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    Plenarprotokoll 11/186 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 186. Sitzung Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 14393 A Zusatztagesordnungspunkt 14: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament: Entschließung über den Begriff des Arbeitsumfelds und den Anwendungsbereich von Artikel 118 a des EWG-Vertrags (Drucksachen 11/3899, 11/5997) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt: Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zu der dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsache vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2/89 (Drucksache 11/6084) 14393 B Zusatztagesordnungspunkt 15: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag des Abgeordneten Dr. Scheer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Einberufung einer zweiten Konferenz der Nicht-Kernwaffenstaaten (Drucksachen 11/2202, 11/5705) Dr. Scheer SPD 14393 D Lowack CDU/CSU 14396 C Eich GRÜNE 14397 C Dr. Feldmann FDP 14398 D Schäfer, Staatsminister AA 14400 C Dr. Soell SPD 14402 C Lamers CDU/CSU 14403 D Tagesordnungspunkt 18: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. September 1988 zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, Regierungen von Mitgliedstaaten der Europäischen Weltraumorganisation, der Regierung Japans und der Regierung Kanadas über Zusammenar-belt bei Detailentwurf, Entwicklung, Betrieb und Nutzung der ständig bemannten zivilen Raumstation (Drucksache 11/4576) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung von Verwaltungsaufgaben auf dem Gebiet der Raumfahrt (Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz) (Drucksache 11/5994) c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu dem Antrag des Abgeordneten Vosen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Weltraumpolitik der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen 11/1995, 11/4723) Dr. Probst, Parl. Staatssekretär BMFT 14405 A Fischer (Homburg) SPD 14406 D Dr.-Ing. Laermann FDP 14409 B Wetzel GRÜNE 14410 C Dr. Rüttgers CDU/CSU 14412 A Catenhusen SPD 14415D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989 Tagesordnungspunkt 19: Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke (Bonn), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Ost-West-Handel mit Hochtechnologiegütern (Drucksachen 11/2658, 11/3726) Roth SPD 14418 D Kittelmann CDU/CSU 14421 A Stratmann GRÜNE 14423 B Funke FDP 14425 B Beckmann, Parl. Staatssekretär BMWi . 14426 C Vosen SPD 14427 C Dr. Schwörer CDU/CSU 14428 B Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Strafnachlaßgesetzes zum 40jährigen Bestehen der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 11/4555) Frau Nickels GRÜNE 14430 B Marschewski CDU/CSU 14431 A Dr. de With SPD 14432 B Kleinert (Hannover) FDP 14433 C Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär BMJ 14434 B Nächste Sitzung 14435 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 14437* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 14437* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989 14393 186. Sitzung Bonn, den 15. Dezember 1989 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 185. Sitzung, Seite 14391' A: In die Liste der entschuldigten Abgeordneten sind einzufügen: Hoss GRÜNE 14. 11. 89 und Scharrenbroich CDU/CSU 14. 11. 89 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein CDU/CSU 15. 12. 89 Frau Dr. Adam-Schwaetzer FDP 15. 12. 89 Dr. Ahrens SPD 15. 12. 89 * Dr. Apel SPD 15. 12. 89 Bachmaier SPD 15. 12. 89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 15. 12. 89 Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU 15. 12. 89 Frau Becker-inglau SPD 15. 12. 89 Dr. Bötsch CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Briefs GRÜNE 15. 12. 89 Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 15. 12. 89 Dr. Diederich (Berlin) SPD 15. 12. 89 Egert SPD 15. 12. 89 Dr. Ehmke (Bonn) SPD 15. 12. 89 Ehrbar CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Ehrenberg SPD 15. 12. 89 Dr. Emmerlich SPD 15. 12. 89 Eylmann CDU/CSU 15. 12. 89 Frau Frieß GRÜNE 15. 12. 89 Gattermann FDP 15. 12. 89 Dr. Geißler CDU/CSU 15. 12. 89 Genscher FDP 15. 12. 89 Dr. Götz CDU/CSU 15. 12. 89 Grünbeck FDP 15. 12. 89 Frau Hasselfeldt CDU/CSU 15. 12. 89 Hauser (Esslingen) CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Haussmann FDP 15. 12. 89 Dr. Häfele CDU/CSU 15. 12. 89 Frau Hämmerle SPD 15. 12. 89 Heyenn SPD 15. 12. 89 Hiller (Lübeck) SPD 15. 12. 89 Hoss GRÜNE 15. 12. 89 Irmer FDP 15. 12. 89 Jaunich SPD 15. 12. 89 Jung (Düsseldorf) SPD 15. 12. 89 Kißlinger SPD 15. 12. 89 Klein (Dieburg) SPD 15. 12. 89 Kolb CDU/CSU 15. 12. 89 Frau Kottwitz GRÜNE 15. 12. 89 Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Kreile CDU/CDU 15. 12. 89 Kreuzeder GRÜNE 15. 12. 89 Dr. Kübler SPD 15. 12. 89 Lummer CDU/CSU 15. 12. 89 Lutz SPD 15. 12. 89 Dr. Mechtersheimer GRÜNE 15. 12. 89 Meneses Vogl GRÜNE 15. 12. 89 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 15. 12. 89 Meyer SPD 15. 12. 89 Dr. Meyer zu Bentrup CDU/CSU 15. 12. 89 Michels CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Müller CDU/CSU 15. 12. 89 Niegel CDU/CSU 15. 12. 89 Niggemeier SPD 15. 12. 89 Dr. Nöbel SPD 15. 12. 89 Petersen CDU/CSU 15. 12. 89 Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Pohlmeier CDU/CSU 15. 12. 89 Rappe (Hildesheim) SPD 15. 12. 89 Reddemann CDU/CSU 15. 12. 89 Reimann SPD 15. 12. 89 Reuschenbach SPD 15. 12. 89 Rind FDP 15. 12. 89 Frau Rock GRÜNE 15. 12. 89 Scharrenbroich CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Schäuble CDU/CSU 15. 12. 89 Schluckebier SPD 15. 12. 89 Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 15. 12. 89 von Schmude CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Sperling SPD 15. 12. 89 Dr. Sprung CDU/CSU 15. 12. 89 Steiner SPD 15. 12. 89 Dr. Thomae FDP 15. 12. 89 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 15. 12. 89 Waltemathe SPD 15. 12. 89 von der Wiesche SPD 15. 12. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 15. 12. 89 Wissmann CDU/CSU 15. 12. 89 Wolfgramm (Göttingen) FDP 15. 12. 89 Würtz SPD 15. 12. 89 Würzbach CDU/CSU 15. 12. 89 Dr. Zimmermann CDU/CSU 15. 12. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 11. Dezember 1989 bzw. 14. Dezember 1989 mitgeteilt, daß sie ihre Anträge auf Drucksache 11/5274 „Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Westgrenze Polens" und auf Drucksache 11/5969 „Melderechtsrahmengesetz (MRRG)" zurückzieht. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/4020 Drucksache 11/4226 Drucksache 11/4339 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/4489 Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 11/2681 Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung Drucksache 11/4341 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Drucksache 11/4081 Nr. 2.12 Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 11/4680 Nr. 2.13
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hermann Schwörer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Lieber Herr Kollege Roth, ich kann mir nicht vorstellen, daß wir uns so leicht aus einem solchen schwierigen und von so vielen Problemen belasteten Verfahren, herauswinden können.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Wir wollen es ja gar nicht!)

