Herr Kollege Kleinert, daß bei allem, was der Bundeskanzler tut, natürlich auch parteipolitische Ranküne im Spiel ist, wissen wir. Aber Sie können sich darauf verlassen, daß wir Sozialdemokraten ihm nicht auf den Leim gehen werden und dafür sorgen werden, daß unverwechselbare sozialdemokratische Positionen wie z. B. die Anerkennung der Westgrenze und keine weitere Nachrüstung in das Bewußtsein der Öffentlichkeit geraten.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, nun aber zum Haushalt. Es liegt ein Ergebnis vor, von dem die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen meinen, es könne sich sehen lassen. In der Tat vermitteln die grundlegenden Eckwerte — die Nettoneuverschuldung und die Begrenzung des Aufwuchses gegenüber dem Vorjahr auf 3 v. H. — auf den ersten Blick ja auch eine passable Optik. Das ist nicht zu bestreiten.
Aber wie so oft täuscht auch hier der erste Eindruck, denn die Ergebnisse des Haushalts sind teilweise geschönt. Wäre alles mit rechten Dingen zugegangen
— ich komme auf die Anhörung vom letzten Freitag zurück —, läge die Steigerungsrate erheblich höher; Sie wissen, wovon ich spreche.
Der Verkauf der Salzgitter AG erscheint nicht, wie die Bundeshaushaltsordnung es zwingend vorschreibt, in einem Einnahmetitel. Die Verwendung des Erlöses wird nicht in Mark und Pfennig in einem Ausgabetitel angegeben, sondern schamhaft in einem Leertitel ohne Ansatz vermerkt. Der Zweck dieser Operation ist klar: Die ordnungsgemäße Veranschlagung hätte die Ausgaben um 2,5 Milliarden DM steigen lassen. Dies hätte die Optik verdorben.
Die Koalitionsfraktionen nehmen um dieses zu vermeidenden Ergebnisses willen einen Verstoß gegen das Gesetz, nämlich gegen § 15 der Bundeshaushaltsordnung, bewußt in Kauf, und das, obwohl der Präsident des Bundesrechnungshofes in der letzten Sitzung des Ausschusses ausdrückliche und berechtigte Bedenken gegen dieses Verfahren erhoben hat.
— Das hat er nicht gesagt, Herr Kollege Roth. Lesen Sie es bitte nach!
— Nein, ich bitte um Entschuldigung; er hat auf die Erklärung des Kollegen Carstens hin mehrfach den Finger gehoben und wollte das, was Herr Carstens gesagt hat, zurechtrücken. Ich als Ausschußvorsitzender habe dann die Sitzung abgebrochen, weil Sie alle nach Hause wollten. Das ist die Wahrheit.
Meine Damen und Herren, unabhängig von dem formalen Vorwurf ist in der Sache der Vorwurf zu erheben, daß Sie mit dem Verkauf der Salzgitter AG eine ganze Region verunsichern und nach der Daimler-Benz/MBB-Fusion zum zweitenmal aktiver Taufpate einer Mammutfusion sind und die Macht einer weiteren Großbank stärken, und das auch noch bei einem vermutlich zu niedrigen Verkaufspreis.
Es ist weiter der Vorwurf zu erheben, daß sich dieser Haushalt dadurch auszeichnet, daß er Risiken ausblendet, auf Grund derer schon heute abzusehen ist, daß es bei den jetzigen Ausgabenansätzen nicht bleiben kann. Dies gilt zunächst und in erster Linie im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung seit dem 9. November. Ich suche bei der haushaltsmäßigen Aufarbeitung dieser Ereignisse, die uns alle tief bewegen, keinen Streit. Gleichwohl appelliere ich vor allen Dingen an Ihre Adresse — damit meine ich Sie auf der rechten Seite des Hauses — für mehr Nachdenklichkeit; denn die Grundannahmen, auf denen der Haushalt für 1990 beruht, gelten seit Öffnung der Mauer nicht mehr. Alles, was der Haushalt zur Berlin-Hilfe, zum Begrüßungsgeld, zur Zonenrandförderung, zur Osteuropahilfe, zu unserem System der sozialen Sicherheit enthält, ist heute schon weitgehend Makulatur.
