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ID1115604900

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    Plenarprotokoll 11/156 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 156. Sitzung Bonn, Dienstag, den 5. September 1989 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 11715A Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksache 11/5000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1990 bis 1993 (Drucksache 11/5001) Dr. Vogel SPD 11715B Rühe CDU/CSU 11723 D Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 11733 C Mischnick FDP 11736 C Dr. Kohl, Bundeskanzler 11739C Dr. Schmude SPD 11750A Lintner CDU/CSU 11754 B Frau Frieß GRÜNE 11756 C Hoppe FDP 11758C Büchler (Hof) SPD 11760B Dr. Knabe GRÜNE 11762 D Frau Dr. Wilms, Bundesminister BMB . . 11763 C Kühbacher SPD 11765C Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMVg . . 11769A Dr. Lippelt (Hannover) GRÜNE 11772 B Dr. Rose CDU/CSU 11773 D Frau Dr. Adam-Schwaetzer, Staatsminister AA 11776D Dr. Hauchler SPD 11778C Wilz CDU/CSU 11781C Dr. Mechtersheimer GRÜNE 11783 B Frau Seiler-Albring FDP 11784 C Müntefering SPD 11786 D Pesch CDU/CSU 11788D Frau Teubner GRÜNE 11791C Dr. Hitschler FDP 11792 D Frau Hasselfeldt, Bundesminister BMBau . 11794B Conradi SPD 11797D Frau Odendahl SPD 11799C Frau Männle CDU/CSU 11803 A Wetzel GRÜNE 11804 D Neuhausen FDP 11806A Daweke CDU/CSU 11806D Möllemann, Bundesminister BMBW . . . 11807D Oostergetelo SPD 11810B Eigen CDU/CSU 11814 D Frau Flinner GRÜNE 11817 C Bredehorn FDP 11819 A Daubertshäuser SPD 11821 C Fischer (Hamburg) CDU/CSU 11824 A II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1989 Frau Rock GRÜNE 11826 D Zywietz FDP 11828B Haar SPD 11831A Zusatztagesordnungspunkt: Erste Beratung des von den Abgeordneten Susset, Michels, Eigen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Paintner, Heinrich, Bredehorn und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) (Drucksache 11/5124) 11821B Nächste Sitzung 11832D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . .11833* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 156. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 5. September 1989 11715 156. Sitzung Bonn, den 5. September 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 07. 09. 89* Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 07. 09. 89 Büchner (Speyer) SPD 07. 09. 89* Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 05. 09. 89 Eich GRÜNE 07.09.89 Frau Eid GRÜNE 07. 09. 89 * * * Frau Fischer CDU/CSU 07. 09. 89* * * Frau Garbe GRÜNE 05. 09. 89 Frau Geiger CDU/CSU 07. 09. 89* * * Genscher FDP 07.09.89 Haack (Extertal) SPD 05. 09. 89 Heimann SPD 05.09.89 Frau Hensel GRÜNE 05. 09. 89 Dr. Holtz SPD 07. 09. 89* * * Frau Hürland-Büning CDU/CSU 07. 09. 89 Dr. Hüsch CDU/CSU 05. 09. 89 Hüser GRÜNE 05.09.89 Ibrügger SPD 05. 09. 89 * * Jaunich SPD 05.09.89 Klein (Dieburg) SPD 07. 09. 89 Dr. Klejdzinski SPD 07. 09. 89 * * * Dr. Kreile CDU/CSU 07. 09. 89 Kreuzeder GRÜNE 05.09.89 Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 07. 09. 89 Frau Luuk SPD 07. 09. 89* * * Lüder FDP 07.09.89 Magin CDU/CSU 07.09.89 Meyer SPD 05.09.89 Dr. Müller CDU/CSU 07. 09. 89 * Frau Nickels GRÜNE 05. 09. 89 Dr. Nöbel SPD 07. 09. 89 Poß SPD 05.09.89 Regenspurger CDU/CSU 07.09.89 Frau Saibold GRÜNE 05. 09. 89 Dr. Scheer SPD 07. 09. 89 Schulze (Berlin) CDU/CSU 07. 09. 89 Dr. Stercken CDU/CSU 07. 09. 89 * * * Stratmann GRÜNE 05.09.89 Such GRÜNE 05.09.89 Tietjen SPD 07.09.89 Vahlberg SPD 07.09.89 Frau Dr. Vollmer GRÜNE 05. 09. 89 Westphal SPD 07.09.89 Wolfgramm (Göttingen) FDP 07. 09. 89* * * Dr. Wulff CDU/CSU 07. 09. 89* * * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung * * * für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Jutta Oesterle-Schwerin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede auf ein Thema zu sprechen kommen, das derzeit die öffentliche Diskussion beherrscht: die Flucht Tausender von Menschen aus der DDR.
    Um es ganz unmißverständlich zu sagen: Die GRÜNEN sind ohne Wenn und Aber für die Aufnahme der DDR-Flüchtlinge in der Bundesrepublik. Wir sind dafür, daß ihnen der Start in das neue Leben so leicht wie möglich gemacht wird. Das ist für uns ein selbstverständliches Gebot der Humanität. Allerdings hat dieses Gebot für uns im Gegensatz zur Regierung universelle Geltung. Es gilt für Flüchtlinge aus der DDR. Es gilt für die Menschen, die aus Polen in die Bundesrepublik kommen, und es gilt in gleichem Maße auch für die Flüchtlinge aus der sogenannten Dritten Welt. Einer Politik, die Menschlichkeit von dem Nationalitätenstempel im Reisepaß abhängig macht, werden wir unseren Widerstand entgegensetzen. Die Tatsache, daß niemand ernsthaft daran zweifelt, daß die Bundesrepublik heute dazu in der Lage ist, Tausende von DDR-Flüchtlingen aufzunehmen, straft all diejenigen Lügen, die angesichts der asylsuchenden Flüchtlinge aus anderen Ländern vor kurzem noch behauptet haben, das Boot sei bereits voll. Die regierungsoffizielle Sortierung von Menschen in gute, weil deutsche, und weniger gute, weil ausländische Flüchtlinge, machen wir nicht mit. Sie beweist, wie instrumentell die Bundesregierung Menschlichkeit handhabt.
    Helmut Kohl hat ausnahmsweise recht gehabt, als er am Wochenende gesagt hat:

