Rede:
ID1114104000

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    Plenarprotokoll 11/141 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 141. Sitzung Bonn, Freitag, den 28. April 1989 Inhalt: Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zur Untersagung des Fusionsantrages Daimler-Benz/Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) durch das Bundeskartellamt Roth SPD 10439 B Doss CDU/CSU 10440 A Frau Vennegerts GRÜNE . . . 10441B, 10449 B Dr. Solms FDP 10442 B Dr. Jens SPD 10443 A Dr. Sprung CDU/CSU 10444 A Grünbeck FDP 10445 A Frau Bulmahn SPD 10446 C Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 10447 C Dr. Friedrich CDU/CSU 10449 B Müller (Pleisweiler) SPD 10450 D Dr. Schwörer CDU/CSU 10451 D Dr. Abelein CDU/CSU 10452 D Tagesordnungspunkt 27: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Forderungen an ein abrüstungspolitisches Gesamtkonzept (Drucksache 11/4053) b) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Fortsetzung des atomaren Abrüstungsprozesses (Drucksachen 11/2438, 11/4404) Dr. Scheer SPD 10454 A Lamers CDU/CSU 10457 A Frau Beer GRÜNE 10458 C Dr. Feldmann FDP 10459D Genscher, Bundesminister AA 10461 B Voigt (Frankfurt) SPD 10462 D Graf Huyn CDU/CSU 10466 B Dr. Mechtersheimer GRÜNE 10469 B Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMVg . 10470A Petersen CDU/CSU 10471 C Frau Beer GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 10472 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes (Drucksache 11/4306) Dr. Schäuble, Bundesminister BMI . . . 10473 A Wartenberg (Berlin) SPD 10474 D Dr. Blens CDU/CSU 10476D Such GRÜNE 10480A Dr. Hirsch FDP 10481 C Dr. Emmerlich SPD 10483 B Lüder FDP 10485 C Überweisung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes — Drucksache 11/4445 — an Ausschüsse 10486 C Nächste Sitzung 10486 C II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. April 1989 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . 10487 * A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Punkt 26 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes (Drucksache 11/4154) 10487 * C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 10488 * C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. April 1989 10439 141. Sitzung Bonn, den 28. April 1989 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens SPD 28. 04. 89 Dr. Apel SPD 28. 04. 89 Dr. Briefs GRÜNE 28. 04. 89 Brück SPD 28. 04. 89 Buschbom CDU/CSU 28. 04. 89 Buschfort SPD 28. 04. 89 Daweke CDU/CSU 28. 04. 89 Duve SPD 28. 04. 89 Dr. Faltlhauser CDU/CSU 28. 04. 89 Gattermann FDP 28. 04. 89 Dr. Gautier SPD 28. 04. 89 Dr. von Geldern CDU/CSU 28. 04. 89 Dr. Glotz SPD 28. 04. 89 Dr. Götz CDU/CSU 28. 04. 89 Großmann SPD 28. 04. 89 Dr. Hauff SPD 28. 04. 89 Haungs CDU/CSU 28. 04. 89 Hauser (Krefeld) CDU/CSU 28. 04. 89 Hedrich CDU/CSU 28. 04. 89 Dr. Hitschler FDP 28. 04. 89 Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 28. 04. 89 Höffkes CDU/CSU 28. 04. 89 * Huonker SPD 28. 04. 89 Frau Hürland-Büning CDU/CSU 28. 04. 89 Dr. Hüsch CDU/CSU 28. 04. 89 Ibrügger SPD 28. 04. 89 *** Jungmann SPD 28. 04. 89 Kittelmann CDU/CSU 28. 04. 89 ** Dr. Klejdzinski SPD 28. 04. 89 ** Klose SPD 28. 04. 89 Koschnick SPD 28. 04. 89 Dr. Köhler (Wolfsburg) CDU/CSU 28. 04. 89 Dr. Kreile CDU/CSU 28. 04. 89 Leidinger SPD 28. 04. 89 Louven CDU/CSU 28. 04. 89 Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 28. 04. 89 Menzel SPD 28. 04. 89 Mischnick FDP 28. 04. 89 Dr. Mitzscherling SPD 28. 04. 89 Dr. Müller CDU/CSU 28. 04. 89 Dr. Neuling CDU/CSU 28. 04. 89 Niegel CDU/CSU 28. 04. 89 * Oostergetelo SPD 28. 04. 89 Dr. Osswald SPD 28. 04. 89 Frau Pack CDU/CSU 28. 04. 89 ** Paintner FDP 28. 04. 89 Reddemann CDU/CSU 28. 04. 89 Reuschenbach SPD 28. 04. 89 Rind FDP 28. 04. 89 von Schmude CDU/CSU 28. 04. 89 Dr. Schneider (Nürnberg) CDU/CSU 28. 04. 89 Schröer (Mülheim) SPD 28. 04. 89 Stiegler SPD 28. 04. 89 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) Fraktion entschuldigt bis einschließlich Stobbe SPD 28. 04. 89 Frau Teubner GRÜNE 28. 04. 89 Dr. Unland CDU/CSU 28. 04. 89 Vahlberg SPD 28. 04. 89 Dr. Vondran CDU/CSU 28. 04. 89 Vosen SPD 28. 04. 89 Dr. Waigel CDU/CSU 28. 04. 89 Dr. Wieczorek SPD 28. 04. 89 Frau Wieczorek-Zeul SPD 28. 04. 89 Frau Wilms-Kegel GRÜNE 28. 04. 89 Wischnewski SPD 28. 04. 89 Wissmann CDU/CSU 28. 04. 89 Würtz SPD 28. 04. 89 Zander SPD 28. 04. 89 Zeitlmann CDU/CSU 28. 04. 89 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zu Punkt 26 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes (Drucksache 11/4154) * ) Frau Schmidt (Hamburg) (GRÜNE): Der Gesetzentwurf zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes kann nur als Stückwerk bezeichnet werden. Offenbar wegen der Eröffnung einer sogenannten „Leihmütteragentur" in Frankfurt hat die Bundesregierung in aller Eile eine Handhabe gegen die Praktiken solcher Vermittler schaffen wollen. So begrüßenswert dies auch sein mag: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ist es ihr aber nicht gelungen, den gesamten Komplex der Adoptionsvermittlung zu erfassen. So gehört die Frage der sogenannten Leihmütterschaft nicht in das Adoptionsvermittlungsgesetz, sondern in ein gesondertes Gesetz, das die komplexen Fragen der Reproduktionsmedizin und des Embryonenschutzes insgesamt erfaßt. Verräterisch z. B. ist die Verwendung des Begriffes „Ersatzmutter". Die Frau, die ein Kind austrägt, ist die Mutter und nicht eine Ersatzmutter. Nach dem vorliegenden Entwurf aber hat ein Kind, das mit Hilfe der Reproduktionstechniken von einer Frau für „Bestelleltern" geboren wird, keine Mutter. Es hat lediglich eine Ersatzmutter und Bestelleltern. Der Gesetzentwurf ist jedenfalls - einmal abgesehen von Definitionsfragen - nicht geeignet, die Vermittlungspraktiken, die jetzt bereits üblich sind, zu unterbinden. Er wird lediglich eine Verlagerung des „Geschäftes" ins Ausland bewirken, wie dies ja schon bei „normalen" Adoptionen der Fall ist. Im vorliegenden Gesetzentwurf