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    Plenarprotokoll 11/157 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 157. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 6. September 1989 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung) : a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksache 11/5000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1989 bis 1993 (Drucksache 11/5001) Dr. Penner SPD 11835 B Gerster (Mainz) CDU/CSU 11841 C Frau Trenz GRÜNE 11844 C Frau Seiler-Albring FDP 11845 D Dr. Schäuble, Bundesminister BMI 11847 D Wüppesahl fraktionslos 11852 B Deres CDU/CSU 11854 A Häfner GRÜNE 11855 C Funke FDP 11857 B Engelhard, Bundesminister BMJ 11858 A Roth SPD 11859 C Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 11865 A Kleinert (Marburg) GRÜNE 11868 D Wissmann CDU/CSU 11871 D Dr. Jens SPD 11874 B Dr. Graf Lambsdorff FDP 11877 B Rossmanith CDU/CSU 11880 A Hinsken CDU/CSU 11882 B Schäfer (Offenburg) SPD 11883 D Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 11888 C Dr. Knabe GRÜNE 11890 B Dr. Weng (Gerlingen) FDP 11892 D, 11962 D Lennartz SPD 11895 A Dr. Laufs CDU/CSU 11897D Dr. Töpfer, Bundesminister BMU 11899A Vosen SPD 11904 B Schmidbauer CDU/CSU 11905 D Frau Bulmahn SPD 11908 A Austermann CDU/CSU 11910 C Frau Rust GRÜNE 11913 A Zywietz FDP 11914 B, 11930 C Dr. Riesenhuber, Bundesminister BMFT 11917 B Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 11920 D Dr. Hoffacker CDU/CSU 11925 B Frau Walz FDP 11927 C Frau Schoppe GRÜNE 11928 D Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 11932 B Dreßler SPD 11935 B Strube CDU/CSU 11942 C Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 11944 B Günther CDU/CSU 11946 B Dr. Thomae FDP 11949 A Dr. Blüm, Bundesminister BMA 11950 C Roth (Gießen) CDU/CSU 11954 B Dr. Struck SPD 11956 D II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 157. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. September 1989 Frau Rust GRÜNE 11964 A Dr. Waigel, Bundesminister BMF 11964 C Nächste Sitzung 11970 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 11971* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 11971* B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 157. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. September 1989 11835 157. Sitzung Bonn, den 6. September 1989 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 07. 09. 89 * Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 07. 09. 89 Büchner (Speyer) SPD 07. 09. 89 * Eich GRÜNE 07. 09. 89 Frau Eid GRÜNE 07. 09. 89 ** Frau Fischer CDU/CSU 07. 09. 89 ** Frau Geiger CDU/CSU 07. 09. 89 ** Genscher FDP 07. 09. 89 Heimann SPD 07. 09. 89 Dr. Holtz SPD 07. 09. 89 ** Frau Hürland-Büning CDU/CSU 07. 09. 89 Klein (Dieburg) SPD 07. 09. 89 Dr. Klejdzinski SPD 07. 09. 89 ** Dr. Kreile CDU/CSU 07. 09. 89 Kretkowski SPD 07. 09. 89 Dr. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 07. 09. 89 Frau Luuk SPD 07. 09. 89 ** Lüder FDP 07. 09. 89 Magin CDU/CSU 07. 09. 89 Marschewski CDU/CSU 07. 09. 89 Dr. Müller CDU/CSU 07. 09. 89 * Niggemeier SPD 07. 09. 89 Dr. Nöbel SPD 07. 09. 89 Frau Pack CDU/CSU 06. 09. 89 Regenspurger CDU/CSU 07. 09. 89 Dr. Scheer SPD 07. 09. 89 Frau Schilling GRÜNE 07. 09. 89 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 07. 09. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 07. 09. 89 Sielaff SPD 06.09.89 Dr. Stercken CDU/CSU 07. 09. 89 ** Tietjen SPD 07.09.89 Vahlberg SPD 07.09.89 Westphal SPD 07. 09.89 Wolfgramm (Göttingen) FDP 07. 09. 89 ** Dr. Wulff CDU/CSU 07. 09. 89 ** Zierer CDU/CSU 07. 09. 89 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 30. Juni 1989 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Gesetz über die Deutsche Siedlungs- und Landesrentenbank (DSL Bank-Gesetz - DSLBG) Drittes Gesetz zur Änderung des Milchgesetzes Gesetz zur Einführung eines Dienstleistungsabends Anlagen zum Stenographischen Bericht Gesetz über die achtzehnte Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz und zur Änderung von Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe (KOV-Anpassungsgesetz 1989 - KOVAnpG 1989) Gesetz zur Änderung von Vorschriften der See-Unfallversicherung in der Reichsversicherungsordnung Gesetz zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 sowie zur Förderung des Mietwohnungsbaus und von Arbeitsplätzen in Privathaushalten Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1989 (Nachtragshaushaltsgesetz 1989) Gesetz zur Änderung des Börsengesetzes Gesetz zur Errichtung neuer Freihäfen und zur Änderung des Zollgesetzes Sechstes Gesetz zur Änderung des Weingesetzes Gesetz über den Beruf der Rettungsassistentin und des Rettungsassistenten (Rettungsassistentengesetz - RettAssG) Zwölftes Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes Gesetz zur Änderung des Bundeserziehungsgeldgesetzes und anderer Vorschriften Achtes Gesetz zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes Gesetz über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Aussiedler und Übersiedler Gesetz zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes Gesetz zur Änderung des Raumordnungsgesetzes ... Gesetz zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften Gesetz zur Aussetzung der Verlängerung des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes Sechstes Gesetz zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes Gesetz zu dem Protokoll vom 14. November 1988 über den Beitritt der Portugiesischen Republik und des Königreichs Spanien zur Westeuropäischen Union Gesetz zur Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft (LaFG) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt: Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, auf eine Ergänzung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Baugesetzbuch mit dem Ziel hinzuwirken, daß durch Festlegung konkreter Grenzwerte für Tierbestände die Privilegierung beim Bauen im Außenbereich eingeschränkt wird. Diese Ergänzung würde das vorrangige Anliegen des Gesetzes, das Entstehen neuer Tiergroßbestände zu erschweren, wesentlich unterstützen. Der vorgeschlagene Ausschluß der übergroßen Tierbestände von der Privilegierung des Bauens im Außenbereich stellt ein hochwirksames Instrument zur Erschwerung industrieller Tiermast dar. Die hiergegen erhobenen Bedenken sind einmal deshalb unbegründet, weil die Berücksichtigung agrarpolitischer Zielvorstellungen im Bauplanungsrecht nicht als sachfremd und damit nicht als Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 GG) angesehen werden kann. Zum anderen stellt die genannte Regelung lediglich eine zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentumsbegriffs (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) durch den Gesetzgeber dar. Die Planungshoheit der Gemeinden (Art. 28 Abs. 2 GG) wird nicht eingeschränkt. Eine Ergänzung der Baunutzungsverordnung wäre keine Ersatzlösung. Die Fraktion der SPD hat mit Schreiben vom 23. Juni 1989 ihren Antrag Einstellung aller Atomwaffenversuche - Drucksache 11/2204 - zurückgezogen. 11972* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 157. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 6. September 1989 Die Fraktion DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 8. August 1989 ihren Antrag Menschenrechte in Kolumbien — Drucksache 11/2404 — zurückgezogen. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/2133 Drucksache 11/3316 Drucksache 11/4456 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 10/5910 Drucksache 11/583 Drucksache 11/1531 Drucksache 11/2362 Drucksache 11/3017 Drucksache 11/3644 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/2953 Ausschuß für Jugend, Famille, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/596 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Finanzausschuß Drucksache 11/4019 Nr. 2.2, 2.3 Drucksache 11/4081 Nr. 2.4 Drucksache 11/4337 Nr. 3 Drucksache 11/4451 Nr. 2.3 Drucksache 11/4534 Nr. 2.2 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/4161 Nr. 2.11-2.17 Drucksache 11/4238 Nr. 2.4-2.8, 2.10, 2.11 Drucksache 11/4337 Nr. 8, 9, 11-21 Drucksache 11/4405 Nr. 3.5 Drucksache 11/4451 Nr. 2.7-2.14 Drucksache 11/4534 Nr. 2.8-2.16 Ausschuß für Jugend, Famille, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/4337 Nr. 22, 23 Drucksache 11/5051 Nr. 41 Ausschuß für Verkehr Drucksache 11/4161 Nr. 2.20 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schreiben vom 22. August 1989 gemäß § 30 Absatz 4 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 den Wirtschaftsplan nebst Stellenplan der Deutschen Bundesbahn für das Geschäftsjahr 1989 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Der Bundesminister für Verkehr hat den Wirtschaftsplan 1989 und den Stellenplan zum Wirtschaftsplan 1989 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen genehmigt. Der Bundesminister für Post und Telekommunikation hat mit Schreiben vom 9. August 1989 gemäß § 31 der Posthaushaltsordnung den Nachtrag zum Haushaltsplan der Deutschen Bundespost für das Haushaltsjahr 1989 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Beide Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
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    Rede von Rudolf Dreßler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Es ist ungeheuerlich, von einem etwa gleichaltrigen Parlamentskollegen, der sich um einen Posten als Parteimanager bewirbt, zu hören, wir hätten die Opposition in osteuropäischen Staaten systematisch boykottiert und mit den regierenden Kommunisten Reformbestrebungen erschwert.

