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    Plenarprotokoll 11/177 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 177. Sitzung Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 13479 A Nachträgliche Überweisung eines Antrages — Drucksache 11/5692 — an den Haushaltsausschuß 13479 B Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Straßenverkehrsunfälle (Straßenverkehrsunfallstatistikgesetz) (Drucksache 11/5464) . . 13479A Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksachen 11/5000, 11/5321, 11/5389) Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes Dr. Vogel SPD 13479 D Dr. Bötsch CDU/CSU 13488 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 13492 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 13496 A Dr. Kohl, Bundeskanzler 13502 D Voigt (Frankfurt) SPD 13514 B Bohl CDU/CSU 13516A Frau Eid GRÜNE 13518 C Genscher, Bundesminister AA 13520 B Dr. Meisner, Senator des Landes Berlin . 13523 C Wüppesahl fraktionslos 13525 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 13527 A Roth SPD 13527 D Austermann CDU/CSU 13529 C Jungmann (Wittmoldt) SPD 13532 A Namentliche Abstimmung 13533 D Ergebnis 13536 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen Hiller (Lübeck) SPD 13534 A Dr. Neuling CDU/CSU 13538 A Frau Frieß GRÜNE 13541 D Hoppe FDP 13544 A Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 13545 D Frau Terborg SPD 13548 D Lintner CDU/CSU 13550 D Heimann SPD 13552 C Weisskirchen (Wiesloch) SPD 13553 B Stratmann GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 13555 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts Waltemathe SPD 13555 C Dr. Rose CDU/CSU 13557 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 13561 B Hoppe FDP 13563 A Stobbe SPD 13564 A II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 Frau Beer GRÜNE 13567 D Genscher, Bundesminister AA 13568 C Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Diller SPD 13572 C Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 13574 B Frau Flinner GRÜNE 13576 C Bredehorn FDP 13578 C Kiechle, Bundesminister BML 13579 C Koltzsch SPD 13582 B Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation Frau Faße SPD 13584 B Bohlsen CDU/CSU 13587 D Hoss GRÜNE 13589 C Funke FDP 13590 D Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMPT 13591 D Nächste Sitzung 13594 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13595* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 13479 177. Sitzung Bonn, den 28. November 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 01. 12. 89 * Amling SPD 28.11.89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 01. 12. 89 Frau Dempwolf CDU/CSU 01. 12. 89 Dr. Dollinger CDU/CSU 01. 12. 89 Engelsberger CDU/CSU 29.11.89 Graf SPD 28.11.89 Dr. Haack SPD 01. 12. 89 Frhr. Heereman von CDU/CSU 28. 11. 89 Zuydtwyck Dr. Hennig CDU/CSU 29. 11. 89 Frau Hensel GRÜNE 28. 11. 89 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 28. 11. 89 Höffkes CDU/CSU 01. 12.89 Hörster CDU/CSU 28. 11.89 Kißlinger SPD 01. 12.89 Klein (Dieburg) SPD 01. 12. 89 Dr. Klejdzinski SPD 28. 11. 89* Linsmeier CDU/CSU 01. 12.89 Frau Luuk SPD 01. 12. 89 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Lüder FDP 28.11.89 Meneses Vogl GRÜNE 01. 12. 89 Mischnick FDP 28.11.89 Niegel CDU/CSU 01. 12. 89 * Poß SPD 28. 11.89 Rappe (Hildesheim) SPD 28. 11. 89 Frau Rock GRÜNE 01. 12. 89 Frau Schilling GRÜNE 28. 11. 89 Frau Schoppe GRÜNE 28. 11. 89 Schreiber CDU/CSU 30. 11.89 Schröer (Mülheim) SPD 01. 12. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 01. 12. 89 Singer SPD 28. 11.89 Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 28. 11. 89 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 28. 11. 89 Tietjen SPD 01. 12.89 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 28. 11. 89 Verheugen SPD 30. 11.89 Vosen SPD 28. 11.89 Dr. Warnke CDU/CSU 28. 11. 89 Werner (Ulm) CDU/CSU 28. 11. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 01. 12. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Ignaz Kiechle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Herr Kollege Diller, Sie haben immerhin anerkannt, daß wir ab und zu auch etwas richtig machen; aber Sie haben bei Ihrer Kritik überzogen. Sie sprachen davon — und Sie haben es etwas dramatisch dargestellt — : 700 Millionen DM gehen über das Strukturgesetz an Betriebe mit bis zu 120 Kühen und bis zu 700 000 Hähnchen. Sehr verehrter Herr Diller, 75 % des gesamten Bodens, soweit er landwirtschaftlich genutzt ist, wird in der Bundesrepublik Deutschland von Betrieben unter 50 ha genutzt.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Und die 25 % machen den Überschuß; so sieht es wirklich aus!)

