Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unter Hinweis auf die Staatspraxis in anderen EG-Mitgliedstaaten und auf eine — ich
zitiere — „gescheiterte Kriminalpolitik und Strafvollzugspraxis" soll mit dem Gesetzentwurf der GRÜNEN eine Amnestie erreicht werden.
Der Entwurf knüpft, Frau Kollegin Nickels, nur vordergründig an das 40jährige Bestehen der Bundesrepublik Deutschland an. Den eigentlichen Anlaß sehen die GRÜNEN in Mißständen im Strafvollzug bzw. in der Kriminalpolitik.
Das besondere Ereignis in der Geschichte eines Staates — gemeint ist der Jahrestag des Inkrafttretens des Grundgesetzes — soll dazu beitragen, die behaupteten Mißstände zu beseitigen bzw. einen Beitrag — ich zitiere —
„zur Besinnung" zu leisten.
Der Gesetzentwurf läßt sich insbesondere im Hinblick auf die vorstehend genannte Begründung in keines — das ist hier wiederholt ausgeführt worden — der bisher in der Bundesrepublik Deutschland ergangenen Straffreiheitsgesetze einordnen.
Erstens. Es wird keine Schlußstrichamnestie vorgeschlagen, weil nicht behauptet wird, daß außergewöhnliche Lebensverhältnisse die gesamte Bevölkerung betroffen oder beeinflußt haben.
Zweitens. Der Gesetzentwurf beinhaltet auch keine Befriedungsamnestie, weil nicht behauptet wird, daß nur mit Hilfe der Gesetze der innenpolitische Frieden nach kontroversen Auseinandersetzungen erhalten oder wiederhergestellt wird.
Der Entwurf bezweckt drittens keine Rechtskorrekturamnestie, weil die behaupteten Mißstände gerade nicht durch eine gleichzeitige Korrektur des Rechts angegangen werden sollen. Insofern stimme ich den Äußerungen und den Ausführungen von Herrn Kollegen Marschewski und Herrn Kleinert ausdrücklich zu.
Fazit: Für die vorgeschlagene Amnestie gibt es keinen zwingenden Anlaß und — das möchte ich ganz besonders betonen — auch keine innere Rechtfertigung. Besondere Jahrestage oder periodisch wiederkehrende Ereignisse waren nach Auffassung aller Bundesregierungen — das hat der Kollege de With eben zu Recht ausgeführt — bisher kein Anlaß für Amnestien,
die immer Ausnahmen von der verfassungsrechtlichen, aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Pflicht des Staates zur Durchsetzung von Strafansprüchen und zur Vollstreckung rechtskräftig verhängter Strafen bedeuten.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, das vorgeschlagene Strafnachlaßgesetz ist im übrigen kein Mittel, vermeintliche oder behauptete Mißstände oder Fehlentwicklungen in der Kriminalpolitik oder in der Vollzugspraxis zu korrigieren oder zu beseitigen. Wenn überhaupt Mißstände bestanden haben oder bestehen, dann müssen diese durch Reformen beseitigt werden. Denn sonst bestehen die
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989 14435
Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
Mißstände nach der Amnestie in gleicher Weise weiter.
Es wäre nicht verständlich zu machen, warum die einen bis zu einem bestimmten Stichtag Straffreiheit verdient haben und die anderen nicht.
Der Vorwurf, daß im Strafvollzug — wie, Frau Kollegin Nickels, hier wieder formuliert wird — „viele Gefangene häufig für die Begehung weiterer, meist schwererer Straftagen prädestiniert" werden, ist nicht gerechtfertigt. Angesichts der vielfältigen Bemühungen in den Justizvollzugsanstalten der Länder, dem Auftrag des Strafvollzuggesetzes gerecht zu werden, ist es unangebracht und ungerechtfertigt, allgemein von einem sogenannten Wegsperren der Inhaftierten zu sprechen.
Die vorgeschlagene Amnestie der GRÜNEN, meine Damen und Herren, ist ein untaugliches Mittel zur Lösung von Problemen im Strafvollzug. Die GRÜNEN, Frau Kollegin Nickels, sollten die vor uns liegenden Wochen dazu nutzen, wirklich einmal darüber nachzudenken, wie man dem inneren Frieden in unserem Lande am besten dienen kann.