    (Zuruf von der CDU/CSU: Kohl hat immer Recht!)

    Auch die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage gehört zu den Menschenrechten.
    Damit hatte er recht. Bloß: Dieses Menschenrecht gilt nicht nur für deutsche Flüchtlinge, sondern es gilt auch für diejenigen aus anderen Ländern. Ich fordere Sie deswegen auf, Herr Bundeskanzler, sich angesichts Ihrer neuerlichen Erkenntnis jetzt bei denen zu entschuldigen, die Sie früher als Wirtschaftsasylanten beschimpft haben.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Der hört doch nicht mal zu! — Frau Beck-Oberdorf [GRÜNE]: Er schreibt gerade seinen Namen! Er muß sich konzentrieren!)

    Wir wollen nicht, daß DDR-Flüchtlinge genauso schlecht behandelt werden wie die Flüchtlinge aus Sri Lanka. Wir wollen vielmehr, daß die Flüchtlinge aus Sri Lanka, aus dem Iran, aus Kurdistan und aus Polen genauso gut behandelt werden wie die Flüchtlinge aus der DDR.
    Nun ein paar Anmerkungen zum Haushalt selbst. Zahlen stehen unverdient in dem Ruf, langweilig zu sein. Dabei sind sie ab und zu sehr aufschlußreich.
    Im letzten Jahr betrug der Etat des Bundesumweltministers 2,2 Milliarden DM. Das sind lächerliche 0,8 % des gesamten Bundeshaushalts. Das sind aber auch 200 Millionen DM weniger, als die Bundeswehr in diesem Jahr allein für Munitionskäufe ausgeben darf. Die Bundeswehr darf also 200 Millionen DM mehr verballern, als der Bundesumweltminister für



    Frau Oesterle-Schwerin
    die Umweltschutzaufgaben insgesamt ausgeben darf.
    Was kann die Prioritätensetzung durch diese Bundesregierung besser verdeutlichen als dieses Beispiel?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Da Herr Töpfer aber ein wackerer Kämpfer für die Sache der Ökologie ist,

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ist er auch!)

    ist es ihm gelungen, seinen Etat — so wird er uns morgen erzählen — in diesem Jahr von 2,2 auf 2,6 Milliarden DM zu erhöhen.
    Er wird allerdings verschweigen, daß ein Drittel dieser Summe, nämlich mehr als 865 Millionen DM, für die Folgekosten der Atomindustrie draufgehen, also für ökologisch so sinnvolle Dinge ausgegeben werden wie Entsorgung, Endlagerung und Strahlenschutz.
    Herr Töpfer wird auch verschweigen, daß exakt diese Summe nicht etwa neu im Haushalt ausgewiesen, sondern aus dem Haushalt des Wirtschaftsministeriums in den Haushalt seines Ministeriums umgeschichtet worden ist. Bei einigermaßen redlichem Denken muß diese Summe abgezogen werden.
    Was bleibt, ist ein Umweltetat von weit weniger als 1,8 Milliarden DM. Herr Töpfer hat also für seine medienwirksame Tätigkeit 400 Millionen DM weniger zur Verfügung als im letzten Jahr. Ihm stehen, wie gesagt, 600 Millionen DM weniger zur Verfügung, als die Bundeswehr verschießen darf.
    Es gibt aber noch andere interessante Zahlen in diesem Haushalt. 84 % der Gesamtausgaben für die Energieforschung werden in die Atomenergie gebuttert. Seit dem Amtsantritt der Regierung Kohl ist der Etat für nichtnukleare Energieforschung von jährlich 772 Millionen DM auf 399 Millionen DM pro Jahr gesunken. Das macht doch die ganze Trostlosigkeit des umweltpolitischen Engagements dieser Regierung deutlich.
    Auf der anderen Seite lesen auch die Sozialdemokraten die Ergebnisse der Meinungsumfragen und wissen deshalb, daß Ökologie ein wahlentscheidendes Thema sein wird. Also versuchen auch sie, umweltpolitischen Tatendrang zu demonstrieren — natürlich nicht in allen Fragen.
    Über den Ausstieg aus der Atomenergie spricht man heute nicht mehr so gern. Das tun in der Zwischenzeit andere. Im „Spiegel" wird der Chef der Veba, von Bennigsen-Foerder, mit dem Angebot zitiert, man könne über die Stillegung von ein oder zwei alten AKWs durchaus reden; für die modernen Atomfabriken sollte aber gelten, daß diese noch mindestens 25 Jahre lang Profit abwerfen müßten.
    Der saarländische Wirtschaftsminister Hoffmann, stets mutig auf der Suche nach dem Konsens mit der Industrie, deutete diese Forderung in einem Brief an seine SPD-Kollegen in den Ländern als lobenswerte Bereitschaft der Atomindustrie, über die Restnutzungszeit zu verhandeln.
    Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts ist es mehr mit dem Ausstieg innerhalb von zehn Jahren.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Alles Quatsch!)

