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ID1116808900

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    6. Irmer.: 1
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    Plenarprotokoll 11/168 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 168. Sitzung Bonn, Freitag, den 20. Oktober 1989 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Elften Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes, eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes und eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Drucksache 11/5408) 12707 A Zusatztagesordnungspunkt 7: Wahlvorschlag der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN für die Wahl der vom Deutschen Bundestag gemäß § 32 Abs. 1 des Poststrukturgesetzes vorzuschlagenden Mitglieder des Infrastrukturrats beim Bundesminister für Post und Telekommunikation (Drucksache 11/5409) 12707 A Tagesordnungspunkt 16: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Verbot von Selbstbedienung beim Verkauf von Arzneimitteln (Drucksachen 11/1127, 11/3048) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (Drucksache 11/5373) Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 12707 D Jaunich SPD 12708 C Frau Würfel FDP 12710 B Frau Wilms-Kegel GRÜNE 12711 A Dr. Voigt (Northeim) CDU/CSU 12711 D Tagesordnungspunkt 17: Beratung des Antrags des Abgeordneten Reddemann und weiterer Abgeordneter: Unterrichtung des Deutschen Bundestages über den Stand der Unterzeichnung und Ratifizierung europäischer Abkommen und Konventionen durch die Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 11/5180) Dr. Soell SPD 12713 B Böhm (Melsungen) CDU/CSU 12714 C Frau Beer GRÜNE 12715 C Irmer FDP 12716 B Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister AA 12717 A Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Dritten Verstromungsgesetzes (Drucksache 11/5392) Gerstein CDU/CSU 12718 A Jung (Düsseldorf) SPD 12719 D Dr.-Ing. Laermann FDP 12721 B Stratmann GRÜNE 12722 B Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 12724 B Menzel SPD 12726 B Hinsken CDU/CSU 12727 D Zusatztagesordnungspunkt 9: Aktuelle Stunde betr. Beteiligung und Verantwortung der Bundesregierung an II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 168. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Oktober 1989 der Entsendung der plutoniumbestückten Jupitersonde Galileo in den Weltraum durch die NASA Frau Wollny GRÜNE 12729 B Dr. Rüttgers CDU/CSU 12730 A, 12738 A Fischer (Homburg) SPD 12730 D Dr.-Ing. Laermann FDP 12731 D Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 12732 D Vosen SPD 12734 C Seesing CDU/CSU 12735 B Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 12735 D Timm FDP 12736 B Frau Ganseforth SPD 12737 B Seidenthal SPD 12739 A Jäger CDU/CSU 12740 A Tagesordnungspunkt 18: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Reform des Jugendgerichtsverfahrens (Drucksache 11/4892) Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 12740 D Seesing CDU/CSU 12744 A Frau Nickels GRÜNE 12745 B Irmer FDP 12746 D Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär BMJ 12748 B Tagesordnungspunkt 19: Beratung des Antrags des Abgeordneten Müntefering, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Soziale Fortentwicklung des Wohngeldes (Drucksache 11/5267) Menzel SPD 12749 D Frau Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 12751 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 12753 D Dr. Hitschler FDP 12754 C Echternach, Parl. Staatssekretär BMBau 12755 C Nächste Sitzung 12756 D Berichtigung 12756 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 12757* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 12757* D Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 168. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Oktober 1989 12707 168. Sitzung Bonn, den 20. Oktober 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 167. Sitzung, Seite 12600 B, Zeile 13: Statt „2020" ist „2000" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 20. 10. 89 Amling SPD 20. 10. 89 Andres SPD 20. 10. 89 Austermann CDU/CSU 20. 10. 89 Bachmaier SPD 20. 10. 89 Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 20. 10. 89 Büchner (Speyer) SPD 20. 10. 89 * Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 20. 10. 89 * Carstensen (Nordstrand) CDU/CSU 20. 10. 89 Clemens CDU/CSU 20. 10. 89 Frau Dempwolf CDU/CSU 20. 10. 89 Duve SPD 20. 10. 89 Eich GRÜNE 20. 10. 89 * Frau Eid GRÜNE 20. 10. 89 Dr. Faltlhauser CDU/CSU 20. 10. 89 Dr. Feldmann FDP 20. 10. 89 Francke (Hamburg) CDU/CSU 20. 10. 89 Fuchtel CDU/CSU 20. 10. 89 Gattermann FDP 20. 10. 89 Dr. Geißler CDU/CSU 20. 10. 89 Frau Dr. Götte SPD 20. 10. 89 Dr. Götz CDU/CSU 20. 10. 89 Grünbeck FDP 20. 10. 89 Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 20. 10. 89 Hauser (Esslingen) CDU/CSU 20. 10. 89 Dr. Häfele CDU/CSU 20. 10. 89 Häfner GRÜNE 20. 10. 89 Freiherr Heereman von CDU/CSU 20. 10. 89 Zuydtwyck Heimann SPD 20.10. 89 Heinrich FDP 20. 10. 89 Höffkes CDU/CSU 20. 10. 89 Huonker SPD 20. 10. 89 Irmer FDP 20. 10. 89 ** Kastning SPD 20. 10. 89 Kittelmann CDU/CSU 20. 10. 89 ** Klein (Dieburg) SPD 20. 10. 89 Kolb CDU/CSU 20. 10. 89 Kolbow SPD 20. 10. 89 Koltzsch SPD 20. 10. 89 Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 20. 10. 89 Kroll-Schlüter CDU/CSU 20. 10. 89 Leidinger SPD 20. 10. 89 Louven CDU/CSU 20. 10. 89 Frau Luuk SPD 20. 10. 89 Maaß CDU/CSU 20. 10. 89 Dr. Mechtersheimer GRÜNE 20. 10. 89 Dr. Mertens (Bottrop) SPD 20. 10. 89 Michels CDU/CSU 20. 10. 89 Mischnick FDP 20. 10. 89 Möllemann FDP 20. 10. 89 Oostergetelo SPD 20. 10. 89 Paterna SPD 20. 10. 89 Rappe (Hildesheim) SPD 20. 10. 89 Reuschenbach SPD 20. 10. 89 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Rind FDP 20. 10. 89 Rixe SPD 20. 10.89 Sauer (Stuttgart) CDU/CSU 20. 10. 89 Schanz SPD 20. 10. 89 Schäfer (Mainz) FDP 20. 10. 89 Dr. Scheer SPD 20. 10. 89 ** Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 20. 10. 89 Dr. Schmude SPD 20. 10. 89 Schreiner SPD 20. 10.89 Schröer (Mülheim) SPD 20. 10. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 20. 10. 89 Schütz SPD 20. 10. 89 Frau Dr. Segall FDP 20. 10. 89 Stobbe SPD 20. 10. 89 Dr. Struck SPD 20. 10. 89 Stücklen CDU/CSU 20. 10. 89 Frau Trenz GRÜNE 20. 10. 89 Verheugen SPD 20. 10. 89 Voigt (Frankfurt) SPD 20. 10. 89 Dr. Waigel CDU/CSU 20. 10. 89 Dr. Warnke CDU/CSU 20. 10. 89 Dr. von Wartenberg CDU/CSU 20. 10. 89 Weiß (Kaiserslautern) CDU/CSU 20. 10. 89 Westphal SPD 20. 10. 89 Dr. Wieczorek SPD 20. 10. 89 Wimmer (Neuötting) SPD 20. 10. 89 Wissmann CDU/CSU 20. 10. 89 Zander SPD 20. 10. 89 Zierer CDU/CSU 20. 10. 89 * Dr. Zimmermann CDU/CSU 20. 10. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 11/3755 Drucksache 11/3756 Drucksache 11/4022 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/5051 Nr. 40 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/3882 Nr. 3.41 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/883 Nr. 119 Drucksache 11/4161 Nr. 2.26 Drucksache 11/4534 Nr. 2.21
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Christa Nickels