    (Frau Limbach [CDU/CSU]: Darf man die Wahrheit nicht sagen?)

    Ich frage: Ist die Ursache für diese bösartige Bewertung vielleicht darin zu suchen, daß die CDU/CSU erkennen muß, daß sich die Reformbewegungen in Osteuropa an den Wertvorstellungen orientieren, die die Sozialdemokratie entwickelt hat, und eben nicht an den überholten konservativen Gesellschaftsbildern der CDU/CSU, die auch in der Bundesrepublik Deutschland heute keine Mehrheit mehr haben?

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, eine Sozialpolitik, die sich nicht oder nicht mehr auf die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einzustellen vermag, ist zum Scheitern verurteilt, egal wie die augenblicklichen Wirtschaftsdaten lauten.
    Grundannahmen und gesellschaftliche Rahmenbedingungen für soziales Handeln haben sich aber in den letzten Jahren spürbar und für jedermann erkennbar verändert.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Verbessert!)

    Die Reaktion der Regierungspolitik darauf: Ein Blick zurück zu Ordnungsdenken und Sozialabbau. Man lebt bei der CDU/CSU und FDP in einer Welt des Als-ob.

    (Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Wo leben Sie denn?)

    Die gesellschaftspolitischen Reaktionen der Bundesregierung bestehen aus Appellen, bestehen aus dem Stopfen von Löchern, die sie selbst zuvor aufgerissen hat, bestehen aus einem Abwarten, das wiederum zu Notoperationen zwingt. Daraus folgt eine Politik des Herumwurschtelns an Symptomen und zwangsläufig dann vielfach ein Zurückweichen vor Partikularinteressen.
    Kein Hauch einer neuen Architektur. Es fehlt der Wille, sich mit den neuen Grundannahmen auseinan-



    Dreßler
    derzusetzen. Der zündende Funke eines Umbaus im Aufbau unseres Sozialsystems fehlt.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Und Sie machen den Rentendeal mit! Das ist ja wohl das Letzte!)

    Wir registrieren ein Verharren in Denkschablonen, die sich weniger an der Zukunft als an der Vergangenheit orientieren. Diese Haltung belegt die Unfähigkeit, sich den neuen Anforderungen zu stellen, die wir uns in unserer Gesellschaft selbst geschaffen haben.

    (Heinrich [FDP]: Die Platte haben wir schon öfter gehört! Werden Sie doch mal konkret!)

    Die Antworten der Bundesregierung kommen über den Status eines schlechten Reparaturbetriebes nicht hinaus. Dies schadet unserem Volk. Die Regierungspolitik ist nach rückwärts gerichtet; sie erschöpft sich in Verwaltung zum Rückbau des sozialen Fortschritts. Gegen eine Regierungspolitik, die Löcher aufreißt, um bereits entstandene Löcher zu schließen, setzen wir Sozialdemokraten eine neue gesellschaftspolitische Architektur. Die Vorschläge der SPD wollen nämlich umgestalten und neu gestalten.
    In wohl kaum einem anderen Bereich lassen sich die unterschiedlichen politischen Ansätze von CDU/ CSU/FDP und Sozialdemokraten so deutlich herausarbeiten wie in der Sozialpolitik.
    Die SPD ist als Partei, als der parlamentarisch-politische Teil der Arbeiterbewegung vor über 125 Jahren entstanden, um sozialer und wirtschaftlicher Not weiter Teile der Bevölkerung politisch Ausdruck zu verleihen und sie zu überwinden.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Da sind Sie stehengeblieben!)

    Seit je gehört die Sozialpolitik daher zum Kernbestand sozialdemokratischen Politikverständnisses. Sie ist nicht irgendein Politikfeld unter vielen, für uns ist sie das Feld politischer Betätigung.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Tradition wirkt weiter. Auch heute als Volkspartei bekennen wir uns zu diesen Wurzeln und leiten daraus unsere Politik, vor allem unsere Sozialpolitik, ab. In dieser Rangfolge der verschiedenen Politikfelder liegt also der erste gewichtige Unterschied zum konservativen Lager.
    Im Gewicht der Sachkonkurrenz der verschiedenen Politikfelder miteinander liegt der zweite gewichtige Unterschied. Für uns Sozialdemokraten ist die Sozialpolitik eben nicht die abhängige Variable der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Sozialpolitik ist nicht die Reparaturwerkstatt zur Behebung der Schäden des neoliberalen Wirtschafts- und Finanzbetriebs. Nein, sie hat einen eigenen gesellschaftspolitischen Stellenwert.

    (Beifall bei der SPD)

    Wirtschafts- und Finanzpolitik einerseits sowie Sozialpolitik andererseits sind gleichberechtigte und gleichgewichtige Politikfelder. Dies zwingt dazu, das finanzpolitisch Mögliche mit dem sozialpolitisch Gebotenen in Einklang zu bringen. Sozialpolitik nach
    Kassenlage, bei der sie zu einer Art Wurmfortsatz der Finanzpolitik würde, kann es mit uns daher nicht geben. Dies ist der zweite Unterschied zur Politik des konservativen Lagers.
    Die Grundphilosophie der Regierungspolitik seit Oktober 1982 lag im Glauben, man müsse Investoren — seien es Unternehmer, seien es Wohnungseigentümer — nur von Sozialkosten entlasten und die Schutzklauseln im Arbeits-, Miet- oder im Sozialrecht Lokkern, dann werde sich das Notwendige zum Wohl der Allgemeinheit gleichsam als zwingende Folge einstellen. Flexibilisierung und Angebotspolitik waren dazu die Stichworte.
    Wir haben diese Politik von Anfang an für falsch, ja für verhängnisvoll gehalten.

    (Feilcke [CDU/CSU]: Das war ja euer Fehler!)

    Sieben Jahre Politik dieser Art reichen wohl aus, um sich ein Urteil über Erfolg oder Mißerfolg zu bilden.

    (Kolb [CDU/CSU]: In welcher Welt leben Sie denn, Herr Kollege?)

    Trotz Hochkonjunktur haben wir weiterhin 2 Millionen Arbeitslose; der Aufschwung ist weitgehend am Arbeitsmarkt vorbeigegangen.

    (Feilcke [CDU/CSU]: 1,94 Millionen!)

