Rede:
ID1114400800

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. Frau: 1
    5. Abgeordnete: 1
    6. Würfel.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/144 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 144. Sitzung Bonn, Freitag, den 12. Mai 1989 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 9: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zum § 218 StGB nach dem Memminger Urteil Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 10681B, 10689D Geis CDU/CSU 10682 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 10684 A Frau Würfel FDP 10685 B Engelhard, Bundesminister BMJ 10686 B Frau Dr. Skarpelis-Sperk SPD 10687 B Frau Limbach CDU/CSU 10688 D Kleinert (Hannover) FDP 10690 C Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 10691 C Singer SPD 10692 C Dr. Hüsch CDU/CSU 10693 C Wüppesahl fraktionslos 10694 D Frau Dempwolf CDU/CSU 10695 C Frau Conrad SPD 10696 C Werner (Ulm) CDU/CSU 10697 D Präsidentin Dr. Süssmuth . . . 10682C, 10690A Tagesordnungspunkt 18: Zweite und Dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. de With, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Frau Schmidt (Nürnberg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung und des sexuellen Mißbrauchs in der Ehe (Drucksachen 11/474, 11/3878) Dr. de With SPD 10699 A Eylmann CDU/CSU 10701 B Frau Nickels GRÜNE 10703 C Kleinert (Hannover) FDP 10705 B Engelhard, Bundesminister BMJ 10707 B Frau Becker-Inglau SPD 10708 D Frau Männle CDU/CSU 10710A Frau Dr. Lehr, Bundesminister BMJFFG 10711A Tagesordnungspunkt 19: a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit (Drucksache 11/4268) b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wartenberg (Berlin), Dr. Penner, Bernrath, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit (Drucksache 11/2795) Wartenberg (Berlin) SPD 10713 A Gerster (Mainz) CDU/CSU 10715 A Frau Trenz GRÜNE 10717 C Dr. Hirsch FDP 10719A Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 10720A Schröer (Mülheim) SPD 10721 B Lüder FDP 19723 C II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Mai 1989 Zusatztagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 sowie zur Förderung des Mietwohnungsbaus und von Arbeitsplätzen in Privathaushalten (Drucksache 11/4507) Dr. Waigel, Bundesminister BMF . . . 10724 C Poß SPD 10726A Dr. Solms FDP 10728 C Hüser GRÜNE 10730 B Glos CDU/CSU 10732 A Huonker SPD 10734 A Dr. Daniels (Bonn) CDU/CSU 10736D Nächste Sitzung 10737 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 10739* A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen 10739* B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Mai 1989 10681 144. Sitzung Bonn, den 12. Mai 1989 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Frau Adler SPD 12. 05. 89 Dr. Ahrens SPD 12. 05. 89 * Amling SPD 12. 05. 89 Antretter SPD 12. 05. 89 ** Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 12. 05. 89 Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU 12. 05. 89 Frau Berger (Berlin) CDU/CSU 12. 05. 89 Bindig SPD 12. 05. 89 * Frau Blunck SPD 12. 05. 89 * Böhm (Melsungen) CDU/CSU 12. 05. 89 ** Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 12. 05. 89 Dr. Briefs GRÜNE 12. 05. 89 Buschbom CDU/CSU 12. 05. 89 Büchner (Speyer) SPD 12. 05. 89 * Bühler (Bruchsal) CDU/CSU 12. 05. 89 * Carstens (Emstek) CDU/CSU 12. 05. 89 Frau Conrad SPD 12. 05. 89 Cronenberg (Arnsberg) FDP 12. 05. 89 Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 12. 05. 89 Dr. Ehrenberg SPD 12. 05. 89 Eich GRÜNE 12. 05. 89 * Feilcke CDU/CSU 12. 05. 89 Dr. Feldmann FDP 12. 