    — Hoffentlich ist das Quatsch.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Sicherlich ist das Quatsch!)

    Dafür hat die SPD jetzt die Ökosteuer entdeckt. Die Idee ist natürlich von den GRÜNEN geklaut.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Die Idee hatte Matthöfer längst vor Ihnen!)

    Ich will gar nicht lange darüber lamentieren. Das ist schließlich nicht das erste und sicherlich nicht das letzte Plagiat.

    (Roth [SPD]: Ich kannte Sie schon, da waren Sie noch Juso! Ich kenne Sie aus Ulm! Da waren Sie in der Juso-Gruppe! Da haben Sie das meiste gelernt!)

    — Aber nicht lange.

    (Roth [SPD]: Doch! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Eine andere schlechte Kopie unseres Programms ist doch die Frauenpolitik der SPD und deren halbherzige Quotenregelung. Das müssen Sie doch zugeben. Aber wir nehmen Ihnen das Abschreiben an sich überhaupt nicht übel. Wir würden ja ab und zu auch gern einmal in Ihrem Revier wildern, wenn es dort bloß etwas zu holen gäbe. Aber wir finden nichts.

    (Zuruf von der SPD: Wildern ist wildern!)

    Es ist allerdings das zu kritisieren, was die Sozialdemokratie aus der politischen Idee der Ökosteuer gemacht hat. Für uns war und ist die Ökosteuer immer nur ein Instrument gewesen, das zur Erreichung ökologischer Erfolge in einen umfassenden Maßnahmenkatalog eingebettet sein muß. Als Stichwörter nenne ich nur Konversion und Produktionsverbote für besonders giftige Stoffe. Bei uns ist die Steuer also ein Mittel für die Ökologie. Bei Ihnen ist es genau umgekehrt; bei Ihnen wird die Ökologie dazu benutzt, die Erhöhung der indirekten Steuern zu erreichen. Das heißt doch nichts anderes, als eine gute Idee auf den Kopf zu stellen.

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist ja ganz schlimm!)

    Die Ökologie ist ein Politikbereich, in dem viel geredet und wenig gehandelt wird.
    Es gibt andere Bereiche, in denen wird weniger geredet und dafür aber um so entschiedener gehandelt. Zu dieser zweiten Kategorie gehört die Rüstungsindustrie. Unter dem harmlosen Titel „Modernisierung" vollzieht sich zur Zeit innerhalb der NATO ein massiver Aufrüstungsprozeß. Mit neuen Atomgranaten, mit neuen Bombern und mit einem Nachfolgesystem für die Lance-Raketen soll die sogenannte Lücke, die der Abzug der Pershing-II-Raketen verursacht hat, geschlossen werden. Dieser Abzug war in den Augen der Militärs ohnehin immer nur ein verwerflicher friedenspolitischer Anschlag auf die Kampfkraft der Truppe.



    Frau Oesterle-Schwerin
    392 Atombomber vom Typ F-15 sollen in den nächsten Jahren angeschafft werden. Was das soll, die Strategie, die dahintersteht, beschrieb General Altenburg unlängst mit folgenden Worten — ich zitiere —:
    Weil wir nicht gewillt sind, auf unserem Territorium einen konventionellen Krieg auszukämpfen, planen wir einen Ersteinsatz,
    — mit Atomwaffen —
    der nicht das Territorium der Bundesrepublik treffen soll. Da wir in der Theorie aber nicht ausschließen können, daß die Truppen des Gegners dennoch auf unser Territorium vordringen, zieht die Allianz auch einen Zweiteinsatz in Erwägung.
    Über den Dritteinsatz hat sich der General ausgeschwiegen.
    Ich frage Sie: Was ist angesichts dieser Zukunftsperspektiven politisch vernünftiger als das Bestreben, möglichst schnell aus der NATO auszusteigen?
    Andere Themen, über die wenig geredet wird, sind die Massenerwerbslosigkeit, insbesondere die gar nicht erst registrierte Erwerbslosigkeit von Frauen, und der neuerliche Betrug an den Frauen durch die sogenannte Rentenreform, den wir der SPD mit zu verdanken haben.
    Worüber auch niemand redet, ist z. B. die Tatsache, daß die Putzfrauen, die hier im Hause saubermachen und die drüben unsere Büros putzen, ganze 10,15 DM in der Stunde bekommen, brutto, versteht sich. Die Tamilen, die im ganzen Bundesgebiet im Gaststättengewerbe arbeiten, werden mit einem noch viel kleineren Betrag abgespeist. Darüber wird nicht gern geredet.