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Anwesende! Ich finde die Debatte interessant, vor allen Dingen weil in Ihrem Beitrag, Frau Däubler-Gmelin, und in dem von Herrn Seesing zwei
    ganz wichtige Bereiche beleuchtet worden sind, bei Ihnen mehr mit dem rechtlichen und bei ihm mit dem sozialen Schwerpunkt. Ich finde es sehr wichtig, daß das heute noch einmal so beleuchtet worden ist.
    Im Grunde genommen besteht bei denen, die sich damit befassen, Einigkeit in der Analyse. Ich habe mir noch einmal die Unterlagen angeguckt. Herr Minister Engelhard hat schon am 31. März letzten Jahres gesagt — ich zitiere — :
    Jugendkriminalität führt nicht notwendig zur Kriminalität im Erwachsenenalter. Sie ist vielmehr überwiegend Ausdruck jugendlichen Probierverhaltens in einer für Jugendliche schwierigen Umwelt. Gelassenheit, Hilfe und Vermittlung von Chancen sind deshalb die bessere Antwort auf jugendliches Fehlverhalten als Vergeltung, Sühne und Abschreckung.

    (Frau Schoppe [GRÜNE]: Das hat er schön gesagt!)

    Frau Däubler-Gmelin hat das ja mit empirischen Forschungen belegt. Also kann man sagen: Problem erkannt. Frage: Problem gebannt?
    Es ist wahr, wir haben jetzt einige Vorlagen. Die von der Regierung eingebrachte Novelle zum Jugendgerichtsgesetz liegt vor. Wir haben sie alle auch schon analysiert. Von den GRÜNEN gibt es aus dem letzten Jahr einen Gesetzentwurf zur U-Haft, in dem dazu auch etwas gesagt ist. Und jetzt kommt Ihr Antrag. Ich finde gut, daß so viele Vorlagen da sind, weil das Problem breit diskutiert und von allen Seiten beleuchtet werden muß.
    Ich möchte noch gern auf die Statistik eingehen. Herr Seesing, Sie haben zwar gesagt, das könne man lassen; ich finde es aber wichtig, es zu tun. Ich meine, daß diese Analyse im SPD-Antrag sehr gut geleistet worden ist.
    Ich will ein paar Punkte herausgreifen: Auf Seite 3 unten und auf Seite 4 oben sind die wichtigsten Feststellungen getroffen worden. Die SPD hat hier erstens noch einmal ganz klar offengelegt, daß nur 5 % der jungen Menschen, gegen die ein Verfahren eingeleitet wird, und die verurteilt werden, wegen Gewaltkriminalität auffällig geworden sind. Das ist ein wichtiger Punkt. Die allermeisten Fälle sind Bagatelldelikte, die der Herr Minister ja als Ausdruck jugendlichen Probierverhaltens qualifiziert hat.
    Der zweite Punkt, den die SPD in ihrem Antrag dankenswerterweise auch noch einmal zum Ausdruck bringt, ist, daß Dunkelfeldforschungen erwiesen haben, daß die allermeisten jungen Menschen in dieser Weise auffällig werden, aber daß diese Auffälligkeiten nicht verfolgt werden und auch ohne Intervention des Gesetzgebers verschwinden. Diese jungen Menschen werden also überhaupt nicht kriminell. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
    Der dritte bedeutende Punkt ist, daß die Rückfallquote bei den jungen Leuten, die „behandelt" worden sind — ich sage das wirklich ironisch — , die Jugendarrest oder Jugendstrafe bekommen haben, extrem hoch ist. Bei 15- bis 20jährigen beträgt sie 92,6 %. Die empirischen Erfahrungen haben umgekehrt gezeigt, daß bei den jungen Menschen, bei denen überhaupt



