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ID1115508500

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    Plenarprotokoll 11/155 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 155. Sitzung Bonn, Montag, den 4. September 1989 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Becker (Nienberge) 11655 A Wahl der Abg. Frau Schätzle zur Schriftführerin als Nachfolgerin der Abg. Frau Pack 11655B Wahl der Abg. Frau Hoffmann (Soltau) als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an Stelle der ausscheidenden Abg. Frau Pack 11655 B Begrüßung einer ungarischen Gymnasiumsklasse 11674 B Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1990 (Haushaltsgesetz 1990) (Drucksache 11/5000) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Der Finanzplan des Bundes 1989 bis 1993 (Drucksache 11/5001) Dr. Waigel, Bundesminister BMF 11655C, 11705 B Frau Matthäus-Maier SPD 11666 A Borchert CDU/CSU 11674 C Frau Rust GRÜNE 11680A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 11682C Wieczorek (Duisburg) SPD 11688D Dr. Friedmann CDU/CSU 11692 B Frau Vennegerts GRÜNE 11696 B Glos CDU/CSU 11699A Esters SPD 11702 A Wüppesahl fraktionslos 11709B Cronenberg (Arnsberg) FDP 11711 C Tagesordnungspunkt 2: Einspruch des Abgeordneten Volmer gegen den am 23. Juni 1989 erteilten Ordnungsruf 11712 C Nächste Sitzung 11712 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 11713* A Anlage 2 Einspruch gemäß § 39 GO des Abg. Volmer (DIE GRÜNEN) 11713* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 155. Sitzung. Bonn, Montag, den 4. September 1989 11655 155. Sitzung Bonn, den 4. September 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 07. 09. 89 * Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 07. 09. 89 Büchner (Speyer) SPD 07. 09. 89 * Frau Conrad SPD 4. 09. 89 Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE 5. 09. 89 Duve SPD 04. 09. 89 Egert SPD 04. 09. 89 Eich GRÜNE 07. 09. 89 Frau Eid GRÜNE 07. 09. 89 *** * Frau Fischer CDU/CSU 07. 09. 89 *** Frau Garbe GRÜNE 05. 09. 89 Frau Geiger CDU/CSU 07. 09. 89 *** Dr. Geißler CDU/CSU 4. 09. 89 Genscher FDP 07. 09. 89 Graf SPD 04. 09. 89 Gröbl CDU/CSU 04. 09. 89 Haack (Extertal) SPD 5. 09. 89 Hauser (Krefeld) CDU/CSU 04. 09. 89 Heimann SPD 05. 09. 89 Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 4. 09. 89 Frau Hensel GRÜNE 5. 09. 89 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 4. 09. 89 Dr. Holtz SPD 07. 09. 89 *** Frau Hürland-Büning CDU/CSU 07. 09. 89 Hüser GRÜNE 05.09.89 Ibrügger SPD 5. 09. 89 ** Jaunich SPD 05. 09. 89 Klein (Dieburg) SPD 07. 09. 89 Dr. Klejdzinski SPD 07. 09. 89 *** Kossendey CDU/CSU 04. 09. 89 Dr. Kreile CDU/CSU 07. 09. 89 Kretkowski SPD 04. 09. 89 Kreuzeder GRÜNE 05. 09. 89 Dr. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 07. 09. 89 Frau Luuk SPD 07. 09. 89 *** Lüder FDP 07. 09. 89 Magin CDU/CSU 07. 09. 89 Meyer SPD 05. 09. 89 Dr. Müller CDU/CSU 07. 09. 89 * Frau Nickels GRÜNE 05. 09. 89 Niegel CDU/CSU 04. 09. 89 Dr. Nöbel SPD 07. 09. 89 Rappe (Hildesheim) SPD 4. 09. 89 Rauen CDU/CSU 04. 09. 89 Reddemann CDU/CSU 04. 09. 89 Regenspurger CDU/CSU 07. 