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    Plenarprotokoll 11/126 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 126. Sitzung Bonn, Freitag, den 17. Februar 1989 Inhalt: Seiters CDU/CSU (Glückwünsche zum Geburtstag der Präsidentin) 9259 A Erklärung der Präsidentin zu Pressemeldungen über die Krankenversorgung der Abgeordneten 9282 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu einer möglichen Beteiligung deutscher Firmen an einer C-WaffenProduktion in Libyen in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 21: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen an einer C-Waffen-Produktion in Libyen (Drucksache 11/3995) Dr. Schäuble, Bundesminister für besondere Aufgaben, Chef des Bundeskanzleramtes . 9259 C Dr. Vogel SPD 9265 B Frau Geiger CDU/CSU 9270 C Frau Beer GRÜNE 9273 B Beckmann FDP 9275 A Dr. Haussmann, Bundesminister BMWi . 9277 B Gansel SPD 9278 C Genscher, Bundesminister AA 9282 D Kittelmann CDU/CSU 9284 A Dr. Mechtersheimer GRÜNE 9285 A Frau Beer GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 9287 A Frau Traupe SPD (Erklärung nach § 32 GO) 9287 D Seiters CDU/CSU (Erklärung nach § 32 GO) 9288 A Mischnick FDP (Erklärung nach § 32 GO) 9288 A Hüser GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 9288 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde betr. aktuelle Probleme der Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung Dr. Hauff SPD 9288 D Dr.-Ing. Kansy CDU/CSU 9289 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE . 9290C, 9294 C Dr. Hitschler FDP 9291 B Menzel SPD 9292 B Frau Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU . . 9293 A Zywietz FDP 9294 D Dr. Schneider, Bundesminister BMBau . 9296 B Reschke SPD 9297 D Dörflinger CDU/CSU 9299 A Dr. Stoltenberg, Bundesminister BMF . 9300 A Müntefering SPD Pesch CDU/CSU Frau Teubner GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 9303 C Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes (Drucksache 11/3694) 9304 C II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1989 Nächste Sitzung 9304 C Berichtigungen 9304 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 9305* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes (Drucksache 11/3694) (Seesing [CDU/ CSU], Dr. de With [SPD], Funke [FDP], Frau Nickels [GRÜNE], Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär BMJ) 9305* C Anlage 3 Amtliche Mitteilungen 9311* B Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1989 9259 126. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1989 Beginn: 9.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 17. 2. Frau Beck-Oberdorf 17. 2. Bindig 17. 2. Börnsen (Ritterhude) 17. 2. Breuer 17. 2. Frau Conrad 17. 2. Daweke 17. 2. Egert 17. 2. Dr. Faltlhauser 17. 2. Gallus 17. 2. Dr. Glotz 17. 2. Dr. Göhner 17. 2. Grünbeck 17. 2. Dr. Haack 17. 2. Haack (Extertal) 17. 2. Frau Hämmerle 17. 2. Dr. Hauchler 17. 2. Dr. Hauff 17. 2. Frhr. Heereman von Zuydtwyck 17. 2. Heimann 17. 2. Hiller (Lübeck) 17. 2. Ibrügger 17. 2. Jaunich 17. 2. Dr. Jenninger 17. 2. Frau Karwatzki 17. 2. Dr. Kreile 17. 2. Dr.-Ing. Laermann 17. 2. Dr. Graf Lambsdorff 17. 2. Maaß 17. 2. Dr. Mertens (Bottrop) 17. 2. Dr. Mitzscherling 17. 2. Möllemann 17. 2. Dr. Möller 17. 2. Dr. Neuling 17. 2. Paterna 17.2. _ Pfeifer 17. 2. Poß 17. 2. Regenspurger 17. 2. Reuschenbach 17. 2. Spranger 17. 2. Uldall 17. 2. Verheugen 17. 2. Weisskirchen (Wiesloch) 17. 2. Wetzel 17. 2. Frau Dr. Wisniewski 17. 2. Wissmann 17. 2. Würtz 17. 2. Zierer * 17. 2. Dr. Zimmermann 17. 2. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zum Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes (Drucksache 11/3694) Seesing (CDU/CSU): Das Gesetz über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung - kurz: Strafvollzugsgesetz - vom 16. März 1976 hat in seiner Geltungszeit bereits sechs Änderungen erfahren. Während es bei der ersten Änderung vom 18. August 1976 u. a. um die Einfügung von Bestimmungen zur Überwachung von Besuchen in den Justizvollzugsanstalten ging und während bei der zweiten Änderung im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur vom 22. Dezember 1981 Finanzfragen behandelt wurden, hatten die späteren Änderungen doch schon das Ziel, einige spezielle Probleme des Strafvollzugs nach neueren Erkenntnissen zu beurteilen. Das Änderungsgesetz vom 20. Januar 1984 regelte die Unpfändbarkeit von Forderungen und das Rechtsbehelfsverfahren für den Maßregelvollzug Untergebrachter. Vom 20. Dezember 1984 ist ein weiteres Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes datiert. Damals beschlossen wir u. a. die Aufhebung von Vorschriften des 2. Strafrechtsreformgesetzes über die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt und die Überweisung in den Vollzug dieser Maßnahme noch bevor diese Vorschriften am 1. Januar 1985 in Kraft treten konnten. Mit dem Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 27. Februar 1985 wurden durch die Änderung des § 101 Neuregelungen über die zwangsweise medizinische Untersuchung, Behandlung und Ernährung von Gefangenen beschlossen. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit mußte eingeschränkt werden. Schließlich wurde mit dem Strafverfahrensänderungsgesetz 1987 der § 29 - Überwachung des Schriftverkehrs - teilweise neu gefaßt. Man kann sich nun die Frage stellen, ob sich das Gesetz von 1976 in der Praxis bewährt hat. Noch sind ja nicht alle Vorschriften dieses Gesetzes in Kraft getreten, weil ihre finanziellen Auswirkungen noch nicht tragbar erscheinen. Was kann man also heute feststellen? Ich glaube, daß die anfangs euphorischen Erwartungen einer nüchternen Betrachtungsweise gewichen sind. Wahrscheinlich war der Gegensatz zwischen dem Anspruch des Gesetzes und der Realität des Vollzugs zu groß. Dennoch dürfen wir sagen, daß das Gesetz einen wichtigen Schritt für die Wiedereingliederung von Straffälligen in die Gesellschaft darstellt. Zugleich wird aber auch der Schutz dieser Gesellschaft vor weiteren Straftaten weitgehend gewährleistet. Daß auch hier Ausnahmen die Regel zu bestätigen scheinen, ist betrüblich. Daß insgesamt eine Weiterentwicklung notwendig erscheint, zeigt uns der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates. Er ist mehr als nur die 9306* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1989 Zusammenfügung von redaktionellen Änderungen und von klarstellenden Formulierungen. Es sind durchaus weiterführende Gedanken, über die zu sprechen sich lohnt. So ist es durchaus an der Zeit, sich zu überlegen, wie man der Realisierung der Forderungen des § 2 des Strafvollzugsgesetzes noch näherkommen kann. Es heißt dort: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. " Um dieses Prinzip „der sozialen Verantwortung" geht es auch mir. Es ist nicht zu leugnen, daß die Resozialisierung als Aufgabe des Strafvollzugs an Glaubwürdigkeit verloren hat. Umfrageergebnisse beweisen das. Wenn ich Umfragen auch nur sehr bedingt als Maßstab für gesetzgeberisches Tun ansehe, so werden hier jedoch Tendenzen deutlich, denen man notfalls auch entgegenwirken kann. Mit Wunschträumen werden wir der