    Frau Nickels
    nichts gemacht wird bzw. wo bei schwereren Delikten ambulante Maßnahmen durchgeführt wurden, die Rückfallquote erheblich geringer war. Die Erfolgsquote war viel höher.
    Der vierte Punkt, den Sie auch in Ihrem Antrag ansprechen, ist das Problem der Untersuchungshaft für junge Leute. Ich finde, Frau Dr. Gmelin, Sie haben recht: Es ist unerträglich, daß junge Menschen von 14 bis 17 Jahren, noch halbe Kinder, in U-Haft genommen werden können. Es ist furchtbar, wenn man in ein Gefängnis kommt und diese Milchgesichter sieht. U-Haft für junge Leute muß abgeschafft werden.

    (Beifall bei den GRÜNEN, der SPD sowie des Abg. Irmer [FDP])

    Sie haben zu Recht problematisiert, daß ein großer Teil der jungen Leute, die in U-Haft kommen, hinterher überhaupt nicht zu Haftstrafen verurteilt werden. Allein das spricht dieser Praxis Hohn. Hinzu kommt: Diese junge Menschen werden extrem belastet. Sie sind verzweifelt. Die Selbstmordrate ist überproportional hoch im Vergleich zum übrigen Strafvollzug. Das darf sich eine humanitäre Gesellschaft nicht leisten.
    Diese vier wichtigen Bereiche hat die SPD in ihrem Antrag sehr gut analysiert.
    Ich bin aber der Meinung, Frau Däubler-Gmelin, daß Sie, obwohl Sie etliche gute Lösungsvorschläge gemacht haben, in einigen Punkten an den Problemen ein Stück weit vorbeigehen, daß die Vorschläge im Kern teilweise halbherzig sind. Ich will das an den vier Punkten festmachen, die ich gerade vorgetragen habe.
    Wenn es wirklich so ist, daß die allerwenigsten Taten der Gewaltkriminalität zuzuordnen sind, dann dürften für diese leichten Probierverhaltensdelikte — ich nehme den Ausdruck des Ministers auf — auch keine ambulanten Maßnahmen vorgesehen werden.
    Die Verfahren müßten eingestellt werden. Die Bagatelldelikte müssen entkriminalisiert werden. Es ist die Frage, ob man sie nicht in das Ordnungswidrigkeitenrecht übernehmen sollte. Das ist ganz wichtig.