09. 89 Repnik CDU/CSU 04. 09. 89 Reuschenbach SPD 07. 09. 89 Frau Saibold GRÜNE 5. 09. 89 Schartz CDU/CSU 04. 09. 89 Schäfer (Mainz) FDP 04. 09. 89 Frau Schätzle CDU/CSU 04. 09. 89 Dr. Scheer SPD 07. 09. 89 Frau Schilling GRÜNE 04. 09. 89 Schröer (Mülheim) SPD 04. 09. 89 Dr. Stercken CDU/CSU 07. 09. 89 *** Stratmann GRÜNE 05. 09. 89 Such GRÜNE 05. 09. 89 Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Tietjen SPD 07. 09. 89 Frau Dr. Vollmer GRÜNE 05. 09. 89 Vosen SPD 04. 09. 89 Westphal SPD 07. 09. 89 Wimmer (Neuötting) SPD 04. 09. 89 Wolfgramm (Göttingen) FDP 07. 09. 89 *** Dr. Wulff CDU/CSU 07. 09. 89 *** Zander SPD 04. 09. 89 Dr. Zimmermann CDU/CSU 04. 09. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung *** für die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union Anlage 2 Einspruch gemäß § 39 GO des Abgeordneten Volmer (GRÜNE) vom 26. Juni 1989 In der Debatte am Freitag, dem 23. Juni 1989, zum Tagesordnungspunkt 27 bekam ich von der Frau Vizepräsidentin Renger einen Ordnungsruf. Gerügt wurde meine Aussage: Ausgerechnet der Vertreter einer Bundestagsfraktion, die öfter nachgewiesen hat, daß sie nur über ein vordemokratisches Bewußtsein verfügt, deren Mitglieder hier durch rassistische Zwischenrufe aufgefallen sind, will Nachhilfeunterricht in Demokratie geben (Plenarprotokoll 11/153, S. 11601D). Ich möchte nach § 39 der Geschäftsordnung Einspruch gegen den Ordnungsruf einlegen. Begründung: Es scheint mir durchaus „vordemokratisch" zu sein, wenn etwa der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion der CDU/CSU, Dr. Bötsch, in einer Debatte dem Begehren meiner Fraktion nach einem Sitz im Bundestagspräsidium entgegenhält, die Abgeordneten der Fraktion DIE GRÜNEN übten ihr Mandat in einer Art und Weise aus, wie er, Dr. Bötsch, es nicht akzeptieren könne, weshalb der Fraktion DIE GRÜNEN auch jenseits der formalen Hindernisse aus grundsätzlichen Überlegungen ein Platz im Präsidium zu verwehren sei. Hier wird von einem Mitglied des Deutschen Bundestages ein Meta-Standpunkt zur Ausübung des Mandats eingenommen, von dem aus der Vertreter der Mehrheitsfraktion Vertretern einer Minderheitsfraktion die Art ihrer Mandatsausübung vorschreiben will. Dies ist ein eklatanter Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Abgeordneten. Herr Dr. Bötsch hat faktisch einen obrigkeitlichen Standpunkt über den freien Willen der Abgeordneten gesetzt. Der Vorwurf „rassistischer Zwischenrufe" scheint mir hinreichend gerechtfertigt mit Verweis auf die protokollierten Anwürfe der Herren Fellner (CSU) und Straßmeir (CDU) gegen meinen Fraktionskollegen Meneses Vogl. Nun möchte ich einräumen, daß mir in der frei gehaltenen Rede eine Verallgemeinerung unterlaufen ist, die suggeriert, daß alle Unionsabgeordneten dieselbe Geisteshaltung verträten wie die drei genannten Herren. Die Verallgemeinerung bitte ich als lapsus linguae zu verstehen, der selbst aber noch seine Rechtfertigung dadurch erfährt, daß sich die Fraktion der CDU/CSU von den Entgleisungen ihrer Mitglieder bisher nicht distanziert hat.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Michael Glos


