Rede von
Dr.
Jürgen
Rüttgers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Verehrter Herr Catenhusen, Sie wissen, daß wir bisher in Europa
nur 800 Mannstunden Forschungskapazitäten im Raum hatten. Daher braucht man sich nicht zu wundern, daß die Wünsche, zu einer stärkeren Privatisierung und Kommerzialisierung zu kommen und daß Forscher sich darauf einstellen können, bestimmte Experimentierarbeiten im Weltraum durchzuführen, bisher eben nicht angemeldet worden sind, weil es keinen Sinn hat, sich Gedanken über so etwas zu machen, wenn man weiß, daß der nächste Flug im Zeitraum 1992 bis 1996 stattfindet.
— Ich werde sogleich zu der Bedarfsfrage etwas sagen, Herr Kollege Catenhusen. Sicher gibt es hier einen Punkt, über den wir noch nachdenken müssen.
Nur — das ist ja einer meiner Vorwürfe insgesamt an Sie — : Man kann im Einzelfall kritisch zu den einzelnen Elementen des Weltraumprogramms Stellung nehmen. Man kann immer — und das ist bei jedem Forschungsprojekt wichtig und richtig — über Alternativen nachdenken. Ihr Fehler ist, daß Sie irgendwo vielleicht einen kleinen Punkt erkannt haben und sagen: Und jetzt räumen wir die ganze Sache ab. Das ist das große Problem unserer Debatte.
Leider fühle ich mich insofern, wenn ich versuche, mich in der Sache kritisch damit auseinanderzusetzen, an Ihrer Seite nicht so besonders wohl.
Der Weg gelegentlicher Spacelab-Missionen kann langfristig nicht erfolgreich sein. Es bleibt nur die Alternative zwischen dem Abbruch dieses Zweigs der Raumfahrt und dem vorsichtigen Einstieg in eine Weltrauminfrastruktur, die langfristig Kosten senkt und eine kontinuierliche Forschung erlaubt.
Diese Prinzip des vorsichtigen, aber konsequenten Engagements hat die europäische Weltraumpolitik in den vergangenen Jahren bestimmt. Ich bin natürlich stolz darauf, daß Kollege Fischer mich hier so ausgiebig zitiert hat. Ich will den Satz wiederholen, weil er einer der Schlüsselsätze ist, die von meiner Fraktion zu dieser Politik formuliert worden sind: Wir wollen keine Technologie-Olympiade im All; wir wollen ebenso keine Schaufenster-Astronautik. Wir wollen Raumfahrtprojekte nicht an politischen Jubiläen und reinem Prestigedenken orientieren. Die Zeit der Wettläufe — erster Satellit, erster Erdumlauf, erste Mondlandung — ist vorbei.
Die große Vision steht nicht im Vordergrund des europäischen Raumfahrtprogramms. Das hat entscheidende Vorteile. Denn nicht das technologisch
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989 14415
Dr. Rüttgers
interessanteste, sondern das programmatisch und wirtschaftlich sinnreichste Projekte muß den Vorzug erhalten.
Auch das Columbus-Konzept entspricht dieser pragmatischen Konzeption. Sie ist für die europäische Raumfahrt charakteristisch. Die Betonung des Nutzenaspekts in der Raumfahrt ist auch für die euorpäischen Staaten interessant, die heute noch nicht zur ESA gehören, etwa die Staaten Mittel- und Osteuropas.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wir haben in diesem Haus mehrmals über die Kursbestimmung unserer Weltraumpolitik debattiert.
Ich denke, es wäre an der Zeit, den Grundsatzstreit über bemannt oder unbemannt zu den Akten zu legen. Er ist überholt und geht an den Realitäten vorbei. Die Kontinuität unserer Weltraumpolitik und ihr internationales Gewicht würden von einem weitgehenden Konsens im Parlament profitieren. Mir scheint, daß der ESA-Langzeitplan insgesamt dafür eine geeignete Grundlage bietet.