    (Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Ihre Fraktion hat bis jetzt aber keine Anträge gestellt!)

    — Dann müssen Sie besser aufpassen.

    (Lachen bei der CDU/CSU — Wissmann [CDU/CSU]: Selber putzen!)

    Dann müssen Sie die Drucksachen besser lesen.
    Eine ganz widerliche Erscheinung ist zur Zeit das Loblied auf den Fleiß und auf die Anspruchslosigkeit der Aussiedlerinnen und Aussiedler und der Versuch, sie mit diesen aus der Not resultierenden Eigenschaften gegen die hiesigen Erwerbslosen auszuspielen.
    Der flinke Herr Wissmann von der CDU hat den Ball natürlich sofort aufgegriffen und eine Änderung der Zumutbarkeitsbestimmungen für alle Arbeitsuchenden gefordert. Die Botschaft ist klar: Diejenigen, die nicht so fleißig und anspruchslos sind, sind eben selber schuld, wenn sie keine Erwerbsarbeit haben. Ich muß sagen, der Zynismus mancher Unionspolitiker verschlägt uns noch sieben Jahre nach der Wende manchmal die Sprache.

    (Dr. Blank [CDU/CSU]: Davon merkt man bei Ihnen aber viel!)

    Meine Damen und Herren, ich möchte im letzten Teil meiner Rede auf die politischen Konstellationen in der Bundesrepublik eingehen.

    (Borchert [CDU/CSU]: Unvorstellbar!)

    Dazu gehört die Frage nach den politischen Gründen für die Entlassung des CDU-Generalsekretärs.

    (Dr. Blank [CDU/CSU]: Machen Sie sich mal Sorgen um Ihren Verein!)

    Um Mißverständnissen vorzubeugen: Wir weinen Herrn Geißler keine Träne nach. Wir können in ihm einfach kein Opfer sehen, weil wir noch zu gut in Erinnerung haben, was er als Täter alles angerichtet hat. Ich möchte bloß an seine Behauptung erinnern, der Pazifismus sei schuld an Auschwitz. Mehr muß ich dazu gar nicht sagen.
    Entlassen wurde der Generalsekretär aber aus folgendem Grund.

    (Dr. Blank [CDU/CSU]: Sie müssen das ja wissen!)

    — Ja, ich habe es gehört. Das haben wir alle gehört. — Am Abend nach der Europawahl erklärte Franz Schönhuber,

    (Dr. Blank [CDU/CSU]: Wer ist denn das? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    eine CDU mit Generalsekretär Geißler sei für ihn nicht koalitionsfähig. Wir stellen fest: Zweieinhalb Monate später hat der Bundeskanzler diese Hürde aus dem Weg geräumt!

    (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie müssen ja einen Knick in Ihren Gedanken haben! — Pfeffermann [CDU/CSU]: Wenn die GRÜNEN über die Radikalen reden, dann wird es immer lustig!)

    Jetzt soll niemand sagen, das eine habe nichts mit dem anderen zu tun; denn zu viele Ereignisse und Fakten der letzten Zeit sprechen für diese These.
    Wir sind auch keineswegs darüber beruhigt, daß sich Herr Albrecht in Niedersachsen nun doch entschlossen hat, sich von seinem Republikaner mit CDU-Parteibuch zu trennen. Uns beunruhigt vielmehr das miese Spiel, das wochenlang betrieben worden ist, um Vajen zu halten. Der eigentliche Skandal der Affäre besteht darin,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Welche Affäre meinen Sie?)

    daß Vajen mit seiner Behauptung, es bestünde eine große Übereinstimmung zwischen Republikanern und CDU, recht hat, daß er mit dieser Behauptung den Nagel auf den Kopf getroffen hat.

    (Borchert [CDU/CSU]: Wenn Sie den schon zitieren müssen! — Dr. Blank [CDU/CSU]: Donnernden Applaus gibt es da!)

    Die politische Methode, mit der die Republikaner auf Stimmenfang gehen, besteht schlicht darin, daß sie der CDU/CSU den Spiegel ihrer eigenen politischen Ideale vorhalten, um ihr anschließend vorwerfen zu können, die Wende nur versprochen, aber gar nicht durchgeführt zu haben.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Deshalb wählen auch die SPD-Wähler sie!)

    CDU und CSU reden nur von der Wiedervereinigung, aber sie tun nichts dafür, sagen die Republikaner. CDU und CSU haben Recht und Ordnung versprochen, aber immer noch laufen Schwule und Lesben



    Frau Oesterle-Schwerin
    frei herum, sagen die Republikaner. CDU und CSU haben versprochen, Deutschland ausländerfrei zu machen, aber es gibt immer noch viel zu viele davon, sagen die Republikaner. Wenn aber die Versprechen der Christdemokraten die stärkste Waffe der Republikaner sind, dann muß doch an diesen Versprechen etwas faul sein — oder?

    (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Genauso ist es! — Zuruf von der CDU/CSU: Welch seltsame Logik!)