05. 89 ** Frau Fischer CDU/CSU 12. 05. 89 * Francke (Hamburg) CDU/CSU 12. 05. 89 Funk (Gutenzell) CDU/CSU 12. 05. 89 Gallus FDP 12. 05. 89 Gattermann FDP 12. 05. 89 Dr. Gautier SPD 12. 05. 89 Frau Geiger CDU/CSU 12. 05. 89 Genscher FDP 12. 05. 89 Dr. Glotz SPD 12. 05. 89 Günther CDU/CSU 12. 05. 89 Dr. Haack SPD 12. 05. 89 Dr. Hauff SPD 12. 05. 89 Frhr. Heereman von CDU/CSU 12. 05. 89 Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig CDU/CSU 12. 05. 89 Dr. Hennig CDU/CSU 12. 05. 89 Frau Hensel GRÜNE 12. 05. 89 Heyenn SPD 12. 05. 89 Hiller (Lübeck) SPD 12. 05. 89 Höffkes CDU/CSU 12. 05. 89 * Irmer FDP 12. 05. 89 Jungmann (Wittmoldt) SPD 12. 05. 89 Kalisch CDU/CSU 12. 05. 89 Frau Kelly GRÜNE 12. 05. 89 Kittelmann CDU/CSU 12. 05. 89 ** Klein (Dieburg) SPD 12. 05. 89 Dr. Klejdzinski SPD 12. 05. 89 ** Dr. Kreile CDU/CSU 12. 05. 89 Kroll-Schlüter CDU/CSU 12. 05. 89 Dr.-Ing. Laermann FDP 12. 05. 89 Leidinger SPD 12. 05. 89 Lenzer CDU/CSU 12. 05. 89 * Link (Frankfurt) CDU/CSU 12. 05. 89 Frau Luuk SPD 12. 05. 89 * Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 12. 05. 89 Dr. Müller CDU/CSU 12. 05. 89 * Niegel CDU/CSU 12. 05. 89 * * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Frau Pack CDU/CSU 12. 05. 89 * Paintner FDP 12. 05. 89 Pfeifer CDU/CSU 12. 05. 89 Pfuhl SPD 12. 05. 89 * Rappe (Hildesheim) SPD 12. 05. 89 Reddemann CDU/CSU 12. 05. 89 * Frau Renger SPD 12. 05. 89 Reuschenbach SPD 12. 05. 89 Frau Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 12. 05. 89 Rühe CDU/CSU 12. 05. 89 Dr. Schäuble CDU/CSU 12. 05. 89 Dr. Scheer SPD 12. 05. 89 * Schemken CDU/CSU 12. 05. 89 Schmidt (München) SPD 12. 05. 89 * von Schmude CDU/CSU 12. 05. 89 * Schütz SPD 12. 05. 89 Dr. Soell SPD 12. 05. 89 * Spilker CDU/CSU 12. 05. 89 Dr. Todenhöfer CDU/CSU 12. 05. 89 Voigt (Frankfurt) SPD 12. 05. 89 Vosen SPD 12. 05. 89 Dr. Warrikoff CDU/CSU 12. 05. 89 Frau Dr. Wilms CDU/CSU 12. 05. 89 Windelen CDU/CSU 12. 05. 89 Wissmann CDU/CSU 12. 05. 89 Wittich SPD 12. 05. 89 Dr. Wulff CDU/CSU 12. 05. 89 * Würzbach CDU/CSU 12. 05. 89 Zander SPD 12. 05. 89 Zierer CDU/CSU 12. 05. 89 ** Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/3196 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/4161 Nr. 2.4-2.7, 2.9, 2.10 Drucksache 11/4238 Nr. 2,2, 2.3 Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 11/3831 Nr. 12-19 Drucksache 11/3882 Nr. 3.22-3.27, 3.29-3.40 Drucksache 11/3927 Nr. 3.5-3.8 Drucksache 11/4019 Nr. 2.18-2.25, 2.27-2.30 Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Drucksache 11/2465 Nr. 2.22 Drucksache 11/4238 Nr. 2.13 Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen Drucksache 11/2724 Nr. 28 Drucksache 11/2841 Nr. 15, 16, 17 Drucksache 11/3703 Nr. 2.29 Drucksache 11/4019 Nr. 2.40 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/3117 Nr. 2.14 Drucksache 11/3703 Nr. 2.30, 2.31
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Renate Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die bisherige Diskussion ist eine Diskussion, die dem Thema nicht angemessen ist, weil es eines der sensibelsten Themen ist, die wir kennen. Dieses Thema verträgt keine schrillen Töne, und dieses Thema verträgt keine Auseinandersetzungen, wie Sie, Herr Geis, sie hier zu führen beabsichtigen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Dennoch sage ich: Der Memminger Prozeß ist zu einem Synonym für Anmaßung, für Heuchelei und für Ignoranz geworden,

    (Beifall bei der SPD — Frau Limbach [CDU/ CSU] : Finden Sie das sehr sensibel, was Sie da sagen? — Jäger [CDU/CSU]: Was soll diese Richterschelte?)