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Mir ist bekannt, verehrte Frau Kollegin, daß es bis jetzt keine neuen Vorschläge seitens der EG-Kommission gibt. Wenn sich dort die Meinung und die Haltung ändert, kann man durchaus darüber reden.

    (Dr. Struck [SPD]: Also!)

    Ich weiß aber eines: Steuerpolitik ist ein sehr sensibles Instrument. Falsch gehandhabt kann dieses Instrument zur Garotte für Konjunktur, Wirtschaft und Wohlstand werden. Die andauernde Aufwärtsentwicklung unserer Wirtschaft seit der Wende ist sicher kein Zufall. Sie ist auch — das sage ich mit einem kleinen Stolz — das Ergebnis der wachstumsfördernden und arbeitsplatzschaffenden Finanz- und Steuerpolitik der christlich-liberalen Koalition, der richtigen Handhabung dieser Instrumente also.
    Die positive Entwicklung bestätigt, daß die finanzpolitische Neuorientierung, die unter Gerhard Stoltenberg begann und jetzt von Theo Waigel fortgesetzt wird, durch strenge Ausgabendisziplin neue Spielräume für den privaten Sektor zu schaffen, erforderlich war und auch in Zukunft erforderlich ist. Die Entwicklung gibt unserer Strategie recht, den privaten Entscheidungsträgern durch mittelfristige finanzpolitische Zielsetzungen die notwendigen Orientierungen zu geben, statt sie mit einer Stop-and-go-Politik kurzfristiger Maßnahmen zu verunsichern. Unsere finanzpolitische Doppelstrategie, Ausgabendisziplin und spürbare Steuerentlastung, hat bewirkt, daß die Staatsquote, also der Anteil der Staatsausgaben am Bruttosozialprodukt, seit 1982 um fast 5 % zurückging und die Steuerquote, das ist der Anteil der Steuern am Bruttosozialprodukt, mit rund 22,5 % im nächsten Jahr den niedrigsten Stand seit dreißig Jahren erreichen wird. Das neu gefestigte Fundament der öffentlichen Haushalte hat die dreistufige Steuerreform 1986/88/90 ermöglicht, mit der das Steuersystem in der Bundesrepublik Deutschland grundlegend verbessert wird

    (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Mit wachsender Verschuldung!)

    und die Steuerzahler um insgesamt fast 50 Milliarden DM jährlich entlastet werden,

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Das ist etwas!)

    und das — ich habe es schon erwähnt — , ohne daß die Inflation wie noch zu SPD-Zeiten den Entlastungskuchen auffrißt.
    Die in knapp vier Monaten wirksam werdende dritte und wichtigste Stufe der Steuerreform wird die Steuerlast für Bürger und Betriebe jährlich um 25 Milliarden DM senken. Kernstück ist die nachhaltige Senkung des Einkommensteuertarifs mit einem nur noch sanft ansteigenden geradlinigen Verlauf der Progression. Dieser Tarif ist sozial ausgewogen, er ist mittelstandsfreundlich, und er ist vor allen Dingen leistungsgerecht. Die wachstumspolitischen Wirkungen dieses entscheidenden steuerpolitischen Schritts werden weit in die 90er Jahre gehen. Das ist wahrer Fortschritt' 90.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der erforderliche Beitrag unserer Finanz- und Steuerpolitik zu der anhaltenden wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung belegt: Nicht kreditfinanzierte Staatsnachfrage nach altem Strickmuster à la SPD, nicht kostentreibende Energiesteuern nach rot-grünem Muster, sondern eine solide Haushaltspolitik und eine wachstumsfördernde Steuerpolitik erweisen sich als die verläßlichen Grundlagen für eine gesunde Wirtschaft. Wir haben vor, diese Politik in den kommenden Jahren fortzusetzen. Deswegen hat die Koalition für die kommende Legislaturperiode eine weitere Steuerentlastung zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen auf ihr Panier geschrieben.

    (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Wie hoch wollen Sie sich noch verschulden?)

    Diese Steuerentlastungsmaßnahmen sind notwendig, damit es sich auch künftig lohnt, mit Investitionen und Arbeitsplätzen in Deutschland zu bleiben. Anders als Teile der Wirtschaft hält es allerdings die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber auch für notwendig, die weitere Verbesserung der Unternehmensbesteuerung mit sozialen Komponenten wie einer weiteren Anhebung des Grundfreibetrags und der Kinderfreibeträge zu verknüpfen.
    Auch angesichts der zum Teil sehr weitgehenden Absenkung der Steuertarife in anderen wichtigen Industrieländern sind weitere Steuerentlastungen zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen unabdingbar. So haben die meisten Länder um uns herum und viele Staaten in Übersee in den letzten Jahren den Körperschaftsteuersatz auf einbehaltene Gewinne auf Werte zwischen 30 und 40 gesenkt. Wir wollen — über den Prozentsatz werden wir uns sicher noch einigen müssen — auch senken. Aber wir wollen eines nicht und werden dies nicht tun: Wir werden eine weitere Senkung nicht über die Erhöhung der Mehrwertsteuer finanzieren, was heute von Ihnen, Frau Kollegin, unterstellt worden ist.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Ich habe es der FDP unterstellt! Die hat es ja gesagt!)