    Das Schlimmste an den Republikanern ist, daß die CDU/CSU ihnen nach dem Mund redet, um ihre Wählerstimmen zurückzugewinnen. Das ist das Schlimmste.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Dieses Kalkül liegt zugrunde, wenn Herr Klein die Waffen-SS in eine Truppe tapferer Vaterlandsverteidiger verwandelt. Dieses Kalkül liegt zugrunde, wenn Herr Waigel auf dem Schlesiertreffen offene Drohungen gegen Polen ausspricht,

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ein Unsinn! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    und es liegt zugrunde, wenn Herr Schäuble die Todesstrafe über den finalen Todesschuß hinterrücks wieder einführen will.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Er hat das Verfassungsgericht zitiert!)

    Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Herren Minister wollen mit solchen Äußerungen die Stimmen der Rechten wiedergewinnen, oder — was noch schlimmer wäre, jedoch zu vermuten ist — sie meinen es ernst.

    (Breuer [CDU/CSU]: Offenbaren Sie doch mal Ihre politische Methode! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist noch viel schlimmer!)

    Sicher ist angesichts dieses rechtsradikalen Säbelgerassels, daß sich in den nächsten Jahren — allem Distanzierungsgerede zum Trotz — auf den verschiedenen politischen Ebenen schwarz-braune Koalitionen etablieren werden,

    (Zuruf von der CDU/CSU: Schwarzbraun ist die Haselnuß!)

    es sei denn, die Wählerinnen und Wähler entscheiden anders; und diese Chance haben wir immerhin noch.

    (Beifall bei den GRÜNEN)


    ( V o r s i t z: Vizepräsident Stücklen)

    Meine Damen und Herren, Ordnung und Sicherheit können und wollen die GRÜNEN nicht versprechen. Ein grundlegender Umbau der Industriegesellschaft kann nicht ohne Streit mit der Industrie abgehen. Wir wollen eine umfassende Abrüstungspolitik. In diesem Punkt sind wir radikal; und das wird nicht ohne Streit mit der NATO abgehen. Wir wollen in der Innenpolitik mehr demokratische Freiheiten und mehr Rechte für Minderheiten. Das wird Reibungen geben, aber das wird auch eine ganz neue Perspektive eröffnen.
    Der grüne Weg ist notwendigerweise ein Weg mit Unsicherheiten. Ich denke aber, angesichts der bedrohlichen Sicherheit, welche die Regierung verspricht, ist das allemal der bessere Weg.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: War es das? Sind Sie schon fertig?)



Rede von Richard Stücklen
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Mischnick


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Im siebten Jahr des wirtschaftlichen Aufschwungs stellt sich die Lage in der Bundesrepublik Deutschland so günstig dar wie lange nicht mehr.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

    Die Produktionskapazitäten sind in den meisten Wirtschaftszweigen gut bis sehr gut ausgelastet. Umfragen unter den Unternehmen zeigen, daß diese gute Auftragslage zu Erweiterungsinvestitionen ermuntert und daher auch die Zukunftserwartungen für das nächste Jahr positiv sind.
    Der kräftige Aufschwung hat auch auf dem Arbeitsmarkt Wirkung gezeigt und Entlastung herbeigeführt. Die Kurzarbeit hat drastisch abgenommen. Die Zahl der offenen Stellen ist erheblich angestiegen. Das wird sich in den nächsten Monaten fortsetzen, wie auch die heutigen Zahlen wieder beweisen.
    Durch die von der Bundesregierung eingeleitete und durchgehaltene finanzpolitische Neuorientierung hat sich die Lage der Staatsfinanzen nachhaltig verbessert. Damit konnte ein entscheidender Beitrag zur Wiedergewinnung eines stabilen Wirtschaftswachstums geleistet werden.
    Mit der Verwirklichung der Steuerreform in ihrer dritten Stufe werden wir die volkswirtschaftliche Steuerlastquote auf 22,5 % zurückführen. Das ist die niedrigste Steuerlastquote seit 1960. Diese Steuerreform wird gerade auch Beziehern niedriger Einkommen zugute kommen.
    Das sind Erfolge, die niemand leugnen kann, der bei klarem Verstand ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das ist ja auch der Grund, weshalb wir heute früh in der Rede von Herrn Kollegen Vogel zu diesen Fragen nichts gehört haben, weil das die Erfolge unserer Politik sind. Ich habe Verständnis dafür, daß dazu nichts gesagt worden ist.
    Sie haben den Zustand unserer Republik beklagt. Herr Kollege Vogel, es ist richtig, daß manches in unserer Republik beklagenswert ist. Am beklagenswertesten ist, daß von vielen eine Stimmung verbreitet wird, als wäre dies ein mieser Staat, während es ein Staat ist, der in der gesamten Welt wegen seiner hervorragenden Leistungen anerkannt ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wer diese Miesmacherei betreibt, darf sich nicht wundern, wenn dann manche Wähler in radikale Grup-



    Mischnick
    pierungen ausweichen, weil sie diese Miesmacherei glauben.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Meinen Sie Herrn Rühe?)

