Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Freunde der Rechtspolitik! Der 40jährige Geburtstag unserer Republik ist für uns alle zwar ein Grund zum Feiern, ein Grund, Straftätern ihre Strafe zu erlassen, ist er nicht. Denn es besteht, so meine ich, kein Anlaß, Straftaten endgültig zu vergessen, zu vergeben, zu amnestieren. Ein Blick in die Geschichte: Es gab in dieser Republik lediglich vier Straffreiheitsgesetze. Dadurch, Frau Kollegin, wird der Ausnahmecharakter dieser Gesetze besonders deutlich. Ich erinnere an die Straffreiheitsgesetze von 1949 und 1954. Damals ging es darum, einen Schlußstrich unter die außergewöhnliche Not der Kriegszeit und der Nachkriegszeit zu ziehen. Ich erinnere an das Straffreiheitsgesetz von 1968, die sogenannte Rechtskorrekturamnestie, eine Konsequenz aus der Novellierung des Staatschutzstrafrechts. Ich denke ferner an die Gesetze von 1970, die ausschließlich der Befriedung, der inneren Ordnung dienten, weil eine gesetzliche Neuregelung vorhanden war. Gerade dies, meine Damen und Herren, zeigt die restriktive Handhabung der Amnestie. Es ist nicht nur zweckmäßig, sondern es folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip, daß die Pflicht des Staates besteht, Strafansprüche durchzusetzen und verhängte Strafen zu vollstrecken.
Ich meine, die gleichförmige Anwendung der Strafgesetze ist die wesentliche Garantie für die Gestaltungskraft einer Rechtsordnung überhaupt und die unerläßliche Voraussetzung der generalpräventiven Wirksamkeit des Strafrechts.
Frau Kollegin, unsere Rechtsordnung — das wissen Sie — stellt letzten Endes andere Mittel zur Verfügung, die wirksamer sind und die, auf den Einzelfall bezogen, auch gerechter sind. Sie kennen die Einstellung des Verfahrens bei geringer Schuld oder die Strafaussetzung zur Bewährung. Ich sage noch einmal: Dadurch wird demjenigen wirklich Gerechtigkeit zuteil, der im Einzelfall betroffen ist. Wir kennen in dieser Republik nicht die sogenannte Jubelamnestie. Sie wissen, daß diese aus gesellschaftlichen Anlässen oder aus anderen Gründen letztmalig in der Kaiserzeit gewährt wurde. Ich darf doch sicherlich unwiderleglich vermuten, daß Sie diese Zeit, Frau Kollegin, nicht mehr wiederaufleben lassen wollen.
Wenn Sie das wollen, was Sie vorhin gesagt haben, ist eines klar: Fehlentwicklungen, falls sie überhaupt vorhanden sind, und Mißstände, über die man reden kann, werden letzten Endes durch Reformen beseitigt, über die wir jetzt diskutiert haben und über die wir das nächste Mal im kommenden Jahr, Herr Staatssekretär, der Sie hier den Justizminister vertreten, diskutieren werden. Wir werden Reformen durchführen, und so werden wir die Mißstände beseitigen.
Einen vernünftigen Grund sehe ich nicht, hier eine Amnestie zu beschließen. Ich meine ganz im Gegenteil: Der Rechtsfrieden würde durch Ihr Gesetz sicherlich gefährdet. Ich will dies wirklich sagen: Aus dem Rechtsstaat, Frau Nickels, würde ein Unrechtsstaat. Dem können wir einfach nicht zustimmen.
Ich will Ihnen dies einmal beweisen. Vom Strafnachlaß würden zwar Naziverbrecher und Mörder ausgenommen, Sexualstraftäter nur dann, wenn Wiederholungsgefahr besteht, aber keinesfalls Terroristen. Für Terroristen soll dieses Gesetz, meine Damen und Herren, voll wirksam werden, und dies können wir nicht akzeptieren. Das ist die Ideologie, die Ihre Kollegin Ditfurth dauernd gefordert hat, die von Terror und Schrecken sprach. Das ist genau das, was Sie vorhaben.
Es ist, Frau Nickels, eine furchtbare Geschicklichkeit, daß dieses Ziel unter dem Mantel einer pauschalen Amnestie zumindest objektiv erreicht wird. Dem können wir keinesfalls zustimmen.