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ID1117705300

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    Vokabeln: 11
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    Plenarprotokoll 11/177 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 177. Sitzung Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 13479 A Nachträgliche Überweisung eines Antrages — Drucksache 11/5692 — an den Haushaltsausschuß 13479 B Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Straßenverkehrsunfälle (Straßenverkehrsunfallstatistikgesetz) (Drucksache 11/5464) . . 13479A Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksachen 11/5000, 11/5321, 11/5389) Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes Dr. Vogel SPD 13479 D Dr. Bötsch CDU/CSU 13488 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 13492 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 13496 A Dr. Kohl, Bundeskanzler 13502 D Voigt (Frankfurt) SPD 13514 B Bohl CDU/CSU 13516A Frau Eid GRÜNE 13518 C Genscher, Bundesminister AA 13520 B Dr. Meisner, Senator des Landes Berlin . 13523 C Wüppesahl fraktionslos 13525 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 13527 A Roth SPD 13527 D Austermann CDU/CSU 13529 C Jungmann (Wittmoldt) SPD 13532 A Namentliche Abstimmung 13533 D Ergebnis 13536 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen Hiller (Lübeck) SPD 13534 A Dr. Neuling CDU/CSU 13538 A Frau Frieß GRÜNE 13541 D Hoppe FDP 13544 A Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 13545 D Frau Terborg SPD 13548 D Lintner CDU/CSU 13550 D Heimann SPD 13552 C Weisskirchen (Wiesloch) SPD 13553 B Stratmann GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 13555 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts Waltemathe SPD 13555 C Dr. Rose CDU/CSU 13557 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 13561 B Hoppe FDP 13563 A Stobbe SPD 13564 A II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 Frau Beer GRÜNE 13567 D Genscher, Bundesminister AA 13568 C Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Diller SPD 13572 C Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 13574 B Frau Flinner GRÜNE 13576 C Bredehorn FDP 13578 C Kiechle, Bundesminister BML 13579 C Koltzsch SPD 13582 B Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation Frau Faße SPD 13584 B Bohlsen CDU/CSU 13587 D Hoss GRÜNE 13589 C Funke FDP 13590 D Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMPT 13591 D Nächste Sitzung 13594 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13595* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 13479 177. Sitzung Bonn, den 28. November 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 01. 12. 89 * Amling SPD 28.11.89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 01. 12. 89 Frau Dempwolf CDU/CSU 01. 12. 89 Dr. Dollinger CDU/CSU 01. 12. 89 Engelsberger CDU/CSU 29.11.89 Graf SPD 28.11.89 Dr. Haack SPD 01. 12. 89 Frhr. Heereman von CDU/CSU 28. 11. 89 Zuydtwyck Dr. Hennig CDU/CSU 29. 11. 89 Frau Hensel GRÜNE 28. 11. 89 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 28. 11. 89 Höffkes CDU/CSU 01. 12.89 Hörster CDU/CSU 28. 11.89 Kißlinger SPD 01. 12.89 Klein (Dieburg) SPD 01. 12. 89 Dr. Klejdzinski SPD 28. 11. 89* Linsmeier CDU/CSU 01. 12.89 Frau Luuk SPD 01. 12. 89 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Lüder FDP 28.11.89 Meneses Vogl GRÜNE 01. 12. 89 Mischnick FDP 28.11.89 Niegel CDU/CSU 01. 12. 89 * Poß SPD 28. 11.89 Rappe (Hildesheim) SPD 28. 11. 89 Frau Rock GRÜNE 01. 12. 89 Frau Schilling GRÜNE 28. 11. 89 Frau Schoppe GRÜNE 28. 11. 89 Schreiber CDU/CSU 30. 11.89 Schröer (Mülheim) SPD 01. 12. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 01. 12. 89 Singer SPD 28. 11.89 Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 28. 11. 89 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 28. 11. 89 Tietjen SPD 01. 12.89 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 28. 11. 89 Verheugen SPD 30. 11.89 Vosen SPD 28. 11.89 Dr. Warnke CDU/CSU 28. 11. 89 Werner (Ulm) CDU/CSU 28. 11. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 01. 12. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Dr. Christian Neuling


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

    (Lintner [CDU/CSU]: Wo ist denn der Berliner Senat? Da hören sie schon nicht mehr zu!)