    (Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    Das heißt, die Verfahren müßten eingestellt werden, oder es müßte eine Verwarnung ausgesprochen werden.
    Der zweite Punkt — das haben Sie schon genannt — : Die Jugendstrafe muß zurückgedrängt werden. Ich stimme mit Ihnen völlig überein: Es darf keine Jugendstrafe unter dem Aspekt der „schädlichen Neigungen" geben. Das ist richtig. Das haben Sie dankenswerterweise klargestellt. Wir sind auch der Meinung, daß die Jugendstrafe für 14- bis 16jährige abgeschafft werden sollte. Bei schweren Delikten sollten die ambulanten Maßnahmen greifen.
    Wo die öffentliche Sicherheit wirklich bedroht ist, wo es gar nicht anders geht, sollten nach unserer Meinung diese jungen Leute nach §§ 71 und 72 des Jugendgerichtsgesetzes in Erziehungsheimen untergebracht werden.
    Der vierte Punkt betrifft die U-Haft. Wir sind der Meinung, für 14- bis 17jährige darf überhaupt keine U-Haft ausgesprochen werden. Wir sind auch der Meinung, daß die Voraussetzungen für U-Haft generell eingeschränkt werden müssen. Es gibt einen Entwurf betreffend U-Haft von der SPD, und es gibt auch einen Entwurf von uns. Im SPD-Entwurf sind die Voraussetzungen für U-Haft im Erwachsenenbereich teilweise ausgedehnt worden. Das ist ein bißchen widersprüchlich. Ich möchte es in diesem Zusammenhang anmerken.
    Der fünfte Punkt, der uns wichtig ist: Die Höchststrafen für die jungen Menschen sind zu senken. Ich beziehe mich auf das, was auf dem Jugendgerichtstag in Göttingen gesagt wurde und auf dem wir beide waren, Frau Däubler-Gmelin. Dort wurde gesagt:
    Es geht darum, die Grundsätze von Subsidarität, Verhältnismäßigkeit und Zweckmäßigkeit durchzusetzen.
    Das beinhaltet aber, daß auf jeden Fall die ambulanten Maßnahmen nicht zur Ausweitung des Sanktionenkatalogs führen dürfen, sondern eine Sperre gegen eine Ausweitung eingebaut werden muß. Diese Sperre fehlt sowohl im Entwurf der Regierung als auch in Ihrem Antrag. Die SPD müßte darauf achten, daß eine echte Sperre in das JGG eingebaut wird, damit nicht das, was gut gemeint ist, hinterher dazu dient, den Sanktionenkatalog auszudehnen.
    Ich denke, daß wir darüber sehr eingehend beraten und im Interesse der jungen Leute ein ordentliches und gutes Konzept erarbeiten sollten.
    Danke schön.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Irmer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ulrich Irmer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dem SPD-Antrag, den wir heute diskutieren, ist in einem wesentlichen Punkt inzwischen entsprochen worden. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt. Ich möchte aus diesem Grunde heute auf diesen Gesetzentwurf eingehen und dabei einiges von dem aufgreifen, was in der Debatte gesagt worden ist.
    Es ist richtig, daß das derzeitige Jugendgerichtsgesetz reformiert werden muß, weil der Grundsatz, daß erzieherische und soziale Maßnahmen in diesem Bereich anzusetzen sind und daß Strafe allenfalls als Ultima ratio in Frage kommt, im geltenden Recht nicht ausreichend verwirklicht ist, obwohl das geltende Recht theoretisch von diesem Gedanken bereits beseelt ist.
    Das geltende Recht hat sich in manchen Fällen als Hemmschuh für eine sachgerechte, eine menschliche und eine jugendbezogene Konfliktlösung erwiesen. Dies soll geändert werden. Ich freue mich, daß es über weite Bereiche Einigkeit gibt. Alle sind der Meinung, daß der Erziehungsgedanke dadurch stärker ausgeprägt werden kann, daß man den Katalog der Weisungen in § 10 erweitert, daß man den Betreuungshelfer einführt, soziale Trainingskurse im Gesetz verankert und insbesondere den Täter-Opfer-Ausgleich ins Ge-



