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ID1117703600

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    Plenarprotokoll 11/177 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 177. Sitzung Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 13479 A Nachträgliche Überweisung eines Antrages — Drucksache 11/5692 — an den Haushaltsausschuß 13479 B Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Straßenverkehrsunfälle (Straßenverkehrsunfallstatistikgesetz) (Drucksache 11/5464) . . 13479A Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksachen 11/5000, 11/5321, 11/5389) Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes Dr. Vogel SPD 13479 D Dr. Bötsch CDU/CSU 13488 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 13492 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 13496 A Dr. Kohl, Bundeskanzler 13502 D Voigt (Frankfurt) SPD 13514 B Bohl CDU/CSU 13516A Frau Eid GRÜNE 13518 C Genscher, Bundesminister AA 13520 B Dr. Meisner, Senator des Landes Berlin . 13523 C Wüppesahl fraktionslos 13525 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 13527 A Roth SPD 13527 D Austermann CDU/CSU 13529 C Jungmann (Wittmoldt) SPD 13532 A Namentliche Abstimmung 13533 D Ergebnis 13536 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen Hiller (Lübeck) SPD 13534 A Dr. Neuling CDU/CSU 13538 A Frau Frieß GRÜNE 13541 D Hoppe FDP 13544 A Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 13545 D Frau Terborg SPD 13548 D Lintner CDU/CSU 13550 D Heimann SPD 13552 C Weisskirchen (Wiesloch) SPD 13553 B Stratmann GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 13555 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts Waltemathe SPD 13555 C Dr. Rose CDU/CSU 13557 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 13561 B Hoppe FDP 13563 A Stobbe SPD 13564 A II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 Frau Beer GRÜNE 13567 D Genscher, Bundesminister AA 13568 C Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Diller SPD 13572 C Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 13574 B Frau Flinner GRÜNE 13576 C Bredehorn FDP 13578 C Kiechle, Bundesminister BML 13579 C Koltzsch SPD 13582 B Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation Frau Faße SPD 13584 B Bohlsen CDU/CSU 13587 D Hoss GRÜNE 13589 C Funke FDP 13590 D Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMPT 13591 D Nächste Sitzung 13594 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13595* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 13479 177. Sitzung Bonn, den 28. November 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 01. 12. 89 * Amling SPD 28.11.89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 01. 12. 89 Frau Dempwolf CDU/CSU 01. 12. 89 Dr. Dollinger CDU/CSU 01. 12. 89 Engelsberger CDU/CSU 29.11.89 Graf SPD 28.11.89 Dr. Haack SPD 01. 12. 89 Frhr. Heereman von CDU/CSU 28. 11. 89 Zuydtwyck Dr. Hennig CDU/CSU 29. 11. 89 Frau Hensel GRÜNE 28. 11. 89 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 28. 11. 89 Höffkes CDU/CSU 01. 12.89 Hörster CDU/CSU 28. 11.89 Kißlinger SPD 01. 12.89 Klein (Dieburg) SPD 01. 12. 89 Dr. Klejdzinski SPD 28. 11. 89* Linsmeier CDU/CSU 01. 12.89 Frau Luuk SPD 01. 12. 89 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Lüder FDP 28.11.89 Meneses Vogl GRÜNE 01. 12. 89 Mischnick FDP 28.11.89 Niegel CDU/CSU 01. 12. 89 * Poß SPD 28. 11.89 Rappe (Hildesheim) SPD 28. 11. 89 Frau Rock GRÜNE 01. 12. 89 Frau Schilling GRÜNE 28. 11. 89 Frau Schoppe GRÜNE 28. 11. 89 Schreiber CDU/CSU 30. 11.89 Schröer (Mülheim) SPD 01. 12. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 01. 12. 89 Singer SPD 28. 11.89 Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 28. 11. 89 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 28. 11. 89 Tietjen SPD 01. 12.89 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 28. 11. 89 Verheugen SPD 30. 11.89 Vosen SPD 28. 11.89 Dr. Warnke CDU/CSU 28. 11. 89 Werner (Ulm) CDU/CSU 28. 11. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 01. 12. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
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    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, im Rahmen dieser Haushaltsdebatte auf einige konkrete Berliner Belange und Berliner Nöte einzugehen. Das sind auch finanzielle Nöte.
    In den beiden Jahren 1988 und 1989 wächst die Bevölkerung von Berlin (West) um mindestens 85 000 Personen. Allein in diesem Jahr, 1989, haben wir, bis zum 12. November gezählt, 37 000 Aus- und Übersiedler aufgenommen, Menschen, die ganz ausdrücklich nach West-Berlin wollten und einen Bezug zur Stadt haben.
    Es gibt nirgends so viele Aus- und Übersiedler auf so engem Raum wie in Berlin. Bei uns leben 3 % der Bevölkerung der Bundesrepublik, aber wir nehmen dieses Jahr 10 % der Aus- und Übersiedler in die Bundesrepublik auf; auch in den beiden letzten Jahren waren es über 8 %.
    Es sind keine abstrakten Prozentsätze, die ich hier vortrage. In Berlin leben weit über 20 000 Menschen in Übergangsheimen, in Lagern, muß man wohl sagen. Einen Wohnungsmarkt, der diesen Namen verdient, gibt es nicht. Es leben auch nahezu 13 000 Obdachlose in der Stadt.
    Meine Damen und Herren, mit der Aufnahme der Aus- und Übersiedler leisten wir in Berlin etwas für die Bundesrepublik Deutschland. Wir leisten es bis an den Rand unserer Kräfte und über unser Vermögen hinaus.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir erstreben nichts anderes als die notwendige Unterstützung für diese Leistung.
    Die Freizügigkeit für die Menschen in der DDR, die Öffnung der Grenze betrifft vor allem Berlin. Probleme der 50er Jahre und auch Kosten, die Berlin in den 50er Jahren mit Unterstützung der Bundesrepublik tragen konnte, fallen wieder an. Da müssen Straßenverbindungen, innerstädtische U-Bahn-Anschlüsse und S-Bahn-Strecken ins Umland hergestellt werden. Aus dem Stand heraus haben wir neun neue Buslinien über die Stadtgrenzen hinausgeführt, ohne aber einen zahlenden Fahrgast mehr zu haben. Wir haben überfüllte Veranstaltungen in allen Bereichen des kulturellen Lebens, aber erhebliche Ausnahmeeinfälle, umgekehrt: Einnahmeausfälle.

