Rede von
Eckhard
Stratmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! Wir GRÜNEN haben in diese Debatte einen eigenen Entschließungsantrag zur nichtdiskriminierenden Förderung der Reformen in Ungarn und in Polen eingebracht und wollen es genauso halten, wie Sie es, Herr Gautier, für Ihren Antrag vorgeschlagen haben und ihn zwecks weiterer Beratung und vielleicht auch — möglichst breiter — Konsensbildung an die Ausschüsse überweisen. Unser Entschließungsantrag ist wesentlich auf der Basis von politischen Erfahrungen formuliert, die eine GRÜNEN-Delegation noch vor wenigen Wochen in Polen hat sammeln können. Wir haben u. a. auch mit dem jetzigen Finanzminister, Herrn Balzerowicz, über die Probleme in Polen geredet. Unser Eindruck war — und darin besteht ein breiter Konsens — : Es gibt einen unabweislichen sofortigen Bedarf an ganz erheblichen Finanzhilfen für Polen und vergleichbar verschuldete und in der Misere befindliche Staaten in Osteuropa.
Was uns allerdings von den Vorschlägen der Bundesregierung und auch — in Akzenten, Herr Gautier — von Ihren Vorschlägen trennt, ist, daß wir Tendenzen in Richtung eines neuen Marshallplanes gegenüber den in der Krise befindlichen Ländern Osteuropas nicht nur mit Bauchschmerzen sehen, sondern ablehnen. Der Marshallplan, wie er in der Nachkriegsphase in der Bundesrepublik Realität geworden ist, hatte neben einer unbezweifelbar positiven Seite auch erhebliche Nachteile. Über die Vorteile möchte ich gar nicht reden, weil es darüber unter uns Konsens gibt. Er war eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Wiederaufbau in der Bundesrepublik. Er war aber gleichzeitig ein Herrschaftsinstrument der reichen Geberländer, um das völlig zerstörte Nachkriegsdeutschland — Westdeutschland — in ihren ökonomischen und politischen Herrschaftsbereich zu integrieren. Das haben wir nicht vor. Wir wollen nicht auf dem Wege ökonomischer Hilfestellung und ökonomischer Macht Länder wie Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, demnächst DDR oder Sowjetunion, sozusagen in den kapitalistischen Machtbereich integrieren. Im Gegenteil, solche Positionen lehnen wir ab.
Aus diesem Grunde lehnen wir auch den gerade in Washington geäußerten Herrhausen-Plan ab. Wenn Herr Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, den Vorschlag macht, in Warschau und Budapest eine Anstalt für wirtschaftliche Erneuerung, aber unter wesentlicher ökonomischer Steuerung von außen — das ist der entscheidende Knackpunkt — , zu installieren, wäre dies ein kapitalistischer Bankenbrückenkopf in Warschau, Budapest und anderen Ländern.
Das sagt Herr Herrhausen ausdrücklich, und er schlägt sogar schon vor, wer der Vorsitzende einer solchen Anstalt sein soll, nämlich nicht ein Osteuropäer, sondern ein Niederländer.
— Sie sagen „Zum Beispiel" , Herr Kittelmann. Das wundert mich bei Ihnen nicht.
Aber an die Adresse von Herrn Gautier: Diese Art von Wirtschaftshilfe, die mit Herrschaftsansprüchen verknüpft ist, mit ökonomischen Hegemonialansprüchen, was bei der Deutschen Bank nicht verwundert, lehnen wir ab.