    Wir gehen davon aus, daß wir dies in einer Koalition dann letztendlich einvernehmlich regeln.

    (Dr. Struck [SPD]: Das wird der Wähler schon zu verhindern wissen!)

    Die CDU/CSU wird die erfolgreiche Finanzpolitik zur Sicherung und Mehrung des Wohlstands unserer Bürgerinnen und Bürger unbeirrt fortsetzen.

    (Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Amen!)

    In dem Maße, in dem es weiterhin gelingt, den Zuwachs der Staatsausgaben unterhalb des Zuwachses des nominalen Bruttosozialprodukts zu halten, werden wir neue Spielräume für die notwendigen Steuersenkungen und die weitere Begrenzung des Staatsdefizits gewinnen. Dieser Haushalt leistet einen entscheidenden Beitrag.

    (Walther [SPD]: Leier, leier!)

    Und jetzt bedanke ich mich bei denen, die zugehört haben; die, die dauernd geschrien haben, bitte ich, das nächste Mal etwas anderes zu tun.
    Danke schön.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Esters.

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    Rede von Helmut Esters


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debattenbeiträge der Kollegen der Koalition — mit Ausnahme des Kollegen Friedmann — und die Einbringungsrede des Bundesministers der Finanzen können nicht entkräften, daß der Haushaltsentwurf 1990 und der Finanzplan dem Leitmotiv zum Opfer gefallen sind, das der Parlamentarische Staatssekretär Carstens in den „Finanznachrichten" vom 18. August so formulierte:
    Wir haben allen Anlaß, Experimente jeder Art nicht zum Tragen kommen zu lassen.
    Dieser Wille zum Stillstand, der das „Keine Experimente" der Adenauer-Ära zu potenzieren sucht, ist der Grund dafür, daß die politische Dimension, das Gespür für das Neue und Notwendige, fehlt

    (Kühbacher [SPD]: „Weiter so"!)

    und in einem Meer der Selbstzufriedenheit und Selbstbelobigung untergegangen ist.

    (Beifall bei der SPD — Zuruf von der SPD: Leider wahr!)

    Der Finanzplan selbst ist passagenweise so penetrant, Herr Minister, formuliert, daß er von einem Produkt des Bundespresseamtes kaum noch zu unterscheiden ist.

    (Dr. Struck [SPD]: Das ist wahr, sehr wahr, Kollege Esters!)

    Kurios ist vor allem, daß der Eindruck erzeugt werden soll, als habe es seit 1982 den genialischen Wurf einer Finanzpolitik aus einem Guß gegeben, als ob nicht schon wegen der labyrinthischen Steuerreform ein Personalwechsel im Amt des Bundesfinanzministers hätte stattfinden müssen, der höchst sichtbar die Brüche in der Finanzpolitik dokumentiert.
    Diesem Haushaltsentwurf — und dem Finanzplan — fehlt die ökologische Perspektive, weil er in einer völlig unproduktiven und überholten Weise Wirtschaftswachstum gegen Natur ausspielt und zu einem konstruktiven und phantasievollen Zusammenführen dieser Werte nicht in der Lage ist.

    (Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Vennegerts [GRÜNE])

    Sie nennen dies: „Keine Experimente".
    Ebenso fehlt es Ihnen an der Fähigkeit, die trotz anzuerkennender Beschäftigungserfolge und guter Konjunktur

    (Borchert [CDU/CSU]: Das ist der erste Schritt zur Besserung!)