    Ich glaube, das geht nicht. Ich gebe zu, daß ich die letzten Feinheiten hier nicht kenne. Aber wir sprechen hier jedenfalls immer von einer internationalen Übereinkunft zur Abwehr eines Technologietransfers an den Ostblock.
    Herr Staatssekretär, wir wollen, daß Sie erstens bei diesen Verhandlungen erreichen, daß jegliche Genehmigungspflicht für Dual-use-Export in den OECD-Bereich und in den EG-Binnenmarkt entfällt;
    zweitens, daß für das Anlagengeschäft eine gezielte Kontrolle nur sensibler Geschäfte und nur bei den Ländern vorgenommen wird, die unter dem Verdacht des Mißbrauchs für Rüstungszwecke stehen;
    drittens, daß die vor langer Zeit angekündigten, aber bisher fehlgeschlagenen Stream-Lining-Verhandlungen wie auch die Listenrevision mit größtem Engagement betrieben werden — Sie haben ja das Beispiel der Werkzeugmaschinen angeführt —;
    viertens, daß eine großzügigere Erteilung von Genehmigungen für nicht gegenständlichen Technologietransfer bei Kooperationen und bei Joint-ventures stattfindet. Hier sollte die Vorlagepflicht beim COCOM völlig entfallen.
    Darüber hinaus sollte die Bundesregierung selbst dafür sorgen, daß eine rasche und nachhaltige Verbesserung des Genehmigungsverfahrens beim Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn zustande kommt.

    (Vosen [SPD]: Schaffen Sie das doch ganz ab!)

