Rede von
Wolfgang
Roth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt keinen besseren Augenblick für die Diskussion über Ost-West-Handel mit Hochtechnologiegütern als den jetzigen. Man kann ja nicht viele Pläne mit der DDR machen, was die Erneuerung, die Strukturerneuerung der DDR betrifft, wenn man die bisherigen Regeln bei COCOM aufrechterhält. — Bitte, ein paar bei Ihnen nicken. Haben Sie eigentlich vergessen, daß Sie, die Koalition, vor drei Jahren der Verschärfung der COCOM-Regeln noch zugestimmt haben? Sie haben damals einen SDI-Vertrag gemacht und ihm einen Nebenvertrag beigegeben, den Sie eigenartigerweise Technologietransferabkommen genannt haben, der aber exakt das Gegenteil enthält, nämlich möglichst weniger Technologietransfer in den Osten. Aber lassen wir das.
Was wir jetzt brauchen, sind Offenheit statt Abgrenzung und Mut statt Unterwürfigkeit gegenüber unserem großen Partner im Bündnis. Daß Sie jetzt, wo die Mauer gefallen ist, allerdings immer noch am COCOM-Verfahren kleben, ist jedenfalls für mich völlig absurd. Im Grunde brauchen wir COCOM, das ge-
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samte komplizierte bürokratische Handelskontrollverfahren in Paris, überhaupt nicht mehr. Dieses Sonderverfahren ist überflüssig. Unsere Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffenkontrollgesetzes reichen aus, wenn wir die beiden Gesetze, wie geplant, novellieren. Daß Sie das heute von der Tagesordnung abgesetzt haben, ist nicht unsere Schuld, sondern liegt an dem Streit zwischen dem Wirtschaftsministerium und Teilen der CDU/CSU.
Wir wollen die technologische und wirtschaftliche Spaltung Europas im Rahmen einer neuen Sicherheitspartnerschaft überwinden. Mit einem Technologieembargo, das über den engen waffentechnischen Sektor hinausgeht, schaffen wir das nicht. Die Technologiebarriere ist ein Relikt einer veralteten, im Grunde schon durch die KSZE-Konzeption überwundenen Sicherheitsvorstellung. Sie ist, so möchte ich sagen, ein Restbestandteil des kalten Krieges. Mit einer Hochtechnologiemauer zwischen Ost und West schaden wir uns, aber vor allem auch den anderen, die sich entwickeln wollen. Wir müssen aber in diesem Bereich unsere Interessen selber vertreten.
Es ist ja eigenartig: Die USA haben gegenüber China vor einigen Jahren COCOM aufgegeben und lassen alles zu, während wir in der Bundesrepublik, bezogen auf die DDR, stur an den COCOM-Regeln festhalten. Das ist ein Widerspruch im Vertreten der nationalen Interessen, der nicht grotesker sein könnte. Im übrigen wundere ich mich inzwischen: Die USA lockern gegenüber China, einem diktatorischen Regime, alles auf, und wir halten uns an COCOM, bezogen auf die DDR, die inzwischen auf dem Weg zur Demokratie ist.
Seit der Verschärfung der COCOM-Listen vor einigen Jahren ist beispielsweise kein Vertrag über eine schlüsselfertige Fabrik zwischen Ost und West zustande gekommen, kein einziger Vertrag. Können Sie mir sagen, wie wir mit der DDR zusammenarbeiten wollen, wenn wir beispielsweise keine vollständigen neuen Fabriken dort bauen dürfen?
In den letzten Tagen gibt es einige Anzeichen, daß sich in den Vereinigten Staaten eine Diskussion anbahnt, beispielsweise durch den Handelsminister. Ich habe auch beobachtet, daß Regierungsvertreter in Polen erklärt haben, sie wollten das polnische Telefonnetz ausbauen. Wir wissen ganz genau, daß die heutigen Telefonnetze, in Bestandteilen jedenfalls, auf der COCOM-Liste stehen. Ich habe gehört, die Bundesregierung unterstütze dieses Vorhaben in Polen. Um so bitterer fällt mir auf, daß wir nach Budapest jahrelang keine Telefonnetz liefern durften, weil die Amerikaner das blockiert haben. Welch eigenartiges Verhalten der Bundesregierung, dem jahrelang zuzuschauen und jetzt zu bewundern, daß die Amerikaner nach Polen liefern!
Staatssekretär Eagleburger hat in den letzten Tagen eine ganz neue Philosophie vertreten, nämlich, man müsse bei den Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen nicht nur die Sicherheitsinteressen, sondern vor allem auch Wirtschaftsinteressen beachten. Bitte schön, das
sagen wir seit Jahren in diesem Hause. Zu einem Zeitpunkt haben wir Ihnen das gesagt, als Sie beispielsweise mit den Amerikanern neue Beschränkungen vereinbart haben.