    Irmer
    setz hineinschreibt; denn es ist doch wohl so, daß sich manche Jugendlichen aus Leichtsinn oder Gedankenlosigkeit zunächst gar nicht klarmachen, was die Folgen für die Opfer sind. Wenn man ihnen dies deutlich vor Augen führt und sie sich somit in die Situation des Opfers hineinversetzen können, ist das gewiß eine wirksamere Vorbeugung gegen Wiederholung und Rückfall, als es irgendeine Strafe sein könnte, denn Einsicht ist sicherlich immer besser als Abschrekkung.
    Der Jugendrichter bekommt durch diese neuen Instrumente die Möglichkeit an die Hand, flexibler und individueller auf den konkreten Fall einzugehen und dem Jugendlichen die Hilfestellung zu geben, die er braucht, um alle Chancen auf volle Wiedereingliederung und Rehabilitierung nutzen zu können. Ambulante Therapie statt stationärem Vollzug soll durch die Gesetzesänderungen erreicht werden.
    Wir sind uns auch darüber einig, daß die verfassungsrechtlich ohnehin problematische Jugendstrafe von unbestimmter Dauer abgeschafft werden soll und daß erweiterte Möglichkeiten zur Strafaussetzung auf Bewährung eingeführt werden müssen. Frau Dr. Däubler-Gmelin hat vorhin gesagt, daß die SPD den Vorschlag, das auch auf die dreijährige Freiheitsstrafe auszudehnen, zurücknimmt. Hierüber könnte man streiten; aber wir haben ja ohnehin noch großen Beratungsbedarf. Wichtig ist, daß in Zukunft Verfahren auch ohne förmliche Reaktion beendet werden können, jedenfalls in größerem Umfang, als das bisher der Fall war.
    Ich möchte hier einmal aus der Begründung des Entwurfes zitieren. Dort ist das nämlich sehr schön formuliert. Es spiegelt den Geist wider, von dem sich dank des Bundesjustizministers Hans Engelhard die Autoren des Entwurfes haben leiten lassen. Es heißt hier — Frau Präsidentin, ich zitiere mit Ihrer Genehmigung —:
    Für einen nicht unerheblichen Teil der leichteren Jugendkriminalität stellt das abweichende Verhalten junger Menschen eine eher normale Erscheinung dar, die nicht als Symptom einer beginnenden oder möglichen kriminellen Verwahrlosung beurteilt werden und die keinerlei über die Entdeckung der Tat und über den Kontakt mit Polizei, Jugendgerichtshilfe und Staatsanwaltschaft hinausgehende Folgen nach sich ziehen muß. Der Interventionsbedarf erscheint in solchen Fällen wesentlich geringer, als bisher üblicherweise noch angenommen wird.
    Dies sind goldene Worte. Wenn man die Formulierungen der Schwerfälligkeit der amtsdeutschen Ausdrucksweise entkleidet, dann heißt das ungefähr folgendes: Lieber Staat, schieße nicht mit Kanonen auf Spatzen. Jugendliche sind nun einmal noch nicht erwachsen und vor allem nicht angepaßt. Es wäre schlimm, wenn es anders wäre.

    (Frau Nickels [GRÜNE]: Richtig!) Erwachsen zu werden ist nicht leicht,


    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Aber unvermeidlich!)

    über die Stränge zu schlagen ist höchst normal.
    Kommt es dabei zu Handlungen, die die Gesellschaft einfach nicht hinnehmen kann, so hüte dich vor Überreaktionen, lieber Staat. Nimm den Jugendlichen bei der Hand und hilf ihm dabei, zu sich selbst und aus Vernunft und Einsicht seinen eigenen Platz in unserer Gesellschaft zu finden. Er ist kein Verbrecher, sondern meist unreif und in jedem Fall hilfsbedürftig. Vor allem, lieber Staat, unterlasse alles, um einen Jugendlichen in dieser Situation durch die Art, wie du ihn behandelst, erst zum Verbrecher zu machen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Meine Damen und Herren, wir haben heute nicht die Zeit, über alle Punkte zu sprechen. Wir beurteilen den Entwurf der Bundesregierung im wesentlichen positiv. Dies heißt aber nicht, daß er nicht auch einige ganz gravierende Pferdefüße enthält. Der eine Pferdefuß ist hier angesprochen worden: Untersuchungshaft für 14- und 15jährige wird nach wie vor möglich sein. Ich stimme mit allen Vorrednern überein, die dies erwähnt haben: Für eine zivilisierte Gesellschaft ist das angesichts dessen, was ringsrum in der Welt alles an Scheußlichkeiten geschieht, nicht hinnehmbar. Es muß gelten: Kinder gehören nicht in den Knast.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