Meine Fraktion geht deshalb davon aus, daß ein Nachtragshaushalt erforderlich werden wird, der in vielen Bereichen die jetzigen Ansätze korrigiert. Herr Kollege Weng, ich habe Sie eben so verstanden, daß Sie dieser meiner Feststellung nicht widersprechen wollen.
Dabei hätten mit ein bißchen gutem Willen zur Zusammenarbeit einzelne Probleme schon heute — jedenfalls ansatzweise — gelöst werden können. Ich nenne als Beispiel die Berlin-Hilfe, von der bereits heute feststeht, daß sie nicht ausreichen wird und nicht ausreichen kann. Es ist zwar richtig, daß niemand genau weiß, wie sich die Dinge im Jahre 1990 exakt und genau auswirken und entwickeln werden. Aber Ihr Argument, die Situation müsse abgewartet werden — so haben Sie argumentiert — , verfängt nicht; denn, meine Damen und Herren, die Situation, sie ist schon da.
Es darf nicht mehr zugewartet werden. Ein Blinder mit einem Krückstock kann angesichts der bewegenden Fernsehbilder aus Berlin fühlen, daß auf den Berliner Haushalt zusätzliche Ausgaben im gesamtdeutschen Interesse zukommen, die er allein nicht tragen kann. Dies ist übrigens nicht nur die Einschätzung unserer Fraktion oder des Regierenden Bürgermeisters von Berlin; fast alle, die sich politisch äußern, sind derselben Meinung.
— Das ist klar. Aber Sie hätten, wenn Sie den guten Willen dazu gehabt hätten, dem Antrag meines Kollegen Dr. Diederichs zustimmen sollen, der zur damaligen Zeit exakt ausgerechnet hat, daß allein für den Nahverkehr 372 Millionen DM fehlen. Ihre Generalsekretärin, Schmalz-Jacobsen, hat sich zur gleichen Zeit ähnlich geäußert. Nun mag es sein, daß Sie von der Dame nichts halten. Aber ich finde: Sie hat sich an der Stelle richtig geäußert.
— Das nehmen wir zu Protokoll.
Zunächst ist ein Gutteil der Chancen vertan worden, in Richtung Berlin ein Signal zu geben, daß der Bund heute und jetzt — nicht nur irgendwann — zu schneller und effizienter Hilfe bei der Lösung der aktuellen Probleme bereit ist. Wer seine Abneigung ge-
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gen den von ihm ungeliebten Berliner Senat so offenkundig zur Schau trägt, ist ein schlechter Verlierer.
Schlechte Verlierer bestraft erfahrungsgemäß der Wähler.
Dennoch hoffe ich — vielleicht kann der Finanzminister, wenn er nachher redet, dazu etwas sagen —, daß das heute endlich zustande gekommene Gespräch zwischen dem Bundeskanzler und dem Berliner Senat diesen schweren Fehler korrigiert. Ich hoffe, Herr Kollege Waigel, daß Sie, wenn Sie nachher reden, das Ergebnis mitteilen. Das wäre schön. Dann würde ein Teil meiner eben gemachten Anmerkungen obsolet.
Signale fehlen auch in anderer Hinsicht. Ich bleibe bei dem hier schon vielzitierten Verteidigungsetat, Herr Kollege Rose. Mit einem Aufwuchs von 2,8 paßt er nicht mehr in die aktuelle politische Landschaft.
Seine nicht nur marginale Absenkung — so haben Sie es gemacht — wäre ein wirkliches Zeichen gegenüber den Völkern unserer osteuropäischen Nachbarstaaten gewesen, die darangegangen sind, gegen große Widerstände in ihren eigenen Ländern Reformen durchzusetzen. Daß diese Reformprozesse gelingen, liegt auch in unserem Interesse; denn Freiheit und Demokratie in den Ländern des Ostens tragen mehr zur Sicherheit in Europa bei als der Jäger 90, neue Tornados, neue Panzerabwehrhubschrauber oder andere Großwaffensysteme.
