Rede von
Dr.
Hans
de
With
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich glaube, Sie haben mich mißverstanden. Wenn ich kaiserlich sage, meine ich natürlich grün-kaiserlich. Ich sage das deswegen, weil aus gesellschaftlichen Anlässen ohne jede Begründung ganz einfach mit einem Federstrich Amnestien erlassen wurden, die den Richtern in das Handwerk gepfuscht haben. Das nennt man Jubelamnestien. Für einen Rechtsstaat in einer Demokratie ist das schlicht und einfach unwürdig, und es tötet zu oft und in dem Ausmaß, wie Sie es vorhaben, die Rechtsstaatlichkeit und die Rechtstreue der Bevölkerung.
Frau Nickels, was wollen Sie denn mit Ihrer Vorlage? Sie wollen jedem Erwachsenen die Hälfte der Strafe erlassen, gleichgültig, welche strafbare Handlung er begangen hat. Das ist eine Massenamnestie. Ausgenommen davon sind Naziverbrechen — das sind nicht allzu viele — und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Mord und Sexualverbrechen, soweit keine Rückfallgefahr besteht. Es bleibt nur weniger als 1 %, wahrscheinlich 1 ‰ übrig. Deswegen sage ich — ich denke, mit Recht — , das wäre eine Amnestie kaiserlichen Ausmaßes. Im Ergebnis — ich sage es noch einmal — würde damit in vieltausendfacher Weise in die Entscheidungen unabhängiger Richter eingegriffen, wie es nun einmal zu Kaisers Geburtstag üblich war.
Man mag über die verfassungsmäßige Zulässigkeit Ihres Antrages streiten — jetzt wird es ein bißchen ernst, Frau Nickels — , mit den Prinzipien eines rechtsstaatlichen Demokratieverständnisses kann dieser Gesetzentwurf nicht in Übereinstimmung gebracht werden. Nach Art. 20 Abs. 2 des Grundgesetzes wird die Staatsgewalt vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt u n d der Rechtsprechung ausgeübt. Damit ist die Rechtsprechung neben der Gesetzgebung eine gleichberechtigte Säule.
In einem eigenen Abschnitt über die Rechtsprechung statuiert das Grundgesetz die Unabhängigkeit der Richter. Eine bloße Jubelamnestie des Ausmaßes
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989 14433
Dr. de With
wie die hier gegenständliche durchbräche damit die Zielsetzung des Grundgesetzes in zweierlei Hinsicht: Sie korrigierte die Justiz generell und erschütterte damit deren Unabhängigkeit. Ich sage hier: Ich kann mich nur wundern, von welchem Staatsverständnis die GRÜNEN ausgehen. Dem Vorhaben können wir deswegen nicht zustimmen.
Auf einem ganz anderen Blatt steht es, daß Gnadenerweise, also Einzelfallkorrekturen, weiter ebenso notwendig sein werden wie Amnestien
der bisher durchgeführten Art. Das sind Amnestien zum Erlaß oder zur Milderung von Strafen, die auf ganz außergewöhnliche Umstände allgemeiner Art zurückzuführen sind — Kriegswirren z. B. —, und solche, die notwendig werden, weil durch eine Gesetzesreform bisherige Straftaten einfach keine mehr sind. Deswegen kündige ich hier schon jetzt an: Die Korrektur des Nötigungsparagraphen — Stichwort: friedliche Blockade in Mutlangen — wird zusammen mit einer Amnestieregelung verabschiedet werden und verabschiedet werden müssen.
Amnestien sind für mich in einem Staat wie dem unseren nur gerechtfertigt — und sie bedürfen einer gründlichen Rechtfertigung —, wenn Mängel in der Gesetzgebung, der Rechtsprechung sowie der Regierung und Verwaltung zu korrigieren sind oder wenn auf eine Situation zu reagieren ist, die strafrechtlich relevante Reaktionen auf Notstände provozierte und diese normalerweise nicht entstanden wären.
— Bitte, Frau Nickels, ich bin eh gleich fertig.