Dies gilt nach meiner Ansicht grundsätzlich auch für die Großprojekte. Es gilt also auch für Hermes und Columbus. Allerdings müssen der beschlossene Zeit- und Kostenrahmen eingehalten und technische Gesichtspunkte geklärt werden. Diese offenen Fragen zwingen dazu, mögliche Alternativen zu prüfen.
Ich will deshalb abschließend einige weitere Punkte nennen, die sich für einen politischen Konsens über die Fortentwicklung der deutschen Raumfahrtstrategie eignen könnten. Die Raumfahrt wird auch von den finanziellen Realitäten und nicht nur von technologischen oder politischen Wünschen bestimmt.
Die Bundesrepublik Deutschland wendet — es ist redlich, dies zu sagen — einen deutlich geringeren Teil ihrer öffentlichen Forschungsausgaben für die Raumfahrt auf als etwa Frankreich, Italien oder Japan. Dennoch wird nach der geltenden Finanzplanung der Weltraumanteil im Forschungshaushalt bis 1993 auf gut 20 % wachsen. Ich will klar sagen: Damit wird eine Grenze erreicht. Die Raumfahrt muß auch in der Finanzierung zunehmend als gesamtpolitische Aufgabe jenseits der Ressortgrenzen behandelt werden. Dies muß und wird Auswirkungen auf die Haushaltsgestaltung haben müssen.
Die Aufwendungen für das deutsche Weltraumprogramm einerseits und für die Beiträge zur Europäischen Weltraumorganisation andererseits müssen ausgewogen bleiben. Der Handlungsspielraum für eigenständige Projekte, etwa das Sänger-System, muß erhalten bleiben.
Nutzungsaktivitäten und Infrastrukturausgaben in der Raumfahrt müssen in einer zweckmäßigen Relation bleiben. Die faszinierendste Technik, die schönste Eigentumswohnung im All ist ohne Möbel, also ohne Investitionen in eine angemessene Nutzung, sinnlos.
In der Telekommunikation bietet die Raumfahrt heute und in Zukunft große Marktchancen. Die Beobachtung aus dem Weltraum, also die Erderkundung, ist ein wichtiges Instrument zur Lösung drängender
Probleme auf der Erde, beispielsweise im Umweltschutz.
Beide Bereiche müssen eine höhere Priorität erhalten. Dies muß sich auch in den Haushaltsansätzen niederschlagen. Wir brauchen dafür eine schlüssige Strategie für europäische Umweltüberwachung und Abrüstungsverifikation aus dem Weltraum.
Die Privatwirtschaft muß in der Raumfahrt mehr Eigenverantwortung und Initiative übernehmen.
Die neugeordnete Luft- und Raumfahrtindustrie — das war der Grund, weshalb wir dieser Neuordnung zugestimmt haben — muß jetzt ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Dies wird uns Mittel freimachen, um kleinere und mittlere Unternehmen stärker in die Raumfahrtprogramme einzubinden.
Der Trend zu einer abnehmenden Quote an Zulieferungen jedenfalls muß gestoppt werden.
Mit dem Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz und den Columbus-Vereinbarungen ist das Fundament für ein verstärktes deutsches Weltraumengagement gelegt. Bei der Umsetzung werden eine Reihe konkreter Sachprobleme zu lösen sein. Hier erwarten wir neue Impulse von der Deutschen Raumfahrtagentur — DARA — . Aber auch das gesamte Parlament — dazu möchte ich einladen — sollte sich konstruktiv daran beteiligen. Die Schlachten von gestern, vor allen Dingen die ideologischen Schlachten in diesem Bereich, sollten der Vergangenheit angehören.
Meine Damen und Herren, Sie haben gemerkt, daß diese Raumfahrtdebatte am letzten Sitzungstag vor Weihnachten stattfindet. Das ist gut so. Bekanntermaßen gehört der Weihnachtsmann zu den ersten Raumfahrern; denn er kommt jedes Jahr hoch vom Himmel her. Wir sollten ihn auch insofern nicht enttäuschen.
Vielen herzlichen Dank.