    — Daß Sie das nicht berührt, Herr Feilcke, stellen wir seit Jahren mit einer gewissen Trauer fest.
    Die gewaltige Umverteilung zwischen den gesellschaftlichen Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit, kräftige Steigerung der Gewinne, lohnpolitische Zurückhaltung bei den Tarifverträgen, Steigerung der Investitionsfähigkeit der Unternehmen — alles dies hat nicht dazu geführt, daß die Zahl der Arbeitslosen gesunken ist.

    (Heinrich [FDP]: 1,4 Millionen Arbeitsplätze mehr!)

    Von der Steuer- bis zur Wohnungsbaupolitik, alles haben Sie auf Ihre Grundphilosophie der Stärkung der Angebots- und Kapitalseite ausgerichtet, aber Arbeitsplätze fehlen heute noch ebenso massenhaft wie Wohnungen, ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht. Die Fakten stehen ja fest.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Ich sage Ihnen: Diese Politik ist gescheitert. Sie haben die Bürgerinnen und Bürger zum Opfer Ihrer ideologischen Befangenheit gemacht. An die wahren Probleme der Menschen kommen Sie überhaupt nicht mehr heran, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD — Louven [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selbst nicht, was Sie da sagen!)

    Die Pflege hilfebedürftiger Menschen hat sich zu einem gesellschaftspolitischen Problem entwickelt, dessen Dimension heute deutlich erkennbar wird. Waren 1950 etwa 370 000 Menschen zwischen 80 und 85 Jahre alt, so leben heute ca. 1,4 Millionen Menschen dieses Alters unter uns. Wir registrieren also eine Zunahme von über 260 % . 7 200 Menschen im Alter von 90 bzw. 91 Jahren wurden 1950 gezählt.



    Dreßler
    Heute erreichen weit über 50 000 Menschen dieses Alter. Das sind ca. 630 % mehr. Die Zahl der 95jährigen und Älteren ist in dieser Zeit von knapp über 1 500 auf wenig unter 40 000 angewachsen. Das ist eine Steigerung um sage und schreibe 2 300 %.
    Diese begrüßenswerte Entwicklung verlangt von der Sozialpolitik zeitgemäße Antworten. Diese gewaltige Aufgabe allein der gesetzlichen Krankenversicherung überantworten zu wollen, halten wir schlicht für falsch.

    (Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: Es wäre falsch, wenn es so wäre!)

    Es ist widersinnig, die Krankenversicherung unter Hinweis auf die Überforderung des Systems mit willkürlichen Umverteilungsmaßnahmen zu überziehen und gleichzeitig den finanziellen Sprengsatz der Pflege in sie einzubauen.
    Allein diese Veränderungen im Altersaufbau der Bevölkerung machen die Suche nach neuen Wegen zur sozialen Sicherung Pflegebedürftiger erforderlich. Deshalb: Mit der simplen Formel „Weiter so!" kommen wir auch auf diesem Feld nicht weiter.
    Aber es bei diesem Vorwurf zu belassen hilft auch nicht weiter. Wir müssen versuchen, mit der gegebenen Situation fertig zu werden. Diese Situation stellt sich wie folgt dar.
    Erstens. Der Umfang des Problems Pflegebedürftigkeit nimmt schon aus demographischen Gründen ständig zu.
    Zweitens. Finanzielle Grundlage und Gesundheit der Angehörigen, die heute Pflegebedürftige betreuen, sind aufs äußerste angespannt. Sie brauchen sofort wirksame Hilfe, um nicht die Pflegebedürftigen von morgen zu werden.

    (Beifall bei der SPD)

    Diese Situation gebietet, zunächst mit Hilfe einer Übergangslösung schnell zu versuchen, den dringendsten Bedarfssituationen zu entsprechen, bis die Grundlagen für eine verläßliche Dauerlösung erarbeitet sind.
    Unser Vorschlag eines befristeten Leistungsgesetzes sieht deshalb nicht nur die unentbehrlich gewordene Hilfe für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen vor, sondern verpflichtet darüber hinaus die Bundesregierung, die Entwicklung im Bereich Pflegebedürftigkeit sorgfältig zu beobachten, die Datengrundlagen zu aktualisieren und dem Parlament regelmäßig zu berichten. Nur auf diese Weise kann eine zuverlässige, zukunftsorientierte Lösung dieses für die Bewahrung des sozialen Friedens so wichtigen Problems gewährleistet werden.
    In welchem Maße die Bundesregierung unfähig geworden ist, die wirklich drängenden sozialen Probleme anzugehen, zeigt die jetzt vorgelegte Novelle zum Heimgesetz. Da wird geordnet und geregelt, da wird festgelegt, daß der Heimvertrag der Schriftform bedarf und welchen Inhalt er haben soll. Nur: Mit der Wirklichkeit in Heimen hat das wenig zu tun.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Hier herrscht nämlich Pflegenotstand, meine Damen und Herren: zuwenig Pflegekräfte für immer mehr Pflegebedürftige, die weitaus älter und gebrechlicher sind als früher.
    Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, Länder und Kommunen, Betroffene und ihre Verbände weisen Sie seit Jahren darauf hin. Die Antwort der Bundesregierung darauf sind Berichte und Untersuchungen, Forschungsaufträge und immer neue Kommissionen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, jetzt wieder!)

    Was wir brauchen, ist eine umfassende soziale Sicherung bei Pflegebedürftigkeit, die auch den stationären Sektor mit umfaßt, meine Damen und Herren.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir Sozialdemokraten haben Ihnen im Zusammenhang mit Ihrem sogenannten Gesundheits-Reformgesetz unseren Entwurf eines Bundespflegegeldgesetzes vorgestellt. Wir wollen, daß alle Pflegebedürftigen, auch die in Heimen, entsprechend dem Grad ihrer Pflegebedürftigkeit die notwendige Entlastung erfahren. Wir bieten auch eine klare, sozial gerechte Finanzierung und vergreifen uns nicht an den Einkommen der Kranken, um den Pflegebedürftigen mit neuen Selbstbeteiligungen im Gesundheitswesen mehr schlecht als recht zu helfen.
    Für die Sozialdemokratie ist der Sozialstaat mehr als eine Beschreibung des Selbstverständnisses des modernen Staates. Die Sozialstaatsklausel unserer Verfassung bleibt Programm und verpflichtende Aufgabenstellung für die Zukunft. Sozialdemokratische Programmatik ist immer wieder Schrittmacher für die sozialstaatliche Gesetzgebung.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Nur nicht bei der Rente!)

    Und darauf, Frau Unruh, sind wir stolz.

    (Beifall bei der SPD — Frau Unruh [GRÜNE]: Aber nicht bei der Rente, so! — Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Und die Gesetze haben wir jeweils gemacht!)

    In kaum einem anderen Bereich lassen sich die politische Fixiertheit und der Verzicht auf gesellschaftspolitische Gestaltung der Bundesregierung so deutlich machen wie in der Gesundheitspolitik und bei dem, was mit der sogenannten Gesundheitsreform angerichtet wurde.
    Ihr Ziel, den Unternehmen Kostenentlastung zu verschaffen,

    (Louven [CDU/CSU]: Sowie den Arbeitnehmern!)

    war denn auch das Hauptmotiv für die Gesundheitsreform. Es ging — und das haben Sie ja auch überhaupt nicht verheimlicht — zuallererst um die Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten

    (Kolb [CDU/CSU]: Die zahlen zur Hälfte auch die Arbeitnehmer! — Dr. Thomae [FDP]: Herr Dreßler, haben Sie das noch immer nicht verstanden? Wir werden es Ihnen gleich erklären!)