    Ignoranz deshalb, weil Staatsanwälte und Richter die Einmaligkeit eines Schwangerschaftskonfliktes, die Tatsache der untrennbaren Verbundenheit von zwei Leben und die daraus resultierende Konfliktsituation nicht zur Kenntnis nehmen wollten, Ignoranz deshalb, weil sich Staatsanwälte und Richter über alle Gutachter und Gutachterinnen von „Pro Familia" bis zum Sozialdienst katholischer Frauen hinweggesetzt haben.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Er hat die Beratung ja gar nicht angehört! Deshalb ist er ja angeklagt worden!)

    — Ich sage „die Gutachter", Herr Hoffacker. Hören Sie mir bitte zu!

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Sie haben soeben zu dem Prozeß gesprochen!)

    Diese haben alle gesagt, daß sich keine Frau gewissenlos und leichtherzig zu einem Abbruch entschließt.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das haben die Richter nicht behauptet!)

    Sie haben alle gesagt, daß eine Notlage in einem Schwangerschaftskonflikt nicht mit der Elle nachmeßbar ist,

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Auch das haben die Richter nicht getan!)

    sondern subjektiv als unlösbar empfunden wird. Sie haben alle gesagt, daß nur ein kleiner Prozentsatz der Notlagen materielle Notlagen und von außen vielleicht lösbar sind, der weitaus größere Teil aber im psychosozialen Bereich liegt und vielfältige Gründe hat.
    Zuversicht, Lebensoptimismus, Zuneigung und Liebe des Partners, Vertrauen in die eigene Kraft, ein Kind vielleicht großziehen zu können, und zwar alleine, und dies vielleicht auch noch in einer bigotten Umwelt — all das ist nicht zu verordnen, auch nicht von Memminger Richtern.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN — Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das haben die auch nicht getan!)

    Deshalb ist dieser Prozeß auch ein Prozeß der Heuchelei gewesen,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Richtig! — Geis [CDU/CSU]: Reine Polemik! — Jäger [CDU/ CSU]: Wo bleibt Ihre Achtung vor den Gerichten?)

    indem z. B. unterstellt wurde, daß die Abschaffung eines Autos und die Anschaffung eines Kindes — ich zitiere jetzt — eine Alternative sei. Menschen, die solche Fragen stellen und darin Konfliktlösungsmöglichkeiten sehen, Menschen, die darauf Urteile aufbauen, kennen entweder das Leben nicht und verstehen nicht, was es bedeutet, Mutter zu sein, oder wollen es nicht verstehen oder benutzen diesen Prozeß zu persönlichen Vergangenheitsbewältigungen — wie dieser unsägliche, sich als Großinquisitor aufspielende Richter Ott.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

    An dieser Stelle ist übrigens zu fragen, Herr Geis, ob auch hier mit gleichem Maßstab gemessen worden ist und ob gegen diesen Herrn ebenfalls — wie gegen einige Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus — Ermittlungen eingeleitet worden sind.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN — Geis [CDU/CSU]: Sie sollten diesen Prozeß nicht mit Nazi-Prozessen vergleichen!)

