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ID1117700900

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    Plenarprotokoll 11/177 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 177. Sitzung Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 13479 A Nachträgliche Überweisung eines Antrages — Drucksache 11/5692 — an den Haushaltsausschuß 13479 B Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Straßenverkehrsunfälle (Straßenverkehrsunfallstatistikgesetz) (Drucksache 11/5464) . . 13479A Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksachen 11/5000, 11/5321, 11/5389) Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes Dr. Vogel SPD 13479 D Dr. Bötsch CDU/CSU 13488 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 13492 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 13496 A Dr. Kohl, Bundeskanzler 13502 D Voigt (Frankfurt) SPD 13514 B Bohl CDU/CSU 13516A Frau Eid GRÜNE 13518 C Genscher, Bundesminister AA 13520 B Dr. Meisner, Senator des Landes Berlin . 13523 C Wüppesahl fraktionslos 13525 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 13527 A Roth SPD 13527 D Austermann CDU/CSU 13529 C Jungmann (Wittmoldt) SPD 13532 A Namentliche Abstimmung 13533 D Ergebnis 13536 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen Hiller (Lübeck) SPD 13534 A Dr. Neuling CDU/CSU 13538 A Frau Frieß GRÜNE 13541 D Hoppe FDP 13544 A Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 13545 D Frau Terborg SPD 13548 D Lintner CDU/CSU 13550 D Heimann SPD 13552 C Weisskirchen (Wiesloch) SPD 13553 B Stratmann GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 13555 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts Waltemathe SPD 13555 C Dr. Rose CDU/CSU 13557 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 13561 B Hoppe FDP 13563 A Stobbe SPD 13564 A II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 Frau Beer GRÜNE 13567 D Genscher, Bundesminister AA 13568 C Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Diller SPD 13572 C Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 13574 B Frau Flinner GRÜNE 13576 C Bredehorn FDP 13578 C Kiechle, Bundesminister BML 13579 C Koltzsch SPD 13582 B Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation Frau Faße SPD 13584 B Bohlsen CDU/CSU 13587 D Hoss GRÜNE 13589 C Funke FDP 13590 D Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMPT 13591 D Nächste Sitzung 13594 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13595* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 13479 177. Sitzung Bonn, den 28. November 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 01. 12. 89 * Amling SPD 28.11.89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 01. 12. 89 Frau Dempwolf CDU/CSU 01. 12. 89 Dr. Dollinger CDU/CSU 01. 12. 89 Engelsberger CDU/CSU 29.11.89 Graf SPD 28.11.89 Dr. Haack SPD 01. 12. 89 Frhr. Heereman von CDU/CSU 28. 11. 89 Zuydtwyck Dr. Hennig CDU/CSU 29. 11. 89 Frau Hensel GRÜNE 28. 11. 89 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 28. 11. 89 Höffkes CDU/CSU 01. 12.89 Hörster CDU/CSU 28. 11.89 Kißlinger SPD 01. 12.89 Klein (Dieburg) SPD 01. 12. 89 Dr. Klejdzinski SPD 28. 11. 89* Linsmeier CDU/CSU 01. 12.89 Frau Luuk SPD 01. 12. 89 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Lüder FDP 28.11.89 Meneses Vogl GRÜNE 01. 12. 89 Mischnick FDP 28.11.89 Niegel CDU/CSU 01. 12. 89 * Poß SPD 28. 11.89 Rappe (Hildesheim) SPD 28. 11. 89 Frau Rock GRÜNE 01. 12. 89 Frau Schilling GRÜNE 28. 11. 89 Frau Schoppe GRÜNE 28. 11. 89 Schreiber CDU/CSU 30. 11.89 Schröer (Mülheim) SPD 01. 12. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 01. 12. 89 Singer SPD 28. 11.89 Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 28. 11. 89 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 28. 11. 89 Tietjen SPD 01. 12.89 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 28. 11. 89 Verheugen SPD 30. 11.89 Vosen SPD 28. 11.89 Dr. Warnke CDU/CSU 28. 11. 89 Werner (Ulm) CDU/CSU 28. 11. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 01. 12. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Jutta Oesterle-Schwerin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Es ist gar nicht nötig, den bundesdeutschen Arbeitnehmerinnen und den Ausländerinnen, die hier leben, einen bezahlten Feiertag zu klauen, Herr Biedenkopf. In der Bundesrepublik gibt es genug Geld. Wenn wir nur all diejenigen Mittel, die hierzulande zur Förderung umweltschädlicher, destruktiver Projekte eingesetzt werden, der DDR zum Aufbau einer ökologischen Wirtschaft zur Verfügung stellen würden, dann könnten wir der DDR helfen und gleichzeitig viel Schaden von uns selber abwenden.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Schluß jetzt! — Borchert [CDU/CSU]: Schwacher Beifall bei den GRÜNEN!)