    Angesichts der dramatischen, überaus erfreulichen Ereignisse im anderen Teil Deutschlands steht die Beratung über diesen Etat heute im Vordergrund. Deshalb ist sie auch an dieser Stelle angesiedelt worden. Ich meine auch, daß der Bundeskanzler heute in einer historischen Phase eine historische, weil zukunftsweisende Rede gehalten hat. Sie war konkret und visionär zugleich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Interessant war in diesem Zusammenhang die Reaktion der Opposition: erst mit Skepsis erwartet, dann Beifall, dann Entsetzen über den eigenen Beifall, danach Nachdenken, wie man das Entsetzen über den eigenen Beifall wieder korrigieren kann,

    (Widerspruch bei der SPD — Lintner [CDU/CSU]: Und dann der Herr Hiller!)

    und flugs wurde dann die „Bewegung des Bundeskanzlers hin zur Opposition" entdeckt. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wir werden Sie aus dieser Diskussion nicht entlassen. Ich habe keine Ambitionen, diese Diskussion heute vom Tisch zu nehmen, Herr Kollege Heimann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Die Wadenbeißer kommen jetzt!)

    — Herr Jungmann, beim Wadenbeißen machen wir uns beide nichts vor. Sie sind genauso gut, wie ich bin. Nur, der Tag des Wadenbeißers ist nicht angesagt, sondern angesagt ist die historische Glaubwürdigkeit. Da haben Sie abzuarbeiten, und daran wollen wir Sie auch messen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Aber Sie auch! — Kuhlwein [SPD]: Die Wendehälse sind auf Ihrer Seite!)