    Monatelange Genehmigungszeiten sind unerträglich, vor allem auch wenn es sich um Ersatzteile handelt. Hier hat die Bundesrepublik einen echten Standortnachteil dadurch, daß zum Teil wichtige Ersatzteile nicht pünktlich geliefert werden können.
    Das sind unsere Bitten. Ich hoffe, Sie können einige davon in diesen Verhandlungen durchsetzen.
    Ich möchte abschließend noch einmal sagen: Wir wollen die Probleme des COCOM nicht im Gegensatz zu unseren amerikanischen Verbündeten lösen, sondern nur gemeinsam mit ihnen. Herr Kollege Roth, das ist das, wonach Sie vorhin gefragt haben. Nach der Malta-Konferenz zwischen Präsident Bush und Präsident Gorbatschow haben wir die Hoffnung, daß sich eine Zusammenarbeit zwischen Ost und West entwikkelt und daß der Kalte Krieg wirklich endgültig zu Ende ist. Die Sowjetunion signalisiert ja auf allen Kanälen Entgegenkommen bei allen Abrüstungsfragen. Dies müssen wir auf seinen wirklichen Gehalt, die Durchführbarkeit und die Überwachbarkeit hin prüfen. Wenn es dann wirklich so ist, daß eine Gefahr militärischer Expansion des Ostblocks vom militärischen Kräfteverhältnis her gar nicht mehr gegeben ist, wenn eine Aggressionsfähigkeit des Ostens nicht mehr gegeben ist, dann kann, ja dann muß die Phase kommen, in der wir den Ostblockstaaten helfen, ihre wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen,

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Sehr gut! — Vosen [SPD]: Sie sind auf dem richtigen Weg!)

    auch indem wir ihnen Hochtechnologie in großem Umfang, am besten über Joint-venture oder sonstige Formen der Zusammenarbeit, liefern.

    (Vosen [SPD]: Das ist viel zu langsam!)

    In diesem Falle haben die meisten Beschränkungsmaßnahmen des COCOM-Systems ihren Sinn verloren. Ja, man kann sagen: Sie haben sich selbst unnötig gemacht,

    (Vosen [SPD]: Sie sind zu langsam auf dem richtigen Weg!)

    und zwar indem sie dabei geholfen haben, die Sowjetunion von dem Versuch abzubringen, mit militärischen Mitteln den westlichen Demokratien ihren Willen aufzuzwingen. Dann wird sich endlich der Wettbewerb nicht mehr im militärischen Bereich abspielen,

    (Zuruf von der SPD: Wir haben den Vertrag abgeschlossen, und Sie haben doch sogar dagegen gestimmt!)

    sondern dort, wo wir ihn wollen, nämlich in den Forschungslabors und in den Fabrikhallen. Meine Damen
    14430 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989
    Dr. Schwörer
    und Herren von der Opposition: Sie können noch so dazwischenschreien: Bei diesem Wettbewerb in Laboratorien und Fabrikhallen haben die marktwirtschaftlich orientierten Staaten immer die Nase vorn.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/6085. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt worden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Strafnachlaßgesetzes zum 40jährigen Bestehen der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksache 11/4555 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend)

Innenausschuß
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu 5 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Christa Nickels


