Rede von
Detlef
Kleinert
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das tägliche Ringen um angemessene Sühne im Einzelfall vor unseren Gerichten würde in unerträglicher Weise ad absurdum geführt, wenn wir auf einer rein zufälligen Basis, nämlich nur danach, wann jemand zur Verbüßung einer Strafe einsitzt, in einer ungewöhnlich großen Zahl von Fällen das einmal mühsam gewonnene individuelle Strafmaß einfach aufheben, beseitigen durch den von Ihnen gewollten Gnadenakt, durch diesen Strafnachlaß, wie Sie es nennen.
Sie haben im übrigen, um das zur Begrifflichkeit zu sagen, an einer Reihe von Stellen in Ihrer Begründung durchaus das Wort „Amnestie" verwendet. Nichts anderes ist es auch.
Sicherlich hat Herr de With eindrucksvolle pädagogische Wege beschritten, um Sie auf das Zweifelhafte Ihres Vorhabens hinzuweisen, indem er den Kaiser angeführt hat, ausgerechnet im Zusammenhang mit Ihnen. Tatsächlich habe ich aber Zweifel an jeder Art von Zusammenhang zwischen dem von Ihnen gewählten Vorwand und Ihrer Einstellung zu diesem Anlaß, zu dem wir eine etwas gefestigtere Einstellung bei einer Reihe von Veranstaltungen dargestellt haben als ausgerechnet Sie. Zu diesem Vorwand haben Sie ganz offensichtlich eine andere Einstellung als die meisten, die hier im Hause anwesend sind. Das zeigt sich schon daran, daß Ihnen nicht aufgefallen ist, daß die Verfassung in Form des Bonner Grundgesetzes nicht 1945, sondern 1949 verkündet worden ist. Man hätte den Gesetzestext an dieser wichtigen Stelle doch wirklich korrigieren sollen, wenn man ihn hier vorlegt.
Tatsächlich zeigt der Duktus Ihrer Begründungen im einzelnen, daß Sie mit einer Fülle von Zahlen ausgesprochen seltsam, ja geradezu skurril umgehen. Wenn man hier liest, daß ein Schaden für die Sicherheit nicht entstehen kann, weil nur 44 % aller Strafta-
14434 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989
Kleinert
ten aufgeklärt werden, und man deshalb die gefaßten Täter auch gleich entlassen könne, dann denkt man zunächst, Sie hätten sich in der Begründung etwas vertan. Das ist aber nicht richtig; denn Sie sagen zum Schluß:
Ein Straffreiheitsgesetz in begrenztem Umfang ... wäre ... Gelegenheit zur Besinnung über eine gescheiterte Kriminalpolitik . . .
Dieses heißt, ins Umgangsdeutsch übersetzt: Ihnen paßt die ganze Richtung nicht. Das ist allerdings kein Grund, so schwerwiegende Eingriffe in unser Rechtssystem, wie Sie es vorschlagen, vorzunehmen.
Sie äußern Ihre Einstellung auch in folgendem Satz:
Der Vollzug von Freiheitsstrafen in den Haftanstalten ist nicht in der Lage, das ... Vollzugsziel ... zu bewirken.
Wir sind bereit, jeden Tag aufs neue darüber zu diskutieren und gegen die Mängel anzugehen, die auch nach unserer Auffassung immer bestanden haben und nach wie vor bestehen. Aber das ist eine sehr mühsame Kleinarbeit des täglichen rechtspolitischen Geschäfts, und das ist überhaupt kein Grund, hier in so generöser Weise, wie Sie es vorschlagen, weil Ihnen die ganze Richtung nicht paßt, eine derart umfassende Amnestie vorzunehmen, die wirklich allem, was wir mühsam an Rechtsgrundsätzen entwickelt haben, ins Gesicht schlägt.
Wir sind durchaus der Meinung — genau wie die Herren Vorredner es betont haben —, daß Gnade etwas sehr Wichtiges ist, daß ein Gnadenerweis im Einzelfall geprüft werden muß und daß Gnade ein wichtiges Instrument zum Rechtsfrieden sein kann — aber nur im Einzelfall. Gerade die vernünftige und verständige Gnade, die wir wollen, würde durch Ihren Vorschlag entwertet.