Ich bin der Auffassung: Sie haben hier eklatant versagt. Aber bitte schön, mir wäre es recht, wenn Sie, Herr Beckmann — ich glaube, Sie vertreten heute die Bundesregierung — nun sagen würden, Sie schwenkten auf den Kurs der SPD ein.
Meine Damen und Herren, zu dem, was in den USA diskutiert wird, sage ich: Na endlich! Es wäre ja gut, wenn die COCOM-Debatte und die COCOM-Verfahren endlich im Aktenschrank unter der Aufschrift „kalter Krieg" verschwinden würden.
Aber, meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor. Zur Vorbereitung dieser Debatte habe ich natürlich noch einmal mit vielen Unternehmen über COCOM-Probleme und über die derzeitige Situation gesprochen. Es ist auch heute noch so, daß viele Verträge überhaupt nicht angebahnt werden, weil man Angst vor Entscheidungen in den USA gegen das jeweilige Unternehmen hat.
Die Auseinandersetzungen zwischen der Regierung der Vereinigten Staaten und beispielsweise dem Konzern Toshiba waren ja auch so angelegt, daß man Drohwirkungen für europäische Unternehmen erzeugt. Da Sie die Regierung des Abbaus von Regulierungen, die Regierung der Deregulierung sein wollen, sage ich Ihnen: Nehmen Sie doch die Chance wahr, eine unsinnige Regulierung, eine Regulierung aus dem kalten Krieg endgültig zu beseitigen, nachdem sich in ganz Osteuropa die Bewegung zur Demokratie und zur Entspannung nicht nur ergeben hat, sondern Tag für Tag angefüllt wird. Und Sie schaffen es nicht einmal, den wichtigsten Verbündeten zu überzeugen, daß das alles blödsinnig geworden ist, daß das überhaupt keinen Sinn mehr hat. Herr Beckmann, jetzt kommen Sie her und sagen Sie, wir machen das jetzt auch prinzipiell!
Übrigens haben die Amerikaner ja durchaus eine handfeste Strategie entwickelt. Einerseits bedrohen sie unsere Unternehmen, daß sie nicht mehr in die USA exportieren dürften, wenn sie auf dieser Ebene Ost-West-Handel betrieben, und andererseits bleibt ihre Drohhaltung bestehen, sie würden unsere Unternehmen von Hochtechnologie ausschließen, die aus den USA in Richtung Europa gehe. Ich bin der Meinung, das muß jetzt auch vom Tisch. Das ist allerdings nicht dadurch vom Tisch, daß ein Staatssekretär der Vereinigten Staaten von Amerika vor US-Diplomaten eine interne Rede hält, die uns dann zugespielt wird. Vielmehr muß meines Erachtens zumindest der Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika, Baker, sagen, daß das bisherige COCOM-Verfahren im Verhältnis zwischen Ost und West keinen Sinn mehr macht. Das erfordert die Lage.
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Ich will noch einmal belegen, daß das nicht alles abstraktes Gerede ist. Es ist ja nicht so, daß bei COCOM nichts hängt. Mir hat eine deutsche Firma — sie soll selber sagen, daß sie es ist — einmal eine Liste dessen gegeben, was auf Grund der COCOM-
Liste bei ihr hängt. Das ist beispielsweise eine Vermittlungszentrale für die DDR unter Einschluß der Software mit Markterwartungen in den nächsten Jahren von 4 bis 5 Milliarden DM — Deutsche Mark, nicht Mark der DDR. Alles das hängt.
In Ungarn soll ein Joint-Venture-Unternehmen für die Vermarktung eines Telefonsystems gegründet werden. Die Aktivitäten beginnen. Auch das hängt. Dasselbe gilt für die Sowjetunion, für die CSSR und in einem nicht ganz so fortgeschrittenen Stadium für Bulgarien.
Für Polen hat dasselbe Unternehmen fertige Verträge über Richtfunk, der dort dringend erforderlich ist. Das ist übrigens interessant: Wir haben einen Richtfunkvertrag mit Blick auf Polen abgeschlossen, und die Amerikaner machen es inzwischen. Die dusseligen Deutschen warten ab, bis sie die Genehmigung des amerikanischen Präsidenten bekommen. Sagen Sie einmal: Wann vertreten Sie eigentlich in dem Bereich unsere Interessen, Herr Beckmann und die Bundesregierung?
Leisetreterei hat da überhaupt keinen Sinn mehr.
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau hat bei einer Anhörung im Forschungsausschuß in dieser Woche dargestellt, daß für Präzisionswerkzeugmaschinen dasselbe Problem existiert und noch zunimmt. Es ist nicht etwa so, daß sich in diesem Bereich Lockerungserscheinungen zeigen.