Sparen an dieser Stelle, wie es meine Fraktion vorgeschlagen hat, wäre nicht nur buchhalterische Zahlenkosmetik, sondern ein wirkliches Signal auch in Richtung der Wiener Verhandlungen über die konventionelle Abrüstung gewesen. Dies ist eben nicht mehr die Zeit für die kriegsmäßige Aufstockung der Munition, für Tiefflüge über bewohnten Gebieten oder für waffenstarrende Großmanöver.
Dabei verkenne ich nicht, daß in einigen Bereichen der Bundeswehr nach wie vor höhere Mittel erforderlich sind. Das Attraktivitätsprogramm mit seinen Verbesserungen für den einzelnen Soldaten war lange überfällig. Gestern hat Herr Kollege Kühbacher hier überzeugend dargelegt, daß Sie bei dem Programm die Unteroffiziere ganz vergessen haben, was nur 7 Millionen DM gekostet hätte.
Das hat Ihnen gestern abend weh getan. Aber es ist völlig verfehlt, die High Tech der Waffensysteme mit einer Verbissenheit weiter vorwärtszutreiben, als ob sich in den osteuropäischen Staaten nichts bewegt hätte und wir noch mitten in den Zeiten des Kalten Krieges lebten. Wenn schon die jüngste Entwicklung in den Staaten des Ostblocks die Bundesregierung nicht zum Umdenken veranlaßt, dann sollten dies wenigstens fiskalische Gründe tun. Denn die Entwicklung und Beschaffung des Jägers 90 mit Lebenslaufkosten von 100 Milliarden DM engen —ebenso wie die durch den Tornado verursachte Bugwelle — die Handlungsspielräume in unvertretbarer Weise ein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Etat des Verteidigungsministers bietet nach unserer Auffassung Einsparungsmöglichkeiten in Höhe von 3,2 Milliarden DM, Beträge, die wir für andere wichtige Bereiche abziehen könnten — über die wir ja in diesen Tagen geredet haben — , ohne daß der Verteidigungsauftrag hierdurch Schaden nehmen würde. Herr Kollege Rose, es ist doch nicht so, wie Sie gesagt haben, daß wir den Soldaten an den Pranger stellen — um Himmels willen! Das ist überhaupt nicht unsere Absicht
— nein, das ist überhaupt nicht unsere Absicht —, sondern wir meinen, daß angesichts der Entwicklungen, über die wir jetzt in diesen Wochen reden, hier an der Stelle andere Signale hätten gegeben werden müssen, die mit dem Soldaten, der seine Pflicht für uns tut, überhaupt nichts zu tun haben.
— Aber natürlich, ich rechne Ihnen das genau vor. Da wär' noch viel mehr Luft drin gewesen. Es lohnt sich, hier mit noch spitzerem Bleistift zu rechnen, z. B. bei den Bundeswehrbeschaffungen mit Verträgen zu Selbstkostenpreisen. — Da guckt der Bernhard Friedmann gleich weg, weil er weiß, daß er da eine Niederlage erlitten hat. —
Nach wie vor steht zu befürchten, daß viele Millionen D-Mark zu Unrecht in den Schatullen der Rüstungsindustrie verschwinden. Aber auch in dieser Frage ist die Bundesregierung, vor allem der Bundeswirtschaftsminister — angeblich aus ordnungspolitischen Gründen — wider besseres Wissen hartnäckig geblieben und nicht bereit, dem Bundesrechnungshof ein wirksames Kontrollrecht einzuräumen, das Mißbräuche verhindern kann. Es war bei uns im Ausschuß ja immer gemeinsame Auffassung, Bernhard Friedmann
— aller Mitglieder des Haushaltsausschusses —, daß dem Bundesrechnungshof ein effizientes Prüfungsrecht gegeben werden muß. Herausgekommen ist mit Ihren Stimmen ein schlappes Anwesenheits- und Informationsrecht des Rechnungshofes bei Ausübung des Preisprüfungsrechts durch das Bundeswehrbeschaffungsamt.
— Weil Sie ihm keine anderen Instrumente zu geben bereit waren, Herr Kollege Dr. Friedmann. —
In der Sache haben sich die Mitglieder der Koalitionsfraktionen damit von der Bundesregierung geschlagen gegeben und, wie Kollege Helmut Esters hier an
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dieser Stelle ausgeführt hat, den Rechnungshof zu einer zahnlosen Gouvernante degradiert, die nur noch als Kurschatten fungiert.