    (Heiterkeit — Beifall bei der SPD)

    Das schließt die Inanspruchnahme des gesamten sozialen Leistungsangebots der Stadt ein.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie haben auch mehr Steuereinnahmen!)

    Ich bitte Sie alle: Kommen Sie doch jetzt einmal nach Berlin! So etwas können Sie sonst in Deutschland nicht erleben. Das gibt es ja auch sonst nicht: eine Stadt mit 3,5 Millionen Einwohnern, mit einem Einzugsbereich von 5 Millionen Menschen. Der Westteil dieser 3,5-Millionen-Stadt wirkt als Anziehungspunkt, als Magnet in die gesamte DDR hinein und bis nach Polen. Das sollte man sich schon ansehen. Das ist schon doll. Das ist wirklich endlich Weltstadt auch mit dem Hinterland, das dazugehört.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie haben auch höhere Steuereinnahmen!)




    Senator Dr. Meisner (Berlin)

    — Wir haben nicht höhere Steuereinnahmen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Doch!)

    Wir haben 100 Millionen DM weniger, als in der Steuerschätzung vor einem Jahr geschätzt wurde.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die stimmen nicht mehr!)

    Das kann ich Ihnen auch beweisen. — Es kostet auch mehr. Es wird in diesem nächsten Jahr mindestens eine halbe Milliarde DM mehr kosten. Darum gehört das auch in die Debatte zum Etat 1990.
    Schwerer allerdings, meine Damen und Herren, wiegt anderes. Wer sich an die konkreten Lebensumstände in Berlin in den 50er Jahren erinnern kann, der weiß, daß einer der Gründe für den Bau der Mauer vor 28 Jahren der Abfluß von Mark der DDR nach Westen war, vor allem nach West-Berlin. Durch geschicktes Ausnutzen von Wechselkursen konnten dann die in der DDR zum Teil hoch subventionierten Waren von Ost nach West verbracht werden; verschoben werden, müßte man sagen. Die DDR hat sich dagegen zunehmend durch Einschränkung von Freizügigkeit gewehrt, bis hin zum Bau der Mauer.
    Meine Damen und Herren, die gleichen Mechanismen wie in den 50er Jahren wirken nach dem 9. November 1989.