Diese Woche berichtet die „FAZ" ausführlich über Ihren Streit mit der amerikanischen Bundesregierung. Da soll — ich weiß nicht, ob es stimmt, weil Sie uns keine Durchschläge von Kanzlerbriefen an den amerikanischen Präsidenten geben —
sogar das Detail einer Positionierungsgenauigkeit in einem Brief von Bundeskanzler Kohl an Herrn Bush stehen. Man muß sich das einmal vorstellen: In einer Phase, wo Aufbruch in Europa herrscht, muß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland darum betteln,
daß eine spezielle Werkzeugmaschine in die DDR geliefert werden darf.
Es wird ja immer grotesker.
Das ist nicht die Art und Weise, die ich im Umgang mit einem Verbündeten verlange, wenn ich meine Interessen zu vertreten habe. Das ist Mutlosigkeit, und das ist Kleinkrämerei. Ich würde mich als Wirtschaftsminister auch schämen, einem Bundeskanzler in einer derartigen Sache einen Briefentwurf zu übergeben.
Es gibt ja noch mehr absurde und groteske Geschichten, beispielsweise die Airbus-Sache. Der Airbus soll jetzt an den Osten geliefert werden mit der Einschränkung: Wartung und Reparatur dürfen nur in West-Berlin erfolgen. Jetzt stellen wir uns einmal vor, in Schönefeld funktioniert so ein Airbus nicht. Was passiert dann? Nach Tegel in West-Berlin kann er in dem Moment nicht geflogen werden. Also muß er in Schönefeld repariert werden. Dann muß also derjenige, der die Einhaltung der COCOM-Liste kontrolliert, die DDR-Polizei anrufen und sagen: Jetzt macht einen Kordon um das Flugzeug, bis die westlichen Techniker kommen, um es zu reparieren. Dieser Fall, der ja nicht konstruiert ist, sondern schnell einmal vorkommen kann, zeigt doch, in welcher Weise COCOM und all die Regeln von COCOM an der Realität in Europa vorbeigehen.
Meine Damen und Herren, es gäbe noch viele, viele Einzelheiten derart darzustellen. Ich möchte zum Schluß noch einmal auf die Grundphilosophie kommen.
COCOM war natürlich notwendig
in einer Phase des kalten Krieges, in einer Phase des Stalinismus, in einer Phase, in welcher der Friede tatsächlich durch aggressive Verhaltensweisen im Osten gefährdet war. Aber diese Zeit ist nicht zuletzt — das sage ich in Richtung auf die FDP — durch Anstrengungen von uns überwunden worden, durch Vertragspolitik, durch Entspannungspolitik.
Meine Damen und Herren, in dieser Phase hält ein Wirtschaftsministerium an COCOM und dem COCOM-Verfahren fest, das objektiv überwunden ist. Das heißt, wenn Sie als Vertreter des Bundeswirtschaftsministers hier nicht zustande bekommen zu sagen, das sei jetzt zu Ende, dann bitte ich jedenfalls die die Entspannungspolitik seit 17 Jahren mittragende FDP, an diesem Platz zu sagen, daß für sie COCOM genauso obsolet geworden ist wie für uns. Das wäre heute in dieser Debatte notwendig. Dann wüßten wir auch in Richtung auf die Bundesregierung, wohin der Weg geht. Ich vertraue da jedenfalls der FDP und Herrn Haussmann in seiner Durchsetzungsfähigkeit, wenn Sie das hier in dieser Arbeitsteilung sagen.
Meine Bitte ist: Wir sollten die COCOM-Liste und das COCOM-Verfahren insgesamt abschaffen. Es sollte durch unser normales Verfahrensrecht bei der Exportkontrolle ersetzt werden. Wir wollen keine Waffen liefern, weder in den Nahen Osten noch in den Osten.
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Wir sollten für diesen Bereich nur Waffen bzw. Waffenbestandteile oder Produkte, Produktionsverfahren und Fertigungsunterlagen zur Herstellung von Waffen in der Liste lassen.
Die sollten natürlich auch nicht in die Länder des RGW geliefert werden. Da sind wir völlig einig. Wir wollen keine Waffenlieferung. Aber wir wollen weiß Gott mehr und mehr Hochtechnologielieferung. Das ist der Streitpunkt.
Dazu bitte ich die Koalition auf der Basis der zehn Punkte des Bundeskanzlers — denken Sie das einmal zu Ende — hier um eine klare Stellungnahme. Ich freue mich, daß die SPD das Thema vor anderthalb Jahren angestoßen und jetzt zur Diskussion reif gemacht hat. Sie haben jetzt die Chance, in der letzten Stunde auf unseren Zug aufzuspringen. Ich wünsche Ihnen dafür viel Glück, Herr Kittelmann und andere.
— Vielen Dank fürs Zuhören.