    Dreßler
    und weniger um die Schaffung vernünftiger und sachgerechter Strukturen des Gesundheitswesens, die den Patienten und Versicherten dienen. Sie haben demzufolge ja auch keines der wirklich schwerwiegenden Probleme im Gesundheitswesen angepackt.
    Aktiv gestaltende Gesellschafts- und Sozialpolitik hätte für eine Gesundheitsreform bedeutet: Beseitigung der gravierenden Beitragssatzunterschiede zwischen den verschiedenen Krankenkassen von bis zu 8 % — Fehlanzeige; Beseitigung der unterschiedlichen Behandlung von verschiedenen Versichertengruppen — Fehlanzeige; Beseitigung der Rechtsungleichheiten zwischen den einzelnen Kassenarten — Fehlanzeige; Umsteuerung auf mehr Prävention —Fehlanzeige;

    (Dr. Thomae [FDP]: Falsch! — Widerspruch bei der CDU/CSU)

    Verbesserung der Lage der psychisch Kranken — Fehlanzeige.

    (Dr. Thomae [FDP]: Falsch! — Günther [CDU/CSU]: Die Rede ist zu alt!)

    Ich habe nur einige wenige dringliche Probleme für eine Strukturreform im Gesundheitswesen genannt. Nichts ist in diesen wesentlichen Fragen passiert. Statt dessen sind eine drastische Erhöhung der Zuzahlungen für die Versicherten und Leistungskürzungen in weiten Teilen der Krankenversicherung passiert. Wer nur die Lohnnebenkosten senken will, meine Damen und Herren, der allerdings braucht auch unser Gesundheitswesen nicht umzubauen, der kann sich aufs Einsammeln von Geld und Leistungen beschränken, und genau dies haben Sie getan, nichts anderes.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Kolb [CDU/CSU]: Wer bezahlt denn die Lohnnebenkosten? Die bezahlt der kleine Mann!)

    Ich frage Sie: Wo sind denn Ihre Vorschläge zur Neuordnung des Krankenversicherungssystems und zur Beseitigung der Ungerechtigkeiten?

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Richtig, genau!)

    Selbst wenn man Ihre Erklärungen für bare Münze nimmt, daß dies Aufgabe der nächsten Wahlperiode sein soll: Wo sind denn dann wenigstens Ihre Vorschläge hierzu?
    Wollen Sie gemeinsam mit der SPD alle Krankenversicherten gleichstellen, also den Unterschied zwischen Angestellten und Arbeitern auch in der Krankenversicherung endlich aufheben?

    (Kolb [CDU/CSU]: Auch mit gleichen Beiträgen?)

    Dazu gibt es bis heute keine Antwort von Ihnen!
    Wollen Sie gemeinsam mit der SPD, daß sich innerhalb einer Region jeder Versicherte seine Krankenkasse selbst aussuchen kann?

    (Dr. Thomae [FDP]: Richtig!)

    Auch in dieser Frage haben Sie die Öffentlichkeit bisher ohne Antwort gelassen.
    Wie wollen Sie die bessere Verteilung der verschiedenen Versichertengruppen mit unterschiedlich hohen Krankheitsrisiken auf die einzelnen Krankenkassenarten erreichen? Wollen Sie dies gemeinsam mit uns durch die Einführung der Wahlfreiheit und den bundesweiten Finanzausgleich innerhalb jeder Kassenart sicherstellen? Wir erwarten auf diese Fragen endlich klare Antworten.

    (Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE]) Bisher: Fehlanzeige.


    (Louven [CDU/CSU]: Alles zu seiner Zeit!)

    Wollen Sie gemeinsam mit uns sicherstellen, daß Krankenkassen und die Erbringer von Gesundheitsleistungen zukünftig gleichgewichtig und gleichberechtigt über Preise und Leistungen verhandeln können?

    (Seehofer [CDU/CSU]: Das haben wir doch bereits getan!)

    Wollen Sie den Krankenkassen zukünftig mehr Rechte geben?

    (Seehofer [CDU/CSU]: Das haben wir ja schon!)

    Wir wollen dies. Zu diesen Punkten gibt es von Ihnen keine Vorschläge.
    Wie wollen Sie die Probleme lösen, die sich aus der Gliederung unseres Krankenversicherungssystems ergeben, etwa im Bereich der Neugründung von Betriebskrankenkassen? Wir hören hierzu Stichworte wie „Neugründungsverbot". Aber wenn man nachfaßt, was denn nun gemeint sein könnte, faßt man — mit Verlaub, Frau Kollegin — ins Leere. Da, wo es um Antworten auf konzeptionelle Fragen geht, da bleiben Sie stumm, da sind Sie kraft- und ratlos.
    Sie können ja die Vorstellungen der SPD für falsch halten. Aber dann sagen Sie doch der Öffentlichkeit, wie Sie es anders machen wollen. Das einzige, was wir aus Ihrem Mund zu unserem Konzept eines Umbaus im Gesundheitswesen gehört haben, war das Wort vom „Gesundheitssowjet". Aber das haben Sie dann sicherheitshalber nicht wiederholt, weil sich daraus angesichts der Veränderungen im Ostteil unseres Kontinents nun wirklich keine politischen Funken mehr schlagen lassen.

    (Beifall bei der SPD — Dr. Rüttgers [CDU/ CSU] : Unser System!)

    Ihre Gesundheitspolitik beweist, daß neben Ihrer ideologischen Fixiertheit die Ratlosigkeit vor den tatsächlichen Problemen getreten ist.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Was denn nun?)

    Nun feiert der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung überschwenglich erste finanzielle Erfolge seiner sogenannten Gesundheitsreform.

    (Dr. Rüttgers [CDU/CSU]: Bravo!)

    Es wäre ja noch toller gewesen, wenn die härtesten Eingriffe dieses unsozialen Gesetzes nicht einmal eine Kostendämpfung bewirkt hätten.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das haben Sie aber behauptet!)

    Wenn beim Sterbegeld und beim Zahnersatz Zuschüsse und Leistungen zusammengestrichen werden, dann haben die Krankenkassen Minderausga-



    Dreßler
    ben und die Versicherten höhere Ausgaben. Nach den Gesetzen der Logik ist dieser Fall eingetreten.

    (Borchert [CDU/CSU]: Es hat aber lange gedauert, ehe Sie das gemerkt haben!)

    Oder, wie es ein Zeitungskommentar ausdrückte:
    Das besagt, daß die gesunden Kassenmitglieder von der Ausgabenminderung durch weitgehend stabile Beiträge profitiert haben. Wer dagegen unglücklicherweise chronisch krank ist, weit von einer Behandlungsmöglichkeit entfernt wohnt, wer plötzlich Zahnersatz brauchte, wird kräftig zugezahlt haben.

    (Kolb [CDU/CSU]: Sie vergessen die Überforderungsklausel?)

    Das ist für die Betroffenen kein Anlaß zur Freude.

    (Günther [CDU/CSU]: Es muß nicht immer richtig sein, was da steht!)