    Meine Damen und Herren, die Frauen, die in dieser Zeit aus der DDR in die Bundesrepublik umsiedeln, haben auch ganz herzlich wenig davon, daß sie mit Frau Lehr und Herrn Blüm zu einem und demselben Volk gehören. Den Frauen, die heute mit dem Gedanken an eine Umsiedlung spielen, muß folgendes gesagt werden: Ihr macht unter Umständen einen schlechten Tausch; ihr kommt vielleicht vom Regen in die Traufe.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Unser häufigstes Problem, das Problem mit den Männern, die zu Hause die Füße unter den Tisch hängen und sich vor der Hausarbeit drücken und die Sorge um die Kinder meistens den Frauen allein überlassen, dieses Problem haben viele Frauen hüben wie drüben.

    (Kraus [CDU/CSU]: Dann schauen Sie doch da drüben einmal zu!)

    Wenn die Frauen in der DDR den Wunsch nach Übersiedlung mit der Hoffnung auf weniger Arbeit verknüpfen, dann haben sie vielleicht recht.

    (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Was heißt „vielleicht"?)

    Die meisten von ihnen werden hier selbst dann nicht berufstätig sein dürfen, wenn sie es wollen oder wenn sie es müssen.

    (Kraus [CDU/CSU]: Warum?)

    — Warum? Weil sie als Ingenieurinnen, als Technikerinnen oder als Angehörige von nicht frauenspezifischen Berufen sowieso keine Stelle bekommen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben keine Ahnung!)

    weil sie als Frauen in bundesdeutschen Betrieben unerwünscht sind, weil die Stellen von Männern besetzt sind

    (Zuruf von der CDU/CSU: Waren Sie schon einmal in einem Betrieb? — Kraus [CDU/CSU]: Haben Sie schon mal gearbeitet? — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie will doch gar nicht!)

    und weil die Registrierung von Müttern als Arbeitsuchende bei den Arbeitsämtern erst dann angenommen wird, wenn diese Mütter beweisen können, daß ihre Kinder untergebracht sind

    (Kraus [CDU/CSU]: Wer erzählt Ihnen das denn?)

    und weil gerade das die meisten Frauen in der Bundesrepublik Deutschland nicht nachweisen können.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: So ist es! — Hüser [GRÜNE]: Männer müssen nicht nachweisen, daß sie ihre Kinder unterbringen können! Sie könneñ so arbeiten!)

    Wir müssen den Frauen in der DDR, die hierherkommen wollen, sagen, daß sie hier mitten in einer Phase des „rollback' der Bundesregierung und der CDU-regierten Länder gegen die Frauen und ihren Wunsch nach Erwerbsarbeit hineingeraten. Ganztagsschulen und Kindergärten werden nicht nur nicht ausgeweitet, nein, sie werden systematisch kaputtgemacht bzw. geschlossen, wie gerade jetzt in Baden-Württemberg.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Ein seltener Schmarren! — Kraus [CDU/CSU]: Unerträglich!)

    Hier hört die vielbeschworene Volksgemeinschaft der CDU/CSU auf. Was stattfindet, ist ein Kampf des patriarchalen Systems gegen die Emanzipationsbestrebungen von Frauen.
    Meine Damen und Herren, in der DDR ist der jetzige Generalsekretär der SED in das Schußfeld der Kritik geraten, vollkommen zu Recht.

    (Kraus [CDU/CSU]: Verteidigen Sie ihn doch!)

    Die Opposition wirft ihm Beihilfe zum Wahlbetrug und Parteinahme für das von der chinesischen KP veranstaltete Massaker in Peking vor. Es ist gut denkbar, daß Krenz auf dem Sonderparteitag der SED abgesetzt wird. Das Volk der DDR ist unduldsam geworden gegen Machtmißbrauch, Korruption und Komplizenschaft mit Staatsterroristen.

    (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Haben Sie das auch schon gemerkt?)