    (Hört! Hört! bei der SPD)

    Die DDR-Mark ist im Verhältnis zur D-Mark seitdem allerdings nicht stärker, sondern schwächer geworden. Wieder fließen als Binnenwährung gedachte Mark der DDR nach West-Berlin. Wieder wird getauscht, und — so sind die Menschen nun einmal — wieder wird auch geschoben. Wieder beginnt man in der DDR, sich bei Käufen den Ausweis zeigen zu lassen. Das gab es schon einmal. Es werden wieder schärfere Grenzkontrollen erwogen.
    Meine Damen und Herren, wenn die von der DDRBevölkerung errungene Freizügigkeit nicht wieder eingeschränkt werden soll, wenn die Alternative nicht „Ausbluten oder Dichtmachen" heißen soll, dann müssen Vereinbarungen mit der DDR darüber geschlossen werden, wie mit ihrer Währung bei uns umgegangen werden soll.

    (Beifall bei der SPD)

    Das ist auch mehr als der Reisefonds. Da müssen Wechselkurse vereinbart werden,

    (Zuruf von der SPD: Richtig!)

    Hilfe muß vereinbart werden, und zwar schnell, jetzt, sofort.

    (Zuruf von der SPD: Richtig!)

    Wir bereiten uns nämlich nicht auf eine Situation vor, sondern wir in Berlin jedenfalls stecken schon mitten drin. Mark der DDR kommt in großen Mengen in die Stadt, wird eingewechselt. Dieses Problem ist keines zum Aussitzen. Verstehen Sie darum die Ungeduld des Berliner Senats, der darauf wartet, daß die Bundesregierung hier endlich tätig wird.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Der Kanzler kommt auf Stichwort!)

    Noch ein anderes schwerwiegendes Problem stellt sich in dieser Schärfe nur in Berlin, daß nämlich Menschen kommen, die weiter in Ost-Berlin oder in der Umgebung wohnen, aber in West-Berlin arbeiten wollen und D-Mark verdienen wollen. Das droht nicht nur den schon bestehenden Mangel an Arbeitskräften in der DDR katastrophal zu verschärfen, sondern auch die sozialen Probleme bei uns. Wir haben nämlich in der Stadt wieder 86 000 Arbeitslose, und die Kurve zeigt wieder nach oben.
    Meine Damen und Herren, das sind zwei aus einer ganzen Reihe von Fragen, die uns in Berlin auf den Nägeln brennen. Daher haben wir es nicht verstanden, daß nach dem 9. November drei Wochen ins Land gehen mußten, bis der Bundeskanzler zu dem Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister bereit war.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat doch der Momper schon vorgetragen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Dieses Gespräch wird nun endlich und Gott sei Dank am 1. Dezember stattfinden. Wir haben uns in Berlin allerdings daran erinnert, daß auch Konrad Adenauer nach dem 13. August einige Zeit brauchte, bis er an die Spree fand.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wirklich eine Frechheit! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das hättet ihr gern inszeniert, was?)

    Es mangelt uns auch an Verständnis dafür, daß in Bonn vornehmlich, fast ausschließlich

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Wollen Sie mehr Geld, oder was wollen Sie?)

    eine Diskussion darüber geführt wurde,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Es ist taktisch unklug, wie Sie sich jetzt verhalten!)

    welche Staatsmodelle für die Deutschen die Zukunft wohl noch in ihrem Schoß verbirgt, während jetzt doch ganz praktische, ganz konkrete Lösungen, Vereinbarungen, Hilfen nötig sind, um das Miteinander der Deutschen zu organisieren.

    (Dr. Rose [CDU/CSU]: Sie haben keine Knete mehr!)

    — Darauf weisen Sie uns immer hin.
    Der Herr Bundeskanzler hat heute einen 10-Punkte-Katalog vorgetragen. Dazu will ich folgendes anmerken:
    Erstens. Wenn dem, was der Bundeskanzler hier vorgetragen hat und worin er mit dem Oppositionsführer und dem Bundessaußenminister übereinstimmt, auch Taten folgen, dann ist das für niemanden erfreulicher als für die Menschen in Berlin.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Na also!)