    In der Kriegsopferversorgung hat es eine jahrelange Verzögerungstaktik gegeben, bevor sich die Bundesregierung jetzt endlich zu längst überfälligen strukturellen Leistungsverbesserungen bereit gefunden hat. Wir sehen darin auch einen Erfolg der langjährigen Bemühungen der SPD-Bundestagsfraktion, Verbesserungen bei den Kriegsopferrenten zu erreichen. Noch im Frühjahr dieses Jahres haben Sie unsere Verbesserungsvorschläge, von denen Sie jetzt einen Großteil aufgreifen, in Bausch und Bogen abgelehnt. Wir hoffen, daß Ihre Einsicht in die Richtigkeit unserer Forderungen weiterhin anhält und wir im Beratungsverfahren den Gesetzentwurf gemeinsam von einem Schritt in die richtige Richtung zu einem bedarfsgerechten Verbesserungsgesetz weiterentwikkeln können.
    Wenn wir uns weiter mit der Frage beschäftigen, ob die richtigen Annahmen dem politischen Handeln zugrunde liegen, müssen wir auch selbstkritisch unsere Sicht von den Problemen junger Menschen einbeziehen. Denken wir wirklich genug bei der politischen Gestaltung des Alltags an die jüngere Generation als eine gleichberechtigte Teilbevölkerung, die nicht dafür bestraft werden darf, daß sie später als wir geboren wurde? Sehen wir, daß junge Menschen beispielsweise von der sich verstärkenden Tendenz der Spaltung des Arbeitsmarktes besonders betroffen sind?
    Während ein größerer Teil der Jugendlichen in lebenslanger Vollzeitarbeit unterkommt, ist ein anderer von ungesicherter Beschäftigung und Arbeitslosigkeit bedroht. Für diesen Teil wird die Lebenswirklichkeit im „besseren" Fall von Teilzeitarbeit, ausgelagerter Arbeit, von Leiharbeit oder Selbsthilfeprojekten, von Nischenfirmen, Schwarzarbeit usw. geprägt. Diese Wirklichkeit bringt für Jugendliche eine grundsätzliche Veränderung im Umgang mit Lebenszeit und Lebensplanung mit sich. Wenn dann noch für junge Männer ein Hickhack, wie um die Verlängerung von Wehr- und Zivildienst, ja oder nein oder vielleicht, hinzukommt, kann von verantwortlichem Handeln überhaupt nicht mehr die Rede sein.

    (Kolb [CDU/CSU]: Hatten Sie diese Erkenntnis 1982 auch schon?)

    — Aber, Herr Kolb, wir haben doch hier gestritten und Sie gewarnt, diesen Schritt mit der Wehrdienstverlängerung zu gehen. Sie haben doch nicht auf uns gehört. Nach drei Monaten waren Sie auf dem Trip, auf dem die SPD schon Anfang des Jahres war. Sie müssen früher aufstehen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Becker [Nienberge] [SPD]: Das ist die Wahrheit! — Kolb [CDU/CSU]: In Wettbewerb treten!)

    Ich frage: Kann es uns da wirklich verwundern, wenn Jugendliche in zunehmendem Maße den Parteien die Fähigkeit absprechen, ihre Zukunft, sei es ökologisch, friedens- oder sozialpolitisch, verantwortlich zu gestalten? Junge Menschen haben keine Versorgungsmentalität. Aber sie erwarten mit Recht, von uns zu erfahren, wie wir heute verantwortliche Politik betreiben wollen, deren Konsequenzen im wesentlichen von ihnen später zu tragen sind. Gelingt uns dies nicht überzeugend, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Attraktivität radikaler Parteien für jüngere Menschen künftig anhält oder gar zunimmt.
    Die gute Konjunktur kommt auf dem Arbeitsmarkt nur in geringem Umfang an. Das haben auch die neuen Zahlen gezeigt, die wir gestern aus Nürnberg gehört haben. Die Zahl der Arbeitslosen ist saisonüblich leicht zurückgegangen. Das war's dann fast schon.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Und die Zahl der Arbeitsplätze?)

    Beim Vorjahresvergleich muß man die Manipulationen der Arbeitslosenstatistik gegenrechnen. Da bleibt dann nämlich nicht viel nach.
    Die Zahl der Erwerbstätigen soll sich — sagen die Schätzungen —

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    — ich bin jetzt bei den Arbeitsplätzen; nun hören Sie zu; Sie wollen doch da etwas hören — , deutlich vermehrt haben. Keiner weiß etwas Genaues, weil die Daten mit solidem Fundament schon veraltet sind, wenn sie frisch aufbereitet auf den Tisch kommen.
    Bei den schön aussehenden Schätzwerten — da überbieten sich die Damen und Herren der Koalition ja — ist alles als Beschäftigung ausgewiesen, was es so gibt: von Normalarbeitsverhältnissen mit ordentlicher Entlohnung und ohne Befristung bis zur völlig ungeschützten Teilzeitarbeit unterhalb der sogenannten Geringfügigkeitsgrenze, von der befristeten Beschäftigung ohne sachlichen Grund bis zur Arbeit auf Abruf, oft mit viel Warten und wenig Verdienst. Auch die Zahl mithelfender Familienangehöriger wird als Beschäftigung ausgewiesen.
    100 000 Aussiedler und 26 000 Übersiedler sind arbeitslos gemeldet. Bald 100 000 Aussiedler sind in Sprachlehrgängen, nur 10 000 in Maßnahmen von Fortbildung, Umschulung und Einarbeitung. Daraus kann man direkt ablesen, was zu tun bleibt, worauf wir immer wieder hingewiesen haben: Notwendig ist der Ausbau der Bildungsmaßnahmen. Aber tatsächlich wurden sie von Ihnen abgebaut. In den ersten acht Monaten 1989 sind die Eintritte in berufliche Förderungsmaßnahmen um 20,1 % zurückgegangen, die in Fortbildung um 19,4 % zurückgegangen, die in Um-



    Dreßler
    schulung um 14,0% zurückgegangen und die in Einarbeitungsmaßnahmen sogar um 31,7 % zurückgegangen.
    Das sind die konkreten Folgen der 9. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes. Es ist schon ein starkes Stück, daß immer wieder der Fachkräftemangel beklagt wird, aber gleichzeitig Qualifizierungsmaßnahmen von dieser Regierung abgebaut werden.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Dazu paßt dann auch: Nach den neuen Lohnsteuerrichtlinien soll künftig Fortbildung nach Feierabend für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steuerpflichtig werden. Etwas Unsinnigeres, schreibt zu Recht die Wochenzeitung „Die Zeit", hätte sich das Bundesfinanzministerium kaum einfallen lassen können. Bildungsanstrengungen werden demnächst in der Bundesrepublik Deutschland bestraft.
    Die 9. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes war ein falscher Schritt in die falsche Richtung.
    Um einen hohen Stand der Arbeits- und Bildungsförderung zu halten, ist eine Konsolidierung bestimmter Leistungen erforderlich.
    So hieß es damals im Gesetzentwurf der Bundesregierung. Die Konsolidierung, die keine war, hat dem Bund Einsparungen von 1,26 Milliarden DM beschert, zum Teil zu Lasten der Gemeinden, die mehr Sozialhilfe zu erbringen haben und deshalb investive Ausgaben reduzieren mußten.

    (Kolb [CDU/CSU]: Fragen Sie mal die Kämmerer, wie die Finanzlage ist!)

    Zur Kasse gebeten wurden auch die Träger von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die daraufhin zu einem guten Teil völlig aussteigen mußten. Auch dadurch ist mehr Arbeitslosigkeit entstanden, wurde die konjunkturelle Entlastung des Arbeitsmarktes konterkariert. Fast 24 000 Arbeitsplätze in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen haben Sie binnen Jahresfrist, Herr Kolb, mit Ihrer Stimme unterstützt, abbauen lassen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Und wieviel haben wir gegenüber Ihrer Zeit aufgebaut? Da schweigen Sie!)

    — Überlegen Sie sich das mal. Dann können Sie weiter schreien.
    Jetzt, acht Monate nach Inkrafttreten der 9. Novelle, stellt sich heraus, daß die Bundesanstalt für Arbeit weit über 1 Milliarde DM weniger an Bundeszuschuß braucht. Der Zuschuß des Bundes bleibt weit unter der Höhe der Lasten durch Aus- und Übersiedler. Die Beitragszahler — Arbeitnehmer und Arbeitgeber — werden mit beitragsfremden Lasten zur Kasse gebeten. Gleichzeitig werden Qualifizierungsmaßnahmen abgebaut.
    Um davon abzulenken, wird der Mangel an Fachkräften thematisiert. Schuld sind immer die anderen.
    Kollege Scharrenbroich — er ist ja wohl nicht Mitglied der SPD-Fraktion — hat in diesen Tagen bemängelt, die Arbeitgeber seien selbst für den Mangel an
    qualifizierten Arbeitskräften verantwortlich, über den sie jetzt so laut jammerten.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Weil die Industrie die Facharbeiter abgeworben hat!)