Aber damit hatte Helmut Esters natürlich nicht ganz recht; denn einen zahnlosen Kurschatten kann ich mir nicht vorstellen.
Aber, meine Damen und Herren, gleichwohl fügt sich diese Entscheidung nahtlos an eine andere der Koalitionsmehrheit an, nämlich an diejenige, dem Bundesrechnungshof die personellen Ressourcen teilweise vorzuenthalten, die notwendig wären, seine Bonner Außenstelle zu einer echten, schlagkräftigen Abteilung auszubauen.
Ich bedauere diese Entscheidung sehr, weil sie dem Bundesrechnungshof und seiner Bonner Außenstelle nicht gerecht wird; denn gerade dieser Außenstelle verdanken wir wertvolle Prüfhinweise. Als Beispiel nenne ich das Thema, über das wir im Haushaltsausschuß stundenlang gestritten haben, nämlich den Bericht des Rechnungshofes darüber, daß der Bundesverteidiungsminister in den vergangenen Jahren weit über 1 000 ehemalige aktive Soldaten nach ihrer Pensionierung mit ihrem Einverständnis zu langdauernden, jahrelang dauernden Wehrübungen herangezogen hat und diese ehemaligen Soldaten dann auf Grund ihrer Pensionsbezüge und der Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz höhere Nettobezüge als ein vergleichbarer aktiver Soldat hatten.
In den Genuß dieser Fürsorge sind vor allem hohe und höchste Offiziere gekommen, die nicht gerade zu den 6 Millionen Armen zählen, die es bei uns dank der Politik dieser Bundesregierung noch gibt und die in Johnny Kleins Märchenbüchern überhaupt nicht vorkommen.
Ein ähnliches Maß an fürsorglicher Hingabe für die Soldaten hätte ich mir vom Minister an anderer Stelle erwartet, nämlich bei der Versorgung von Soldaten auf dem Wohnungsmarkt. Jedermann weiß, daß die Soldaten dort, wo sie stationiert sind, große Probleme mit Wohnungen haben, die vom Bund für diese Zwecke gefördert wurden.
Ich sage immer der staunenden Öffentlichkeit: Als wir das alles im Haushalt erörtert haben, hat der zuständige Staatssekretär gesagt: Das Problem hätten wir für 1990 glatt vergessen — glatt vergessen, hat er gesagt! Das heißt, die Schwierigkeiten der Soldaten werden nicht immer ernst genug genommen.
Wenn sich so etwas schon in dem überschaubaren Bereich der Wohnungsfürsorge der Bundeswehr abspielt, was dürfen wir dann eigentlich von dem angekündigten Wohnungsbauprogramm der Bundesregierung halten? Ich respektiere und begrüße natürlich, daß sich auf diesem Sektor etwas bewegt, aber dieser Bundesregierung ist dies nicht als Verdienst anzurechnen. Sie zieht lediglich in letzter Minute die Notbremse, weil sie endlich erkennt, daß sie vor dem von
ihr selbst angerichteten wohnungspolitischen Scherbenhaufen steht.
Ich weiß noch — ich war ja dabei — , wie auf Antrag des jetzigen Parlamentarischen Staatssekretärs Jürgen Echternach, der damals Berichterstatter im Haushaltsausschuß für den Wohnungsbau war, die Koalitionsmehrheit den sozialen Mietwohnungsbau schlicht und einfach gekippt und gestrichen hat, herzlos gestrichen hat. Nun stehen Sie vor dem Ergebnis Ihrer eigenen Politik, und der Jürgen Echternach, der diese Entwicklung persönlich mit zu verantworten hat, sitzt immer noch im Wohnungsbauministerium.
Nun, meine Damen und Herren, Sie werden sagen, im Zusammenhang mit der Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt wird sich der Jürgen Wohlrabe — Entschuldigung, der Jürgen Echternach — etwas dabei gedacht haben. — Wie komme ich auf Wohlrabe? — Ach, Berlin, ja.