    Zweitens. Das wichtigste Wort in den Ausführungen des Bundeskanzlers war für uns das Wort „Sofortmaßnahmen". Wir wünschen uns nur, daß sie wirklich sofort erfolgen und mit der DDR vereinbart werden.
    Drittens. Es ist vernünftig, daß Projekte vor allem im Eisenbahnverkehr mit der DDR vereinbart werden sollen. Weil Berlin die Schnellverbindung aber bald



    Senator Dr. Meisner (Berlin)

    braucht, sollte die gemeinsam festgelegte Trasse nach Hannover nun endlich realisiert und nicht noch einmal überprüft werden.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wie wäre es denn mit der Anbindung auch der DDR an die Trasse?)

    Viertens. Der Bundeskanzler hat gesagt, daß Berlin voll einbezogen wird. Das schließt auch ein, daß Berlin zur Erfüllung seiner Aufgaben für das Zusammenleben der Deutschen finanziell ausreichend ausgestattet wird. Denken Sie bitte auch daran, wenn Sie über den Einzelplan 60 abstimmen.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Wüppesahl.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Thomas Wüppesahl


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (GRÜNE)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zu meinen eigentlich vorgesehenen Ausführungen komme, möchte ich etwas zu der Fraktion sagen, aus der ich in diesem Hause als unabhängiger Kopf hervorgegangen bin. Ich bin einigermaßen über das entsetzt, was ich heute morgen erlebt habe. Wie kraftlos, wie ohnmächtig — wie begossene Pudel — hat diese Fraktion dagesessen! Selbst bei Personen, die sonst aus diesen Reihen als Tanzbär oder ähnliches bezeichnet werden, war man nicht einmal in der Lage, mit klugen Zwischenworten irgend etwas als Message rüberzubringen.
    Zur Zeit gibt es bei der grünen Partei kein Gespür für die tatsächlich stattfindenden Veränderungen in der Bundesrepublik, aber auch in der DDR.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der CDU/CSU: Wenn der Mann recht hat, hat er recht!)

    In der Tat hat Politik etwas mit Wirklichkeit zu tun. Die Dynamik, die zur Zeit in dieser problematischen Situation stattfindet, findet ohne die GRÜNEN statt. Es interessiert niemanden, was GRÜNE dazu sagen. Es fragt sie auch niemand.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! — Sehr wahr!)

    Das ist meines Erachtens eines der Ergebnisse der vor kurzem durchgeführten Flurbereinigung sowohl in der Fraktion als auch in der Partei.

    (Duve [SPD]: Ist das der richtige Platz für die Abrechnung mit der eigenen Partei?)

    — Herr Duve, ich gehöre nicht mehr der Partei an. Ich finde, es ist der richtige Platz, weil es aus meiner Sicht wirklich entsetzlich ist, diese Debatte ohne Initiativen der GRÜNEN zu erleben, während wir gleichzeitig davon ausgehen müssen, daß der Bundestagswahlkampf von der Deutschlanddebatte dominiert werden wird.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Da könnten Sie recht haben!)

    Nach diesem perspektivlosen Kongreß und nach dem
    Verlust der Meinungsführerschaft im Ökologiebereich wird jetzt ein solches Bild auf diesem Feld geboten!
    Lassen Sie mich aber noch ein Wort zur SPD sagen. Die bedingungslose Unterwerfung, die die SPD durch Karsten Voigt zu dem 10-Punkte-Katalog von Herrn Dr. Kohl kundgetan hat, ist aus meiner Sicht auch nicht unbedingt ein Ruhmesblatt. Ich gebe Ihnen nur ein Beispiel, wem Sie sich unterworfen haben. Herr Dr. Kohl war so geschickt, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und die Entwicklung im Osten dafür zu instrumentalisieren, daß die Tarifverhandlungen beeinflußt werden. Er hat hier doch klipp und klar gesagt, daß mehr Zeit- und Teilzeitarbeit notwendig ist, um den Reichtum zu mehren und um damit weitere Hilfen anzubieten. Einem solchen Punkt und vielen anderen Punkten dieser Qualität, meine Damen und Herren von der SPD, haben Sie sich mit der Erklärung von Karsten Voigt unterworfen.