    Als Berliner möchte ich eingangs der Diskussion — vielleicht dient das zur Beruhigung der Opposition — einige persönliche Anmerkungen machen, die für mich schon wichtig sind, weil sie in die jetzige Phase gehören. Auf der einen Seite gehöre ich einer Generation an, die als Nachkriegsgeneration sehr stark von den Ereignissen um die Luftbrücke geprägt ist. Ich gehöre zu denen, die sich noch gut an die sogenannten Rosinenbomber erinnern können. Ich gehöre zu der Generation, die auch den 17. Juni 1953, unbewußt zwar, aber sicherlich prägend erlebt hat. Ich gehöre einer Generation an, die den 13. August 1961 in Berlin erlebt hat. Ich sehe uns noch, diese Generation, vor dem Brandenburger Tor stehend, konsterniert, wütend und hilflos zugleich. Ich sehe uns zum Checkpoint Charlie gehen, dort, wo die amerikanischen Panzer standen, und ich höre noch, wie wir dort den Amerikanern zuriefen: Warum fahrt ihr denn nicht mit euren Panzern über diese Stacheldrahtzäune, warum walzt ihr denn nicht diese neue innerstädtische Grenze nieder? Diese Bilder gingen um die Welt, und sie werden uns alle daran erinnern.
    Heute weiß man, was wir damals noch nicht wußten, daß die Teilung vorher politisch entschieden war und daß wir keinen Einfluß nehmen konnten. Wir konnten damals nicht begreifen, warum die Teilung nicht verhindert worden ist. Wenn man dies erlebt hat, nur dann wird klar, welch unbeschreibliches Gefühl für uns Berliner es war, auf dieser Mauer zu stehen, nicht davor, sondern auf dieser Mauer. Ich habe nie gewußt, daß die Mauer an dieser Stelle vier Meter breit war. Ich habe es im nachhinein eigentlich als Glücksumstand empfunden, denn wir konnten, auf dieser Mauer stehend, in den anderen Teil unserer Heimatstadt sehen. Diese Erlebnisse muß man auch in einer solchen Stunde schildern, um zu begreifen, was für den einzelnen und für viele Menschen in der Stadt geschehen ist.
    Auf der anderen Seite — auch das muß an dieser Stelle gesagt sein — haben wir natürlich in diesem Moment der Freude auch an die entsetzlichen Tragödien an der Mauer denken müssen. Wir müssen heute, gerade in dieser Phase, der Opfer gedenken, die an der Mauer zu beklagen waren. Ich erinnere an einen neuen Übergang in Wedding an der Eberswalder Straße. Nicht weit davon steht ein Gedenkstein für neun Opfer dieser Mauer. Der letzte Unbekannte starb am 1. Dezember 1984, vor knapp fünf Jahren. Wer konnte jemals ahnen, daß das alles so schnell geht? Trotzdem waren diese Opfer nicht umsonst. Sie haben vielleicht mit dazu beigetragen, Bewußtsein zu schärfen und zu entwickeln. Aber auch das Gedenken an die Opfer gehört zu diesem Tag, an dem wir alle in die Zukunft schauen.
    Ich denke in dieser Phase auch an die spontanen Gesten der Zusammengehörigkeit, die sich in den letzten Wochen an den Grenzübergängen, insbesondere in Berlin, ergeben haben. Für diese spontanen Gesten der Zusammengehörigkeit sollten wir heute allen Deutschen in Ost und West danken.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich bin davon überzeugt, daß das Zusammengehörigkeitsgefühl, das in diesen Tagen und Wochen aufgebrochen ist, sicherlich einmal in einer historischen Betrachtung im Nachhinein so gesehen wird, daß damit eine entscheidende Weichenstellung für ein Zusammenwachsen der geteilten Nation geleistet worden ist. Und ich rufe uns heute zu — bei aller politischen Diskussion, die wir auch in den kommenden Wochen haben werden — : Bewahren, pflegen und vertiefen wir deshalb auch in Zukunft dieses Zusammengehörigkeitsgefühl! Es wird für die Zukunft unserer Nation, dieser geteilten Nation, die zusammenwachsen soll, ganz wichtig werden.
    Einen letzten Dank möchte ich all denjenigen abstatten, die in Ungarn und Polen mit dazu beigetragen haben, daß diese Entwicklung überhaupt möglich wurde. Sie haben den sogenannten Eisernen Vorhang von innen, d. h. von Osten aus, aufgebrochen und geöffnet. Heute schulden wir ihnen Dank für ihren politischen Mut und ihre Hilfsbereitschaft in diesen Tagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)




    Dr. Neuling
    Ich möchte auch auf die Diskussion des heutigen Tages, auf das Zugehen, wie die SPD es sagte, des Bundeskanzlers auf ihre Position eingehen und Ihnen von der Opposition ganz nüchtern sagen — bei allen persönlichen Erinnerungen, die an diesem Tage auch aufbrechen mögen — : Wir hatten einen überflüssigen innenpolitischen Streit; das ist richtig. Der innenpolitische Streit wurde aber letztendlich durch einen permanenten Schlingerkurs der SPD in der Deutschlandpolitik ausgelöst.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Dies müssen Sie an diesem Tage auch zur Kenntnis nehmen. Es reicht nicht aus, zu sagen: Einigkeit, Gemeinsamkeit. Es muß eben zu der oberflächlichen Bejahung dieser Gemeinsamkeit auch das Inhaltliche dazukommen,

    (Beifall der Abg. Frau Würfel [FDP])

    das inhaltliche Bejahen des Kurses, den wir verfolgen.

    (Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Und da gibt es doch keinen Zweifel, wenn man sich einmal die Entwicklung in diesen Tagen und Wochen ansieht, die Äußerungen, die aus der SPD kamen. Da wird Ihnen nicht erspart bleiben können, daß es natürlich die Diskussion um die Geraer Forderungen, um die Tatsache gibt, daß Sie gefordert haben — oder uns zumindest einmal nahelegen wollten — , die Staatsbürgerschaft der DDR als solche anzuerkennen. Wie ständen wir denn heute angesichts der Übersiedler, angesichts der Landsleute aus der DDR eigentlich da? Wie hätten wir sie denn empfangen sollen? Als Asylanten, als Ausländer? Das wäre eine zutiefst unmenschliche, inhumane Situation gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Und das wäre so gekommen, wenn wir Ihren Forderungen gefolgt wären.


Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Abgeordneter Neuling, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmude?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Christian Neuling


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Nein, im Moment nicht. Ich möchte das im Zusammenhang vortragen. Tut mir leid, Herr Kollege Schmude.
    Eine weitere historische Fehlleistung — auch damit werden Sie sich in der Diskussion abfinden müssen — ist das SED/SPD-Papier, von der SPD damals als die deutschlandpolitische Initiative gefeiert.

    (Hiller [Lübeck] [SPD]: Und heute von den Oppositionsgruppen gefeiert!)

    In diesem SED/SPD-Papier heißt es u. a.: „Beide nehmen für sich in Anspruch, ... Demokratie und Menschenrechte zu verwirklichen. "

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Wie bitte?)

    Welch ein Hohn für die Angehörigen der Opfer der Mauer, welch ein Hohn für die Häftlinge in Bautzen, welch ein Hohn für die Ausreisewilligen, die erhebliche Nachteile in ihrem persönlichen Umfeld erleiden mußten! Und in dem vergeblichen Versuch, die erfolgreiche Deutschlandpolitik von Bundeskanzler Helmut Kohl zu unterlaufen — sich jetzt zu ihr zu
    bekennen, dazu gehört mehr als nur das blanke Bejahen durch den Kollegen Voigt heute —, haben Sie sich damals nicht gescheut, einen Pakt mit dieser — ich nenne es bewußt so — Mauer-Partei zu schließen. Und wenn Sie mit Ihrer Zustimmung zu den zehn Punkten des Bundeskanzlers heute wirklich hätten glaubwürdig handeln wollen, dann hätten Sie sich heute in aller Öffentlichkeit von diesem Papier distanziert. Sie haben es nicht getan.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau MatthäusMaier [SPD]: Warum ärgern Sie sich, daß wir zustimmen?)

    — Ich ärgere mich nicht über die Zustimmung, Frau Kollegin Matthäus-Maier,

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Doch, offensichtlich!)

    sondern Sie werden gesehen haben, daß es mir um mehr geht als um blanke Zustimmung. Es geht um inhaltliches Tragen einer Politik.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Das, was Sie gemacht haben — und daran messen wir Ihre Glaubwürdigkeit — , ist nichts anderes, als zu erklären: Die zehn Punkte entsprachen schon immer unserer Vorstellung. Und wenn man diese Ihre Äußerung mit dem vergleicht, was Sie in den letzten Wochen produziert haben, dann sind Sie unglaubwürdig und nicht wir!

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Die nächste Kursänderung kam dann, von Willy Brandt vorsichtig eingeläutet, in seiner — das muß man durchaus zugestehen — guten Rede am 16. November, in der er formulierte — ich sage einmal: fast schon CDU/CSU-Positionen — : „Die Einheit wächst von den Menschen her, auf eine Weise, die so kaum jemand vorausgesehen hat." Ich sage: Richtig, Herr Kollege Brandt. Dieses Zusammenwachsen zwischen den Menschen nicht nur von außen besorgt zu betrachten — das ist Ihre Position —, sondern zu fördern, ist ein gemeinsamer Auftrag für uns alle, auch gerade für Sie. Wir werden Sie daran messen, inwieweit Sie mit diesem Auftrag, eine Einheit der Nation aktiv mitzugestalten, wirklich zurechtkommen werden. Es geht, wie gesagt, nicht um die blanke Bekundung zu zehn Punkten, sondern es geht darum, ob sie inhaltlich mitgetragen werden. Das wird die zukünftige Auseinandersetzung zeigen. Ich sage Ihnen noch einmal: Nur wer Anspruch erhebt, glaubwürdig in die Zukunft weisen zu können, muß sich auch heute seiner eigenen Vergangenheit stellen. In Kürze zeige ich Ihnen das noch einmal.
    Ich erinnere an einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und DP betreffend gesamtdeutsche Wahlen. Er trägt das Datum vom 6. Februar 1952. Er ist von 011enhauer und Fraktion unterzeichnet worden; er wurde damals von allen Fraktionen getragen. Dann kam der erste Schwenk der SPD. Ich habe es aufgeführt: die Geraer Forderungen, die angebliche Lebenslüge der Wiedervereinigung, so Willy Brandt, und das peinliche SPD/SED-Papier. Heute kommt der zweite Schwenk. Nun heißt es plötzlich wieder: Auch wir stehen zu den zehn Punkten des Bundeskanzlers.