    Betriebe über 50 ha sind immer noch keine Riesenbetriebe; es sind insgesamt 7 % aller Betriebe. Ich sage es Ihnen nur.
    Sie haben mir den Vorwurf wegen meines — Sie sagten: „Ihres" — Bauchladens gemacht. Na ja, verteilt haben ihn die Bundesländer, und es waren ziemlich alle beteiligt. Ich erinnere daran: als ich an den nordrhein-westfälischen Kollegen einen Brief schrieb, daß er gegen die Verordnung, also contra legem, Milch verteile, hat er mich wissen lassen — so auf seine Art, öffentlich — , ich könne ihn ja verklagen, wenn es mir nicht passe. So ist man damit umgegangen. Ich will aber nicht nur Nordrhein-Westfalen allein beschuldigen; sondern alle waren beteiligt. Nur, ich habe es also nicht allein verursacht. Vielleicht kann man mir das mal zugute halten.
    Nun zu Frau Flinner. Es tut mir leid, zu Ihnen kann ich nicht viel sagen.

    (Heiterkeit)

    Was Sie hier predigen, ist wie eine Schallplatte. Ich kann das nicht ändern. Oben kommt eine Mark rein



    Bundesminister Kiechle
    — das ist die Redemöglichkeit —, und dann verkünden Sie, was Sie immer verkündigt haben. Sie haben auch etwas gesagt, was überhaupt nicht stimmt oder mindestens völlig unbedeutend ist.
    Dramatisch, wie Sie es ja können, haben Sie hier gesagt: Und dann muß man bedenken, daß sogar für das Mercedes-Projekt aus dem Agrarhaushalt noch etwas bezahlt wird.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Das ist richtig!)

    Ich habe mich gerade erinnert: Das sind 6 000 DM von 9 600 Millionen DM. Das war der Fall, weil bei dem Projekt die Flurbereinigung beteiligt war und wir ein Viertel der Kosten übernehmen mußten.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Viele Tropfen geben einen Brei!)

    Für solche Punkte benutzen Sie das Rednerpult des Deutschen Bundestages, um zur Situation der deutschen Landwirtschaft zu sprechen. Aber es bleibt Ihnen ja letztlich unbenommen.
    Im übrigen haben wir heute das bekannte Ritual wieder erlebt: Man nutzt die Haushaltsdebatte, um der Bundesregierung sozusagen vermeintliche Versäumnisse in der Politik vorzuhalten,

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Das stimmt doch auch!)

    und man malt dabei doch in ziemlich dunklen Farben. Ich muß hinzufügen: Während die Bauern bereits verstanden haben, daß in der Agrarpolitik auch einiges vorwärts geht

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Die Bauern haben resigniert, sie haben es nicht verstanden!)

    — ich will nicht behaupten, daß sie mit allem zufrieden sind, aber sie haben erkannt, daß diese Politik auch positive Seiten hat und mittlerweile auch Erfolge zeitigt —, reden Sie darüber natürlich mit keinem Ton.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Darum gehen sie nicht mehr zur Wahl!)

    Nun wollen wir Ihre Schwarzmalerei aber nicht mit Schönfärberei erwidern

    (Walther [SPD]: Auch nicht mit Schönhuberei!)

    — ich habe das auch früher nie gemacht — , wir wollen die Tatsachen sprechen lassen. Eine der Tatsachen ist, daß sich die Einkommenslage in der Landwirtschaft seit dem vergangenen Jahr deutlich verbessert.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Um wieviel hat sich das Einkommen in den letzten drei Jahren erhöht?)