    Ich bedaure, daß die Kollegen, die hierzu anderer Meinung sind, heute der Debatte nicht beiwohnen können. Aber ich appelliere an Sie — Herr Seesing, vielleicht geben Sie das an Herrn Wittmann und andere weiter — : Suchen wir doch gemeinsam eine menschlichere und — das sage ich jetzt auch an Ihre Adresse — christlichere Lösung für das Problem als die, die bisher im Gesetz vorgesehen ist.
    Sicher gibt es 14jährige, die gemeingefährlich sind — das kann niemand bestreiten — , die die Gesellschaft nicht frei herumlaufen lassen kann. Wenn jemand einen Mord und einen zweiten begangen hat, wenn er also einfach — selbst mit 14 Jahren — so strukturiert ist, dann ist das zwar sehr bedauerlich; aber er gehört dann eben in eine geschlossene Anstalt mit entsprechenden Therapiemöglichkeiten. In Untersuchungshaft gehört er jedenfalls nicht. Ein Kind in Untersuchungshaft zu nehmen ist der schlechteste Weg, der denkbar ist. Es ist unmenschlich, es ist phantasielos, hartherzig, kriminalitätsfördernd, kriminellenbildend,

    (Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

    zur Problemlösung ungeeignet und steht auch in krassem Widerspruch zu allen Grundsätzen, denen dieser Entwurf selbst verpflichtet ist.

    (Frau Nickels [GRÜNE]: Genau!)

    Meine Damen und Herren, wir werden uns in den Beratungen darum bemühen, dies noch wegzubringen. Wir werden dafür kämpfen.

    (Frau Nickels [GRÜNE]: Da nehmen wir Sie beim Wort!)

    — Da können Sie mich beim Wort nehmen, Frau Nikkels, ganz selbstverständlich! Ich sage aber auch: Wir werden den Entwurf als solchen an dieser Frage nicht scheitern lassen. Denn mit diesem Entwurf ist, wie Frau Däubler-Gmelin richtig gesagt hat, das Thema „Jugendgerichtsverfahren und Jugendstrafrecht" ja



    Irmer
    keineswegs beendet. Auf Seite 36 der Begründung des Entwurfs ist ein ganzer Katalog von weiteren Themen aufgeführt, die in der Gesetzgebung abgehakt werden müssen. Die Bundesregierung sagt im Augenblick: Dazu ist die Zeit noch nicht reif, einfach weil die Vorarbeiten noch nicht erledigt sind. Herr Jahn, ich hoffe doch, daß wir, wenn nicht in dieser Legislaturperiode, so doch spätestens zu Anfang der nächsten Legislaturperiode einen neuen Vorstoß unternehmen können, um auch diese Punkte zu erledigen.
    Meine Damen und Herren, ich habe gesagt: Wir werden trotz einiger Kröten, die wir sehen, diesen Entwurf mittragen, wenn es uns nicht gelingt, im weiteren Beratungsverfahren die Änderungen, die wir wünschen, durchzusetzen. Aber ich sage Ihnen eines: Von uns verlange dann bitte niemand, daß wir dies als Schlußfolgerungen oder Errungenschaften liberaler Rechtspolitik verkaufen. Das werden wir nicht tun. Vielmehr werden wir auch der Öffentlichkeit gegenüber erklären: In einer Koalition ist es nun manchmal so — das weiß hier auch jeder — , daß man sich nicht mit allem durchsetzen kann. Wenn wir diese Kröten schlucken müssen, weil der Entwurf insgesamt sonst scheitern würde, werden wir der Öffentlichkeit sagen, daß wir hiermit nicht einverstanden waren und daß wir andere Vorschläge gemacht haben.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — Sie machen das ja auch, und das ist auch Ihr gutes Recht. Wir werden das auch eindeutig klarstellen.

    (Wiefelspütz [SPD]: Kämpfen Sie doch erst einmal, bevor Sie hier so etwas sagen!)

    Ein letzter Satz: Wir werden in den Beratungen in den Ausschüssen dafür kämpfen, daß diese Dinge, die wir nicht akzeptabel finden, noch bereinigt werden,

    (Wiefelspütz [SPD]: Kein vorauseilender Gehorsam, bitte! — Abg. Frau Nickels [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

    damit das Gesetz so verabschiedet werden kann, daß man sagen kann: Es trägt zur Rechtskultur in unserem Lande und zu einer menschlichen Behandlung unserer Jugendlichen bei.
    Danke schön.

    (Beifall bei der FDP)