    Hierzulande sollte allerdings über Egon Krenz nicht reden, wer Helmut Kohl nicht hat verhindern können.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unerhört! — Dr. Müller [CDU/CSU]: Das ist faschistoid! — Weitere, lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich verlange, daß Sie das „faschistoid" rügen.

    (Erneutes Lachen bei der CDU/CSU)




    Frau Oesterle-Schwerin
    Also, wenn es um Wahlbetrug geht, meine Damen und Herren: Die CDU in Niedersachsen hatte mit Herrn Vajen jahrelang einen gerichtlich anerkannten Wahlbetrüger im Landtag sitzen, bevor dieser, ohne seine Gesinnung ändern zu müssen, Mitglied der Republikaner wurde. Und außenpolitisch erklärt sich die Bundesregierung solidarisch mit den USA, die mit Millionenaufwand die Mordtaten der Contra-Banden in Nicaragua finanziert.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Und die Sandinisten!)

    Sie gewährt der türkischen Regierung, die einen Vernichtungsfeldzug gegen das kurdische Volk führt, 280 Millionen DM an Rüstungsbeihilfe im Jahr und gehört zusammen mit Großbritannien zu den politischen Hauptstützen der Rassisten in Südafrika.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie lassen sich von Gaddafi beraten! — Dr. Müller [CDU/CSU]: Und finanzieren! — Kraus [CDU/CSU]: Weitermachen! Dann haben wir es hinter uns!)

    Ausgerechnet diese Bundesregierung versucht nun, das Volk der DDR, das gerade dabei ist, sich die Demokratie zu erkämpfen, mit dem Gesellschaftsmodell der Bundesrepublik Deutschland zu beglücken, und das mit Mitteln, die im normalen bürgerlichen Leben schlicht erpresserisch genannt werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dann gehen Sie doch hinüber!)

    Es ist Erpressung, die Not anderer auszunutzen, um ihnen den eigenen Willen aufzuzwingen. Immer höher wird die Meßlatte für Kredite gelegt, immer dreister werden die Forderungen, immer offensichtlicher die Absicht, sich um das so oft zitierte Selbstbestimmungsrecht der DDR einen Dreck zu scheren.

    (Bohl [CDU/CSU]: Dann gehen Sie doch rüber!)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Solidarität mit der DDR kann nur heißen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um ihr den Rücken für eine eigenständige Entwicklung, also auch für eine sozialistische Entwicklung, freizuhalten.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Lassen Sie doch das Volk entscheiden! Nicht diese nationalsozialistische Bevormundung!)

    Solidarität mit der DDR heißt deshalb auch, politisch allen Wiedervereinigungsgelüsten einen Riegel vorzuschieben, den ökonomischen Aufkauf des anderen deutschen Staates zu verhindern.
    Deshalb und gerade auch jetzt möchte ich für eine Politik der Zweistaatlichkeit und für die Anerkennung der DDR werben, ohne Wenn und Aber.

    (Rühe [CDU/CSU]: Gegen den Willen der Deutschen!)

    Solidarität heißt: Hände weg von der DDR!

    (Lachen bei der CDU/CSU — Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Und ihr geht rüber und schreibt Parteiprogramme!)

    Die Opposition in der DDR fordert eine radikale Umgestaltung der Wirtschaft, aber sie fordert in ihrer
    Mehrheit eine sozialistische Umgestaltung, weil sie weiß, was Gewinne machen auf Kosten von Menschen und Natur bedeutet. Sie will eine Steigerung der Produktionseffektivität, aber keine, die, wie in der BRD, mit Tausenden und aber Tausenden von Arbeitsunfällen bezahlt wird. Sie will einen höheren Konsum, aber keinen, der durch die Ausbeutung von Ländern der sogenannten Dritten Welt bezahlt wird, und darin unterscheidet sie sich erfreulich von der Mehrzahl der Mitglieder dieses Hauses.
    Aber, so ist zu lesen, es gehe ja gar nicht nur um die Wirtschaft; was die DDR am nötigsten brauche, ist Demokratie und die politische Kultur nach westlichem Vorbild. Ich frage Sie: Sehnen sich die Demonstranten und Demonstrantinnen in Leipzig wirklich nach jener Freiheit, die der Bundeskanzler meint? Umgekehrt: Würden sie sich mit deren Einführung nicht einen Bärendienst erweisen?