Situation nicht gerecht. Ich glaube, daß der Gedanke, eine opferbezogene Vollzugsgestaltung gesetzlich zu verankern und damit deutlicher als bisher werden zu lassen, weiterhelfen kann. Was bleibt denn von den grundlegenden Ideen des Strafvollzugs? Darf er Sühne für Taten sein? Soll er der Abschreckung dienen? Wie steht es mit dem Resozialisierungsgedanken überhaupt? Der Strafvollzug wird in neueren politischen Diskussionen von einigen insgesamt in Frage gestellt. Ich gehe davon aus, daß die Gesellschaft auch so lange Strafe und Strafvollzug braucht, wie Menschen fehlerhaft sind. Den ohne Ausnahme perfekten, ausschließlich auf Gesellschaft und menschliches Miteinander fixierten Menschen wird es nicht geben. Deswegen brauchen wir auch Regeln für dieses Miteinander. Und die Gesellschaft wird auch immer Sanktionen vorsehen müssen für die, die nicht bereit sind, sich an diese Regeln zu halten. Nun gibt es auch Menschen, die krankhaft fehlerhaft sind. Für sie haben wir besondere Regelungen und werden sie auch in Zukunft brauchen. Im Normalfall sollte der Strafvollzug, wie die Strafe an sich, auch Mittel zur Abschreckung sein. Es fragt sich, ob die Strafform und das Strafmaß abschreckend wirken oder der Strafvollzug. Wenn ich an Gesetzentwürfe mit dem vorgeschlagenen Strafmaß denke, kommen mir da manchmal Zweifel, ob wir diesen Abschreckcharakter richtig bewerten. Als Beispiel möchte ich zwei Vorhaben anführen: Da wird im Adoptionsvermittlungsgesetz vorgeschlagen, die verbotene Vermittlung von Leihmüttern mit einem Jahr Freiheitsstrafe zu belegen. Wenn das eine lukrative Angelegenheit ist, wird ein Jahr Haft wenig abschrecken. Wenn das Land Nordrhein-Westfalen vorschlägt, den Verkauf von Eberfleisch mit zwei Jahren Haft zu bestrafen, sieht das ganz anders aus. Eberfleisch ist nicht gesundheitsgefährdend, aber es stinkt. Der Bauer oder der Metzger wäre mit zwei Jahren Haft sicher äußerst hart getroffen. Er will nicht in den „Knast", wie man zu sagen pflegt. Die Strafe wirkt abschreckend. Entsprechen nun aber diese beiden Strafmaße wirklich der Bedeutung des verletzten Rechtsgutes? Allerdings kann auch der Strafvollzug durch sein Vorhandensein, durch seine Gelegenheiten, durch seine bekannten Abläufe abschreckend wirken. Vielleicht müssen wir diese inneren Abläufe noch mehr nach diesem Prinzip ausrichten. Es fragt sich nur, wie. Wichtig ist mir aber auch, den Sühnecharakter der Strafe nicht gering zu veranschlagen. Es ist natürlich hart, Menschen aus ihrem Lebenskreis herauszuholen, um sie in besonders gesicherten und bewachten Räumen zu „verwahren". Es darf nur letztes Mittel sein. Deswegen sollte die Freiheitsstrafe wirklich nur dem notwendigen Maß entsprechen. Aber es muß sie geben, um die Sühne für ein Vergehen leisten zu können. Und da brauchen wir für die Rechtssprechung und für den Vollzug eine Vielzahl von Differenzierungsmöglichkeiten. Die Differenzierungsmöglichkeiten brauchen wir aber auch für das Hauptziel des Strafvollzugs, den Straffälligen wieder zu einer sozialen Verantwortung und Verantwortungsbereitschaft zu führen. Ich habe den Eindruck, daß die negative Kritik der Bevölkerung am Strafvollzug sich weniger gegen den Resozialisierungsgedanken an sich als gegen die undifferenzierte Anwendung des Strafvollzugsgesetzes richtet. Ich meine, daß wir den Leitern und Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten helfen müssen, dem Gesetzesauftrag so nachzukommen, wie wir es als notwendig ansehen. Wir müssen dann auch bereit sein, Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit zu übernehmen, wenn es zu „Pannen" kommt, die bei genauer Formulierung des Gesetzestextes zu vermeiden sind. Unter diesen Gesichtspunkten müssen auch die weiteren Vorschriften des vorliegenden Gesetzentwurfes betrachtet werden. Ich sehe hier im einzelnen noch Beratungsbedarf. Für besonders wichtig halte ich 1. Die Verankerung der opferbezogenen Vollzugsplanung und -gestaltung im Strafvollzugsgesetz; 2. die Frage, ob man auf das Erfordernis der Zustimmung eines Gefangenen zu seiner Verlegung in den offenen Vollzug generell verzichten kann; 3. wie man, kurz gesagt, das Verhalten des Gefangenen bei der Gewährung von Lockerungen im Strafvollzug und von Urlaub bewerten soll; 4. die Frage, wie wir tatsächlich die Einbringung besonders von Drogen in die Justizvollzugsanstalten erschweren, möglichst gar verhindern können. Ich bin mir auch noch nicht sicher, ob die Trennscheibe bei Gesprächen von Häftlingen mit den Verteidigern und ob die Kontrolle der Anwaltspost nun immer der Weisheit letzter Schluß ist. Darüber muß man im Zusammenhang mit anderen möglichen praktischen Maßnahmen sprechen und alles entsprechend bewerten. Es sind auch noch weitere Vorschriften zu diskutieren. So stellt sich die Frage, ob die Erhöhung des Arbeitsentgeltes von fünf auf sechs Prozent des durchschnittlichen Arbeitsentgeltes das letzte Wort sein kann. Dabei will ich durchaus auch die angespannte Haushaltslage der Länder, die ja die Zahlenden sind, in Betracht ziehen. Es ist ja schon erstaunlich, daß die Länder selbst einen Gesetzentwurf einbringen, der im Falle der Verwirklichung laufende Mehrausgaben entstehen läßt. Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1989 9307* Ich schlage vor, die Beratungen im Rechtsausschuß zügig aufzunehmen und sehr gründlich zu führen. Die Weiterentwicklung des Strafvollzuges im Sinne des Versuchs, Straffällige zu integrieren, ohne die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung zu vernachlässigen, bleibt eine wesentliche Aufgabe des Rechtsstaates. Dr. de With (SPD): Das zehnjährige Bestehen des Strafvollzugsgesetzes 1987 hatte eine breite Fachdiskussion, aber auch eine rege Debatte in der Öffentlichkeit ausgelöst. Zu fragen war nicht nur: Hat sich dieses erste Gesetz zur Regelung des Strafvollzuges bewährt? Hundert Jahre lang hatte es nur Verordnungen und Vereinbarungen über die Ländergrenzen hinweg und natürlich viele Reformversuche gegeben. Zu fragen war weiter: Was soll und muß geändert werden? Man war sich schnell darin einig, daß sich das Strafvollzugsgesetz grundsätzlich bewährt hat. Man war sich ebenso schnell darin einig, daß es nun endlich an der Zeit sei, die Gefangenen neben der Mitgliedschaft in der Arbeitslosenversicherung auch in die gesetzliche Krankenkassen- und die Rentenversicherung einzugliedern und das Arbeitsentgelt des Gefangenen, schon damals wie heute nur 5 % der Bemessungsgrundlage, auf 10 % anzuheben. Alle wissen aber auch, daß die Finanzminister den Justizministern jeden mit Ausgaben verbundenen Fortschritt diktieren oder, besser gesagt, dabei allzuoft mit dem Rotstift in den Arm fallen. In einer ganzen Reihe von Bereichen erfordern die bisherigen Erfahrungen redaktionelle Klarstellungen und das Ausgleichen von Unebenheiten. Das bedarf keiner Diskussion. Aber es gab und gibt zwei Streitpunkte: Der eine rührt ans Herz der Strafvollzugsreform überhaupt, nämlich an die Frage, ob das Vollzugsziel — die Resozialisierung — relativiert werden soll. Und der andere betrifft die Integrität des Gefangenen, nämlich seine Möglichkeit, frei mit seinem