    Ich habe manchmal den Eindruck, daß einige meinen, das, was 1976 in der Sonthofener Rede damals von Strauß gemacht worden ist, nun nachahmen zu sollen. Man erinnere sich daran, wie man dies damals mit Recht kritisiert hat, und hüte sich davor, jetzt in gleiche Fehler zu verfallen; denn das wäre nicht zum Nutzen von uns allen und unserer Demokratie, die sich in diesen 40 Jahren doch stabilisiert hat.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Das schließt nicht aus, daß wir sehen müssen, wo noch Reformen erforderlich sind. Wenn wir die Gesundheitsreform durchgesetzt haben und wenn die Rentenreform vor der Tür steht, dann geschieht das ja, um Mängel, die erkannt worden sind, zu beseitigen und Voraussetzungen für neue Maßnahmen zu schaffen, damit wir die Weiterentwicklung gerade in diesem sozialen System absichern, und zwar nicht nur für die heute Lebenden, sondern auch für die nächste Generation.

    (Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU)

    Diese Innovation haben wir als Koalition vorgenommen; das können Sie nicht leugnen.
    Meine Damen und Herren, ich habe jetzt nicht die Zeit, all das darzulegen, was wir in den verschiedensten Bereichen an Positivem erreicht haben; das werden wir in den Diskussionen zu den Fachgebieten noch hören.
    Eines möchte ich allerdings deutlich sagen: Wenn mit Recht beklagt wird, daß sich radikale Gruppierungen breitmachen, dann sollten wir alle uns angewöhnen, uns sachlich damit auseinanderzusetzen. Drohungen mit einem Verbot oder andere Maßnahmen helfen nicht weiter; denn die Wähler, die da guten Glaubens nachlaufen und nicht etwa überzeugte Anhänger dieser radikalen Gruppierungen sind, kann man nur gewinnen, indem man den Ausgangspunkt ihres falschen Weges erläutert, klarstellt und das durch die praktische Politik abstellt, nicht aber dadurch, daß man sie nur polemisch bekämpft.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Dies, meine Damen und Herren, gilt auch für ein Problem, das wir in diesen Tagen — — —

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Hat Herr Rühe dazu beigetragen? — Gegenruf des Abg. Dr. Rose [CDU/CSU]: Haben Sie gestern dazu beigetragen? — Zuruf von der SPD: Ja!)

    — Frau Kollegin Matthäus-Maier, wir kennen uns schon sehr lange. Sie wissen sehr genau, daß ich das, was ich für richtig halte, ausspreche, aber dabei nie unmittelbar die eine oder den anderen ansehe. Was die finanzpolitischen Überlegungen von gestern angeht, so könnte ich dazu heute noch sehr viel sagen.

    (Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Mich interessiert, wen Sie heute nicht ansehen! Sagen Sie einmal, wen Sie heute nicht ansehen!)

    Ich denke z. B. an die Frage der Kraftfahrzeugsteuer. Das wird von uns seit 15, 20 Jahren vertreten. Wir freuen uns darüber, daß wir dafür heute Unterstützung in allen Reihen bekommen.
    Ich komme zu einem anderen Punkt. Ich will ihn herausgreifen, auch wenn er nicht so groß erscheint. In vielen Diskussionen ist immer wieder gesagt worden: Wir alle müssen bereit sein, den Menschen, die zu uns kommen, zu helfen. Wir brauchen Wohnungsbau. Bund, stelle Mittel zur Verfügung! — Dies tun wir. Sind aber alle von uns, die kommunalpolitisch tätig sind, bereit, bei ihren Gemeinden und Städten dafür zu sorgen, daß nicht durch bürokratische Hemmnisse die Bereitschaft zum Wohnungsbau eingeschränkt wird und daß es nicht über Wochen und Wochen dauert, bis die Genehmigung, neue Wohnungen zu bauen, erteilt wird?

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Wo ist denn diese Bereitschaft, wenn man da plötzlich anfängt, Hürden aufzubauen? Hier wird die Solidarität beschworen, aber da, wo man mitentscheiden kann, wo an Ort und Stelle die Voraussetzungen geschaffen werden, werden Hemmschuhe eingebaut. Das gilt für alle Seiten. Das ist keine parteipolitisch festgelegte Problematik, sondern draußen leider überall festzustellen.
    Ich will mich in meinem Beitrag hier in erster Linie mit dem auseinandersetzen, was wir in diesen Wochen erleben, zu dem wir aus gutem Anlaß auch vor wenigen Tagen Stellung genommen haben.
    Meine Damen und Herren, der Flüchtlingsstrom, der Strom der Aussiedler zeigt deutlich, daß die Nachkriegszeit, formal gesehen, zwar zu Ende ist, daß es aber durch die Kriegsereignisse noch eine Unmenge menschlicher Probleme gibt, die bis heute nicht gelöst werden konnten, die jetzt teilweise gelöst werden. Das heißt: Wenn wir mit Recht immer gesagt haben, wir fühlten uns insgesamt verantwortlich, dann gilt die Verantwortung allerdings nicht nur für diejenigen, die kommen, die unserer Hilfe bedürfen, nicht nur für diejenigen, die heute in Vertretungen, in Botschaften sitzen, nicht nur für diejenigen, die in Feldlagern sind und deren Schicksal noch nicht ganz klar ist, sondern es gilt auch für diejenigen, die da, wo sie heute leben, auf Dauer bleiben wollen.