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Ungeheuerlich! Das muß festgehalten werden!)

    Ich behaupte: Über so viel Einfluß und wirkliche Macht, wie die Menschen in der DDR zur Zeit haben,

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Schlimm ist, daß Sie das selbst glauben, was Sie reden!)

    hat noch keine Opposition in der Bundesrepublik verfügt.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)

    Jahrelang wurden die Proteste in Wackersdorf von der Bundesregierung kriminalisiert, niedergeknüppelt und mit CS-Gas bekämpft. Wackersdorf liege, so wurde uns gesagt, im nationalen Interesse, der Verzicht auf die WAA komme einem Verzicht auf politische Souveränität gleich. Nachdem die Industrie zu dem Ergebnis kam, daß Wackersdorf für sie keinen ausreichenden Gewinn abwirft, war das Projekt gestorben. Wer hat also hier das Sagen? In der DDR haben sich die Staatsorgane und die Polizei für Übergriffe und Mißhandlungen bei den Demonstrantinnen und Demonstranten entschuldigt. Ein Beamter der Volkspolizei wurde zu 14 Monaten ohne Bewährung verurteilt.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Bei uns laufen die Polizisten frei herum!)

    Wann werden die Verantwortlichen für die Tötung der Studentin in Göttingen zur Rechenschaft gezogen, die vor einigen Tagen von der Polizei unter ein Auto gehetzt wurde?

    (Beifall bei den GRÜNEN — Austermann [CDU/CSU]: Das ist eine Verleumdung!)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung. „Wir gehören alle zu einem Volk", sagt Herr Rühe. Das ist eine Bedrohung für all diejenigen, die von Geburt an nun einmal nicht zu diesem Volk gehören.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was?)

    Erst unlängst hat der bayerische Ministerpräsident,
    Streibl, versucht, die Zuzugsbewegung aus der DDR
    dazu auszunutzen, um erneut die Abschaffung des



    Frau Oesterle-Schwerin
    Grundrechtes auf Asyl zu fordern. Es mehren sich die Stimmen, die zugunsten der Übersiedler aus der DDR einen noch härteren und erbarmungslosen Umgang mit den Flüchtlingen aus der Türkei, aus den Ländern Afrikas, Südamerikas und Asiens fordern. Diese sind für die Bundesregierung unerwünscht, weil sie im Gegensatz zu den Übersiedlern aus der DDR nicht als Beweis für die angebliche Überlegenheit des westlichen Systems mißbraucht werden können, sondern ganz im Gegenteil Teil einer lebendigen Anklage gegen das weltweite Wirken auch des bundesdeutschen Kapitalismus sind.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Übelste Hetze, was da betrieben wird!)

    Ich wünsche mir, daß die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ihre Humanität gerade nicht von der Zugehörigkeit zum deutschen Volk und nicht vom Nationalitätenstempel im Reisepaß abhängig machen. Damit wäre schon viel gewonnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir wissen es: Mit der Debatte um den Bundeshaushalt 1990 beginnt in Wahrheit — wir merken das ja auch — der Kampf um die Bundestagswahl 1990. Ich spreche das übrigens ohne jeden abschätzigen Unterton aus. Wer ja sagt zur Demokratie, kann nicht nein sagen zu Wahlen und Wahlkämpfen, auch wenn wir davon im nächsten Jahr so viele haben werden, daß es der sachlichen Arbeit schon aus Zeitgründen nicht gerade besonders bekömmlich sein wird.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das stimmt!)

    Aber wir alle in der Koalition und, ich glaube, auch in der Opposition haben in den vergangenen Wochen gemerkt: Unsere Debatten, unsere Meinungsunterschiede und unsere eigenen Probleme, die ihre Bedeutung gewiß nicht verloren haben, sind ziemlich blaß geworden. Sie sind angesichts der Entwicklung und des Umbruchs in Osteuropa und vor allem in der DDR zusammengeschrumpft.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Sie haben nach den Massenbewegungen in Leipzig, Ost-Berlin oder Prag schlicht an Interesse verloren gegenüber den Erfolgen, aber auch gegenüber den materiellen Nöten in Polen und Ungarn, gegenüber den ungelösten Problemen in der Sowjetunion, gegenüber den tiefen Unsicherheiten, die nach wie vor über dem östlichen Teil unseres Kontinents liegen.

    (Kühbacher [SPD]: Nur Elefanten merken das nicht!)