fehlt ebenfalls eine Antwort auf die Überlegungen der bayerischen Staatsregierung. Sie will nämlich Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, durch Adoptionsgarantie dazu bewegen, die Schwangerschaft *) Vgl. 140. Sitzung Seite 10434 C 10488* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 141. Sitzung. Bonn, Freitag, den 28. April 1989 auszutragen. Im Gesetzentwurf ist nichts darüber gesagt, wie mit solchen Adoptionsvermittlern „von Staats wegen" umgegangen werden soll. Hier würde ein Staat das Strafrecht des § 218 benutzen, um Frauen zum Austragen der Schwangerschaft zu bringen, um dann die ungewollten Kinder zur Adoption zu vermitteln. Behinderte Kinder, die ja bekanntlich schwer zu vermitteln sind, adoptiert dann der Freistaat selbst, als „Staatsmündel". Wollen wir denn wirklich den Staat als „Bestellvater" ? Man muß sich schon fragen, um wen es hier eigentlich geht: um das vielbeschworene Kind, um die schon nicht mehr so vielbeschworene Mutter? Oder nicht vielleicht doch bloß um eine verquaste Moralvorstellung, die auf dem Rücken beider verwirklicht werden soll. Mit sinnvoller Politik für Kinder und in Not geratene Mütter hat dies wahrlich nichts mehr zu tun! Wir hätten uns gewünscht, daß die Bundesregierung die Problematik von sogenannten Leihmüttern, Bestelleltern und gewinnsüchtigen Vermittlern im Bereich der Reproduktionstechnik regelt, und zwar mit einem eigenständigen Gesetzentwurf. Sie hätte sich bei der Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes viel mehr darum kümmern sollen, was auf dem internationalen Kindermarkt und im privaten, illegalen oder kriminellen Adoptionssektor vor sich geht. Hier hätte sie Gelegenheit gehabt, zu beweisen, daß es ihr wirklich um die Mütter und Kinder geht. Sie hätte nur die Forderungen der anerkannten Adoptionsvermittlungsstellen, wie z. B. der GZA in Hamburg oder von terre des hommes, erfüllen müssen — die im übrigen schon lange bekannt sind. Es wäre ein leichtes gewesen, im Änderungsentwurf festzuschreiben, daß sämtliche Bestimmungen des Adoptionsvermittlungsgesetzes auch und besonders für ausländische Kinder gelten. Es wäre ein leichtes gewesen, festzuschreiben, daß von Jugendämtern erstellte Berichte über die Eignung von Adoptionsbewerbern auf keinen Fall in deren Hände gelangen dürfen. Bekanntlich reisen diese dann nämlich oft genug mit dem Bericht ins Ausland und kaufen sich dort ein Kind — wobei diese Kinder häufig von skrupellosen Kinderhändlern geraubt werden. Es wäre ein leichtes gewesen, das Augenmerk endlich einmal wirklich auf die betroffenen Kinder und ihre abgebenden Mütter — wie sie so schön euphemistisch genannt werden — zu richten, seien sie nun sogenannte Leihmütter oder nicht. Das hätte aber auch bedeutet, die Strafvorschriften des § 14 nicht in diesen Entwurf hineinzunehmen. Statt dessen müßten die §§ 234 ff. des Strafgesetzbuches ausgeweitet werden: Menschenhandel und Kindesentziehung gegen Geldleistung oder Versprechen einer solchen müssen unter Strafe gestellt werden (auch dies übrigens eine der dringenden Forderungen von terre des hommes, einer Organisation, der man ja wahrlich nicht nachsagen kann, daß sie nicht weiß, wovon sie spricht). So können wir nur sagen: Das Anliegen, die kriminellen Geschäftspraktiken mit sogenannten Leihmüttern zu bestrafen, finden wir richtig, jedoch halten wir es nach wie vor für notwendig, diesen Bereich der Reproduktionsmedizin gesondert aufzugreifen. Die Chance, mit einer Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes eine Antwort auf die schon lange bekannten Methoden internationaler Kinderhändler zu geben und so tatsächlich Kindern und Müttern zu helfen, hat die Bundesregierung ohne Not vertan. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 21. April 1989 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Gesetz über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung Im Jahre 1989 Erstes Gesetz zur Änderung des Seefischereigesetzes Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Ausübung der Berufe des Masseurs, des Masseurs und medizinischen Bademeisters und des Krankengymnasten Gesetz zu dem IAEO-Übereinkommen vom 26. September 1986 über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen sowie über Hilfeleistungen bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen (Gesetz zu dem IAEO-Benachrichtigungsübereinkommen und zu dem IAEO-Hilfeleistungsübereinkommen) Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/3406 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/595 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/3831 Nr. 27 Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Drucksache 11/4238 Nr. 2.15
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    Rede von Dr. Hermann Scheer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit dem Abschluß des Vertrages über die Abrüstung aller landgestützten Mittelstreckenraketen Ende 1987 war eigentlich nur eines zwischen Ost und West, zwischen Bundesregierung und SPD unumstritten: daß es alsbald zu den Verhandlungen über eine konventionelle Abrüstung in Europa vom Atlantik bis zum Ural kommen müsse. Diese Verhandlungen wurden vor wenigen Wochen aufgenommen.
    Strittig ist und bleibt erstens, welche Zielvorstellungen für die Abrüstung konventioneller Waffen angestrebt werden sollen, d. h. über welche Waffen verhandelt werden soll; zweitens, ob, wann und unter welchen Voraussetzungen es zu Verhandlungen über atomare Kurzstreckenraketen kommen soll; drittens, wie der Abrüstungsprozeß bei chemischen Waffen weitergeführt werden soll.
    Nur noch wenige Blindgänger verleugnen heute, daß, seit Gorbatschow sowjetischer Generalsekretär wurde und eine sehr ernst gemeinte und glaubwürdige Abrüstungsinitiative startete, erstmals seit 40 Jahren umfassende Abrüstungschancen bestehen. Doch seitdem erleben wir auch, wie schwer es manchen Regierungen der NATO einschließlich der Bundesregierung fällt, diese Chancen wirklich zu ergreifen.