    (Widerspruch bei der SPD)

    Das ist in der Tat ein Ausdruck — von dem sich die GRÜNEN weit entfernt haben — der deutsch-deutschen Besoffenheit, die langsam Raum greift und die die inhaltlichen Konturen in Feldern, wo es wirklich notwendig wäre, sie aufrechtzuerhalten, zu verwischen droht.
    Dem Bundeskanzler möchte ich, auch wenn er nicht mehr im Saale ist — nicht daß ich seine Position mittrage —, ein Kompliment aussprechen. Es war zweifelsfrei das, was bei den GRÜNEN zu vermissen ist. Es war eine kraftvolle Rede. Sie vermittelte zumindest Tatendrang, und Konstruktivität strahlte sie mit diesem Zehn-Punkte-Programm auch noch aus. Ich denke in der Tat, daß die GRÜNEN ihre Handlungsfähigkeit in dieser Diskussion nur dann zurückgewinnen können, wenn sie in der Lage sind, sich von gewissem Ballast zu lösen. Es muß ja wohl möglich sein, daß zumindest Forderungen mitgetragen werden, daß mehr marktwirtschaftliche Elemente auch in der DDR-Wirtschaft eingeführt werden, nachdem selbst Oppositionsgruppen in Ungarn und der Tschechoslowakei die soziale Marktwirtschaft sogar als Forderung postulieren.
    Ich meine, es gibt aber sehr viele Stolpersteine, die in dieser Rede, rhetorisch sehr geschickt, verarbeitet waren und denen auch die SPD auf den Leim gegangen ist.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Gut, daß wir Sie haben!)

    So hieß es dort: Die Europäische Gemeinschaft soll mehr tun. — Und: Wir müssen der EG mehr notwendige Mittel dafür zur Verfügung stellen. —

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Da hat er recht!)

    — Ich bitte Sie, Frau Matthäus-Maier: „Da hat er recht! " Da setzen sich in London, Madrid und Bonn Regierungschefs und Minister in Flugzeuge, fahren nach Brüssel und machen dort das, was eigentlich der Legislative vorbehalten sein sollte: Sie setzen verbindliche Verordnungen, Gesetze in dieser EG der zwölf, an denen vorbei das Parlament überhaupt keine Entscheidung mehr mittreffen kann. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, pro forma di-



    Wüppesahl
    rekt gewählt, strampeln und zappeln in der Tat wie Goldhamster im Laufrad, um wenigstens ein bißchen mitreden zu können. Mit einem solchen Demokratiemodell kann man dem Osten natürlich nicht vorwärtsweisend oder vorbildlich irgend etwas anbieten.
    Meine Damen und Herren, ich wiederhole an dieser Stelle: Auch einer solchen Formulierung hat die SPD jetzt ihre Zustimmung gegeben. Ich wäre dankbar, wenn dazu noch eine Relativierung, zumindest beim nächsten Einzelplan, innerdeutsche Beziehungen, erfolgen würde.
    Es gibt auch andere sehr schöne Formulierungen in der Rede des Bundeskanzlers. Er fordert dort Mittel — um helfen zu können — für die Dritte Welt, sogar nach ökologischen Kriterien. Er sagt, wir seien den nachfolgenden Generationen verpflichtet — was ja zweifellos richtig ist. Das hört sich alles gut an. Das ist aber nicht die Politik dieser Bundesregierung.
    Für das Schicksal der Menschheit — und damit auch der Menschen in Deutschland — ist wirklich uninteressant, ob man Franzose oder Deutscher oder anderer Nationalität ist.
    Ein Beispiel gerade von gestern: Herr Lafontaine stellt ein Buch zur Klimakatastrophe vor — ein fürwahr wichtiges Thema! Und was machen die Journalisten? Die fragen nach deutsch-deutsch. Das ist doch nur noch behämmert, meine Damen und Herren. Wir haben doch wirklich ganz andere Probleme, als daß wir die Wiedervereinigungsfrage in den Vordergrund stellen sollten. Das kann man nicht mit ein paar schönen Nebensätzen, in dieser Erklärung von Herrn Kohl vorhin auch zu vernehmen, machen, sondern das muß in die praktische Politik einfließen.
    Resümee: Die CDU lenkt von den wirklichen Problemen ab, die auf der Tagesordnung stehen müßten. Wir reden hier auch kaum über den Haushalt, sondern über deutsch-deutsch. Die SPD geht ihr voll auf den Leim, die GRÜNEN haben sich aus dieser Diskussion zur Zeit abgemeldet.

    (Reddemann [CDU/CSU]: Nur einer weiß Bescheid, und der heißt Wüppesahl!)