    an der Zwei-Millionen-Grenze verharrende Arbeitslosigkeit mit dem dringenden Bedarf an Umweltinvestitionen zusammenzuführen, wie dies die sozialdemokratische Bundestagsfraktion mit dem Programm „Arbeit und Umwelt" vorgeschlagen hat.
    Übrigens räumt der Finanzbericht 1990 meines Wissens erstmals ein, daß die Beschäftigungserfolge u. a. auf die Arbeitszeitverkürzung zurückgehen, die der Bundeskanzler seinerzeit als „dumm, töricht und absurd" bezeichnet hat.
    Haushaltsentwurf und Finanzplan schweigen sich ferner darüber aus, ob überhaupt und in welcher Weise die Bundesrepublik Deutschland die Reformen in Osteuropa, namentlich in Polen, unterstützen will. Vor der Sommerpause gab es nichts weiter als einen unklaren Verhandlungsstand: Der Bundeskanzler ging nicht nach Polen. Der CSU-Vorsitzende hat sich zu den Grenzen von 1937 so geäußert, daß der Bundespräsident notwendige Klarstellungen vornehmen mußte. In der Parlamentarierdelegation fehlt meines Wissens das CSU-Element. Dafür weilte der Bundesarbeitsminister dort, dessen Vollmachten allerdings als Frondeur gegen seinen Parteivorsitzenden äußerst gering zu veranschlagen sind.
    Dabei ist gerade unser Land in seiner mitteleuropäischen Lage aufgerufen, hier historische Chancen wahrzunehmen, statt sie dilettantisch zu vertun.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Es wäre ein schwerer Fehler, wegen vermuteter Ressentiments eines Wählerteils schlaue Vorsicht walten zu lassen. Der Deutsche Bundestag bezieht seine Legitimation aus dem Gedanken der parlamentarischen Repräsentation und muß den Mut zeigen, sich über fragwürdige Instinkte hinwegzusetzen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Dies gilt namentlich auch auf dem Feld der Entwicklungspolitik, wo zur Zeit eine wirklich massive Finanzkrise stattfindet. Bei heißlaufender Konjunktur und einem gigantischen Leistungsüberschuß ist gleichzeitig dieser Etat chronisch unterfinanziert. Statt daß die Bundesrepublik diesen Leistungsbilanzüberschuß, den sonst nur noch Japan erwirtschaftet, dazu benutzt, Entwicklungsländer, soweit dies möglich ist, in den Welthandel einzubeziehen, wie dies z. B. Helmut Schmidt vor kurzem gefordert hat, verwendet sie ganz im Gegenteil Darlehensrückflüsse aus diesen hoch verschuldeten Ländern zum übergroßen Teil dazu, hiesige Haushaltslöcher zu stopfen.
    Die ganz wenigen Perspektiven, die der Haushaltsentwurf aufweist, Herr Minister, will ich nicht verschweigen. Sie bestehen in der Wiederbelebung gemeinsamer Bund-Länder-Programme im Hochschulbereich, sie bestehen im sozialen Wohnungsbau und beim BAföG. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß Sie sich damit Strukturen sozialliberaler Haushalte nähern. Das sind noch die besten Eigenschaften Ihres Haushaltsentwurfs.
    Stillstand und Farblosigkeit sind aber nur die eine Seite des Haushalts; in fiskalischer Hinsicht demonstriert er eine halsbrecherische Risiko- und Schuldenbereitschaft, die jede Vorsorge nach dem berühmten hausväterlichen Grundsatz vermissen läßt. Sollte sich die Konjunktur verschlechtern, was niemand wünscht, so wird Heulen und Zähneknirschen im Finanzbereich auf uns zukommen. Soweit Ihre Haushaltspolitik sich auf Neuverschuldung gründet, strafen Sie Ihre seinerzeitigen Forderungen als Opposition Lügen.

    (Gallus [FDP]: Heulen und Zähneklappern!)

    Ich bediene mich, um dies zu zeigen, einfach der Rede des Kollegen Dr. Stavenhagen, des damaligen



    Esters
    Haushaltsobmanns, in der Plenardebatte vom 23. Juni 1982 und wechsle lediglich die Jahreszahlen auf Ihre Regierungszeit aus. Ich sage dann wortgleich mit dem Kollegen Dr. Stavenhagen folgendes — Zitat — :
    Seit 1983 macht die Neuverschuldung jedes Jahr zweistellige Milliardenbeträge aus. Seit 1983 schreiben Sie in jeden Finanzplan knackige Konsolidierungssprüche: ,Ab 1984 wird die Kreditaufnahme drastisch reduziert', ,Fortsetzung der Konsolidierungspolitik im Planungszeitraum', ,Deutliche Rückführung der Nettokreditaufnahme ist das herausragende Merkmal', ,Mittelfristig soll die jährliche Nettokreditaufnahme schrittweise verringert werden' usw.
    Ich fahre mit Dr. Stavenhagen fort und setze wiederum die Zahlen aus Ihrer Regierungszeit ein:
    Das Ergebnis Ihrer Bemühungen ... sind seit 1983 bis dato 237 Milliarden DM Zunahme der Nettoverschuldung. Auf deutsch: Der Schuldenberg des Bundes ist um diesen Betrag höher geworden.
    Dr. Stavenhagen krönte seine Ausführungen — und auch ich tue das — :
    Wenn einer von Ihnen hier noch einmal von Konsolidierung spricht, dann darf getrost gelacht werden.

