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    Plenarprotokoll 11/177 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 177. Sitzung Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 13479 A Nachträgliche Überweisung eines Antrages — Drucksache 11/5692 — an den Haushaltsausschuß 13479 B Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistik der Straßenverkehrsunfälle (Straßenverkehrsunfallstatistikgesetz) (Drucksache 11/5464) . . 13479A Tagesordnungspunkt I: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksachen 11/5000, 11/5321, 11/5389) Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes Dr. Vogel SPD 13479 D Dr. Bötsch CDU/CSU 13488 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 13492 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 13496 A Dr. Kohl, Bundeskanzler 13502 D Voigt (Frankfurt) SPD 13514 B Bohl CDU/CSU 13516A Frau Eid GRÜNE 13518 C Genscher, Bundesminister AA 13520 B Dr. Meisner, Senator des Landes Berlin . 13523 C Wüppesahl fraktionslos 13525 A Frau Dr. Vollmer GRÜNE 13527 A Roth SPD 13527 D Austermann CDU/CSU 13529 C Jungmann (Wittmoldt) SPD 13532 A Namentliche Abstimmung 13533 D Ergebnis 13536 B Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen Hiller (Lübeck) SPD 13534 A Dr. Neuling CDU/CSU 13538 A Frau Frieß GRÜNE 13541 D Hoppe FDP 13544 A Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . 13545 D Frau Terborg SPD 13548 D Lintner CDU/CSU 13550 D Heimann SPD 13552 C Weisskirchen (Wiesloch) SPD 13553 B Stratmann GRÜNE (Erklärung nach § 31 GO) 13555 A Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts Waltemathe SPD 13555 C Dr. Rose CDU/CSU 13557 C Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 13561 B Hoppe FDP 13563 A Stobbe SPD 13564 A II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 Frau Beer GRÜNE 13567 D Genscher, Bundesminister AA 13568 C Einzelplan 10 Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Diller SPD 13572 C Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 13574 B Frau Flinner GRÜNE 13576 C Bredehorn FDP 13578 C Kiechle, Bundesminister BML 13579 C Koltzsch SPD 13582 B Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für Post und Telekommunikation Frau Faße SPD 13584 B Bohlsen CDU/CSU 13587 D Hoss GRÜNE 13589 C Funke FDP 13590 D Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMPT 13591 D Nächste Sitzung 13594 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 13595* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 177. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 28. November 1989 13479 177. Sitzung Bonn, den 28. November 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 01. 12. 89 * Amling SPD 28.11.89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 01. 12. 89 Frau Dempwolf CDU/CSU 01. 12. 89 Dr. Dollinger CDU/CSU 01. 12. 89 Engelsberger CDU/CSU 29.11.89 Graf SPD 28.11.89 Dr. Haack SPD 01. 12. 89 Frhr. Heereman von CDU/CSU 28. 11. 89 Zuydtwyck Dr. Hennig CDU/CSU 29. 11. 89 Frau Hensel GRÜNE 28. 11. 89 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 28. 11. 89 Höffkes CDU/CSU 01. 12.89 Hörster CDU/CSU 28. 11.89 Kißlinger SPD 01. 12.89 Klein (Dieburg) SPD 01. 12. 89 Dr. Klejdzinski SPD 28. 11. 89* Linsmeier CDU/CSU 01. 12.89 Frau Luuk SPD 01. 12. 89 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Lüder FDP 28.11.89 Meneses Vogl GRÜNE 01. 12. 89 Mischnick FDP 28.11.89 Niegel CDU/CSU 01. 12. 89 * Poß SPD 28. 11.89 Rappe (Hildesheim) SPD 28. 11. 89 Frau Rock GRÜNE 01. 12. 89 Frau Schilling GRÜNE 28. 11. 89 Frau Schoppe GRÜNE 28. 11. 89 Schreiber CDU/CSU 30. 11.89 Schröer (Mülheim) SPD 01. 12. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 01. 12. 89 Singer SPD 28. 11.89 Dr. Stark (Nürtingen) CDU/CSU 28. 11. 89 Dr. Stoltenberg CDU/CSU 28. 11. 89 Tietjen SPD 01. 12.89 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 28. 11. 89 Verheugen SPD 30. 11.89 Vosen SPD 28. 11.89 Dr. Warnke CDU/CSU 28. 11. 89 Werner (Ulm) CDU/CSU 28. 11. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 01. 12. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Jutta Oesterle-Schwerin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den gestrigen Verlautbarungen des Kanzlers besteht nun kein Zweifel mehr daran, mit welchem Programm Helmut Kohl in die Geschichte eingehen und ganz nebenbei den nächsten Wahlkampf gewinnen will: Die DDR soll durch einen sogenannten Dreistufenplan heim ins Reich geführt werden.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Quatsch!)