    (Dr. Feldmann [FDP]: Wir nutzen jede Chance!)

    In ihrem letzten Abrüstungsbericht erklärte die Bundesregierung, daß bei atomaren Waffen keine neuen Grauzonen entstehen dürfen. Das bedeutet in einer allgemeinverständlichen Übersetzung: Es darf nicht sein, daß es zu Verträgen über die Abrüstung konventioneller Waffen und zur Abrüstung amerikanischer und sowjetischer atomarer Fernraketen kommt, aber keine Abrüstung der in Mitteleuropa gelagerten atomaren Kurzstreckenraketen stattfindet.
    Außenminister Genscher hob mehrfach öffentlich hervor, daß atomare Waffen wegen ihrer Zweckbestimmung als politische Waffen zur Kriegsverhütung nicht mit konventionellen Waffen verrechnet werden dürften.
    Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Dregger prägte den Satz: „Je kürzer die Reichweiten, desto toter die Deutschen" und sprach sich deutlich für die gesamte Abschaffung der sogenannten atomaren Gefechtsfeldwaffen aus, die zu Tausenden bei uns stationiert sind und von denen jede eine größere Sprengkraft hat als die Hiroshima-Bombe. Ferner sprach er sich für Abrüstungsverhandlungen bei Kurzstreckenraketen aus.
    Sein Stellvertreter Rühe forderte ebenfalls solche Verhandlungen und sagte irgendwann im Frühjahr 1988, deren Ergebnisse sollten nicht von denen einer konventionellen Abrüstung abhängig gemacht werden. — So noch die Diskussion im ersten Vierteljahr 1988.
    In dieser Zeit entstand der Eindruck, als würden sich die Koalitionsparteien auf die Abrüstungslinie der SPD begeben. Gemeinsamkeit in der für unser Land bedeutsamen Frage der atomaren Abrüstung — das wäre eine große Chance, unsere damit verbundenen existentiellen Interessen im Bündnis zur Geltung zu bringen, verständlich zu machen und von deutscher Seite aus auch den Prozeß der atomaren Abrüstung konstruktiv voranzutreiben.
    Aber der Schein trog. Verteidigungsminister Wörner und sein Nachfolger Scholz sprachen sich in derselben Zeit, in der die Äußerungen fielen, die ich eben zitiert habe, für die Neurüstung bei den atomaren Kurzstreckenraketen aus.