    (Beifall bei der FDP, bei der CDU/CSU und bei der SPD)

    Das heißt, wir müssen eine umfassende Politik betreiben.
    Wenn ich mir so manche Kommentare angehört und gelesen habe, dann hatte ich das Gefühl, daß das vordergründige Auseinandersetzen mit dem menschlichen Schicksal — was notwendig war — den Blick für die Millionen getrübt hat, die eine andere Entscheidung getroffen haben, wahrscheinlich auf Dauer treffen werden. Was bedeutet das für uns? Daß wir in der



    Mischnick
    praktischen Politik immer daran denken müssen, bei dieser Gratwanderung, die das unzweifelhaft ist, nicht aus dem Auge zu verlieren, daß wir auch mit denjenigen, die eine Politik, betreiben, die wir für falsch halten, im Gespräch bleiben müssen, um für die Menschen, die in diesen Ländern leben und bleiben wollen, das Optimale, soweit es in unseren Kräften steht, zu erreichen.

    (Beifall bei der FDP und der SPD)

    Deshalb, meine Damen und Herren, bei allem Verständnis dafür, daß man sich um Maßnahmen, Gespräche, Vereinbarungen im einzelnen streitet, vergessen wir nie dabei: Wir alle zusammen haben eine Verantwortung als ein Volk, das mitten in Europa, innerhalb unserer Europäischen Gemeinschaft lebt, aber darüber hinaus eine Verantwortung für all die Schicksale hat, die wir nicht unmittelbar beeinflussen können.
    Ich habe mich sehr gefreut, daß in diesen Wochen, in diesen Tagen die Bereitschaft, mit Polen enge Beziehungen auszubauen, so breit geworden ist. Das ist erfreulich. Ich kann mich allerdings noch genau entsinnen — ich greife selten auf persönliche Erlebnisse zurück — , als ich vor 30 Jahren mit einer Delegation des Bundestages bei der Interparlamentarischen Union in Warschau war, welch schwierige Aufgabe wir hatten, dort ohne diplomatische Vertretung deutlich zu machen, daß wir Deutschen bereit sind, auch mit Polen einen Weg zu gehen, wie wir ihn mit Frankreich damals schon bereit waren zu gehen. Ich entsinne mich noch sehr genau, wie wir empfangen wurden: kritisch; ich selber wurde als Militarist, Faschist, Kapitalist bezeichnet. Als mich der begrüßende, später in hohen Funktionen tätige Begleiter fragte, wie mit das gefällt, habe ich ihm das alles gesagt und hinzugefügt: Ich bin trotzdem hier. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich sage das deshalb, weil wir uns hüten müssen, daß bei unseren jungen Menschen der Eindruck entsteht, wir hätten die Beziehungen zu Polen erst in den letzten zwei, drei Jahren entdeckt.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Das ist eine Aufgabe, der wir uns über lange Jahre gestellt haben und bei der wir uns bemüht haben, die Dinge weiterzuentwickeln. Wir sind froh darüber, daß vieles von diesen Initiativen Wirkung hat, daß die Umgestaltung im Gange ist.
    Dasselbe gilt für Ungarn. Meine Damen und Herren, ich verhehle nicht, daß ich in den letzten Tagen mehrfach erschrocken darüber war, wie Politiker aus der Bundesrepublik Deutschland, Kollegen, glaubten Gepräche mit führenden Persönlichkeiten in Ungarn auf dem offenen Markt darstellen zu müssen, statt das, was in diesen Gesprächen gesagt worden ist, als eine Hoffnung mitzunehmen und es denen, die sich in ihren Bündnissystemen in eine schwierige Position begeben haben, nicht so schwer zu machen, humanitäre Entscheidungen zu treffen. Schweigen ist in diesen Situationen mehr wert als Reden.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Nur wer sich selbst — das geht quer durch alle Fraktionen, das ist keine Frage, die auf die eine oder andere Partei beschränkt ist, über viele Jahre bemüht hat, solche menschlichen Erleichterungen umzusetzen, weiß, daß gerade mit Regimen, die diktatorisch ausgerichtet sind, und gerade gegenüber den Ländern, in denen eine Entwicklung zur Pluralität im Gange ist, eine besondere Feinfühligkeit, aber auch Unterstützung, die wir für richtig und wichtig halten, erforderlich sind.
    Wir können heute gegenüber Ungarn und Österreichern nur mit Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, was sie an stiller menschlicher Hilfe geleistet haben und was hier an offizieller Hilfe geleistet worden ist. Das zeigt, daß der Weg, den man dort geht, eben nicht nur Pluralität nach innen bedeutet, sondern daß man sich auch der humanitären Verpflichtungen nach außen voll bewußt ist.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Das heißt aber auch, meine Damen und Herren, daß wir uns bewußt sein müssen, daß wir das, was wir im Dialog, was wir im Gespräch erreichen — das gilt für Polen genauso wie für Ungarn; das gilt in einem anderen Sinne auch für die Sowjetunion — , bei unseren Entscheidungen, wie wir diese Prozesse unterstützen können, immer berücksichtigen müssen,

    (Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr!)

    und daß wir nicht anfangen, dann kleinlich zu feilschen, sondern zu sehen, welch gewichtige Aufgabe zu helfen für uns besteht, daß die Überwindung dessen, was dort als falsch erkannt worden ist, mit unserer Hilfe möglich wird.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Das bedeutet für mich, daß ich hoffe, daß die Reise des Bundeskanzlers nach Polen bald möglich wird.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Warum fährt er eigentlich nicht?)