    45 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, mit der riesigen ökonomischen Macht der BRD im Rücken und der Bescheinigung der USA, auch politisch wieder eine Führungsmacht zu sein, hat Kohl keine Skrupel mehr. Die Zeit ist günstig, sagt sich der Bundeskanzler.

    (Dr. Häfele [CDU/CSU]: Die Sterne stehen gut!)

    Die DDR ist angeschlagen. Die SED hat bei der Bevölkerung keine Zustimmung mehr.

    (Klaus [CDU/CSU]: Der Sozialismus ist kaputt!)

    Warum also nicht zuschlagen?
    Warum nicht die eigene wirtschaftliche Stärke nutzen? Warum nicht die Bitte um Hilfe als willkommene Gelegenheit nehmen, das deutsche Staatsgebiet um ein Drittel zu vergrößern und sich 16 Millionen neuer Untertanen zu verschaffen?

    (Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört! — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Wer das von anderen denkt, denkt es von sich selber!)

    Was scheren einen deutschen Politiker vom Schlage Helmut Kohls die Ängste der Menschen in beiden deutschen Staaten, die sich daran erinnern, daß großdeutsche Träume schon zweimal in der Geschichte zu schrecklichen Kriegen geführt haben!

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt reicht es aber!)

    Was schert ihn die fast schon flehentlich geäußerte Bitte so ziemlich aller Oppositioneller in der DDR nach Zeit für eine eigenständige Entwicklung, selbstbestimmt, ohne Einmischung eine neue Gesellschaft aufzubauen?
    Eroberer werden in der Geschichte — das weiß der Kanzler, dafür hat er studiert — einzig und allein nach ihrem Erfolg und nicht danach beurteilt, ob ihr Wirken den Menschen Gutes gebracht hat. Mit diesem Wissen steht der Kanzler nicht allein. Es ist vielleicht ein zeitlicher, ganz gewiß aber kein sachlicher Zufall, daß am gleichen Tag, an dem Helmut Kohl seinen Plan bekanntgab, der „Republikaner" Schönhuber das neue Programm seiner Partei vorlegte, dessen Inhalt nichts anderes ist als die auf fünfzig Druckseiten ausgewalzte erste Strophe des Deutschlandliedes.
    Der politische Ton, so fürchte ich, wird in diesem Lande härter. Es ist Zeit für die Friedensbewegung, wieder auf die Straße zu gehen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU)

    Meine Damen und Herren, es gibt einige Gründe, die mich und viele andere Menschen dazu veranlassen, Angst vor einer Wiedervereinigung zu haben. Es gibt aber keinen einzigen vernünftigen Grund, der für eine Wiedervereinigung spricht. Kein einziges Problem unserer Zeit kann in einem vereinigten deutschen Staat besser gelöst werden als in zwei Staaten. Weder die ökologische Zerstörung hüben und drüben noch die soziale Verelendung durch materielle Armut und Vereinsamung werden durch die Zusammenlegung von Staaten beendet. Wenn Herr Rühe sagt, wir gehören alle zu einem Volk, dann frage ich Sie: Was nützt es der Verkäuferin in Leipzig, der Kassiererin in Dresden oder der Arbeiterin in Ost-Berlin, wenn sie mit Neckermann oder Thyssen zu einem Volk gehö-



    Frau Oesterle-Schwerin
    ren? Sie werden, wenn das westdeutsche Kapital seinen Einzug in die DDR hält, von ihm nicht besser behandelt werden als die westdeutschen Arbeitnehmerinnen, die in ungeschützten Arbeitsverhältnissen stehen, um jederzeit auf die Straße gesetzt werden zu können, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Was hat es denn den bundesrepublikanischen Rentnerinnen, den Behinderten, den Erwerbslosen genutzt, daß sie mit Blüm, Kohl und Geißler zu einem und demselben Volk gehörten? Kaum waren diese Herren 1983 an die Macht gekommen,

    (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Blühender Unsinn! — Weiß [Kaiserslautern] [CDU/CSU]: Was sind Sie für eine arrogante Frau!)

    haben sie durch Kürzungen der Sozialleistungen den Lebensstandard der betroffenen Gruppen ganz erheblich heruntergedrückt.