    Kollege Scharrenbroich sagt, allezu viele Unternehmer hätten in der Zeit hoher Arbeitslosigkeit eine Art Supermarktmentalität entwickelt; denn sie meinten noch heute, die passenden Arbeitskräfte müßten für sie ohne eigene Aufwendungen jederzeit bereitstehen. Ich trete der Auffassung des Kollegen Scharrenbroich ausdrücklich bei. — Natürlich kein Beifall bei den Damen und Herren der Koalition.
    Ein Ausbau der Qualifizierung ist zur Vorbereitung auf den nach 1992 beginnenden EG-Binnenmarkt unverzichtbar. Die Bundesrepublik ist wie kein zweites Land vom Export abhängig. Unsere Wettbewerbsvorteile liegen dabei nicht auf dem Gebiet der billigen Massenproduktion, sondern in der Fertigung hochwertiger Spitzenprodukte durch hochqualifizierte und entsprechend bezahlte Arbeitskärfte. Sie sichern der deutschen Industrie die Chancen im Innovations- und Qualitätswettbewerb. Dies ist der eigentliche Standortvorteil, der nur durch den Ausbau der Qualifizierungsmaßnahmen gesichert werden kann.
    Im Jahresgutachten 1988/89 haben die sogenannten Weisen zutreffend gesagt:
    Das Qualifikationsniveau der deutschen Arbeitnehmer wird im internationalen Vergleich hoch eingeschätzt. Aber dieser Vorsprung muß durch beständige Anstrengungen zur Qualifizierung und Weiterbildung verteidigt werden.
    Auch Gewerkschaften und Arbeitgeber unterstreichen die Notwendigkeit des Ausbaus von Qualifizierungsmaßnahmen. In Betriebs- und Tarifvereinbarungen gibt es praktische Schritte zur Umsetzung, und da muß noch nachgelegt werden. Die Aktivitäten müssen gebündelt und koordiniert werden. Das findet bisher wenig oder überhaupt nicht statt. Notwendig ist eine wirkliche Qualifizierungsoffensive, diesmal allerdings nicht als Propagandaveranstaltung, wie wir sie zuletzt vor zwei Jahren vom Bundesarbeitsminister gehört haben.

    (Kolb [CDU/CSU]: Was hat die Großindustrie geleistet? Null!)

    150 000 zusätzliche Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sind erforderlich, zusätzlich zwei Wochen Weiterbildung für alle. Ein Ausbau der Länderweiterbildungsgesetze sollte also zügig in Angriff genommen werden.
    Ich erinnere noch einmal daran: Es geht um die Sicherung des Standortes Bundesrepublik Deutschland. Wer bei der Qualifizierung nicht mithält, wird abgehängt. Die anderen Länder holen auf. Selbst Stagnation heute führt zum Rückschritt von morgen.
    Das Programm für Langzeitarbeitslose, das die Regierung aus Einsparungen zu Lasten der sozial Schwächeren finanziert, läuft nur langsam an. Die von Langzeitarbeitslosigkeit am härtesten Betroffenen werden bei dem Programm am wenigsten berücksichtigt. Über Lohnkostenzuschüsse kommt man an den



    Dreßler
    harten Kern der aufgelaufenen Langzeitarbeitslosigkeit nicht heran, Herr Kolb.

    (Zustimmung bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

    Der Staat selber muß sich verpflichten, Langzeitarbeitslosen ein Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebot zu machen.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Zurufe von der CDU/CSU)

    — So haben wir es in unserem Antrag formuliert, und da fragt der: „Wie denn?" — Der liest noch nicht mal Anträge, die hier im Deutschen Bundestag behandelt werden. — Auch nur so kann die Eingliederung Langzeitarbeitsloser wirklich gelingen.

    (Kolb [CDU/CSU]: Sie sind weit weg von der Praxis!)

    Dabei geht es nicht um einen Ausbau von Verwaltungsapparaten, denn wir haben klar gesagt: Die Umsetzung soll vorrangig in privaten und öffentlichen Unternehmen erfolgen. Gefordert sind auch Kommunen und Wohlfahrtsverbände. Eine gut laufende Konjunktur und Lohnkostenzuschüsse allein lösen das Problem nicht, ja, sie können wahrscheinlich nicht einmal den weiteren Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit stoppen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr richtig!)

    Sie trauen doch Ihren eigenen Rezepten nicht. Deshalb geht doch die Manipulation an der Arbeitslosenstatistik weiter. Gerade gestern wurde die Arbeitslosenquote künstlich gesenkt. Kein einziger Mensch hat mehr Beschäftigung gefunden, aber die Prozentzahl wurde durch die Bundesanstalt für Arbeit gestern amtlich um 0,8 % reduziert,

    (Kolb [CDU/CSU]: Weil mehr beschäftigt sind!)

    und zwar durch Umstellung auf die falsche Bezugsgröße aller Erwerbspersonen, also einschließlich Selbständiger, mithelfender Familienangehöriger und geringfügig Beschäftigter, die ohne jeden sozialen Schutz stundenweise arbeiten können.
    Jetzt wollen Sie die Zumutbarkeit verschärfen. Die Landesregierung von Baden-Württemberg macht einmal mehr den schneidigen Vorreiter bei der Attacke gegen die Arbeitslosen. Aber den zeitweiligen Ausbildungsschutz aufzukündigen, ist nicht nur für die Betroffenen unzumutbar, sondern es ist auch volkswirtschaftlich Unsinn, weil das heißt, Bildungsinvestitionen zu vernichten.
    Ich frage Sie ernsthaft: Sind zweieinhalb Stunden täglicher Anfahrtszeit, die nach geltendem Recht zumutbar sind, wirklich nicht genug? Wieviel soll es denn sein, meine Damen und Herren von der CDU? Wollen Sie, daß die vier Stunden Anfahrtszeit haben? Wieviel wollen Sie eigentlich den Arbeitslosen aufbrummen? Wo ist eigentlich das Maß dessen, bei dem Sie endlich einmal sagen: Jetzt ist Schluß; jetzt bekämpfen wir nicht weiter die Arbeitslosenstatistik, sondern wir bekämpfen die Arbeitslosigkeit?

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] — Zuruf des Abg. Kolb [CDU/ CSU])

    Die Spirale des Mißerfolgs von falschem Grundansatz und hektischem Reparaturbetrieb zeigt sich auch in der Rentenpolitik. Auch hier ist es die SPD gewesen, die die gestaltende Kraft aufgebracht hat.
    Die Koalition hat im Jahre 1982 mit 2,1 Monatsausgaben als Schwankungsreserve der Rentenversicherung angefangen. Das waren 20,5 Milliarden DM. Die erste rentenpolitische Amtshandlung der neuen Koalition war die Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit. Diese Operation — man kann nicht oft genug daran erinnern — kostete die Rentenversicherungsträger alljährlich rund 5 Milliarden DM; von 1983 bis 1987 ergibt das, ohne Zinseffekt, eine Summe von nicht weniger als 26 Milliarden DM.

    (Kolb [CDU/CSU]: 011e Kamellen!)

    Bis 1994 werden weitere 28 Milliarden DM an Einnahmeverlust hinzukommen.
    Das Vermögen der Rentenversicherungsträger wurde nach der Wende unter der Verantwortung des Arbeitsministers bis Ende 1984 um 10,8 Milliarden DM auf 9,8 Milliarden DM abgebaut.

    (Kolb [CDU/CSU]: Die Bundesanstalt wäre bankrott gegangen!)