Verteidiger zu kommunizieren, sein Recht, nicht ohne Not durch- und untersucht zu werden, und seine Chance, von seinem sauer verdienten Arbeitsentgelt etwas mehr für sich verbrauchen zu können. Ortega y Gasset wird das Wort zugeschrieben, das Maß an Demokratie in einer Gesellschaft werde nicht an den in der Verfassung statuierten Mitwirkungsrechten erkennbar, sondern daran, wie frei in der Praxis gewählt werden könne. In leichter Abwandlung dieser Sentenz möchte ich sagen, das Maß an Freiheitsrechten in einer Gesellschaft wird nicht durch den Grundrechtskatalog der Verfassung erkennbar, sondern daran, welche Möglichkeiten dem Strafgefangenen zugebilligt werden. Nun hatten sich die im Bundestag vertretenen Parteien in einem sehr mühsamen Prozeß als Behandlungsziel — nach dem Gesetzeswortlaut als Vollzugsziel bezeichnet — in § 2 auf folgenden Wortlaut geeinigt: Im Vollzug der Freiheitsstrafe sollen Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Darunter war verstanden worden, daß Schuldelemente, also die Schwere der Straftat und der daraus resultierende Vergeltungsgedanke, im Strafvollzug, d. h. bei der Entscheidung über Maßnahmen der Resozialisierung nichts zu suchen haben. Schuld und Vergeltung sind durch das Maß der ausgeworfenen Strafe verbraucht. Das heißt weiter, ein Urlaub oder die Gewährung des offenen Vollzugs dürfen nicht mit dem Hinweis verwehrt werden, die Schwere der Schuld gestatte es nicht, wenn dies auch sonst möglich und geboten wäre. Nun hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Verkennung dieser Tatsachen mit Beschluß vom 26. Juni 1983 den Justizvollzugsanstalten bei der Entscheidung über die Gewährung von Urlaub aus der Haft für einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen gestattet, dabei „auch die besondere Schwere seiner Tatschuld" zu berücksichtigen, also das Behandlungsziel im Sinne eines Schuldelements zu relativieren. In seinem bekannten abweichenden Votum hierzu hat Richter Mahrenholz — heute Vizepräsident des Verfassungsgerichts — sich vehement dagegen gewandt, indem er an Hand der Materialien nachwies, daß beide große Parteien nur ein Behandlungsziel wollten, nämlich die Resozialisierung, und dieses nicht nur vornehmlich — also mit der Möglichkeit der Relativierung — gelten sollte. Diese Entscheidung hat der Freistaat Bayern flugs benutzt, um mit Entschließung vom 21. August 1987 alle seine Justizvollzugsanstalten daran zu erinnern, daß die Tatschuld auch „bei anderen Vollzugsentscheidungen als der der Gewährung von Urlaub" und auch bei anderen Gefangenen herangezogen werden müsse. Die Justizministerin hatte gleichzeitig angekündigt, daß sie anstrebe, diese Rechtsauslegung im Strafvollzugsgesetz zum Ausdruck zu bringen. Entsprechend diesem Vorsatz hatte der Freistaat Bayern bei den Beratungen des vorliegenden Gesetzesantrages im Bundesrat auch folgenden Passus vorgeschlagen: Ein Gefangener kann auch dann im geschlossenen Vollzug untergebracht oder dorthin zurückverlegt werden, wenn dies zu seiner Behandlung wegen der Schwere der Schuld oder zur Verteidigung der Rechtsordnung geboten ist. bzw. Zur Erreichung des Vollzugszieles sollen die Einsicht des Gefangenen in seine Schuld sowie in die Folgen der Tat, insbesondere für das Tatopfer, geweckt und geeignete Formen des Ausgleichs angestrebt werden. Diese Änderungsvorschläge hat die Mehrheit des Bundesrates, Gott sei Dank, abgelehnt. Geblieben aber ist der folgende Passus: Zur Erreichung des Vollzugszieles sollen die Einsicht des Gefangenen in die Folgen der Tat, insbesondere für das