    Auch der Bericht des Deutschen Bauernverbandes, der in Kürze kommt, wird dies bestätigen.
    Wir wissen, daß noch nicht alle Probleme gelöst sind, auch jene nicht, die Sie, die SPD, uns aus der Zeit Ihrer agrarpolitischen Verantwortung hinterlassen haben. Stück für Stück sind wir im Laufe der Jahre aber einer längerfristig tragfähigen Agrarpolitik nähergekommen.

    (Zuruf von der SPD: Was hat Gallus gemacht?)

    — Herr Gallus hat das gemacht, was der Bundeskanzler damals seinem Minister gestattet hat, nicht mehr und nicht weniger.
    Die agrarpolitische Konzeption der Bundesregierung ist eindeutig, und ich will sie hier noch einmal wiederholen: erstens die Wiederherstellung des Marktgleichgewichts und damit die Stabilisierung der Marktpreise, zweitens die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe — dazu gehören vor allem gleiche rechtliche Produktionsbedingungen in der EG und ein Währungsausgleich, solange wir noch keine Währungsunion haben — , drittens ein neues Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie in der Agrarproduktion, viertens ein System von flankierenden Einkommenshilfen und Alternativen und fünftens eine umfassende soziale Sicherung der in der Landwirtschaft Beschäftigten und ihrer Familien.
    Mit rund 56 % — das sind immerhin 5,3 Milliarden DM — machen die Mittel für die Agrarsozialpolitik nun den größten Teil des Einzelplans 10 aus, und dieses Geld kommt unseren Bauern direkt und unmittelbar zugute. Die nächstgrößte Aufgabe ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes", immerhin auch 1 800 Millionen DM.
    Mit obenan in der agrarpolitischen Zielhierarchie steht für uns die Ordnung der Märkte — ich habe das schon oft betont und muß es immer wieder sagen —, d. h. die Orientierung der Produktion am Bedarf. Unsere Politik zur Wiederherstellung dieses Marktgleichgewichts zeigt ja auch immerhin bei Milch den durchschlagendsten Erfolg. Ich brauche nicht über die abgebauten Butter- und Magermilchpulverberge zu reden; mit diesem Abbau ist der Erzeugerpreis deutlich gestiegen. Neben Milch zeigen übrigens auch die Märkte bei Rind- und Schweinefleisch: Die Ordnung der Märkte ist und bleibt also die beste Preis- und Einkommenspolitik für unsere Bauern.
    Bei Getreide wurde auf unsere Initiative hin den Bauern in der EG das Angebot gemacht, die Getreideproduktion freiwillig einzuschränken, natürlich bei finanziellem Ausgleich. Die Bauern bei uns haben zwar regen Gebrauch davon gemacht, aber leider haben die Bauern in anderen Mitgliedstaaten das noch nicht getan. Die finanziellen Anreize waren dort zu gering. Wir haben erreicht, daß die EG-Beteiligung an der Finanzierung inzwischen verbessert ist. Ich hoffe, daß nunmehr auch die Teilnahme in anderen Mitgliedstaaten der EG verstärkt zur Flächenstillegung führt.
    Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie kritisieren dennoch

    (Zuruf von der SPD: Zu Recht!)

    — ja, gut; ich meine, wir brauchen nicht darüber zu streiten, ob es zu Recht ist; ich stelle es nur fest — das 1988 vom Europäischen Rat beschlossene Stabilisatorenkonzept bei Getreide. Sie werfen der Bundesre-