    Dr. Neuling
    Die Diskussion über Voraussetzungen und Vorbedingungen ist doch höchst vordergründig, Herr Kollege Stobbe. Der Bundeskanzler und die Fraktion haben immer klar gesagt: Hilfe für die Menschen muß sofort erfolgen. Weitergehende Hilfen können im Grunde genommen nur dann gewährt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen, was die Reformbemühungen in der DDR angeht, erfüllt werden. Zu den Voraussetzungen gehören damals wie heute unumkehrbare Prozesse in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Das hat überhaupt nichts mit Vorbedingungen zu tun. Diese Bundesregierung hat nie Vorbedingungen gestellt, wenn es darum ging, den Menschen zu helfen. Im Gegenteil, wir haben den Menschen schon geholfen, bevor Sie überhaupt mit einer solchen Diskussion begonnen haben.
    Ich sage Ihnen noch eines: Wir hatten eine Diskussion über Wendehälse in der Politik; das ist ja ein interessanter Begriff. Gemeint sind damit eigentlich die eifrigen Wender von der SED. Ich sage Ihnen auch: Wendehälse mögen die SPD-Kollegen in den vergangenen Jahren vielleicht nicht gewesen sein, aber unberechenbare Wackelhälse in der Deutschlandpolitik waren und sind sie immer noch.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Der Bundeskanzler hat heute als erster ein ausführliches Konzept für ein mögliches Zusammenwachsen der beiden Staaten in Deutschland vorgelegt, eingebettet in einen Prozeß für eine neue europäische Friedensordnung. Damit hat sich gezeigt, daß sorgfältiges Sondieren vor Entscheidungen verantwortungsbewußter ist als manch gutgemeinter Ratschlag, der oftmals eher einem blinden Aktionismus in Einzelfragen gleichkommt. Falsch in diesem Zusammenhang ist der ständige Vorwurf der SPD über angebliche Vorbedingungen, die von der Bundesregierung der DDRFührung gegenüber nie gestellt worden sind.

    (Dr. Kübler [SPD]: Das sagt doch selbst die FDP!)

    — Sie werden mit der Diskussion nicht durchkommen.
    Wir haben folgendes hierzu grundsätzlich festzuhalten:
    Erstens. Der Sozialismus hat abgewirtschaftet ohne Wenn und Aber.
    Zweitens. Im Interesse unserer Landsleute in der DDR müssen wir unseren Beitrag leisten, damit der Reformdruck nicht von der SED genommen wird. Eine künstliche Stabilisierung im jetzigen Übergangsstadium könnte sich verheerend auf die weiteren Reformschritte auswirken und würde auch von den Menschen in der DDR nicht verstanden werden.
    Drittens. Es wäre unverantwortlich, bereits heute für Wirtschaftshilfen feste Zusagen in Milliardenhöhe zu geben, da noch keine einzige konkrete Maßnahme beschlossen, geschweige denn umgesetzt worden ist, um das bankrotte sozialistische Wirtschaftssystem von Grund auf zu ändern.

    (Dr. Kübler [SPD]: Also doch Vorbedingungen!)

