus Schleswig-Holstein. Ausländische Fahrzeuge haben einen hohen Anteil daran. Hier muß durch mehr Kontrolle, mehr Konsequenz bei der Konzessionsvergabe und durch mehr konstruktives Verkehrsverhalten der Beteiligten das Verantwortungsbewußtsein wesentlich gesteigert werden.
Noch ein Wort zu Ihrem Antrag zur Freifahrergrenze im Nord-Ostsee-Kanal. Nach der wirklich behutsamen Anhebung der Freifahrergrenze gilt auch für den Nord-Ostsee-Kanal weiterhin die Lotsenpflicht bei dem Transport hochgefährlicher Güter — nichts anderes.
Auch bei der Freifahrergrenze muß man deutlich machen, daß sie bis zum 31. Juli 1991 ein Versuch ist. Auch hier gilt: Sicherheit geht vor Wirtschaftlichkeit.
Der neue Kompromiß, an dem mein Kollege Dietrich Austermann sicher einen guten Anteil hat, sichert den Schiffsverkehr im Nord-Ostsee-Kanal. Er verhindert die Vertreibung von Booten auf die gefährliche Skagen-Route. Die Arbeitsplätze der Lotsen sind nicht in Gefahr. Sie wären es aber, wenn sich die Sozialdemokraten des Landes Schleswig-Holstein durchsetzten, die alle Gefahrgüter aus dem Kanal verbannen wollen. Deren Fahrt soll nachher um die Nordspitze Dänemarks gehen, wo täglich 60 Fähren verkehren, wo es stürmische Wetterbedingungen gibt und das Risiko um ein Vielfaches höher ist. Das kann doch niemand wollen!
Nein, es geht nicht an, die Dänen mit unseren Gefahrgutfrachten zu belasten. Wir haben selber für mehr Sicherheit zu sorgen. Wir haben sicher auch durch schärfere Richtlinien und mehr Kontrollen selber dazu beizutragen. Dieser Antrag der Sozialdemokraten ist überflüssig, fehlorientiert und falsch.
Danke schön.