    Bundesminister Kiechle
    gierung vor, die Interessen der Bauern nicht genügend berücksichtigt zu haben.
    Man sollte nicht nur agrarpolitische Details herausgreifen und sie dann dramatisieren. Tatsache ist, daß die EG-Kommission im Rahmen des Stabilisatorenkonzepts ursprünglich eine Getreidegarantieschwelle von 155 Millionen Tonnen durchsetzen wollte. Wir haben sie durch viele Verhandlungen und auch durch Verhandlungsdruck auf 160 Millionen Tonnen festgesetzt. Nur deswegen konnte man z. B. in diesem Jahr wenigstens für das kommende Jahr die Zusatz-Mitverantwortungsabgabe aussetzen. Auch Stützpreissenkungen bis zu 10 % haben wir damals verhindert. Man muß sich also schon an das Ganze erinnern, wenn man die Details von heute kritisiert.
    Wir setzen nach wie vor wie auch bei Milch ebenso bei Getreide auf ein Konzept der direkten Mengenbegrenzung, sozusagen an der Quelle. Von Ihnen weiß ich, insbesondere von Ihnen, meine Herren von der SPD, Sie plädieren dagegen für mehr Markt. Mehr Markt heißt doch im Klartext mehr Preisdruck. Damit sitzt man halt mit der EG-Kommission in einem Boot, und man sollte das dann auch den Bauern so sagen und ihnen nicht über diese Marktphilosophie Sand in die Augen streuen.
    Natürlich sagen Sie, bei mehr Markt müsse man dann mit direkten Einkommensbeihilfen negative Folgen auffangen. Wie aber solche Beihilfen aussehen, wie man sie verteilen soll und wie man sie überhaupt finanzieren soll, dazu schweigt man sich dann aus. Ich meine, es ist schon ein Luxus, Politik mit der Summe von Wunschbildern gleichzusetzen; eine agrarpolitische Konzeption ist das jedenfalls nicht.
    Ich möchte offen bekennen, es ist ein hartes Geschäft, eine Korrektur dieser Agrarpolitik zu erreichen, und zwar so, daß diese Korrektur nicht nur auf dem Rücken der Bauern ausgetragen wird. Wenn es stimmt, daß uns die Sorge um die Landwirtschaft eine gemeinsame Sorge ist, dann würde ich mir manchmal wünschen, daß sich diese Gemeinsamkeit auch im Lastentragen, zumindest ein wenig, ausdrückt.
    Oder umgekehrt: Wenn ich lese, daß der Obmann der SPD-Bundestagsfraktion im Wirtschaftsausschuß am 19. September erklärt hat: die amerikanische Forderung nach völliger Liberalisierung der Weltagrarmärkte mag zwar übertrieben sein, zielt aber in die richtige Richtung, oder: für uns ist es auf alle Fälle unakzeptabel, daß die GATT-Verhandlungen, von deren erfolgreichen Abschluß die deutsche Wirtschaft profitiert, an den Agrarfragen scheitert, dann heißt das doch im Klartext, daß Sie uns selbst in dieser Frage in den Rücken fallen, wenn auch auf einer anderen Ebene.

    (Walther [SPD]: Dann distanziere ich mich jetzt davon!)

    Also bitte, entweder gehen wir miteinander real um und führen eine einfache, klare Sprache, oder wir polemisieren gegeneinander. Ich will das aber umgekehrt versuchen.
    Es gehört auch zu einer soliden Konzeption, daß es eben bei uns d i e Landwirtschaft gar nicht gibt. Es gibt kleine und es gibt größere Betriebe; es gibt Betriebe, die gut über die Runden kommen, und es gibt Betriebe, die in ihrer Existenz gefährdet sind, und nicht immer hat das nur mit Größe zu tun. Entsprechend differenziert muß eine Agrarkonzeption für unsere Landwirtschaft sein.
    Ich sehe kein Industrieland auf der ganzen Welt, in dem der Agrarsektor etwa ohne staatliche Stützung auskommt. Deswegen brauchen auch unsere Bauern die Unterstützung des Staates. Falsch wäre es aber, unseren Bauern einzureden, der Staat könne sozusagen von oben herab jedem Betrieb seine Marktanteile und damit ein ausreichendes Einkommen aus der Nahrungsmittelproduktion sichern. Hier ist auch Eigeninitiative gefragt.
    Eine wichtige Aufgabe der Politik ist es, den Bauern Einkommens- und Erwerbsalternativen aufzuzeigen. Eine solche Alternative — ob Sie es nun verstehen, Frau Flinner, oder nicht, ist ziemlich unbedeutend — ist der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen für industrielle Zwecke.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Damit diese Möglichkeiten morgen zum Tragen kommen können, müssen wir heute auch die Pilotprojekte haben, und zwar auch solche wie die Ethanolproduktion z. B. in Ahausen-Eversen und Groß-Munzel. Sie etwas zu konzentrieren kann ja kein Fehler sein. Nur so können wir überhaupt irgendwann einmal klären, und zwar auf Grund von Erfahrungen, inwieweit dieser Weg gangbar ist und wie viele Landwirte ihn gehen können.
    Man sollte nicht, wie Sie es von der Opposition leider tun, von vornherein unterstellen, daß der Weg der Produktions- und Verwendungsalternativen in der Landwirtschaft weniger oder gar nichts bringt. Wenn wir auch auf diesem Gebiet die Hände in den Schoß legen und einfach warten, wie sich alles entwickelt, dann verhalten wir uns auf jeden Fall falsch. Nichts tun löst halt gar keine Probleme, auch keine agrarpolitischen, so wenig wie blinder Aktionismus.
    Ich kann deswegen auch Klagen über eine vermeintlich niedrige Steigerungsrate des Einzelplans 10 nicht ernst nehmen. Über die Steigerungsraten im Durchschnitt mehrerer Jahre hat Herr Kollege Schmitz ja gesprochen. Wir haben im laufenden Jahr wichtige neue Maßnahmen auf den Weg gebracht: Produktionsaufgaberente, Flächenstillegung, Extensivierung, Einkommensausgleich mit 700 Millionen DM, die benachteiligten Gebiete wurden noch einmal um 300 000 Hektar erweitert. Übrigens hat es da, als ich mein Amt antrat, 100 Millionen DM gegeben, und heute sind es 725 Millionen DM; auch das muß man um der Wahrheit willen sagen. Im Durchschnitt macht das für jeden berechtigten Betrieb heute schon 3 000 DM aus.
    Zu einer soliden Agrarpolitik gehört es, neue Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit erst einmal zu überprüfen, bevor man über weitere entscheidet. Es gibt bei der Lösung der Einkommensprobleme eigentlich nur zwei Alternativen: entweder noch mehr Staat — das bedeutet mehr Reglementierung durch Gesetze, Verordnungen und Auflagen — oder eine stärkere Besinnung der Landwirte auf die eigenen Fähigkeiten und die wirtschaftlichen Möglichkeiten.