    (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Bei 200 Mark Rente! — Weng [Gerlingen] [FDP]: OstMark!)

    — Nein, Lohnabhängige, Sozialhilfeempfängerinnen, Erwerbslose und Rentnerinnen haben nichts von der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Nation mit Herrn Rühe. Und die Menschen in der DDR werden das Fürchten lernen, wenn Leute wie Kohl und Blüm, Thyssen und Krupp in ihrem Land das Sagen bekommen.
    Die Regierung in der Bundesrepublik hat überhaupt keine Berechtigung dazu, die DDR in Sachen Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu belehren. Ein jeder kehre vor seiner eigenen Tür, würde ich mal sagen,

    (Borchert [CDU/CSU]: Und die GRÜNEN fangen damit an!)

    bzw. es ist Zeit für einen großen Kehraus, der uns 1990 hoffentlich von einer Regierung befreit,

    (Borchert [CDU/CSU]: Der uns von den GRÜNEN befreit!)

    die in der DDR besserwisserisch und schulmeisterlich auftritt, während Armut und Wohnungsnot im eigenen Land immer größer und die ökologische Krise immer tiefer wird.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, nach Öffnung der Mauer gab es eine ganze Menge ehrliche, überschwengliche Freude über den Demokratisierungsprozeß in der DDR und über die neu gewonnene Reisefreiheit ihrer Bürgerinnen und Bürger. Große Freude auch bei uns.

    (Rühe [CDU/CSU]: Sie können sich doch gar nicht freuen! — Gegenruf des Abg. Hüser [GRÜNE]: Es ist eine Zumutung, sich hier die Zwischenrufe anhören zu müssen!)

    Es gab aber auch ganz unverhohlene Vorfreude auf die bevorstehenden Profite und eine ganz bösartige Schadenfreude über den angeblichen Niedergang der sozialistischen Idee.

    (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Angeblichen?)

    Fast drei Wochen danach ist es meiner Meinung nach an der Zeit, ein paar kritische Anmerkungen über den Kapitalismus zu machen, um die unerträgliche Überheblichkeit gegenüber dem Nachbarland DDR durch eine Umkehr der Scheinwerfer auf bundesdeutsche Verhältnisse zu relativieren.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Den dümmlichen Systemvergleichen der letzten Wochen, die zu beweisen versuchen, daß der Kapitalismus schon deswegen eine phantastische Gesellschaftsordnung ist, weil der real existierende Sozialismus gescheitert ist, muß etwas entgegengesetzt werden;

    (Kraus [CDU/CSU]: Was denn?)

    sie dürfen nicht unwidersprochen bleiben. — Das werde ich Ihnen gleich erzählen.
    Vor gut drei Wochen veröffentlichte der Paritätische Wohlfahrtsverband der Bundesrepublik einen Armutsbericht, der von der Bundesregierung mit gutem Grund nicht zur Kenntnis genommen wird. Nach diesem Armutsbericht wurden 1988 offiziell 3,3 Millionen Personen gezählt, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Das waren 6,4 % mehr als im Jahre 1987. Die Zahl steigt sprunghaft weiter an. In Wirklichkeit gibt es natürlich viel mehr Hilfsbedürftige. Seriöse Schätzungen gehen mindestens von weiteren 3 Millionen Menschen aus, die ihren Anspruch auf Sozialhilfe aus Angst und vor Scham nicht wahrnehmen. Das heißt, etwa 6 Millionen Menschen, ca. 10 % der Bevölkerung hierzulande, sind von materieller Armut betroffen. Was Armut bedeutet, das können Sie

    (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: In der DDR sehen!)

    dem Warenkorb entnehmen, der definiert, mit wie wenig ein Mensch auskommen muß, für den die Marktwirtschaft keine Verwendung hat: 150 Gramm Bohnenkaffee, 50 Gramm Bauchspeck, 12 Straßenbahnkarten, 2 Rollen Klopapier, Herr Bundeskanzler.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Für Sie reicht das!)

    Warum kommen diejenigen, die jetzt mit unübersehbarer Häme vom Versagen des realen Sozialismus sprechen, angesichts dieser Zahlen nicht auf die Idee, die Soziale Marktwirtschaft für gescheitert zu erklären?