    Es war ein Prozeß der männlichen Anmaßung, der Anmaßung, in das sensible Verhältnis zwischen Arzt und Patientin einfach eindringen zu dürfen, der Anmaßung, intimste persönliche Angelegenheiten, angefangen von Partnerschaftskonflikten bis zu Krankheitsgeschichten, in die Öffentlichkeit zerren zu dürfen,

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    der Anmaßung, Jahre danach feststellen zu können, ob eine individuelle soziale Notlage gegeben war, und sich an die Stelle des Arztes zu setzen, um die Indikation festzustellen, die Anmaßung, zu glauben, mit diesem Urteil den Willen des Gesetzgebers korrigieren zu können. Wir alle hier wollten Hilfe statt Strafe. In Memmingen hieß es: Strafe statt Hilfe. Wir alle wußten: Wir können keinen Katalog von Wechselfällen des menschlichen Lebens aufstellen. Dort wurde ein Katalog aufgestellt.
    Das Urteil geht in die Revision. Bliebe es bestehen, führte es zu einem Bruch des Vertrauens zwischen Arzt und Patientinnen, zwischen Beraterinnen und Frauen in Schwangerschaftskonflikten; Frauen und Ärzte würden in die Illegalität getrieben.

    (Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Die waren ja nicht bei der Beratung!)

    Es geht denen, die das so wollen, nicht darum, Leben zu schützen, sondern darum, eigene Moralvorstellungen durchzusetzen.

    (Bohl [CDU/CSU]: Dummes Zeug!)




    Frau Schmidt (Nürnberg)

    Ich weiß von mir, daß für mich ein Schwangerschaftsabbruch nicht in Frage kommt. Genauso weiß ich, daß dies kein Maßstab für andere Menschen ist.

    (Beifall bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

    Das Strafgesetz darf nicht dazu dienen, persönliche Moralvorstellungen durchzusetzen. Wir gehen davon aus, daß dieses Urteil nicht haltbar sein wird. Wir fordern Sie auf, endlich Klarheit zu schaffen, ob und, wenn ja, welches Beratungsgesetz kommen soll. Das nun eineinhalb Jahre währende Gezerre zwischen allen Beteiligten schafft genauso Rechtsunsicherheit wie das Memminger Urteil.

    (Jäger [CDU/CSU]: Wer hat denn das Gesetz gemacht? Das haben Sie doch selber gemacht!)

    Der in Ihrer Schublade befindliche Entwurf, Frau Professor Lehr, gehört in den Papierkorb.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Wir wollen zurückkehren. Wir fordern Sie auf: Kehren Sie mit uns zu dem Konzept „Hilfe statt Strafe" zurück!

    (Beifall bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat Frau Abgeordnete Würfel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Uta Würfel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Zeichen stehen auf Sturm nach dem Prozeß in Memmingen, und jeder verarbeitet das Gehörte auf seine Weise. Die Gefühle der Ohnmacht, der Hilflosigkeit, der Trauer und des Unverständnisses, ja, der Ratlosigkeit haben ihren Ausdruck in Kommentaren zum Verlauf des Prozesses gefunden. Mich bewegen in diesem Zusammenhang folgende Überlegungen.
    Was hat das Bundesverfassungsgericht 1975 gewollt, als es die Fristenregelung verworfen hat? Ich gehe davon aus, daß sich die Verfassungsrichter 1975 des Themas „Schwangerschaftsabbruch" mit großer Sensibilität angenommen haben. Deshalb ist es bedeutsam, was in den Begründungen des Minderheitsvotums und des Mehrheitsvotums an Überlegungen zu finden ist. So kam die Mehrheit der Verfassungsrichter bei der Beurteilung der Frage, inwieweit das ungeborene Leben durch Strafandrohung geschützt werden könne, zu dem Schluß, daß Strafe niemals Selbstzweck sein könne und daß der Gesetzgeber nur im äußersten Falle verpflichtet sei, zum Schutz des sich entwickelnden Lebens das Mittel des Strafrechts einzusetzen. Somit stelle die Strafnorm gewissermaßen die Ultima ratio im Instrumentarium des Gesetzgebers dar, und nach dem rechtsstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit dürfe der Gesetzgeber von diesem Mittel nur — wörtlich — behutsam und zurückhaltend Gebrauch machen.
    Wurde in diesem Sinne in Memmingen bei den Frauen verfahren? Hat sich das Gericht eines behutsamen und zurückhaltenden Vorgehens bedient?
    Ich habe mich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil befaßt.
    Meiner Meinung nach hatten die Verfassungsrichter sehr wohl erkannt, in welchem Dilemma sie sich bei der Abwägung zwischen Beibehalten der Strafbewehrung, Verwerfen der Fristenlösung und Einführung der Indikationsregelung mit vorgeschalteter Zwangsberatung befanden, und sie haben deshalb meines Erachtens absichtlich keine Kriterien zur Bestimmung einer sozialen Notlage festgelegt, sondern dies in die Beurteilungsfähigkeit von Ärztinnen und Ärzten und Beraterinnen und Beratern gelegt.