    Doch die Demokraten haben eine neue Chance. Der real existierende Sozialismus östlicher Prägung ist diskreditiert und tot, oder er besteht wie in Rumänien nur noch als krankhafte Karikatur einstigen Anspruchs. Die Idee der Freiheit, die uns hier verbindet, hat sich ohne Aggressivität und ohne jeglichen Herrschaftsanspruch in diesem Jahr 1989 für jedermann, der nicht blind oder böswillig ist, als das überlegene, als das richtige, als das trotz aller seiner Schwächen bessere und als das humane Prinzip erwiesen, als das Prinzip, um dessen Ergebnisse uns die Menschen in den osteuropäischen Ländern beneiden und für das sie selber streiten.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Wir haben das immer gewußt. Aber viele auch in unserem Lande haben lange Zeit nur die Schattenseiten unserer Ordnung gesehen. Ich hoffe, daß ihnen die Augen aufgegangen sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Nicht allen!)

    Ich meine, meine Damen und Herren, wir alle oder fast alle in diesem Hause könnten uns wenigstens darin zusammenfinden, den Bürgern, den Wählern und den Politikabgewandten immer wieder zu sagen: Wir leben gewiß nicht in einer idealen Welt; aber wir haben uns eine politische und gesellschaftliche Ordnung geschaffen, in der es sich zu leben lohnt — für die allermeisten jedenfalls.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    An dieser Ordnung bleibt viel zu verbessern, und darum streiten wir; aber wir streiten auf einer gemeinsamen Grundlage.
    Wer allerdings in diesem Hause, meine Damen und Herren, von dieser Stelle aus, den frei gewählten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland mit dem Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei vergleicht, der stellt sich außerhalb der Gemeinschaft aller Demokraten in diesem Lande.

    (Lebhafter Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Sie irren, Herr Lambsdorff!)

    Meine Damen und Herren, es ist in meinen Augen mehr als eine nur glückliche Fügung, es ist das Ergebnis einer richtigen Politik dieser Bundesregierung, daß die Bundesrepublik Deutschland den materiellen und politischen Herausforderungen des europäischen Schicksalsjahres 1989 stabil und gut gerüstet gegenübersteht.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Diese Koalition, diese Regierung hat hart gearbeitet, und der Erfolg ist nicht ausgeblieben. Für die Freien Demokraten erkläre ich vor dem Deutschen Bundestag: Wir würdigen, wir anerkennen und wir verteidigen die Arbeit der Regierung in der Sicherheits-, Außen- und Europapolitik, in der Wirtschafts-und Finanzpolitik, auf dem Arbeitsmarkt, im Umweltschutz, in der Sozialpolitik, in der Rechts- und Innenpolitik.
    Diese Koalition von Union und Liberalen diskutiert, aber sie handelt dann auch. Sie streitet, wo es sein muß, aber sie arbeitet zusammen. Die Koalition ist der Regierung nicht hörig, aber sie läßt die Regierung nicht allein.

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU)




    Dr. Graf Lambsdorff
    Sie ist kritisch, auch untereinander, aber sie ist loyal, und sie ist bereit zur Zusammenarbeit.
    Diese Koalition hat sich auch in schwierigen Entscheidungen bewährt. Deshalb hat sie Deutschland weitergebracht, und ich meine damit: nicht die Bundesrepublik Deutschland allein.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Selbstverständlich gibt es in einer Koalition auch unterschiedliche Meinungen. Sonst könnten wir ja fusionieren; das tun wir aber nicht.

    (Beifall bei der FDP — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wir auch nicht!)

    — Herr Bötsch, wenn Sie vorhin gesagt hätten, daß Sie uns zum Weiterregieren und zur Mehrheit brauchen, wäre es noch besser gewesen. Das will ich Ihnen hier gleich mitteilen. Außerdem wäre es realistischer gewesen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

    Ich will einen Fall nennen: Die FDP hat zu dem Kompromiß, der beim Ausländerrecht und Asylverfahrensrecht gefunden worden ist, erheblich beigetragen. Wir fordern den Koalitionspartner auf — besser wohl: Teile desselben — , jetzt nicht draufzusatteln. Wir brauchen endlich ein klares Recht für unsere ausländischen Mitbürger. Ich begrüße übrigens auch die Gesprächsbereitschaft der Opposition in dieser Frage. Ein Mißerfolg würde nicht nur die ausländischen Mitbürger enttäuschen; er würde — und das ist noch schlimmer — rechtsradikaler und rassistischer Demagogik Auftrieb geben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