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Das war auch richtig!)

    Als die Bundesregierung und die Koalitionsparteien merkten, daß zu den deutschen Forderungen nach Verhandlungen über Kurzstreckenraketen Gegenwind aus Washington und aus London kam, wurde der Rückwärtsgang eingelegt. Auf einmal wurde es monatelang still. Bei den wichtigsten Bündnispartnern wurde gar der Eindruck erweckt, die Bundesregierung werde die Neurüstung letztlich mittragen. Auf einmal überwogen bei den Unionsparteien die Warnungen vor einer Denuklearisierung, als sei Denuklearisierung, also atomare Abrüstung, etwas grundsätzlich Anstößiges. Es hieß, wenn es zu Verhandlungen komme, dann dürfe es nur um Reduzierungen gehen; ein Mindestbestand an atomaren Kurzstrekkenwaffen, der nicht verhandelbar sei, müsse bleiben. Es wurde begonnen, Verhandlungen über atomare Kurzstreckenraketen vom Verlauf der Wiener Abrüstungsverhandlungen abhängig zu machen.
    In Ermangelung einer klaren Position spielte die Bundesregierung auf Zeitgewinn. Herr Genscher rief gestern im Plenum die Bündnispartner auf, die Bundesregierung in ihrer Position zu unterstützen. Dies würde manchem leichter fallen, wenn die Position der Bundesregierung in der Sache weniger verschwommen wäre.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Die Position ist eindeutig!)

    Die Stichworte, daß nun parallele Verhandlungen über atomare Kurzstreckenraketen stattfinden sollten und vor dem Jahr 1992 kein Entscheidungsbedarf bestehe, reichen nicht aus. Tatsächlich besteht bereits jetzt Entscheidungsbedarf im Hinblick auf ein deutliches Nein zur atomaren Neurüstung. Tatsache ist, daß sich die Bundesregierung in der NATO ein Jahr lang um klare Worte gedrückt hat und unseren Fragen und Forderungen unter Verweis auf ein Gesamtkonzept, das sie vorlegen werde, jeweils ausgewichen ist. Dieses Gesamtkonzept liegt bis heute nicht vor, obwohl es schon im Herbst 1988 versprochen worden ist.
    Das Ergebnis ist: Die Bundesregierung hat übertaktiert und sich damit in den Schlamassel hineingebracht, in dem sie nun im Verhältnis zu den Bündnispartnern steckt.



    Dr. Scheer
    Wir können den Standpunkt der amerikanischen Regierung und des Kongresses verstehen, daß die USA nicht wertvolles Geld für die Entwicklung und Produktion neuer Raketen ausgeben wollen, ohne daß sie Klarheit darüber haben, ob diese Waffen stationiert werden können.

    (Dr. Feldmann [CDU/CSU]: Die haben doch schon etwas im Haushalt drin!)

    Es wäre fairer und partnergerechter, wenn wir ohne Floskeln nach Washington telegraphierten: Spart euch das Geld; senkt lieber euren Verteidigungshaushalt um diese Beträge!

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Graf Huyn [CDU/CSU]: Das wäre falsch!)

    Wir teilen nicht den Standpunkt, ein Beschluß über die Neurüstung sei — ähnlich wie beim NATO-Doppelbeschluß — als Vorbedingung für Verhandlungen erforderlich. Tatsache ist, daß die Sowjetunion inzwischen mehrfach ihre Bereitschaft zu Verhandlungen erklärt hat. Seien wir doch froh, daß ein Waffendruck gar nicht erforderlich ist, um zu solchen Verhandlungen zu kommen!

    (Dr. Feldmann [CDU/CSU]: Das ist auch gut so!)

    Es gibt keinen vernünftigen politischen Grund, einen kostspieligen Umweg zu Abrüstungsverhandlungen über amerikanische und sowjetische Atomwaffen in Europa zu gehen, wenn es einen kostenlosen direkten Weg gibt. Es ist unverantwortlich, die Chance zur Beseitigung einer 16fachen sowjetischen Überlegenheit bei Kurzstreckenraketen nicht sofort zu ergreifen.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir teilen auch nicht die Auffassung, daß wir im Abrüstungsprozeß vorsichtig sein müßten, weil man nicht wissen könne, ob sich die Gorbatschow-Richtung in der Sowjetunion auch mittel- und längerfristig durchsetze, und man die westliche Sicherheitspolitik nicht von einem Mann abhängig machen könne.
    Umgekehrt ist es richtig: Je mehr ein erneuter Richtungswechsel in der Sowjetunion zu befürchten wäre, desto mehr müßte man sich beeilen, die Gunst der Stunde zu nutzen und so viel und so umfangreiche Verträge wie möglich mit der Sowjetunion zu schließen. Denn so, wie sich die Vorgänger an Verträge gehalten haben, würden es sicher auch die Nachfolger tun. Je mehr man überdies einen sowjetischen Führungswechsel befürchtet, desto mehr müßte man doch gerade Vereinbarungen treffen, die die Stellung Gorbatschows stärken und Gegnern seines Kurses die Basis entziehen.
    Wir teilen auch nicht die Auffassung, daß in Europa stationierte Atomwaffen vom Verlauf der Verhandlungen über konventionelle Abrüstung abhängig gemacht werden dürfen. Die Verhandlungen über konventionelle Abrüstung sind auch bei gutem Willen aller Beteiligten sachlich sehr kompliziert. Es kann durchaus lange dauern, bis ein Ergebnis vorliegt. Wir schaden uns doch selber, wenn bis dahin alles andere weitergehen soll und sich durch neue atomare Rüstung neues Mißtrauen bildet.
    Die so oft geäußerte Litanei von der angeblich so überwältigenden konventionellen Überlegenheit des Warschauer Paktes, deren Abbau zur Bedingung einer weiteren atomaren Abrüstung gemacht wird, wird von Monat zu Monat immer mehr zu einer politischen Gespensterbeschwörung. Angesichts etwa der Entwicklungen in Polen und Ungarn könnte selbst eine angriffslüsterne Politik es nicht riskieren, militärisch gegen die NATO zu operieren.
    Wenn man das sagt, kommt natürlich prompt das Argument, man sei blauäugig und gefährde die Grundlage westlicher Sicherheitspolitik. Bei vernünftiger Betrachtung ist wiederum das Umgekehrte richtig: Wer die weltpolitischen Chancen nicht richtig nutzt, ist politisch blind.
    Die SPD fordert keine einseitigen Vorleistungen des Westens, sondern sie fordert, daß die Chancen für beiderseitige Abrüstungsschritte in vollem Umfang beherzt ergriffen werden. Das ist der Unterschied.