    (Zuruf von den GRÜNEN: Und nicht von Richtern!)

    Nachdem jedoch das Gericht in Memmingen festgestellt hat, daß vom Gesetzgeber eine Abtreibung „zwar der ärztlichen Erkenntnis anheimgestellt sei, daß dies aber nicht eine Ermächtigung für eigenständiges Handeln darstelle" , sondern nur als ein gewisser Spielraum zu gelten habe und daß es darüber hinaus — so die Auffassung des Gerichts — eine große Grauzone gebe, die ein Einfallstor für mißbräuchliche Schwangerschaftsabbrüche bilden könnte, sind unsere Ärzte in der Bundesrepublik in einem unvorstellbaren Maße verunsichert.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)

    Ich frage mich: Haben die Richter des Bundesverfassungsgerichts 1975 das Eintreffen einer solchen Situation für möglich gehalten?

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Nein, niemals!)

    Sie werden es nicht glauben, sie haben es. In der Tat finden Sie in der Begründung der Minderheitenmeinung, daß ein wesentlicher Nachteil bei der Indikationenlösung darin gesehen werde, daß es — so wörtlich — als schwierig, wenn nicht gar unmöglich erscheinen könnte, objektivierbare, einheitliche Abgrenzungsmerkmale für die soziale Indikation zu finden. Es heißt weiter, daß voraussichtlich die behördliche Beurteilung darüber, wann die Gefahr einer schwerwiegenden sozialen Notlage vorliege und welche anderen Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefahr von der Schwangeren persönlich hinzunehmen seien, regional und nach der persönlichen Einstellung der Gutachter und Richter weit auseinandergehen könnte und daß das Ergebnis — man höre und staune! — eine schwer erträgliche Rechtsunsicherheit und Rechtsungleichheit für die betroffenen Frauen und beteiligten Ärzte darstellen könnte und daß dies als Folge ein Ausweichen in die Illegalität bedeuten würde. — Und so haben wir den Salat heute.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN — Jäger [CDU/CSU]: Die Mehrheit hat das eben nicht angenommen! Das war die Minderheit!)

    Diese Unsicherheit für die betroffenen Frauen und die beteiligten Ärzte wurde — Originalton! — für rechtsstaatlich höchst bedenklich gehalten; denn eine Entscheidungsfreiheit für Frauen und Ärzte gibt es doch nur, meine Damen und Herren, wenn die Entscheidung zum Abbruch einer Schwangerschaft auf Grund einer klaren, sicheren und kalkulierbaren Rechtsgrundlage gefällt werden kann.



    Frau Würfel
    Ich ging bislang davon aus, daß die beiden Ärzte, denen sich eine Frau im Schwangerschaftskonflikt nach unserer bisherigen Rechtslage stellen muß, bereits vom Gesetzgeber installierte Gutachter sind. Wenn diese verantwortungsbewußten Ärzte zu einem Urteil nach Prüfung dieser psychosozialen Konfliktsituation einer schwangeren Frau kommen, dann nehmen sie einen subjektiv psychischen Zustand der schwangeren Frau als Tatbestandsmerkmal für die Erstellung eines Gutachtens.
    Jetzt stellt sich doch wirklich die Frage, ob es dann angemessen ist, nach Feststellung eines Tatbestandes auf Grund subjektiver Merkmale diese subjektiven Merkmale nach angeblich objektiven Kriterien nachprüfen zu lassen, und ob dann dieses ärztliche Gutachten durch juristischen Sachverstand, durch ein Gericht, nachgeprüft werden kann. Ich denke, daß die Revision zeigen wird, wie wir in Zukunft eine Antwort auf die von mir gestellten Fragen werden finden können und was wir dann hier von seiten des Gesetzgebers zu tun haben.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN)