Rede von
Lothar
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ihre Weltraumpolitik, Herr Staatssekretär — das hat sich eben wieder gezeigt —, erscheint uns Sozialdemokraten in vielen Zügen märchenhaft, um es noch euphemistisch zu umschreiben.
Niemand kann bis heute die genauen Kosten und die Folgekosten Ihrer Weltraumprojekte und natürlich auch nicht die Kosten der Verschrottung abschätzen.
Nach den bisherigen und nicht gerade neuen Erkenntnissen werden diese Schrumpfprojekte immer kleiner, erstaunlicherweise aber im gleichen Tempo immer teurer. Ich werde daher begründen, warum die
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989 14407
Fischer
beiden vorliegenden Gesetzentwürfe von uns Sozialdemokraten aus mehrfachen Gründen abgelehnt werden müssen
und warum unser Antrag zur Weltraumpolitik eine vernünftige Alternative zu Ihren Überlegungen darstellt.
Die Raumfahrt droht die Finanzen des BMFT immer mehr zu belasten und den zukünftigen politischen Gestaltungsspielraum des BMFT durch die Konzentration der Fördermittel in seinem Haushalt erheblich einzuschränken. Nach Angaben der „Welt" vom November dieses Jahres soll das Defizit Ihrer Weltraumprojekte bis zum Jahr 2000 mehr als 7 Milliarden DM betragen. Das hat inzwischen überall zu scharfen Protesten geführt, sogar bei der Industrie
— sogar bei der Industrie, die doch — —
— Ja, dann fragen Sie einmal Herrn Högenauer bei MBB.
— Ein industrieller Vertreter.
— Sie müssen das doch wissen, Herr Rüttgers. Aber zu Ihnen komme ich gleich auch noch.
Das hat, wie gesagt, sogar bei der Industrie zu Protesten geführt, die doch eigentlich an neuen, innovationsträchtigen Aufträgen und Subventionen interessiert sein müßte. Nicht ohne Grund wird befürchtet, daß mit der Raumfahrt die notwendige Förderung anderer Forschungsprojekte zwangsläufig belastet oder gar ausgezehrt wird. Trotzdem verkünden Sie gleichzeitig beim bemannten Raumflug zum Mars: Da machen wir Deutschen mit. Also zuerst einmal Peterchens Mondfahrt und jetzt Riesenhubers Marsflug.
Herr Riesenhuber, der Minister, hat einmal gesagt, es sei wirklich ein Irrtum zu glauben, man bekäme mehr Wissenschaft, wenn man nur genügend Geld hineinschütte; Zitat in der „Zeit" vom 14. April 1989.
Trotz dieser Aussage, der wir gerne zustimmen, verteidigt Herr Minister Riesenhuber diesen ungeheuren Aufwand für die Raumfahrt nicht zuletzt mit dem Argument, bei der Raumfahrt handele es sich um einen Technologietreiber mit erheblichem Nutzen, mit hohem Innovationswert und mit einer großen Breitenwirkung für die gesamte Wirtschaft.
Inzwischen belegen zahlreiche Studien, teilweise sogar von Ihrem Haus, vom BMFT, bzw. vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben, und klare Aussagen aus Industrie- und Forschungskreisen, daß Ihre allzu optimistischen Annahmen in die Sparte „Märchen" gehören.
Ich freue mich in diesem Zusammenhang ganz besonders, daß sich Herr Rüttgers inzwischen zumindest stellenweise der Position der Sozialdemokraten angenähert hat.
So konnte man in der „Frankfurter Allgemeinen" am 31. Oktober 1989 lesen:
Ein CDU-Abgeordneter, der für Raumfahrtpolitik zuständig ist, hat jetzt öffentlich Zweifel angemeldet, ob die deutschen und europäischen Planungen für die Raumfahrt aufrechterhalten werden können. Die Finanzierung der Vorhaben stoße an Grenzen.
Rüttgers warnt davor, aus der Raumfahrt eine Technologieolympiade zu machen.
Der Staatssekretär hat sich gerade vorhin von diesem Wort distanziert.
Im übrigen sei nicht besonders viel Weltraumtechnik für den irdischen Gebrauch nützlich geworden. Überprüfung meint Rüttgers bei den europäischen Projekten Hermes und Columbus wörtlich. Diese Prüfung sei politisch beschlossen, und es dürfe nicht so getan werden, als sei die Entscheidung schon gefallen.
Zitat Ende. So in der FAZ.
Gefragt werden muß in dieser Debatte, inwieweit Ihre eigenen Zielvorgaben durch die vorliegenden Vertragstexte, durch die aktuellen Veränderungen bei Columbus und Hermes und durch den Start der neuen Deutschen Raumfahrtagentur eingehalten werden können bzw. schon überholt sind.
Im Vertragstext zur Raumstation heißt es unter dem Punkt Zielsetzung:
Die gesamte Raumstation ist nach dem Vertragstext eine „zivile Raumstation für friedliche Zwecke in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht".
Auf Seite 37 kommt dann allerdings die Einschränkung. Da können wir lesen:
In Zweifelsfällen entscheidet der Partner, der das jeweils genutzte Element beigestellt hat, ob er die geplante Nutzung für friedlich hält, . . .
Von dieser Einschränkung, Herr Probst, haben Sie
vorhin nichts gesagt. Im Klartext heißt das nichts an-
14408 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1989
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deres: Jeder entscheidet selber, ob etwas friedlich ist oder nicht. Man muß schon ein großer Interpretationskünstler sein, um zu einer anderen Auffassung in dieser Frage zu kommen.
Im Verständnis der USA dienen z. B. auch die Arbeiten am Raketenabwehrsystem im Weltraum — SDI —rein friedlichen Zwecken. Eine friedliche Nutzung ist somit nicht gegeben. Gerade jetzt vor dem Hintergrund wirklich friedlicher Veränderungen in Osteuropa sollten wir darauf achten, daß die Raumstation nicht für militärische Zwecke mißbraucht wird.
Wie sieht es nun überhaupt mit der fairen Partnerschaft aus? Verstehen Sie etwa unter fairer Partnerschaft, daß sich Ihr Partner nicht an Absprachen hält, daß die Amerikaner allein in diesem Jahr ihr Raumstationbudget um 200 Millionen Dollar gekürzt haben, daß Teile des Projekts über Bord gehen müssen und die jetzt abgemagerte Raumstation für das europäische Projekt Columbus erhebliche Schwierigkeiten bringen wird?
Wie sieht der wissenschaftliche Nutzen aus? Der Schweizer Professor Augusto Cogoli, Vorsitzender der Nutzer der Raumstation, führt dazu folgendes aus:
Als Nutzer der Mikrogravitation wären wir mit dem Spacelab für die nächsten 20 Jahre bestens bedient gewesen. Wir waren überrascht, daß nach zwei oder drei Spacelab-Flügen die Raumstation folgen soll. Das ist totaler Unsinn. Wir Wissenschaftler haben die Raumstation nicht gefordert.
So stand es in der „Stuttgarter Zeitung" vom 5. August 1989.
Bis heute weiß man nicht genau, wie die zukünftige Raumstation aussehen wird. Bisher wird sie immer kleiner und teurer — wie auch der Raumtransporter HERMES. Statt acht Astronauten sollen nur noch vier Astronauten in der Station leben können. Auch bei HERMES wird die Zahl der Astronauten, die mitfliegen können, immer geringer.
Selbst Beamte des BMFT räumten schon ein — nachzulesen in den vdi-Nachrichten — , daß die Raumstation so nicht laufen wird, weil sie unbezahlbar ist. Der Hauptzahlmeister beim europäischen Teil ist die Bundesrepublik mit 38 %. Wir Sozialdemokraten lehnen daher nicht nur den vorliegenden Gesetzentwurf ab, sondern das ganze unsinnige Projekt Columbus.
Lassen Sie mich jetzt zum Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz und zur Deutschen Raumfahrtagentur kommen. Seit langem sind von allen Politikern und Wissenschaftlern, die sich mit der Raumfahrt auseinandersetzen, eine Deutsche Raumfahrtagentur und ein Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz gefordert worden.
— Ja, es ist so. Doch Konzeptionslosigkeit und Kompetenzgerangel — jetzt kommt es, Herr Rüttgers — der verschiedenen zuständigen Ministerien verhinderten lange Zeit die Gründung einer DARA.
Erwartet und befürchtet wurde in der internationalen Fachwelt eine effiziente Agentur mit Spitzenpersonal aus dem Raumfahrtbereich, die der französischen Dominanz in der ESA, aber auch der amerikanischen NASA mit fundierter Sachkenntnis und entschiedenem Durchsetzungsvermögen Paroli bieten könnte. Warum sollten die Deutschen bei gemeinsamen Projekten, z. B. beim Airbus oder — was jetzt in der Diskussion ist — bei HERMES und COLUMBUS, immer nur als Zahlmeister auftreten, während andere die Systemführerschaften übernehmen? Das war mit ein Grund, warum wir eine Deutsche Raumfahrtagentur überhaupt wollten.
Wie sieht das Ergebnis aus?
— Für Sie vielleicht. — Es ist eine Agentur, die weder ihre Aufgaben wahrnehmen kann noch diesen gewachsen ist. Die DARA ist nichts anderes als eine Unterabteilung des BMFT zu Lasten der DLR geworden. Die DARA hat nur geringe Kompetenzen. Alle Entscheidungen, die bei der CNES, bei der französischen nationalen Raumfahrtagentur, ad hoc ablaufen, müssen bei uns erst die verschiedenen Instanzen durchlaufen, und auch das Kompetenzgerangel der Ministerien geht weiter.
Laut Postministerium — Herr Rüttgers, hören Sie gut zu —
soll die DARA wegen mangelnder Konzeption und laienhafter Organisation nicht mit Aufträgen bedacht werden.
Dem Verteidigungsministerium fehlen wegen des Projekts Jäger 90 die Finanzmittel, um Aufgaben zu übertragen.
Kurz gesagt, außer vom BMFT wird die DARA kaum Aufträge erhalten. Gehen Sie einmal das Gesetz durch: Darin steht ja, daß die DARA Aufträge erhalten kann — das war doch ein entscheidender Streitpunkt — , nicht soll.
Sie werden sehen, wie viele Aufträge sie von anderen Ministerien bekommt.
Zusätzlich verärgert wurden die anderen Ministerien durch die Personalpolitik des BMFT. So finden sich etliche ehemalige BMFT-Mitarbeiter in DARA-Schlüsselpositionen.
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Fischer
— Herr Junker sitzt bei der SPD-Bundestagsfraktion als Referent.
Mit Recht hat daher mein Kollege Fred Zander in der letzten Haushaltsdebatte die DARA mit dem aus der Astronomie entlehnten Begriff „Schwarzes Loch" treffend gekennzeichnet. Es ist ein Skandal, daß noch immer ungewiß ist, ob überhaupt und wie viele Mitarbeiter der DLR übernommen werden. Da gibt es eine große Unsicherheit. Sprechen Sie einmal mit den Leuten von der DLR, die in dem Bereich Projektträgerschaft tätig sind und die nicht wissen, wohin, wenn sie nicht übernommen werden.
Die Rechnung Ihrer Raumfahrtpolitik geht nicht auf. Es ist ein Fehler der Koalitionsparteien, wenn sie mit ihrer Beschlußempfehlung unseren Antrag weiterhin ablehnen.
Vielleicht sollten Sie einmal die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" von gestern nachlesen, um zu sehen,
was der Journalist, der das geschrieben hat, von Ihrer Weltraumpolitik hält.
Schönen Dank.