    (Beifall bei der SPD)

    Wenn die offiziellen Gründe für allzu große Reserviertheit der offiziellen Position der NATO und auch die noch zu große Reserviertheit der Bundesregierung so einfach widerlegbar sind, dann muß es versteckte Gründe geben. Ein versteckter Grund für die Weigerung der NATO-Gremien und auch für das lange Zögern der Bundesregierung, unmittelbar in Verhandlungen über atomare Kurzstreckenraketen einzutreten, ist die Befürchtung, daß diese bei einer weiteren Null-Lösung enden könnten. Was dann auf dem Spiel steht, ist nicht die westliche Sicherheit, sondern das Gedankengebäude der atomaren Abschreckung.

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Und damit die westliche Sicherheit!)

    — Sie stimmen mir offensichtlich zu, Graf Huyn. —

    (Graf Huyn [CDU/CSU]: Nein!)

    Eine ganze Generation von Sicherheitspolitikern kann und will sich nicht vorstellen, ohne dieses Gedankengebäude auskommen zu können.
    Aber persönliche Identitätsprobleme sind keine guten Ratgeber, wenn es um die Probleme von Völkern geht. Wir meinen nicht, daß alles in der Friedens- und Abrüstungspolitik Wünschbare und real Vorstellbare auf einmal zu realisieren ist. Selbstverständlich denken wir in Schritten. Diese Schritte zu gehen setzt aber erstens einen klaren Standpunkt voraus und zweitens eine klare Perspektive. Das ist es, was von uns, von allen, die politische Verantwortung tragen, erwartet wird.

    (Beifall bei der SPD — Graf Huyn [CDU/ CSU]: Das ist richtig!)

    Die SPD formuliert mit ihrem Antrag vom Juni 1988, der heute zur Abstimmung steht, einen solchen klaren Standpunkt: gegen die Modernisierung, für die vollständige Beseitigung der atomaren Gefechtsfeldwaffen und die unmittelbare Eröffnung der Verhandlungen über atomare Kurzstreckenwaffen. Wenn die Bundesregierung die Unterstützung haben will — auch international — , dann kann sie sich die Unterstützung ja selber besorgen, indem sie unserem Antrag heute zustimmt. Sonst stünde ihr Verhalten ja in