    — Das sind eben keine Vorbedingungen. Wir hatten
    vielmehr das Glück, keine SPD-Planwirtschaft, sondern die von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard beschlossene Soziale Marktwirtschaft zu bekommen. Wir wollen, daß die Erfahrungen mit der Sozialen Marktwirtschaft Eingang in die Wirtschaftsreformen finden. Wenn Sie einmal mit den Menschen reden, dann werden sie Ihnen folgendes sagen: Wie konntet ihr mit euren Zahlungen in den vergangenen Jahren letztendlich die Privilegien der SED-Bonzen finanzieren? Anders ausgedrückt, wie die Berliner es sagen: Transitpauschale und Zwangsumtausch finanzierten das Luxusleben in dem Ost-Berliner Prominenten-Getto Wandlitz. Das denkt der normale DDR-Bürger.

    (Büchler [Hof] [SPD]: Deswegen haben Sie sie um 60 % erhöht! Ohne Bindung! — Kuhwein [SPD]: Wer hat denn die Milliarden rübergeschafft? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Er hat auch Verständnis dafür, daß diesem System im Kern nur dann geholfen werden kann, wenn es den Menschen nutzt. Den Menschen wird es nur dann nutzen, wenn Reformen grundlegender Art eingeleitet werden. Das ist die Reihenfolge.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Nun konkret zum Haushalt des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen. Die SPD war sicherlich so weise, daß sie selbstverständlich schon bei der Beratung über den Etat im Mai, Juni die Entwicklung in Deutschland vorausgesehen hat. Deswegen haben Sie heute darüber gemäkelt, daß die neuen Aufgaben nicht erfüllt würden. Das ist die Weisheit der SPD. Diese Weisheit haben Sie gepachtet. Sie ist zwar irreal, aber Sie träumen noch immer davon.
    Wir meinen, ausgehend von unserem Ziel der politischen Einheit — wir erwarten, daß Sie unsere Politik aktiv unterstützen; einzig und allein daran werden Sie gemessen — , daß im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen drei neue Schwerpunkte zu erwägen sind. Erstens. Die Zonenrandförderung müßte zu einer innerdeutschen Regionalförderung auf beiden Seiten der noch bestehenden innerdeutschen Grenze erweitert werden. Die jetzt noch auf beiden Seiten benachteiligten Grenzregionen, die in der Vergangenheit oft eine Einheit gebildet haben, können so wieder zu Wirtschafts- und Kulturregionen zusammenwachsen.
    Zweitens. Die Förderung von Reisen nach Berlin und in das Zonenrandgebiet sollte zu einem Förderungskonzept für innerdeutsche Reisen mit dem Schwerpunkt z. B. bei Schulklassen und Jugendlichen aus beiden Teilen Deutschlands fortentwickelt werden.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Zu diesem Konzept könnte auch eine Aktivierung der Städtepartnerschaften gehören.

    (Zuruf von der SPD: Na endlich!)

    Neben den eigentlichen Reisen sollten Investitionen für Jugendherbergen, preiswerte Hotels und Campingplätze in der DDR gefördert werden. Schwerpunkte könnten Mecklenburg, Thüringen und die Mark Brandenburg — ich benutze bewußt die drei alten Namen — mit den Einzugsgebieten Hamburg,



    Dr. Neuling
    Frankfurt/Main und Berlin sein. Bei einer schnellen Umsetzung eines derartigen Tourismuskonzepts könnten einmal westliche Devisen erwirtschaftet werden, die von der DDR so dringend benötigt werden. Zum anderen würde durch eine Vielzahl von Begegnungen das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt werden.
    Drittens. Die Mittel für den innerdeutschen Umweltschutz im Grenzbereich sollten aufgestockt werden. Durch derartige Umweltschutzprojekte profitieren die Menschen sofort in diesen neu entstehenden innerdeutschen Regionen.
    Zusammengefaßt heißt das für mich: Das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen bedarf keiner Umbenennung, sondern sollte zum Zentrum für eine innerdeutsche Offensive werden:

    (Büchler [Hof] [SPD]: Gut, sollte werden! — Kuhlwein [SPD]: Vorsichtig mit dem Begriff „Offensive" in dem Zusammenhang!)

    für ein Zusammenwachsen der grenznahen Wirtschafts- und Kulturregionen, für menschliche Begegnungen mit einem besonderen Schwerpunkt beim Jugendaustausch und für einen verstärkten grenzübergreifenden Umweltschutz.