    Diese Folge sollte, bitte schön, auch die Bayerische Staatsregierung bedenken.
    Meine Damen und Herren, ich verkleinere nicht die Arbeit und die Anstrengungen früherer Regierungen, nicht die deutschland- und ostpolitischen Entscheidungen von Männern wie Willy Brandt und Walter Scheel, wenn ich mit vollem Bedacht sage: Niemals zuvor waren die deutschlandpolitischen Fortschritte — übrigens auch schon während der Ära Honecker in der DDR — so sichtbar und so mit Händen zu greifen wie in den Jahren dieser Koalition. Schon vor dem Umbruch des 9. November in der DDR haben wir alle Möglichkeiten genutzt, um den Zusammenhalt der Bürger beider deutscher Staaten zu stärken, um die ökonomische, die umweltpolitische, die kulturelle Kooperation auszubauen. Wir haben dabei Fortschritte erzielt, die einige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wären.
    Wer dieser Regierung und dieser Koalition deutschlandpolitische Passivität vorwerfen zu müssen glaubte, hat sich und andere zutiefst getäuscht.
    Das Parlament hat in der vorvorigen Woche über die Lage der Nation beraten. Ich beschränke mich deshalb auf wenige Sätze. Unsere Deutschlandpolitik, unsere Außenpolitik, unsere Europapolitik haben ihren Anteil an dem Umbruch in der DDR. Aber entscheidend waren die friedlichen Proteste ohne jede
    Provokation unserer Mitbürger in Leipzig, in Ost-Berlin; die haben das bewegt.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Es ist mindestens eine Zumutung, was wir eben gehört haben, daß diese erste erfolgreiche deutsche Revolution, friedlich und gewaltfrei, hier mit den Gedanken von Krieg und Eroberung in Verbindung gebracht wird.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD — Hüser [GRÜNE]: So ein Quatsch!)

    Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, haben in den letzten Wochen zu dieser faszinierenden, zu dieser aufregenden Entwicklung nicht einen einzigen vernünftigen Kommentar gewußt. Sie haben eine Perspektivtagung voller Perspektivlosigkeit abgehalten.

    (Zurufe von den GRÜNEN)

    Das einzige Konkrete, was Sie jetzt zur deutschen Politik beigetragen haben, ist der begrüßenswerte Abmarsch von Herrn Schily bei Ihnen gewesen.

    (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wir mischen uns in die Verhältnisse in der DDR nicht ein — mit einer, allerdings entscheidenden, Ausnahme: Wir wollen, daß die Bürger der DDR selber über ihr politisches und ökonomisches Schicksal bestimmen

    (Frau Hillerich [GRÜNE]: Ganz genau!)

    und daß sie nicht allein einer Partei ausgeliefert sind, die offensichtlich nicht das Vertrauen der Menschen, ganz gewiß nicht das Vertrauen der Mehrheit der Menschen hat.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

    Wir werden jede freie Entscheidung der DDR-Bevölkerung respektieren. Aber wir wollen, daß freie Entscheidungen getroffen werden können.

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ist es!)

    Freie Wahlen — darüber sind wir uns alle einig; auch Herr Vogel hat das gesagt; da ist ja gar keine Meinungsverschiedenheit — wollen wir. Der Art. 1 der Verfassung der DDR muß — das ist auch in Aussicht gestellt worden — geändert werden.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Das In-Aussicht-Stellen ist das eine, der Vollzug ist ein anderes. Aber bauen wir darauf, daß diese Zusagen eingehalten werden.
    Jedoch bedeuten freie Wahlen nicht nur auf Papier geschriebenes Recht. Wer weiß, wie die Verhältnisse dort aussehen, wer im Besitz des Apparates, der Macht, der Medien, der Zeitungen ist, der Zuteilung von Papier — alles allein auf der einen Seite — und wer wie ich am vorigen Wochenende mit dem „Demokratischen Aufbruch" im Gemeindesaal der Samariter-Kirchengemeinde in Berlin gesessen hat, der kennt die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen



    Dr. Graf Lambsdorff
    und weiß mit allen unseren Erfahrungen: So kann man Wahlkampf nicht führen. Auch darum müssen wir uns kümmern, nicht nur um Rechtsformen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)