    Dr. Scheer
    manchen Punkten im Widerspruch zu dem, was sie sagt.
    Wir wissen aber auch, daß sich in diesen Fragen das Abrüstungsthema nicht erschöpft. Da die Bundesregierung nicht in der Lage war, ein Gesamtkonzept vorzulegen, bringen wir heute einen weiteren Antrag ein und empfehlen diesen Ihrer Nachdenklichkeit. Er ist überschrieben mit: Forderungen an ein abrüstungspolitisches Gesamtkonzept. In diesem zeigen wir auf, welche Perspektiven wünschbar wären. Wir sprechen uns für die vollständige Abrüstung aller atomaren und chemischen Waffen aus, wobei der atomare — vielleicht auch der chemische — Abrüstungsprozeß nur in Schritten praktisch vorstellbar ist. Dennoch ist es eine Aufgabe der Politik, der sie sich nicht länger entziehen darf, diese Schrittfolgen aufzuzeigen. Auch das tun wir mit unserem Antrag.
    Für die Wiener Verhandlungen über eine Reduzierung konventioneller Rüstungen halten wir Versuche für falsch und kontraproduktiv, wichtige Waffenkategorien auszuklammern oder Vereinbarungen darüber erst einmal auf die lange Bank zu schieben. Wir meinen, daß die Zurückhaltung des Westens gegenüber einer Einbeziehung der Marine ebenso unangebracht ist wie die sowjetische Forderung nach deren weitgehender Berücksichtigung. Weiterführend wäre der Ansatz, die Marinepotentiale in der Ostsee und im Schwarzen Meer einzubeziehen, da diese in engem Bezug zu Landstreitkräften stehen. Wir treten dafür ein, die Abrüstung der Luftstreitkräfte zum Verhandlungskonzept der NATO zu machen, und zwar nicht erst in ein paar Jahren. Die Luftwaffe verursacht schon jetzt die größten Kostensteigerungen. Außerdem versammelt sich bei ihr etwa die Hälfte der konventionellen Feuerkraft. Eine Luftwaffenabrüstung müßte vor allem bei den Jagdbombern ansetzen, was auch das leidige Problem der Tiefflüge — die ja Flugübungen von Jagdbombern sind — definitiv lösen hilft.
    Wir meinen, daß die Richtschnur der Wiener Verhandlungen eine beiderseitige Reduzierung konventioneller Waffen und Truppen auf eine Größenordnung von etwa 50 % des heutigen NATO-Standes sein sollte. Große Reduktionsschritte lösen auch mehr Probleme, entlasten die Haushalte spürbar, sind leichter verifizierbar und erlauben es auch, die Wehrpflichtdauer zu senken. „Wenn schon, denn schon", müßte doch die Maxime in diesem Abrüstungsprozeß sein.
    Wir sind der Auffassung, daß im Verlaufe der Verhandlungen eine Vereinbarung über einen kontrollierten Stopp der Einführung neuer Waffensysteme versucht werden sollte, wenn es ansonsten den Verhandlungsprozeß nicht aufhält. Es ist unsinnig, zum selben Zeitpunkt, da über Abrüstung verhandelt wird, neue Rüstungsprojekte anzukurbeln. Welche konkreten Waffensysteme eine künftige beiderseitige Defensivstruktur erfordert, sollte tunlichst erst dann entschieden werden, wenn die Umrisse einer Vereinbarung abzusehen sind.
    Für den weiteren atomaren Abrüstungsprozeß empfehlen wir ein eigenes Verhandlungsforum, an dem nicht nur die USA und die Sowjetunion beteiligt sind, sondern an dem auch diejenigen Regierungen mitwirken sollten, in deren Ländern atomare Waffen stationiert sind. Atomwaffen werfen mehr als alle anderen
    Waffen ganz unmittelbar besonders für die Länder Existenzfragen auf, von denen aus sie gestartet werden sollen. Deshalb sollte es selbstverständlich sein, daß diese Länder mitwirken.
    Wir halten es darüber hinaus für wünschbar, daß auch Frankreich und Großbritannien als europäische Atommächte aktive Verhandlungsteilnehmer beim europäischen atomaren Abrüstungsprozeß werden. Dieser Punkt darf kein Tabu sein. Es ist Ausdruck einer verkrampften Freundschaft, wenn solche Erwartungen nicht einmal ausgesprochen werden. Gerade weil es um das Eigengewicht Europas geht, sollten Frankreich und Großbritannien im Hinblick auf ihre unmittelbare Beteiligung an diesen Verhandlungen nicht länger abstinent bleiben.
    Eine Null-Lösung bei atomaren Kurzstreckenwaffen wäre Bestandteil eines europäischen Abrüstungsprozesses, aber sie würde noch keine Atomwaffenfreiheit Europas bedeuten.

    (Lamers [CDU/CSU]: Dahin wollen Sie doch!)

    Es blieben atombestückte Flugzeuge, atombestückte U-Boote in europäischen Gewässern, seien es amerikanische, britische, französische oder sowjetische. Des weiteren blieben französische Mittelstreckenraketen und sowjetische Fernraketen. Diese zu reduzieren bliebe nach einer Eliminierung von Kurzstreckenwaffen eine Aufgabe von NATO und Warschauer Pakt in exklusiver Verantwortung der darin eingebundenen Atommächte. Wir dürfen sie daran nicht zu hindern versuchen, sondern müssen sie dazu motivieren.
    Zu völliger Atomwaffenfreiheit Europas werden solche Bemühungen aber erst im Verbund mit einer weltweiten Beseitigung aller Atomwaffen führen können. Es ist nicht vorstellbar, daß etwa Frankreich auf Atomwaffen verzichtet, solange es noch andere Staaten gibt, die über Atomwaffen verfügen. Die Abrundung und Vollendung des atomaren Abrüstungsprozesses kann nur geschehen durch Verhandlungen aller Atommächte, also auch einschließlich Chinas. Auf dieses Ziel müssen wir hinsteuern und unseren möglichen Beitrag dazu leisten.