    — Es gibt ja ein paar mehr, die das erkennen. Aber es kommen hier in diesem Plenum zu wenige zu Wort.
    Es gibt noch eine sehr interessante Erscheinungsform: Das, was auf der Bonner Bühne so sehr im Vordergrund steht, kontrastiert sehr scharf mit der Realität in unserem Lande. Zwar gibt es bestimmte Regionen im grenznahen Bereich wie Lübeck, Hamburg oder Bayern, in denen das tatsächliche gesellschaftliche Leben von den Veränderungen — sprich: dem Niederreißen der Mauer — sehr stark dominiert ist, aber das ist auch alles.

    (Dr. Hoyer [FDP]: Gehen Sie einmal nach Aachen und schauen Sie, ob das dort anders ist!)

    Ansonsten geht das Leben ganz normal weiter. Nur hier, in Bonn, dominiert eine Debatte in dieser Art. Und das drückt doch auch etwas aus, nämlich die in der Tat berechtigte Furcht vor dem nationalen Größenwahn, der sich wieder breitzumachen droht.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Babababa!)

    Probleme haben wir, die in diesem Haushalt überhaupt nicht angemessen behandelt werden. Da wird die Rücknahme der Müllverbrennung auf See für Anfang der 90er Jahre angekündigt. Gleichzeitig wird verlangt, daß Sondermüllverbrennungsanlagen an Land gebaut werden. Dann können wir es auch gleich auf See weiter verbrennen lassen. — Oder: Die AKWs sollen wegen CO2 und des Klimaeffekts wieder favorisiert werden, anstatt nun endlich Energiekonzepte in Richtung Fernwärme, wie sie z. B. in Flensburg entwickelt wurden, oder auch in Richtung Sonnenenergie voranzutreiben. Alle Alternativen dazu sind bekannt. Sie finden sich nur nicht in diesem Haushalt. Die Interessengruppen sind entsprechend stark und machen ihren Einfluß geltend.
    Die Konzerne — gerade auch die in der Bundesrepublik — gehen da natürlich ganz anders vor. Sie denken in Fünf- bis Zwanzig-Jahres-Zyklen, während die Politiker in der Regel gerade drei Jahre im voraus denken können, weil danach der Wahlkampf für die nächste Legislaturperiode einsetzt.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Die Sorge hast du ja nicht mehr! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, ich glaube, diese Beispiele zeigen sehr deutlich — Sie haben vorhin ja auch ein Lob von mir bekommen; tragen Sie es also mit Fassung, wenn ich Sie jetzt in dieser Weise kritisiere — : Die Soziale Marktwirtschaft, jedenfalls die in der Bundesrepublik, leistet die notwendigen Veränderungen nicht. Dazu müßte die Soziale Marktwirtschaft hier erst erheblich verändert werden. Das augenblickliche Konzept der Bundesrepublik Deutschland sowohl im demokratischen als auch im wirtschaftspolitischen Bereich auf die DDR zu übertragen, bedeutet nichts anderes als Verrat an der Zukunft. Es wäre geradezu zynisch, die Konzeption der BRD auf die DDR zu übertragen, wenn wir alle — auch auf der rechten Seite des Hauses — inzwischen wissen, in welche Sackgassen wir im ökologischen Bereich — aber nicht nur dort — gerannt sind.
    Letzter Satz. Wenn Dr. Kohl an der Lösung dieser Probleme, die in der DDR natürlich in noch viel schärferem Maße vorhanden sind, tatsächlich gelegen wäre, dann wäre er längst rübergegangen, dann bräuchten wir keine öffentliche Debatte darüber zu erleiden, ob er im nächsten Jahr oder am 19. Dezember — knapp vor Mitterrand — rübergeht.
    Ich denke, es gibt sehr viel Scheinheiligkeit hinsichtlich der Frage, ob man Bedingungen für die Gewährung von Hilfe stellen sollte oder nicht. Ich wünsche mir, daß wir vielleicht zu einem ehrlicheren Sprachgebrauch in dieser Frage kommen, weil die Menschen in der DDR auf jeden Fall wissen, ob sie erpreßt werden oder nicht. Wenn Sie selbst an Ihre Worte glauben, daß dies in keinem Fall geschehen soll, dann handeln Sie anders und tun Sie das, was Herr Genscher gesagt hat, der nicht die Mehrheit dafür in der Regierungskoalition hat, nämlich sofortige bedingungslose Hilfe zu gewähren.
    Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.