    (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

    Was ist eigentlich schlimmer, frage ich Sie, die langen Schlangen vor den West-Berliner Obstläden, die immerhin beweisen, daß die Menschen in der DDR in der Lage sind, Südfrüchte zu kaufen, auch zu überhöhten Preisen, oder die Tatsache, daß viele ältere Menschen in der Bundesrepublik dazu gezwungen sind, sich von Hundefutter zu ernähren? Was ist schlimmer, frage ich Sie.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Bohl [CDU/CSU]: Menschenskinder! Setzen Sie sich wieder hin! — Weitere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)




    Frau Oesterle-Schwerin
    Die DDR kann von der Bundesrepublik in der Tat sehr viel lernen. Sie kann vor allem viel darüber lernen, wie eine Gesellschaft und ein Land besser nicht organisiert werden sollten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wo leben Sie denn? — Fortgesetzte weitere Zurufe von der CDU/CSU — Hüser [GRÜNE]: Frau Präsidentin, wenn die das nicht hören wollen, schicken Sie sie raus!)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sie haben das Wort, Frau Oesterle-Schwerin.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Jutta Oesterle-Schwerin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Es ist gar nicht nötig, den bundesdeutschen Arbeitnehmerinnen und den Ausländerinnen, die hier leben, einen bezahlten Feiertag zu klauen, Herr Biedenkopf. In der Bundesrepublik gibt es genug Geld. Wenn wir nur all diejenigen Mittel, die hierzulande zur Förderung umweltschädlicher, destruktiver Projekte eingesetzt werden, der DDR zum Aufbau einer ökologischen Wirtschaft zur Verfügung stellen würden, dann könnten wir der DDR helfen und gleichzeitig viel Schaden von uns selber abwenden.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Schluß jetzt! — Borchert [CDU/CSU]: Schwacher Beifall bei den GRÜNEN!)

    Meine Damen und Herren, die Frauen, die in dieser Zeit aus der DDR in die Bundesrepublik umsiedeln, haben auch ganz herzlich wenig davon, daß sie mit Frau Lehr und Herrn Blüm zu einem und demselben Volk gehören. Den Frauen, die heute mit dem Gedanken an eine Umsiedlung spielen, muß folgendes gesagt werden: Ihr macht unter Umständen einen schlechten Tausch; ihr kommt vielleicht vom Regen in die Traufe.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Unser häufigstes Problem, das Problem mit den Männern, die zu Hause die Füße unter den Tisch hängen und sich vor der Hausarbeit drücken und die Sorge um die Kinder meistens den Frauen allein überlassen, dieses Problem haben viele Frauen hüben wie drüben.

    (Kraus [CDU/CSU]: Dann schauen Sie doch da drüben einmal zu!)

    Wenn die Frauen in der DDR den Wunsch nach Übersiedlung mit der Hoffnung auf weniger Arbeit verknüpfen, dann haben sie vielleicht recht.

    (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Was heißt „vielleicht"?)

    Die meisten von ihnen werden hier selbst dann nicht berufstätig sein dürfen, wenn sie es wollen oder wenn sie es müssen.

    (Kraus [CDU/CSU]: Warum?)

    — Warum? Weil sie als Ingenieurinnen, als Technikerinnen oder als Angehörige von nicht frauenspezifischen Berufen sowieso keine Stelle bekommen,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben keine Ahnung!)

    weil sie als Frauen in bundesdeutschen Betrieben unerwünscht sind, weil die Stellen von Männern besetzt sind

    (Zuruf von der CDU/CSU: Waren Sie schon einmal in einem Betrieb? — Kraus [CDU/CSU]: Haben Sie schon mal gearbeitet? — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie will doch gar nicht!)

    und weil die Registrierung von Müttern als Arbeitsuchende bei den Arbeitsämtern erst dann angenommen wird, wenn diese Mütter beweisen können, daß ihre Kinder untergebracht sind

    (Kraus [CDU/CSU]: Wer erzählt Ihnen das denn?)

    und weil gerade das die meisten Frauen in der Bundesrepublik Deutschland nicht nachweisen können.

    (Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: So ist es! — Hüser [GRÜNE]: Männer müssen nicht nachweisen, daß sie ihre Kinder unterbringen können! Sie könneñ so arbeiten!)