    Bundesminister Kiechle
    Wir lehnen es aber ab, unseren Bauern ihre Einkommen sozusagen von Staats wegen zuzuteilen. Wir möchten ja eine Vielzahl selbständiger bäuerlicher Betriebe, die auch in der Lage sind, ihre vielfältigen Aufgaben für die Bevölkerung zu erfüllen. Mit dem Miteinander von Voll-, Zu- und Nebenerwerbsbetrieben sehen wir als Regierung immer noch die beste Garantie für eine sichere, qualitativ hochwertige Ernährung unserer Bevölkerung und für die Erhaltung unserer attraktiven, über Jahrhunderte von Menschenhand geschaffenen Kulturlandschaft.
    Für ein leistungsfähiges Miteinander — ich sage ausdrücklich: Miteinander — selbständiger Betriebsformen wird sich die Bundesregierung weiterhin mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten einsetzen. Die Vergangenheit, meine Damen und Herren, hat gezeigt, daß sich der Erfolg nicht überall schnell einstellt. Wer in der Politik dicke Bretter bohren muß, braucht Zeit, und er braucht auch Geduld. Wer nur dünne Bretter bohrt, hat vielleicht manchmal schneller einen angeblichen Erfolg, diese Bretter tragen aber nicht, wenn es darauf ankommt.
    Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen des Parlaments und des Haushaltsausschusses, die trotz zuweilen unterschiedlicher Standpunkte zum guten Gelingen der Beratungen über den Einzelplan 10 beigetragen haben, herzlich danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Koltzsch.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Rolf Koltzsch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Kiechle, ich bitte sehr um Nachsicht. Ich bin erst seit dieser Legislaturperiode im Deutschen Bundestag und gehöre seitdem dem Landwirtschaftsausschuß an. Ich habe Ihre Ausführungen sehr aufmerksam verfolgt. Ich muß sagen, ich schätze Frau Flinner sehr aufrichtig. Ich halte es für etwas ungehörig, daß Sie sich hier herstellen und sagen: Es lohnt nicht, auf die alten Platten einzugehen, die Frau Flinner immer wieder einspielt.

    (Eigen [CDU/CSU]: Da hat Kiechle aber recht! — Zuruf von der FDP: Aber wenn's stimmt!)