Tatopfer, geweckt und geeignete Formen des Ausgleichs angestrebt werden. Niemand hat etwas dagegen, wenn der Gedanke des Täter-Opfer-Ausgleichs als Resozialisierungsziel 9308* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1989 auch verbal im Strafvollzugsgesetz ausgedrückt wird. Bedenken bestehen jedoch, wenn das mit den vom Bundesrat vorgeschlagenen, eben zitierten Worten geschieht. Denn damit wird die Gefahr begründet, daß — gewissermaßen „hintenherum" — doch wieder Schuldelemente in das Vollzugsziel Eingang finden. Darauf hat dankenswerterweise Justizminister Walter vom Saarland hingewiesen. Aber ganz offensichtlich hat auch das Bundesministerium der Justiz Bedenken. Denn es sagt in seiner Stellungnahme warnend, der Vorschlag gehe „weit über die Begründung hinaus" und erfordere deshalb eine Überprüfung im weiteren Gesetzesgang. Auch wir Sozialdemokraten wenden uns nicht gegen die Perspektive des Täter-Opfer-Ausgleichs; haben wir doch als erste diesen Gedanken in einer Gesetzesinitiative im Bundestag formuliert. Für meine Fraktion, die SPD-Bundestagsfraktion, kündige ich jedoch jetzt schon an, daß wir im Verlauf der weiteren Beratungen Anträge stellen werden, die die Formulierung zum Täter-Opfer-Ausgleich auf ein unmißverständliches Maß zurückführen und ausschließen, daß Schuldelemente bei Entscheidungen im Rahmen des Vollzugszieles Verwendung finden können. Natürlich ist es — gerade jetzt — sicher populärer, auf einen harten Strafvollzug zu drängen. Aber wirksamer und humaner ist es nicht. Und auf die Dauer sind damit auch nicht Stimmen von Wählern der sogenannten Republikaner zu gewinnen. Der Bundesrat hat nun weiter vorgeschlagen, daß der Anstaltsleiter beim Gespräch des Gefangenen mit dem Verteidiger die Trennscheibe soll einführen können, daß Briefe in Gegenwart des Gefangenen sollen geöffnet werden können — soweit bisher der Schriftwechsel nicht überwacht werden darf — und in gewissen Fällen der Schriftwechsel des Gefangenen mit seinem Verteidiger — nämlich bei Verurteilungen im Falle gewisser terroristischer Straftaten — soll überwacht werden können. Dies stellt einmal einen tiefen Eingriff in das Verhältnis Verteidiger-Strafgefangener dar und berührt im übrigen das besonders schützenswerte Gut der Gefangenen auf grundsätzlich freie briefliche Kommunikation. Wir wissen aber auch, daß das im Kern schon einmal praktiziertes Recht auf Grund von Änderungen während der sozialliberalen Koalition war. Gleichwohl heben wir mit dem Bundesminister der Justiz den Finger und betonen mit Nachdruck, daß der Handlungsbedarf hier einer besonderen Begründung bedarf und daß derartige Eingriffe keineswegs generalisierend erlaubt werden dürfen. Ebenso nachdrücklich erklären wir mit dem Bundesminister der Justiz, daß die neuen Vorschläge zur Durchsuchung und Untersuchung als tiefgreifende Eingriffe in die Integrität des Strafgefangenen äußerst sorgfältig auf die Waagschale gelegt werden müssen. Wenn dann noch in Betracht gezogen wird, daß der Bundesrat den Strafgefangenen noch zu Beiträgen zur Arbeitslosen- und Sozialversicherung heranziehen will, in welchem Fall der Bundesminister der Justiz sogar widerspricht — wir auch — , wird deutlich, daß der Bundesrat mit dieser Novelle zu Teilen den Scheideweg erreicht und hier und da überschritten hat. Das jetzt nach 5 % der sogenannten Bemessungsgrenze bezifferte Arbeitsentgelt des Gefangenen soll um 1 % erhöht werden. Eine Erhöhung muß erfolgen; aber bitte, auf 10 % der Bemessungsgrenze. Alles andere gäbe uns der Lächerlichkeit preis. Zur Zeit beträgt der