    Wir müssen den Frauen in der DDR, die hierherkommen wollen, sagen, daß sie hier mitten in einer Phase des „rollback' der Bundesregierung und der CDU-regierten Länder gegen die Frauen und ihren Wunsch nach Erwerbsarbeit hineingeraten. Ganztagsschulen und Kindergärten werden nicht nur nicht ausgeweitet, nein, sie werden systematisch kaputtgemacht bzw. geschlossen, wie gerade jetzt in Baden-Württemberg.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Ein seltener Schmarren! — Kraus [CDU/CSU]: Unerträglich!)

    Hier hört die vielbeschworene Volksgemeinschaft der CDU/CSU auf. Was stattfindet, ist ein Kampf des patriarchalen Systems gegen die Emanzipationsbestrebungen von Frauen.
    Meine Damen und Herren, in der DDR ist der jetzige Generalsekretär der SED in das Schußfeld der Kritik geraten, vollkommen zu Recht.

    (Kraus [CDU/CSU]: Verteidigen Sie ihn doch!)

    Die Opposition wirft ihm Beihilfe zum Wahlbetrug und Parteinahme für das von der chinesischen KP veranstaltete Massaker in Peking vor. Es ist gut denkbar, daß Krenz auf dem Sonderparteitag der SED abgesetzt wird. Das Volk der DDR ist unduldsam geworden gegen Machtmißbrauch, Korruption und Komplizenschaft mit Staatsterroristen.

    (Dr. Graf Lambsdorff [FDP]: Haben Sie das auch schon gemerkt?)

    Hierzulande sollte allerdings über Egon Krenz nicht reden, wer Helmut Kohl nicht hat verhindern können.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unerhört! — Dr. Müller [CDU/CSU]: Das ist faschistoid! — Weitere, lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)

    — Ich verlange, daß Sie das „faschistoid" rügen.

    (Erneutes Lachen bei der CDU/CSU)




    Frau Oesterle-Schwerin
    Also, wenn es um Wahlbetrug geht, meine Damen und Herren: Die CDU in Niedersachsen hatte mit Herrn Vajen jahrelang einen gerichtlich anerkannten Wahlbetrüger im Landtag sitzen, bevor dieser, ohne seine Gesinnung ändern zu müssen, Mitglied der Republikaner wurde. Und außenpolitisch erklärt sich die Bundesregierung solidarisch mit den USA, die mit Millionenaufwand die Mordtaten der Contra-Banden in Nicaragua finanziert.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Und die Sandinisten!)

    Sie gewährt der türkischen Regierung, die einen Vernichtungsfeldzug gegen das kurdische Volk führt, 280 Millionen DM an Rüstungsbeihilfe im Jahr und gehört zusammen mit Großbritannien zu den politischen Hauptstützen der Rassisten in Südafrika.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Sie lassen sich von Gaddafi beraten! — Dr. Müller [CDU/CSU]: Und finanzieren! — Kraus [CDU/CSU]: Weitermachen! Dann haben wir es hinter uns!)

    Ausgerechnet diese Bundesregierung versucht nun, das Volk der DDR, das gerade dabei ist, sich die Demokratie zu erkämpfen, mit dem Gesellschaftsmodell der Bundesrepublik Deutschland zu beglücken, und das mit Mitteln, die im normalen bürgerlichen Leben schlicht erpresserisch genannt werden.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Dann gehen Sie doch hinüber!)

    Es ist Erpressung, die Not anderer auszunutzen, um ihnen den eigenen Willen aufzuzwingen. Immer höher wird die Meßlatte für Kredite gelegt, immer dreister werden die Forderungen, immer offensichtlicher die Absicht, sich um das so oft zitierte Selbstbestimmungsrecht der DDR einen Dreck zu scheren.

    (Bohl [CDU/CSU]: Dann gehen Sie doch rüber!)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Solidarität mit der DDR kann nur heißen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um ihr den Rücken für eine eigenständige Entwicklung, also auch für eine sozialistische Entwicklung, freizuhalten.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Lassen Sie doch das Volk entscheiden! Nicht diese nationalsozialistische Bevormundung!)

    Solidarität mit der DDR heißt deshalb auch, politisch allen Wiedervereinigungsgelüsten einen Riegel vorzuschieben, den ökonomischen Aufkauf des anderen deutschen Staates zu verhindern.
    Deshalb und gerade auch jetzt möchte ich für eine Politik der Zweistaatlichkeit und für die Anerkennung der DDR werben, ohne Wenn und Aber.

    (Rühe [CDU/CSU]: Gegen den Willen der Deutschen!)