Ich sage noch einmal: Der Jürgen Echternach hat sich dabei wahrscheinlich etwas gedacht. Auch Sie von der Koalition haben nämlich immer gesagt, es gebe keinen Bedarf mehr für Mietwohnungen, höchstens noch einen geringen in Frankfurt und München, und das könnten die Länder locker aus der Hosentasche bezahlen — so hat er argumentiert. Diese Entwicklung war vorauszusehen. Sie haben es doch erst gemerkt, als Sie die Berliner Wahlen verloren und analysiert hatten, woran das lag.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Das Gros der Probleme auf diesem Sektor ist hausgemacht, weil Sie sehenden Auges in Kauf genommen haben, daß Einkommensschwache, Alte, Alleinstehende, Behinderte und kinderreiche Familien sich kaum noch mit preiswertem Wohnraum versorgen können. Sie haben diese Probleme bewußt rechts liegengelassen. Ich sage „rechts" , weil dort durch Armut, soziale Deklassierung und auch durch mangelnden Wohnraum der Boden aufbereitet wird, auf dem jene Partei erstarkt, die hoffentlich wir alle nicht wollen.
Ihre bisherige Wohnungspolitik fügt sich damit nahtlos in eine Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik ein, die die Zweidrittelgesellschaft zementiert und die Interessen des letzten Drittels ausblendet — sechs Millionen Arme!
Ich befürchte, daß Sie aus den Fehlern der Wohnungsbaupolitik nichts lernen und sie in anderen Feldern der Sozialpolitik wiederholen. Anzeichen hierfür haben wir z. B. im Rahmen der Beratungen des Haushalts für die Bundesanstalt für Arbeit zur Kenntnis nehmen müssen. Das koalitionsinterne Gezerre um die Länge und um die Mittel für die Sprachkurse für Ausiedler war ein Trauerspiel, das mit einer Nieder-
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lage für Arbeitsminister Blüm und der Streichung von 150 Millionen DM endete.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie im Ernst annehmen, Aussiedler könnten in sechs Monaten die deutsche Sprache erlernen. Ich kann mir Ihr Engagement, die Kurse und die Mittel zu kürzen, nur mit Ihrem schlechten Gewissen darüber erklären, daß Sie die Finanzierung dieser Kurse nicht dem allgemeinen Bundeshaushalt, sondern dem Beitragszahler der Bundesanstalt für Arbeit in verfassungswidriger Weise aufgebürdet haben.
Nur, die Konsequenzen hieraus dürfen nicht heißen: Kürzung der Mittel, sondern müssen heißen: Übernahme der erforderlichen Beträge in den allgemeinen Bundeshaushalt.
Ihr Rezept, meine Damen und Herren, versagt dagegen den Aussiedlern grundlegende Integrationshilfen und verordnet ihnen das, was die Bundesregierung angesichts der massiven Probleme nicht selten auszeichnet, nämlich Sprachlosigkeit.
Im Hinblick auf die nach wie vor hohe Zahl der Arbeitslosen enthält der Bundeshaushalt keine zukunftsweisenden Weichenstellungen. Insbesondere werden die Belange der vielen Langzeitarbeitslosen nicht hinreichend berücksichtigt. Das Programm zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, das seinen Niederschlag auch im Etat gefunden hat, ist zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung.
— Ja, mit 6 000, habe ich gelesen. — Aber es reicht nicht aus, um dem Problem wirklich Herr zu werden, Herr Scharrenbroich. Wir haben deshalb einen Antrag eingebracht, der forderte, die Eingliederung Langzeitarbeitsloser zu unterstützen, und dabei die hohe Massenarbeitslosigkeit als das sichtbarste Zeichen für das Versagen der Politik der Bundesregierung kritisiert. Im Ausschuß hat jemand von der Koalition diesen Antrag als Frechheit bezeichnet. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Wir Sozialdemokraten werden uns so lange die Freiheit zu solchen Frechheiten nehmen, bis die Probleme der Massenarbeitslosigkeit gelöst sind.