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Anwesende! Es geht hier um das Strafnachlaßgesetz der GRÜNEN aus Anlaß der Feierlichkeiten zum 40jährigen Bestehen des Bonner Grundgesetzes. Als wir unseren Gesetzentwurf verfaßten, wollten wir einen wirklich guten Beitrag zum Fest aus Anlaß des 40jährigen Geburtstags der Bundesrepublik leisten. Wir wollten ein Geburtstagsgeschenk überreichen, welches zur Abwechslung einmal einer Gruppe von Menschen zugute kommt, die auf der Schattenseite des Lebens stehen, nämlich den fast 50 000 Strafgefangenen und den mehreren Hunderttausend Angehörigen dieser Strafgefangenen draußen. Nicht zu ahnen war damals im Frühjahr dieses Jahres, daß inzwischen noch viel mehr Grund zum Feiern besteht, seit die DDR die Grenzen geöffnet hat und die Menschen dort demokratische Reformen begonnen haben. Drüben gibt es inzwischen einen breiten Strafnachlaß, sogar eine richtige Amnestie, deren genaues Ausmaß allerdings noch nicht bekannt ist. Wenn sie aber der Amnestie von 1987 ähnelt, bei der man fast alle der ca. 25 000 Strafgefangenen entließ, dann übertrifft sie unseren Vorschlag bei weitem.
    Nun werden einige Kolleginnen und Kollegen gerade von seiten der CDU einwenden: Ja, sicher, aber in der DDR herrscht auch ein Unrechtssystem, und die Gefangenen dort sind politische Gefangene, die man zu Recht entlassen muß, weil sie zu Unrecht eingesperrt worden sind. — Was die politischen Gefangenen angeht, ist das richtig. Aber auch in der DDR sitzt der überwiegende Teil der Gefangenen wegen sogenannter ganz normaler Kriminalität ein. Etwa 5 bis 10% sitzen wegen politisch motivierter Straftaten ein. Das Ausmaß der Amnestie 1987 und auch der große Umfang der neuen Amnestie in der DDR waren damals und heute eine großzügige kriminalpolitische Geste auch gegenüber den ganz gewöhnlichen straffällig gewordenen Mitbürgern in der DDR. Ich verweise hier dazu auf eine Untersuchung von Prof. Roggemann in der angesehenen Neuen Juristischen Wochenschrift 1988.
    Wir sind mit unserem Entwurf wesentlich bescheidener. Unser Entwurf sieht nur dann die Entlassung vor, wenn der Gefangene die Hälfte seiner Strafe verbüßt hat. Kern des Entwurfs ist unsere Absicht, endlich dem Grundgedanken des § 57 Abs. 2 StGB, also der sogenannten Halbstrafenregelung, Geltung zu verschaffen; er fristet nämlich in der Praxis ein Schattendasein. Wenn es damals dem Bundesrat nicht gelang, die Halbstrafe zur Regel statt zur Ausnahme zu machen, so sollten wir das heute im Wege eines kollektiven Gnadenaktes zum Ende eines bewegten Jahres wagen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Niemand muß befürchten, das kriminalpolitische Chaos breche aus, was gerade von seiten der CSU immer heraufbeschworen wird, denn — wohlgemerkt — es sollen alle Straftaten nach wie vor vollständig aufgeklärt und die laufenden Verfahren bis zu einem rechtskräftigen Urteil zu Ende geführt werden. Aus gutem Grund bleiben auch die berechtigten zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche des Geschädigten vom Strafnachlaß selbstverständlich unberührt. Weil es zur Verhütung von Kriminalität in erster Linie auf Aufdeckung und weniger auf die Strafe als Sanktion ankommt, besteht hier auch keine Gefahr für die Sicherheit der Bevölkerung.
    Zwei Jahre nach der DDR-Amnestie hat Professor Buchholz dort festgestellt, daß nur ein Siebtel wieder rückfällig geworden war. Das unterschreitet die Rückfallquoten nach herkömmlichen Entlassungen und bekräftigt das Gesagte.
    Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß es hierzulande auch einmal an der Zeit wäre, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, und zwar über den Einzelfall hinaus. Wir glauben auch, daß so ein Strafnachlaßgesetz in diesem Jubiläumsjahr auch für die Politiker und Politikerinnen nützlich wäre. Es wäre geeignet, der diffusen Kriminalpolitik, die bei uns herrscht, eine Besinnungspause zu verordnen, in der man auch das gesamte Strafrecht auf den Prüfstand stellen könnte und einmal darüber nachdenken könnte, was hier zugunsten der straffällig Gewordenen und auch der Opfer von Kriminalität wirklich durchgreifend passieren könnte.
    Abschließend möchte ich noch anmerken: Es ist hier in der letzten Zeit Praxis geworden, daß wir über Gesetzesinitiativen, die den Bereich Strafvollzug betreffen, immer freitags zum Schluß debattieren.

    (Seesing [CDU/CSU]: Oder nach Mitternacht!)

    Jetzt steht das Strafnachlaßgesetz, über das ja in diesem Jubiläumsjahr debattiert werden sollte, erst am
    Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989 14431
    Frau Nickels
    Ende des Jahres auf der Tagesordnung, und dies ist erst die erste Lesung. Ich frage mich, was das zu bedeuten hat. Heißt das, daß hier im Parlament auch die Belange der Strafgefangenen das letzte sind, das letzte in einer Sitzungswoche, das letzte unter den Tagesordnungspunkten, das letzte in einem Jahr?

    (Bohl [CDU/CSU]: Das Beste kommt immer zum Schluß!)

    Oder wollen Sie das einmal umkehren und vielleicht ein Ausrufungszeichen im Sinne von Gnade vor Recht und Humanität im Strafvollzug setzen?
    Danke schön.

    (Beifall bei den GRÜNEN)