    Selbst, meine Herren von der Regierungskoalition, wenn Sie das so sehen, Herr Minister, dann bitte ich Sie, Ihre Platten, die Sie hier abspielen, auch einmal zu überprüfen, ob da nicht auch immer wieder die gleichen Melodien zum Vorschein kommen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Aber nun zur Debatte. Zum Agrarhaushalt bietet sich nun die Gelegenheit, eine Bilanz der Agrarpolitik insgesamt zu ziehen, denn auch im nächsten Jahr wird, wie wir es heute schon gehört haben, wieder viel Geld für die deutsche Landwirtschaft ausgegeben: fast 10 Milliarden DM. Wir reden hier schließlich nur über den Bundeshaushalt, nicht über die Haushalte der Länder und der Europäischen Gemeinschaft. Von daher, Herr Minister, werfen wir der Bundesregierung nicht vor, daß sie insgesamt zu wenig staatliche Mittel aufwendet. Die Frage ist nur, wofür und für wen diese Mittel verwandt werden.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Jawohl! — Zuruf von der CDU/CSU: Für die Bauern!)

    Der Agrarhaushalt müßte doch eine konzeptionelle Antwort auf die tiefe Krise enthalten, in der sich nach unserem Dafürhalten die deutsche Landwirtschaft seit Jahren befindet.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: So ist es! Jawohl!)

    Er müßte eine Antwort auf die beiden großen Herausforderungen in diesem Bereich geben: das Hineinwachsen in den europäischen Binnenmarkt und die Notwendigkeit einer ökologischen Neuorientierung der Landbewirtschaftung insgesamt.
    Ich muß jedoch feststellen, daß dieser Einzelplan 10 wieder ein Haushalt ist, der ein klares Wort nicht aufzeigt.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: Jawohl!)

    Ich werde das an Hand einiger weniger Beispiele zu belegen versuchen.

    (Zuruf des Abg. Bredehorn [FDP])

    — Warten wir das einmal ab, Herr Bredehorn.
    Der Vorwurf der Konzeptionslosigkeit gilt nach meinem Dafürhalten vor allem für die Sozialpolitik, mit 5,4 Milliarden DM der größte Ausgabenposten des Haushaltes.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So sozial sind wir!)

    Wir Sozialdemokraten haben die landwirtschaftliche Sozialpolitik mit aufgebaut. Ihre verschiedenen Bereiche tragen im wesentlichen unsere Handschrift. Nur, meine Damen und Herren, soziale Sicherungssysteme müssen weiterentwickelt und den Erfordernissen der Zeit angepaßt werden. Uns allen ist bekannt, daß bei der agrarsozialen Sicherung, vor allem bei der Altershilfe, die Probleme seit Jahren ständig zunehmen. Der Referentenentwurf eines 4. agrarsozialen Ergänzungsgesetzes ist bereits wieder an regierungsinternen Streitereien, meinen wir, gescheitert, obwohl das doch nur ein kleiner, ein erster Schritt hin zur Gesamtreform sein sollte.
    Ich möchte hier für meine Fraktion ein paar Notwendigkeiten in diesem Bereich nennen dürfen.
    Erstens. Es muß das tatsächliche Gesamteinkommen der landwirtschaftlichen Familie bei der Bemessung linearer Beitragszuschüsse in der Altershilfe bzw. linearer Beiträge in der landwirtschaftlichen Krankenkasse zugrunde gelegt werden.

    (Sehr richtig! bei der SPD)

    Zweitens. Es muß der Versichertenkreis neu geregelt werden, um zu verhindern, daß sich hier gutverdienende selbständige Landwirte zu geringen Beiträgen versichern können.
    Drittens. Die soziale Sicherung der Landfrauen ist nach unserem Dafürhalten zu verbessern.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)




    Koltzsch
    Viertens. Eine Strukturreform der landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträger ist längst notwendig.

    (Beifall bei der SPD)

    Die Bundesregierung hat jedoch offenbar nicht mehr die Kraft, diese Reform in dieser Legislaturperiode voranzubringen. Sie nimmt sie nicht in Angriff.

    (Zuruf von der SPD: Sie hat versagt!)

    Fazit, meine Damen und Herren: Der landwirtschaftliche Sozialetat wird den Notwendigkeiten nicht gerecht und hält Gerechtigkeit nicht für notwendig.

    (Frau Flinner [GRÜNE]: So ist es!)