    Im Laufe des Jahres 1984 mußten — das ist historisch einmalig in der Republik — die Renten mit kurzfristigen Kassenkrediten finanziert werden. Die Schwankungsreserve unterschritt in jenem Jahr die vorgeschriebene Mindesthöhe von einer Monatsausgabe.

    (Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU])

    — Wenn wir das gemacht hätten, Herr Kolb, dann hätten Sie dafür gesorgt, daß die „Bild"-Zeitung zweimal täglich erscheint, davon einmal kostenlos.

    (Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sie haben Nürnberg zahlungsunfähig gemacht! Da waren Sie Staatssekretär, Sie großer Richter! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Nicht weniger als vier Sparoperationen waren notwendig, bis die jetzige Bundesregierung das Loch, das Sie selbst gerissen hatte, stopfen und die Rentenfinanzen wenigstens mittelfristig stabilisieren konnte. Die Bundesregierung hat die schon seit Jahren dringend notwendige Strukturreform der Rentenversicherung buchstäblich auf die letzte Minute verschoben.

    (Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Das ist keine Strukturreform!)

    Es blieb der SPD überlassen, aus der Oppositionsrolle heraus eine Konzeption für die umfassende Reform der Alterssicherung zu erarbeiten und bis zur Gesetzgebungsreife zu entwickeln. Das haben wir mit unserem Reformgesetz vom Dezember 1984 und mit unserem sozialpolitischen Programm getan.
    Im Sommer 1985 hat die Koalition im Bundestag unseren Gesetzentwurf noch abgelehnt, ohne ihn überhaupt ernsthaft zu diskutieren. Vier Jahre später



    Dreßler
    nun beschäftigt sich dieses Parlament mit einem gemeinsamen Gesetzentwurf der SPD und der Koalitionsfraktionen, der in wichtigen und entscheidenden Punkten mit jener damals von der Koalition abgelehnten Vorlage der SPD-Bundestagsfraktion übereinstimmt.
    Der Bundesarbeitsminister hat die Rede, die er gleich noch halten wird, bereits frühzeitig am heutigen Nachmittag verteilen lassen. Deshalb konnte ich heute nachmittag schon lesen, daß er sich gleich bei mir bedanken möchte.

    (Kolb [CDU/CSU]: Das wird er streichen, wenn Sie so weitermachen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Herr Blüm, damit Sie sich gar nicht erst bei mir bedanken, gebe ich diesen Dank aus Ihrer schriftlichen Rede an meine Partei weiter; denn diese Partei, die SPD, hat im Jahre 1984 das Rentenkonzept beschlossen, das die Bundesregierung jetzt endlich in weiten Teilen mit uns gemeinsam realisieren will.
    Ich sage noch einmal: Natürlich bedeutet diese Übereinstimmung nicht das Ende darüber hinausgehender eigenständiger sozialdemokratischer Alterssicherungspolitik.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Das ist ja furchtbar!)

    Das sozialpolitische Programm bleibt für uns verpflichtend. Ich nenne noch einmal drei wichtige Punkte: die soziale Grundsicherung im Alter und bei Invalidität, den Wertschöpfungsbeitrag und die Einführung von Rentenzeiten für Pflegepersonen.
    Ich will abschließend feststellen: Die Bundesregierung will im nächsten Jahr trotz hoher konjunktureller Steuermehreinnahmen die Neuverschuldung erhöhen. Die mittelfristige Finanzplanung weist gleichwohl viel zu geringe Ausgaben für Zukunftsinvestitionen und für eine aktive Arbeitsmarktpolitik aus. Wie kann ein Arbeitsminister eigentlich zustimmen, wenn eine Bundesregierung einen mehrjährigen Investitionsplan mit sinkenden Ausgabenansätzen vorlegt? Die Investitionsquote soll ab 1990 ihre Talfahrt fortsetzen bis zum absoluten Tiefstand von ca. 11 %.
    Wir alle wissen, daß diese Weichenstellung in krassem Widerspruch zum investiven öffentlichen Bedarf steht. Es ist doch nirgendwo umstritten, daß Substanzerhaltung, Erneuerung und ökologische Modernisierung der Infrastruktur eine Zukunftsaufgabe ersten Ranges sind.
    Herr Minister, öffentliche Auftritte ersetzen eben nicht handwerklich solide Arbeit. Ist Ihnen wirklich unbekannt, daß die drohende Veraltung der Infrastruktur die Umweltprobleme verschärft? Sehen Sie nicht, daß daraus eine Gefahr für die Qualität des Wirtschaftsstandorts Bundesrepublik erwachsen kann, die ernst zu nehmen ist? Selbst das Institut der deutschen Wirtschaft stellt in einer Untersuchung zum Zustand der Infrastruktur fest: Mit der zunehmenden Veraltung ist ein erheblicher investiver Nachholbedarf entstanden. Er muß abgebaut werden, wenn ein angemessener infrastruktureller Versorgungsgrad, der als gewichtiger Standortfaktor gilt, gewährleistet werden soll.
    Der Arbeitsminister schweigt. Und er schweigt auch — obwohl diese Haltung ansonsten bei ihm unbekannt ist — , wenn seine Partei verlautbart, daß in den 90er Jahren die Unternehmenssteuern um bis zu 30 Milliarden DM gesenkt werden sollen.
    Nein, meine Damen und Herren, der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist in dieser Regierung kein gestaltender Faktor. Der vorgelegte Entwurf seines Haushalts belegt einmal mehr, daß sich dieses Ministerium als schlechter Reparaturbetrieb zu Lasten der Bevölkerungsteile versteht, die ihm anvertraut sind.
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Strube.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Gerd Strube


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dreßler, nach Ihrer Rede scheint es mir angebracht zu sein, das Hohe Haus daran zu erinnern, daß Sie zu den Bankrotteuren von 1982 gehören. Damals waren Sie maßgeblich daran beteiligt, daß unser Sozialstaat ins Gerede gekommen ist.

    (Kolb [CDU/CSU]: Staatssekretär war er zum Schluß! )

    Ich frage mich, woher Sie die Kaltschnäuzigkeit nehmen, sich heute hierhinzustellen und der Bundesregierung und der Koalition Vorschläge zu machen, wie man die Sozialpolitik verbessern kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Becker [Nienberge] [SPD]: Weil das die Wahrheit ist!)

    Ich möchte zur Beratung des Einzelplans 11 feststellen: der Umbau unseres Sozialstaats hin zu größerer Zielgenauigkeit der sozialen Leistungen

    (Heyenn [SPD]: Auf Deutsch heißt das „Abbau"!)

    und zu mehr Effizienz verläuft erfolgreich. Unser Umsteuern bei der Arbeitsförderung kommt den Problemgruppen am Arbeitsmarkt zugute.

    (Dr. Thomae [FDP]: Richtig! — Frau Unruh [GRÜNE]: Mein Gott!)

    Unser Umsteuern durch die Gesundheitsreform kommt den Versicherten zugute und gleicht durch neue Leistungen für häusliche Pflege ein bisheriges Defizit aus.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Stimmt doch gar nicht!)

    Unser Sozialstaat ist wetterfest.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Nein!)

    Seine Instrumentarien sind effizienter geworden. Seine Mittel werden zielsicherer verwendet. Wir bauen diesen Sozialstaat qualitativ aus.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Nein, willkürlich!)

    Wir steigern zugleich seine Leistungen für soziale Sicherheit.



    Strube
    Meine Damen und Herren, innerhalb des Bundeshaushalts hat Soziales die höchste Priorität. Mit 70,5 Milliarden DM wird der Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung 1990 wieder der größte Einzelhaushalt sein.

    (Heyenn [SPD]: Klar, bei den Arbeitslosenzahlen!)

    Hinzu kommt, daß auch die Haushalte anderer Ressorts enorme Mittel für Soziales bereithalten.

    (Günther [CDU/CSU]: Arbeitslosengeld ist da gar nicht drin, Herr Heyenn!)