    (Sehr gut! bei der SPD)

    Sie sagen: sollte werden. Ich sage noch einmal, Herr Kollege Büchler: Sie haben natürlich schon vor Monaten vorausahnen können, daß wir heute diese Debatte führen.

    (Büchler [Hof] [SPD]: Nein!)

    Wenn wir heute etwas vorschlagen, bedeutet das vor allem, daß wir uns nicht anmaßen, alles bis ins letzte Detail bereits durchdacht zu haben. Vielmehr stehen das innerdeutsche Ministerium wie überhaupt die gesamte Deutschlandpolitik vor entscheidenden Veränderungen. Diesen Veränderungen muß natürlich auch die Politik angepaßt werden. Ich bin gespannt, wie Sie sich in diesen Prozeß entsprechend einschalten werden.

    (Heistermann [SPD]: Auf Ihren Prozeß sind wir auch gespannt!)

    Noch ein abschließendes Wort. Der Kollege Meisner hat ja das Vergnügen gehabt, hier aufzutreten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist er denn?)

    — Ich nehme an, er ist inzwischen wieder nach Berlin gefahren. — Als Berliner kann man zunächst einmal folgendes nüchtern festhalten — auch daran wird die Glaubwürdigkeit der SPD gemessen, insbesondere der Berliner Bundestagsabgeordneten — : Die AL will die Zweistaatlichkeit Deutschlands und die Anerkennung von Ost-Berlin als Hauptstadt der DDR zur Grundlage ihrer Politik machen und den Status von Berlin (West) europäisieren,

    (Richtig! bei den GRÜNEN)

    was immer das in der Praxis auch heißen mag. Das wissen die Autoren des Papiers wahrscheinlich selber nicht.
    Die Forderungen der GRÜNEN — damit sind Sie ja gemeint — und der AL decken sich in der Sache mit den Positionen der SED. Hoffentlich haben Sie das bedacht. Schlimmer wäre nur noch die Forderung, den freien Teil Berlins gleich der DDR einzugliedern. Tatsache bleibt: Wer die Zweitstaatlichkeit fordert, will die Zweiteilung Berlins auf Dauer zementieren und untergräbt damit die Lebensfähigkeit Berlins.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU)

    Die AL verletzt mit dieser Position nicht nur die sogenannten Essentials der Koalitionsvereinbarung, sondern verstößt damit auch gegen die elementaren Lebensinteressen Berlins. Ich fordere den Regierenden Bürgermeister auf, die Koalition zu beenden, falls die AL nicht dazu bereit ist, ihre Position zurückzunehmen. Wenn sich die Berliner SPD noch einen Rest von politischer Glaubwürdigkeit erhalten will, ist das die einzige Konsequenz; sonst bleibt der berechtigte Vorwurf des nackten rot-roten Machterhaltungskartells in Berlin.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Das sind die Punkte, Herr Vorredner. Blankes Unterstützen der zehn Punkte wird nicht reichen. Aktiv an der Einheit mitzuarbeiten, heißt auch, aktiv an der Einheit Berlins mitzuarbeiten. Erst wenn Sie auch in Berlin die Konsequenzen ziehen, sind Sie glaubwürdig. Solange Sie diesen Schritt nicht tun, bleiben Sie unglaubwürdig.

    (Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Und das entscheiden Sie?)

    Abschließend sage ich — neben dem Petitum, dem Einzelplan 27 zuzustimmen — : Im Gegensatz zum Schlingerkurs der SPD — das müssen Sie sich in der Diskussion vorhalten lassen — war für uns der Kurs immer klar: ein Berlin, ein Deutschland und ein Europa.
    Schönen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)