    Ich füge aber ausdrücklich hinzu: Voraussetzung ist, daß diese Reise so abgeklärt ist, daß das Ergebnis für beide — Polen und Bundesrepublik Deutschland — positiv in die Zukunft wirkt und dann nicht etwa nur eine verbale Erklärung bleibt.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist wichtig!)

    Gut vorbereitet ist besser, als schnell und ohne Ergebnis gereist zu sein. Das sage ich dazu genauso offen.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Daß ich es begrüßt hätte, wenn man in der Entwicklung so weit gewesen wäre, das schon bis zum 1. September alles abzuwickeln, daran ist kein Zweifel.
    Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zur DDR machen. Meine Damen und Herren, wir Freien Demokraten haben nicht nur zu den anderen WarschauerPakt-Staaten, sondern auch zur DDR über die Jahrzehnte hinweg unsere Bindungen gehalten. Wir haben mit allen Gruppierungen, die mit uns sprechen wollten, gesprochen. Wir haben die Möglichkeiten genutzt, da, wo es zu machen war, Einfluß zu nehmen.



    Mischnick
    Wir haben allerdings auch nie vergessen, daß die Entscheidungen nicht wir, sondern daß andere sie treffen und daß unsere Argumentation so stark sein muß, daß sie in ihre Entscheidungen möglichst einfließt.
    Heute stellen wir fest, daß innerhalb der DDR die Unbeweglichkeit leider noch in einer Weise vorhanden ist, die sie selbst in die Situation bringt, wo sie anderen vorwirft, sie hätten sie herbeigeführt. Dabei wissen wir sehr genau, daß auch für die DDR Entwicklungen zur Pluralität natürlich zusätzliche Probleme gegenüber Staaten wie Polen und Ungarn bringen. Dies befreit uns nicht von der Notwendigkeit, ihnen immer wieder klarzumachen: Auf Dauer genügt es nicht, den Lebensstandard zu verbessern, sondern die Menschen wollen darüber hinaus selber über ihr Leben und ihr Schicksal entscheiden können und nicht vom Staat vorgeschrieben bekommen, wie sie zu leben haben.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

    Das ist der Schlüssel für die Lösung des Gesamtproblems.
    Daß es vielen, die sich über Jahre, Jahrzehnte daran gewöhnt haben, in einer Form zu regieren, die mit unseren Vorstellungen von Demokratie nichts gemein hat, schwerfällt, dies zu verändern, wissen wir. Aber auch hier müssen wir beharrlich unsere Möglichkeiten nutzen, dies öffentlich darstellen, aber auch im internen Gespräch versuchen, zu erreichen, daß man Schritt für Schritt weiterkommt, so mühselig dies ist.
    Das heißt, alle Gruppierungen, die sich heute in der DDR bemühen, Entwicklungen wie in Ungarn, wie in Polen voranzubringen, verdienen unsere Aufmerksamkeit und unsere Hilfe, aber nicht um etwa innenpolitisch hier bei uns irgendwelche Vorteile daraus zu ziehen, sondern um ihnen drüben die Chance zu geben, sich weiterzuentwickeln. Das ist doch der entscheidende Punkt.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir wissen doch aus unserer eigenen bitteren Erfahrung, wie schwer es ist, in einem System dieser Art von innen her wirken zu können. Deshalb ist die entsprechende Vorsicht geboten.
    Ich habe hier bewußt einige wenige Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt. Es gäbe bei einer Bilanz sehr viel zu sagen. Aber bei einer Zuteilung von knapp 20 Minuten für die Debatte kann man nicht auf alles eingehen. Lassen Sie mich zum Schluß aber dies feststellen: Der Wähler hat 1987 diese Koalition beauftragt, eine Regierung zu bilden, Politik zu machen. Trotz aller Unkenrufe, trotz vieler Punkte, wo wir unterschiedlicher Meinung waren, ist es uns gelungen, Daten und Fakten zu setzen und viele Dinge umzusetzen, die man nicht für möglich hielt und die sich für die Menschen doch positiv auswirken, weil wir es verstanden haben, zu dem Ausgleich untereinander und zu der Kompromißfähigkeit zu kommen, die in einer Demokratie notwendig sind.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Machen wir nicht den Fehler, in der Öffentlichkeit Kompromißfähigkeit als Konturlosigkeit hinzustellen,
    sondern seien wir bereit, den Wert der Demokratie gerade darin zu erkennen, daß man in dem Kompromiß, der nach vorn weist, die einzige Möglichkeit hat, auf Dauer die Aufgaben, die vor uns liegen, und die Reformen, die notwendig sind, auch im Interesse der Bürger umzusetzen.
    Dazu werden wir Freien Demokraten stehen.

    (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)