    Solidarität heißt: Hände weg von der DDR!

    (Lachen bei der CDU/CSU — Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Und ihr geht rüber und schreibt Parteiprogramme!)

    Die Opposition in der DDR fordert eine radikale Umgestaltung der Wirtschaft, aber sie fordert in ihrer
    Mehrheit eine sozialistische Umgestaltung, weil sie weiß, was Gewinne machen auf Kosten von Menschen und Natur bedeutet. Sie will eine Steigerung der Produktionseffektivität, aber keine, die, wie in der BRD, mit Tausenden und aber Tausenden von Arbeitsunfällen bezahlt wird. Sie will einen höheren Konsum, aber keinen, der durch die Ausbeutung von Ländern der sogenannten Dritten Welt bezahlt wird, und darin unterscheidet sie sich erfreulich von der Mehrzahl der Mitglieder dieses Hauses.
    Aber, so ist zu lesen, es gehe ja gar nicht nur um die Wirtschaft; was die DDR am nötigsten brauche, ist Demokratie und die politische Kultur nach westlichem Vorbild. Ich frage Sie: Sehnen sich die Demonstranten und Demonstrantinnen in Leipzig wirklich nach jener Freiheit, die der Bundeskanzler meint? Umgekehrt: Würden sie sich mit deren Einführung nicht einen Bärendienst erweisen?

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Ungeheuerlich! Das muß festgehalten werden!)

    Ich behaupte: Über so viel Einfluß und wirkliche Macht, wie die Menschen in der DDR zur Zeit haben,

    (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Schlimm ist, daß Sie das selbst glauben, was Sie reden!)

    hat noch keine Opposition in der Bundesrepublik verfügt.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Um Gottes willen!)

    Jahrelang wurden die Proteste in Wackersdorf von der Bundesregierung kriminalisiert, niedergeknüppelt und mit CS-Gas bekämpft. Wackersdorf liege, so wurde uns gesagt, im nationalen Interesse, der Verzicht auf die WAA komme einem Verzicht auf politische Souveränität gleich. Nachdem die Industrie zu dem Ergebnis kam, daß Wackersdorf für sie keinen ausreichenden Gewinn abwirft, war das Projekt gestorben. Wer hat also hier das Sagen? In der DDR haben sich die Staatsorgane und die Polizei für Übergriffe und Mißhandlungen bei den Demonstrantinnen und Demonstranten entschuldigt. Ein Beamter der Volkspolizei wurde zu 14 Monaten ohne Bewährung verurteilt.

    (Dr. Müller [CDU/CSU]: Bei uns laufen die Polizisten frei herum!)

    Wann werden die Verantwortlichen für die Tötung der Studentin in Göttingen zur Rechenschaft gezogen, die vor einigen Tagen von der Polizei unter ein Auto gehetzt wurde?

    (Beifall bei den GRÜNEN — Austermann [CDU/CSU]: Das ist eine Verleumdung!)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Schluß noch eine Bemerkung. „Wir gehören alle zu einem Volk", sagt Herr Rühe. Das ist eine Bedrohung für all diejenigen, die von Geburt an nun einmal nicht zu diesem Volk gehören.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Was?)

    Erst unlängst hat der bayerische Ministerpräsident,
    Streibl, versucht, die Zuzugsbewegung aus der DDR
    dazu auszunutzen, um erneut die Abschaffung des



    Frau Oesterle-Schwerin
    Grundrechtes auf Asyl zu fordern. Es mehren sich die Stimmen, die zugunsten der Übersiedler aus der DDR einen noch härteren und erbarmungslosen Umgang mit den Flüchtlingen aus der Türkei, aus den Ländern Afrikas, Südamerikas und Asiens fordern. Diese sind für die Bundesregierung unerwünscht, weil sie im Gegensatz zu den Übersiedlern aus der DDR nicht als Beweis für die angebliche Überlegenheit des westlichen Systems mißbraucht werden können, sondern ganz im Gegenteil Teil einer lebendigen Anklage gegen das weltweite Wirken auch des bundesdeutschen Kapitalismus sind.

    (Bühler [Bruchsal] [CDU/CSU]: Übelste Hetze, was da betrieben wird!)

    Ich wünsche mir, daß die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ihre Humanität gerade nicht von der Zugehörigkeit zum deutschen Volk und nicht vom Nationalitätenstempel im Reisepaß abhängig machen. Damit wäre schon viel gewonnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Gott sei Dank!)