Nun hat Kollege Weng den Umwelthaushalt gelobt. Aber Sie wissen, daß das Schönfärberei ist. Ich komme gleich darauf zu sprechen. Der Bundeskanzler hat unter der Überschrift „Arbeitsprogramm der Bundesregierung, Perspektiven der 90er Jahre" am 27. April hier in diesem Hause pathetisch ausgeführt: „Die Schöpfung bewahren, die Zukunft gewinnen — unter diesem Leitgedanken steht unser Arbeitsprogramm. "
Ich bezweifle jedoch, daß aus dem Haushalt des Bundesumweltministers soviel innovative Kraft kommt, damit die Schöpfung bewahrt werden kann. Der Aufwuchs um 80 % ist zwar beeindruckend; aber
wenn man näher hinschaut, weiß man, daß das zum großen Teil Umschichtungen vom Wirtschaftsetat auf den Umweltetat sind. Daher kommt die Steigerung zu einem nicht unerheblichen Teil. Herr Töpfer hat gerade 0,3 % vom ganzen Bundeshaushalt. Er erhält ebensoviel, wie der Verteidigungsminister im nächsten Jahr für die Beschaffung des Waffensystems Tornado bekommt. Zieht man hiervon die Mittel für Strahlenschutz und Reaktorsicherheit ab, so verbleibt für den echten Umweltschutz nur soviel, wie die Bundeswehr für Benzin ausgeben darf. Für den Naturschutz im engeren Sinne sind 50 Millionen DM angesetzt. Das entspricht dem Betrag, den die Bundeswehr an Ersatzleistungen für Übungsschäden und Entschädigungen für Fluglärm ausgeben darf.
Ich habe diesen Vergleich zum Etat des Verteidigungsministers nicht zufällig gewählt. Denn es gab tatsächlich den Plan, ein sogenanntes Umweltkapitel im Einzelplan des Bundesministeriums der Verteidigung einzustellen. Dort fanden wir so hervorragende Umweltschutzzwecke wie: Entschädigungen für Fluglärm. Das wurde als Umweltschutz angesehen. Wäre das durchgekommen, wäre es die Lachnummer des Jahres geworden, meine Damen und Herren. Denn mit dem Motto „erst Krach machen, dann zahlen" ist die Losung des Bundeskanzlers, „die Schöpfung bewahren, die Zukunft gewinnen" , nicht zu verwirklichen.
Hier wären Maßnahmen ganz anderen Kalibers gefragt gewesen, wie wir sie vorgeschlagen haben: Programm „Arbeit und Umwelt", Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs, Ausbau des Bundesbahnnetzes, Ausbau des kombinierten Schienen-Straßen-Verkehrs. Wir können und dürfen nicht zulassen, meine Damen und Herren, daß wir und unsere Kinder an den Belastungen des Individualverkehrs buchstäblich ersticken.
Unsere Gewässer schreien nach Sanierung. Mosel und Saar verdrecken, Nord- und Ostsee verrecken. Die Bundesregierung sieht tatenlos zu, mit der ernst dreinblickenden, aber unbeteiligten Miene eines Leichenbestatters, der nicht an den Toten, dafür um so mehr an seinen Geldbeutel denkt. Ich vermag angesichts der drohenden Umweltkatastrophe nicht zu verstehen, warum wir Sozialdemokraten mit unserem Antrag zur Rettung der Nord- und Ostsee und zur Sanierung von Saar und Mosel auf taube Ohren stoßen. Ich vermag das wirklich nicht zu verstehen.
— Ich komme gleich darauf. — Der Hinweis von Herrn Töpfer — und Ihr Zwischenruf eben —, die Bundesländer könnten zur Sanierung der grenzüberschreitenden Flüsse die Mittel des Strukturhilfegesetzes einsetzen, grenzt wirklich an Zynismus.
Es ist ein Unding, daß sich die Bundesregierung durch internationale Vereinbarungen verpflichtet, Gewässer zu sanieren, dann aber, wenn es ans Bezah-
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len geht, die Verantwortung den Bundesländern mit dem Hinweis auf das Strukturhilfegesetz zuschiebt,
genau wissend, daß die Länder die Strukturhilfemittel nicht nur für Gewässerschutz, sondern auch für ganz andere regionale Investitionen benötigen, bei denen sie dann aber sparen müssen.