    Vor einem knappen Jahr haben wir hier in diesem Hohen Haus die landwirtschaftliche Vorruhestandsregelung beraten. Damals haben wir Sozialdemokraten eindringlich vor einer restriktiven Gestaltung der Produktionsaufgaberente gewarnt, leider, wie wir heute feststellen müssen, ohne Erfolg. Inzwischen zeichnet sich ab, daß wir zu Recht gegen engherzige Regelungen eingetreten sind.

    (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Richtig!)

    Die Vorruhestandsregelung droht zu einem totalen Mißerfolg zu werden.

    (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Das ist sie ja schon!)

    Letztes Jahr hat die Bundesregierung 9 600 Antragsteller für 1989 erwartet. Bis zum Stichtag 30. September haben aber ganze 3 400 Landwirte einen Antrag gestellt. Davon wurden bis jetzt nur 840 bewilligt.
    Das, meine Damen und Herren, belegt, daß dieses Gesetz die vorgesehene Abfederungsfunktion so, wie es gestaltet ist, nicht leisten kann.

    (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Richtig!)

    Daher haben Sie auch die Mittelansätze für 1990 gegenüber der ursprünglichen Planung reduziert. Das zeigt deutlich, daß Ihre Entscheidung falsch war.

    (Müller [Schweinfurt] [SPD]: Ganz falsch! — Oostergetelo [SPD]: Kurpfuscher!)

    Dieses Ergebnis ist das Eingeständnis eines Fehlschlags.

    (Eigen [CDU/CSU]: Die Entscheidung war vorsichtig, nicht falsch!)

    — Gut.
    Wir sollten daher umgehend prüfen, welche der untauglichen Regelungen in der Vorruhestandsregelung geändert werden müssen. Ganz dringend erscheint uns, daß die Altersgrenze von 58 auf 55 Jahre herabgesetzt werden muß. Damit kann erreicht werden, daß ältere Landwirte ohne Hofnachfolger bereits mit 55 statt mit 58 Jahren die Bewirtschaftung ihres Hofes aufgeben können. Häufig stellt für diese Gruppe von Landwirten die Bewirtschaftung nur noch eine Quälerei ohne Perspektive dar, die sie nur durchhalten, weil sie bei einer frühzeitigen Aufgabe bisher nicht sozial abgesichert sind.
    Mit den dadurch freiwerdenden Produktionskapazitäten sollten vorrangig jungen Landwirten die
    Chance geboten werden, sich in der stärker werdenden Konkurrenz des EG-Binnenmarkts erfolgreich behaupten zu können.
    Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in Brüssel EG-Einkommenshilfen mitbeschlossen. Aber in diesem Haushalt sind dafür keine Ansätze gebildet worden. Daß das kein Versehen war, zeigt die Antwort von Herrn Gallus auf wiederholte Nachfragen meines Kollegen Herrn Oostergetelo. Die Bundesregierung will diese Hilfen überhaupt nicht einführen.
    Aufrichtigkeit wäre hier am Platze. Wenn die Bundesregierung das Problem auf die Länder abwälzen will und diese — wie ich meine: zu Recht — auf die Zuständigkeit des Bundes verweisen, nutzt das den betroffenen Landwirten überhaupt nichts, die auf die Hilfe angewiesen sind. Aus ideologischen Gründen verweigern Sie Hilfen, die z. B. viele Marktfruchtbaubetriebe in der schweren Phase der Marktanpassung benötigen.
    Die Koalitionsfraktionen haben klare Aussagen im Ausschuß dazu gemacht. Ich appelliere hier an Sie: Wirken Sie auf die Bundesregierung ein, damit diese ihre ablehnende Haltung zu den Einkommensbeihilfen ändert.
    Der Deutsche Bauernverand hat erst kürzlich festgestellt, daß bei fast einem Fünftel der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe das Einkommen unter der Sozialhilfegrenze liegt. Hier wären die Einkommensbeihilfen sicherlich sehr willkommen.
    Die Bundesregierung führt jedoch offensichtlich lieber fruchtlose Schaukämpfe gegen die EG-Kommission, anstatt wenigstens die Auswirkung der eingeleiteten Reform der gemeinsamen Agrarpolitik zu mildern.
    Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zum Praktikantenaustausch mit Osteuropa sagen.