    (Beifall bei der SPD)

    Es sind denkfaule Ausreden, die uns erklären wollen, daß dies nicht möglich sei. Die vollständige Beseitigung aller Atomwaffen ist leichter als ein vollständiges Verbot aller chemischen Waffen durchführbar. Wer letzteres für ein realistisches Ziel hält, muß auch die vollständige atomare Abrüstung als ein realistisches Ziel anerkennen und anzustreben bereit sein.
    Dies sind wir künftigen Generationen schuldig, bevor eine Entwicklung eintritt, in der es zu zahllosen Atomwaffenstaaten und entsprechend wachsenden Gefahren atomarer Kriege in anderen Teilen der Welt kommt, nur weil wir nicht zum Verzicht bereit sind. Überall, wohin wir schauen, sehen wir heute Gesellschaften im Umbruch. Umbruch bedeutet, daß die alten Kategorien des Denkens und Handelns nicht mehr weiterführen, weil sie nicht mehr stimmen. Politik im Umbruch heißt also, alles neu zu überdenken. Was früher klug war, kann morgen dumm sein. Was



    Dr. Scheer
    früher rational war, kann morgen eine bloße Illusion sein. Die Fortsetzung bisheriger Politik in den Strukturen, wie sie überkommen und übernommen sind, ist dabei, zur großen Selbsttäuschung zu werden, wenn wir nicht endlich unsere Ziele streng an den neuen Problemen und Möglichkeiten orientieren und den Mut haben, eingefahrene Gleise zu verlassen, die nunmehr ausgefahren sind.
    Ich danke für die Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lamers.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Karl Lamers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion begrüßt nachdrücklich, daß die Bundesregierung nunmehr ihre Position für den NATO-Gipfel am 29. Mai formuliert hat.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ward ja ok Tied!)

    Die CDU/CSU teilt die Überzeugung der Bundesregierung, daß auch die atomaren Systeme mit unter 500 km Reichweite in den Abrüstungsprozeß einbezogen werden müssen. Dafür sprechen, wie mir scheint, drei zwingende Gründe.
    Erstens. Die Sowjetunion besitzt in dieser Waffenkategorie nach ihrem eigenen Eingeständnis eine gewaltige, ja beängstigende Kapazität mit einer nicht genau feststellbaren, jedoch nach Tausenden zählenden Zahl von Raketen mit atomaren, konventionellen und chemischen Sprengköpfen.
    Zweitens. Alle diese Waffen sind sowohl atomar als auch konventionell als auch chemisch verwendbar. Wie will man das Ziel der Wiener Verhandlungen — konventionelle Stabilität auf der Basis von Gleichgewicht — je erreichen, wenn man eine ganze Waffenkategorie dauerhaft aus diesen Verhandlungen ausschließt?

    (Frau Traupe [SPD]: Richtig!)

    Drittens. Die nach dem INF-Abkommen verbleibende Struktur der atomaren Waffen ist nicht nur aus deutscher — aber gerade aus deutscher — Sicht alles andere als befriedigend. Sie zu verbessern ist allerdings nicht nur durch Verhandlungen möglich, sondern muß auch durch einseitige Maßnahmen zu ihrer Neustrukturierung erfolgen.
    Der strategische Zweck dieser Systeme auf westlicher Seite bezieht sich im Rahmen der Vorneverteidigung auf die konventionelle Überlegenheit des Warschauer Paktes. Daher stehen Beginn und Ergebnis von Verhandlungen über diese Systeme in einem unlösbaren Zusammenhang mit Verlauf und Ergebnis der Wiener Verhandlungen, deren Ziel ja die Beseitigung dieser östlichen konventionellen Überlegenheit ist.
    Wer Verhandlungen über die SNF-Systeme zeitlich und sachlich unabhängig von der VKSE fordert, setzt sich dem Verdacht der Alliierten aus, es gehe ihm weniger darum, die östliche Überlegenheit als vielmehr die eigenen Waffen wegzuverhandeln. Unerläßlich aber wird es sein, auf dem NATO-Gipfel für diese Systeme zumindest eine rüstungskontroll-politische
    Perspektive zu eröffnen und etwa eine hochrangige Arbeitsgruppe mit der Ausarbeitung der näheren Einzelheiten für ein Verhandlungsmandat zu beauftragen — und dies mit Nachdruck und mit Vorrang.
    Die deutsche Auffassung, eine Entscheidung über Produktion und Stationierung eines Nachfolgesystems für die Lance nicht jetzt, sondern erst 1991/92 zu treffen, haben sich bereits seit einiger Zeit offensichtlich auch die Vereinigten Staaten zu eigen gemacht.

    (Dr. Feldmann [FDP]: Weil es eine vernünftige Position ist!)

    — Weil das eine sachlich begründete, vernünftige Position ist. — Das Drängen auf einen früheren Zeitpunkt ist auch von der Sache her überhaupt nicht erklärlich. Vielmehr verbarg sich hinter ihm — ähnlich wie bei der soeben erwähnten Frage des Zeitpunkts von Verhandlungen — die Befürchtung der Alliierten, die Bundesrepublik strebe eine dritte Null-Lösung an oder treibe doch zumindest darauf zu.
    Deswegen möchte ich hier eindeutig klären: Wir, die CDU/CSU-Fraktion, halten nicht nur, wie es ja auch in der Ziffer 1 der Regierungsposition heißt, an dem Prinzip der nuklearen Abschreckung fest, sondern auch daran, daß auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland atomare Waffen auch in Zukunft stationiert bleiben, was einschließt, daß sie auf dem gebotenen Stand gehalten werden müssen. Eine dritte Null-Lösung kommt für uns nicht in Betracht.

    (Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das ist der nächste Streit in der Koalition!)