    (Lachen und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Das Protokoll des Bundestages weist damals Beifall bei der CDU/CSU und Zurufe von der SPD aus. Diesmal hatte ich es genau umgekehrt erwartet.
    Aber bei aller Wortgleichheit unterscheidet sich die Situation in einem Punkt gravierend. Dr. Stavenhagen bezog sich auf die Jahre der ölpreisbedingten weltwirtschaftlichen Rezession, während Sie an der Phase eines weltweiten Aufschwungs partizipieren können. Die damaligen pathetischen Vorwürfe des Kollegen Carstens von Ende November 1982 „Wer die Gegenwart verbraucht, verliert die Zukunft", fallen doch heute auf Sie zurück,

    (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

    weil Sie Vorsorge treffen müßten und könnten, es aber nicht tun.
    In acht Jahren Ihrer Regierungszeit ist Ihre Nettokreditaufnahme annähernd so hoch wie in 13 Jahren sozialliberaler Koalition, und zwar bei weltwirtschaftlich anderen Situationen. Dabei verbrauchen Sie einen Bundesbankgewinn von insgesamt 67 Milliarden DM, während die sozialliberale Koalition insgesamt nur 13 Milliarden DM in den Haushalt einstellen konnte.
    Ich darf zu dieser Handhabung und zu Ihrem widersprüchlichen Verhalten erneut Dr. Stavenhagens Rede zur Hand nehmen. Er sitzt heute als Berater beim Bundeskanzler und ist insofern heute ein ganz wichtiger Mann. Er sagte:
    Nach § 27 des Bundesbankgesetzes ist die Verwendung der Bundesbankgewinne eindeutig geregelt. Die Verwendung beim Bund zum Ausgleich laufender Ausgaben kommt aber, volkswirtschaftlich gesehen, einer Erhöhung der Neuverschuldung gleich. Deshalb muß der Bundesbankgewinn der Neuverschuldung eigentlich hinzugerechnet werden, um ein wahres und richtiges Bild der Lage zu erhalten.

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

    Diese Verwendung im laufenden Konsum
    — so fährt Dr. Stavenhagen fort —
    ist haushaltspolitisch schlimmer als Schuldenaufnahme; denn sie kostet keine Zinsen und löst deshalb auch keinen Sparzwang aus. Sie ist außerdem geldpolitisch abzulehnen, weil auf diese Weise praktisch die gesamte von der Bundesbank vorgesehene Geldmengenausweitung über den Bundeshaushalt läuft. Es ist ein zentraler Unterschied,
    — so der Kollege Stavenhagen —
    ob das Geld über die Bundeskasse in den Staatskonsum fließt oder ob es über das Bankensystem für Investitionen der Wirtschaft zur Verfügung steht.
    Hier müßten Sie einsetzen; da kam Beifall. Dann leistet Dr. Stavenhagen den Schwur:
    Die einzig volkswirtschaftlich richtige Verwendung des Bundesbankgewinns ist die Verringerung der Schulden und sonst überhaupt nichts.
    Wieder Beifall bei der CDU/CSU. Dies war dann das Ende der goldenen Worte von Dr. Stavenhagen.

    (Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Sag mal was Eigenes, Helmut! — Kühbacher [SPD]: Dieser Mann ist jetzt Staatsminister! Das muß man sich mal vorstellen! — Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Dafür hätte er noch Professor werden müssen!)

    Ich schlage vor, daß Sie über Ihren nächsten Finanzplan das geflügelte Wort Konrad Adenauers setzen: „Was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an?"

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Die Versprechen von 1982/1983 und deren Bruch sind das eine.

    (Kühbacher [SPD]: Und der Finanzminister lächelt verlegen!)

    Ein Zyniker würde sagen, daß sie im politischen Raum abgegeben worden sind und deshalb in besonderem Maße dem Relativitätsgesetz unterliegen.
    Das andere aber ist, daß die Fragen der Verschuldung, des Bundesbankgewinns und die darauf gerichtete Haushaltspolitik durch das seinerzeit von Dr. Kohl, Dr. Zimmermann und der CDU/CSU-Fraktion herbeigeführte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. April dieses Jahres zu Art. 115 aus dem politischen Belieben in die Sphäre der Rechtsverbindlichkeit gerückt worden sind.