    70,5 Milliarden DM sind 11 Milliarden DM mehr, als im Haushalt des Bundesarbeitsministeriums 1982 eingestellt waren.

    (Hört! Hört! bei der FDP)

    Wer hier noch von „Sozialabbau" spricht, hat meiner Ansicht nach keine Ahnung oder handelt wider besseres Wissen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kolb [CDU/CSU]: Das ist die Folge der Mengenlehre!)

    Mit einer Steigerungsrate von 4,2 % gegenüber 1989 wächst dieser Haushalt erheblich stärker als alle anderen Ressorthaushalte.

    (Kolb [CDU/CSU]: So ist es!)

    Der Sozialhaushalt macht mit 23,4 % des Bundeshaushalts fast ein Viertel des Gesamthaushalts aus. Dabei gehen über die Hälfte unserer Haushaltsmittel, nämlich 39,7 Milliarden DM, als Zuschüsse an die Rentenversicherung. Die Ausgaben für die Kriegsopfer und die Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz machen mit 11,9 Milliarden DM bzw. 12,7 Milliarden DM den zweit- und drittgrößten Titel aus. Trotz niedrigerer Arbeitslosigkeit legen wir also bei der Arbeitsförderung erneut zu.
    Auf die Erstattung für die Zeiten der Kindererziehung an die Rentenversicherung und Mutterschaftsgeld entfallen 4,3 Milliarden DM und damit 1,2 Milliarden DM mehr als im vergangenen Jahr.
    Meine Damen und Herren, die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Redezeit gestattet es leider nicht, auf all die von mir genannten Schwerpunkte im einzelnen einzugehen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sonst gingen noch mehr Wähler laufen!)

    Ich denke, wir werden aber bei den Einzelberatungen im Haushaltsausschuß und bei der zweiten und dritten Beratung dieses Etats dazu noch ausreichend Gelegenheit haben.
    Beispielhaft für die genannten Schwerpunkte lassen Sie mich deshalb zu den neuen Leistungen für Kriegsopfer sagen, daß sich die Qualität unseres Sozialstaates nicht allein an Hand des Leistungsvolumens messen läßt. Es geht auch um die Zielgenauigkeit seiner Maßnahmen. Wir haben beides verbessert, und wir haben damit vieles für die wirklich Bedürftigen erreicht.
    Für die Kriegsopfer waren erste umfangreiche und strukturelle Neuregelungen in dieser Legislaturperiode mit dem Gesundheitsreformgesetz verbunden. Wir haben dafür gesorgt, daß die Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung auch all denen zugute kommen, denen Heil- und Krankenbehandlungen nach dem Bundesversorgungsgesetz zustehen. Dazu gehören u. a. die Einführung von Leistung bei Pflegebedürftigkeit, Früherkennungs- und Vorbeugemaßnahmen sowie der Zugang zu Kuren auch für versorgungsberechtigte Angehörige und Witwen, die davon bisher ausgeschlossen waren. Gleichzeitig wurde sichergestellt, daß Kriegsopfer und andere Berechtigte in gleichem Umfang wie bisher notwendige Leistungen ohne Beteiligung an den Kosten erhalten.
    Weitere strukturelle Verbesserungen für Kriegsopfer sind zu Anfang dieses Jahres auf Grund des Kriegsopferversorgungs-Anpassungsgesetzes 1988 im Umfang von 26 Millionen DM jährlich in Kraft getreten. Jetzt lösen wir ein, was Bundeskanzler Kohl in seiner Regierungserklärung vom 17. März 1987 angekündigt hat. Wir halten Wort und stellen in den kommenden Jahren als Kernstück unserer strukturellen Verbesserungen Jahr für Jahr 170 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung. Das Bundeskabinett hat dem bereits zugestimmt. Die neuen Leistungen werden im wesentlichen am 1. April 1990 in Kraft treten.

    (Vorsitz: Vizepräsident Stücklen)

    Zusammen mit den Kriegsopferverbänden haben wir ein umfassendes und ausgewogenes Konzept zu ihrer Verwendung entwickelt. Insbesondere wollen wir denjenigen Berechtigten helfen, die benachteiligt sind. Denn gesundheitliche und wirtschaftliche Probleme werden mit zunehmendem Alter nicht geringer. Das gilt z. B. für die pflegebedürftigen Schwerbeschädigten, deren Frauen mit zunehmendem Alter die Belastung der Pflege nicht mehr voll tragen können. Ihnen soll dadurch geholfen werden, daß ein Teil der bisher gewährten Pflegezulage für den Ehepartner auch dann weitergezahlt wird, wenn sie eine fremde Pflegekraft gegen Entgelt einstellen.
    Unsere Kriegsopfer und ihre Familien sind die meist stillen, aber über Jahrzehnte hinweg wirklichen Leidtragenden eines Unrechts, dessen Ausgangspunkt wir gerade in diesen Tagen gedacht haben. Wir wissen, daß Geld immaterielle Nachteile nur bedingt ausgleichen kann. Das erduldete Leid kann niemand wiedergutmachen. Wir wissen aber auch, daß die Kriegsopfer auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen sind. Sie sollen wissen, daß sie sich auf uns verlassen können. Wir helfen, wo wir können.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, Haushälter sind von Hause aus Gestalter. Denn ihre Aufgabe ist es, Prioritäten zu setzen. Sie zwingen durch Umschichtungen zur Ausnutzung von Wirtschaftlichkeitsreserven und zu einer zielgenaueren Steuerung auf die wirklich Bedürftigen. Sie ebnen auch durch Umsteuern in neue Bereiche den Weg für wichtige Zukunftsaufgaben. Eine dieser Zukunftsaufgaben liegt im Bereich der Rehabilitation und Pflege. Unser neuer Grundsatz der Behindertenpolitik, Rehabilita-



    Strube
    tion geht vor Pflege, muß in der Praxis Instrumente erhalten, um umgesetzt zu werden. Dafür zweckmäßig halte ich ein dreigliedriges System vom ambulanten, teilstationären und stationären Einrichtungen, die sich wechselseitig ergänzen. Ihren Aufbau müssen wir forcieren. Die für den Haushalt 1990 vorgesehenen 26,5 Millionen DM sind ein wichtiger Grundstock.
    Aber angesichts dessen, daß durch die veränderte Altersstruktur unserer Bevölkerung Pflege immer mehr zum Zukunftsthema wird, müssen wir alles daransetzen, Pflegefälle zu vermeiden, wo dies möglich ist. Das bedeutet: eine weitere Ausweitung der Mittel für die Zukunft.
    Ich nenne schließlich die bleibende Aufgabe Krebsbekämpfung. Krebs ist nach wie vor eine Geißel der Menschheit. Sie muß endlich besiegt werden. Wo die Menschen davon befallen sind, muß ihnen besser geholfen werden. Seit 1981 führt die Bundesregierung deshalb in ihrem Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung das Modellprogramm zur besseren Versorgung von Krebspatienten durch. Dieses Programm hat entscheidend zur Verbesserung der Behandlung von Krebskranken beigetragen. Es muß weitergeführt werden. Nach wie vor bestehen in der Versorgung von Krebspatienten Defizite.
    Meine Damen und Herren, ich möchte am Schluß meiner Ausführungen den beteiligten Beamten für die Vorbereitung dieses Haushalts, für die geleisteten Vorarbeiten, Dank sagen. Erfahrungsgemäß werden aber im Interesse des Gesamthaushalts bei den kommenden Beratungen im Haushaltsausschuß auch Kürzungen und Umschichtungen vorgenommen.
    Ich bin aber ganz sicher, meine Damen und Herren, daß unser Bundesminister Dr. Norbert Blüm durch diesen Haushalt in die Lage versetzt wird, seine erfolgreiche Sozialpolitik fortzusetzen.
    Danke.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)