    Aber ich möchte, Herr Kollege Voigt, mit derselben Deutlichkeit hinzufügen: Die Art der Lösung, die sich wesentliche Alliierte bislang — und manche bis heute — vorstellen, ist unannehmbar, weil sie nicht nur den Eindruck erweckt, es könne sich nichts Grundlegendes ändern, sondern zuweilen sogar, dies solle auch nicht geschehen. Es ist in der Tat zutiefst widersprüchlich, wenn der Westen auf der einen Seite Abrüstungsvorschläge unterbreitet, deren Realisierung genau denselben Zweck erfüllte wie die hier in Rede stehenden atomaren Systeme, und dann auf der anderen Seite gleichzeitig Rüstungsentscheidungen vorschlägt, die diese Perspektive eines Erfolgs in Wien überhaupt nicht ins Auge fassen. Andererseits wäre es sowohl unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit als auch aus verhandlungstaktischer Sicht töricht, so zu tun, als gäbe es schon ein solches Ergebnis der Wiener Verhandlungen.
    Wir müssen in diesem Fall wie künftig überhaupt lernen, ausgehend vom Status quo, aber in der Perspektive des Status quo plus unsere Entscheidungen zu treffen. Eben daran hat es bei der bisherigen Diskussion in der Allianz gemangelt. Das aber, meine verehrten Kollegen und Kolleginnen, ist nicht nur ein Vorwurf an die Alliierten, sondern, wie ich in Deutlichkeit sagen möchte, auch an uns — und an uns sogar in besonderer Weise —, weil wir mehr als die anderen an einer Überwindung des Status quo interessiert sind. Deswegen müssen wir auch in besonderer Weise Vorstellungen entwickeln, wie denn die künftige militärische Ordnung, aber nicht nur sie, sondern darüber hinaus die politische Ordnung in Europa



    Lamers
    konkret aussehen könnte und sollte, Vorstellungen, die aber nicht nur für uns, sondern auch für unsere Alliierten und natürlich auch für die Länder im anderen Teil unseres Kontinents attraktiver sind, verglichen mit der derzeitigen Ordnung. Für die heute hier in Rede stehende Frage bedeutet dies: Wenn wir das Ziel der Wiener Verhandlungen tatsächlich erreichen, d. h. konventionelle Stabilität auf der Basis von Gleichgewicht und weitestgehender Nichtangriffsfähigkeit beider Seiten, dann wünsche ich mir nicht nur eine drastisch verringerte Zahl von atomaren Waffen, sondern auch andere atomare Waffen als die derzeitig hier lagernden, und das heißt natürlich auch eine andere Strategie. Wir müssen bereit sein, auch darüber zu sprechen. Dazu habe ich durchaus die eine oder andere Idee, die heute hier auszubreiten nicht möglich ist. Die Richtung muß sein: Minimalabschreckung im wörtlichen Sinne; das heißt weitreichende Systeme, und das heißt eine Repolitisierung der atomaren Abschreckung.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Dregger [CDU/CSU])

    Ich fordere uns und natürlich auch unsere Alliierten auf, in einer solchen Perspektive zu denken. Ich fordere uns vor allen Dingen auf, zu sehen, daß wir uns mit einer dritten Null-Lösung, die zwangsläufigerweise eine vierte und fünfte und daher eine atomwaffenfreie Bundesrepublik Deuschland zur Folge haben müßte, aus diesem gemeinsamen Prozeß des Nach-, ja des Umdenkens ausschlössen. Das widerspricht nun allen Interessen unserer Alliierten, und es widerspricht nicht nur aus dem eben von mir erwähnten Grunde, sondern auch aus sicherheitspolitischen Gründen auch unseren Interessen. Wir würden uns isolieren.

    (Frau Traupe [SPD]: Das ist wirklich Quatsch!)

    Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat eine zentrale Bedeutung für alles, wirklich für alles, was innerhalb des Westens wie innerhalb ganz Europas von Belang ist. Genau dies ist aber zugleich der Grund, weshalb wir in besonderer Weise abhängig und verletzlich sind, denn von unseren Entscheidungen sind unmittelbar und mittelbar alle Staaten in Europa und natürlich auch die USA betroffen. Das, worum es im Kern der Diskussion, die wir derzeitig führen, geht, ist keineswegs nur militärisch-technischer Art, sondern es geht in der Tat um die Nachkriegsordnung in Europa. Wenn das richtig ist, dann ist es auch einleuchtend, daß unsere Entschlossenheit, sie im Interesse unseres Volkes, und zwar in diesem Fall unseres ganzen Volkes, zu überwinden, mit einer ebenso großen Besonnenheit gepaart sein muß. Ich frage uns alle, ob dies in letzter und auch in allerletzter Zeit zu jedem Zeitpunkt der Fall gewesen ist. Ich bin sicher, daß wir jetzt, wenn wir nach dem Doppelprinzip „Entschlossenheit und Besonnenheit" handeln, nach wie vor eine gute Chance haben, auf dem NATO-Gipfel in Brüssel ein gutes Ergebnis zu erreichen. Die Bereitschaft unserer Alliierten — ich habe mich gerade gestern in Brüssel davon überzeugen können —, mit uns einen Konsens zu finden, ist natürlich gegeben, weil sie wissen, daß ohne uns eine zukunftsorientierte Politik der Allianz
    nicht gemacht werden kann. Aber wir müssen doch wissen, meine Freunde, daß wir den Konsens mindestens ebenso brauchen.
    Vielen Dank.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Für einen CDUMann eine gute Rede!)