Tagesverdienst des Gefangenen etwa zwischen 5 und 10 DM. 1 % mehr bedeutete lediglich eine Erhöhung von 50 Pf bis zu 1 DM pro Tag. Wir Sozialdemokraten werden bei den Beratungen im Rechtsausschuß nicht nur darauf dringen, daß die aufgezeigten heiklen Positionen auf dem Prüfstand des Anhörungsverfahrens untersucht werden. Der Rechtsausschuß wird sich die Zeit nehmen müssen, bei Besuchen von Strafanstalten die Situation vor Ort zu klären. Berücksichtigung finden muß dabei auch die Situation der Bediensteten und Mitarbeiter in den Anstalten, die es schwer genug haben. Außerdem wird die Entwicklung des Strafvollzugswesens im benachbarten Ausland in die Beratungen Eingang finden müssen. Und es ist ganz selbstverständlich, daß wir hier nicht nur den intensiven Meinungsaustausch mit den Ländern suchen, sondern auch Übereinstimmung erreichen müssen. Denn alle Justizvollzugsanstalten werden allein von den Ländern getragen. Das so schwierige Terrain des Strafvollzugsrechts ist bisher vom Deutschen Bundestag mit geringen Ausnahmen gemeinsam beschritten worden. Laute Töne oder gar harte Trommelschläge konnten aus den Beratungen zum Wohle der Strafgefangenen, aber auch der Gesellschaft im Sinne einer allein auf die Resozialisierung ausgerichteten Strafvollzugskultur vermieden werden. Selbstverständlich werden wir dabei das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit nicht außer acht lassen. Wir Sozialdemokraten können nur hoffen und wünschen, daß diese Aufgaben des Vollzugs im Sinne des § 2 des bisherigen Strafvollzugsgesetzes durch die vorliegende Novelle nicht aufgeweicht, sondern verfeinert und verbessert werden. Funke (FDP): Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes begegnet erheblichen Bedenken, auch wenn auf Grund der Beratungen des Bundesrates eine Reihe von „Giftzähnen" gezogen worden sind. So sollte offensichtlich nicht mehr die Resozialisierung des Täters im Vordergrund stehen, sondern die „Schwere der Schuld" und die „Verteidigung der Rechtsordnung ". Wenn auch diese Giftzähne gezogen sind, verbleibt bei einer Reihe von Änderungsvorschlägen der Eindruck, daß nicht die Resozialisierung des Täters im Vordergrund steht. Solchen Bestrebungen werden wir uns in der anschließenden Beratung im Rechtsausschuß widersetzen. Die Wiedereingliederung des Strafgefangenen in die gesellschaftliche Ordnung muß weiterhin im Vordergrund all unserer Überlegungen im Strafvollzug bleiben. Der Schwerpunkt des Gesetzentwurfs liegt nunmehr bei den Vorschlägen zur Regelung des Verkehrs des Verteidigers mit dem Gefangenen gemäß Nr. 11 bis 13 des Art. 1. So soll der Anstaltsleiter zur Anordnung der Trennscheibe bei Verteidigerbesuchen berechtigt sein. Der bislang unüberwachte Schriftwechsel kann kontrolliert werden, und im übri- Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1989 9309* gen soll in Einzelfällen der Schriftwechsel des Gefangenen mit seinem Verteidiger überwacht werden. Es kann nicht verkannt werden, daß in der Praxis ein gewisses Bedürfnis für eine stärkere Überwachung besteht. Hier macht es sich der Bundesrat jedoch allzu leicht. Der freie Umgang des Verteidigers mit seinem Mandanten ist ein hohes Rechtsgut und eine wichtige rechtsstaatliche Garantie für den Angeklagten bzw. Strafgefangenen. Hieran wollen wir nicht rütteln. Der Überwachungsbedarf hat in der Strafvollzugsanstalt zu erfolgen und nicht beim ungestörten Gespräch und dem ungestörten Schriftverkehr zwischen dem Verteidiger und dem Strafgefangenen. Auch die Vorschläge, die einseitig die Eingriffsbefugnisse der Strafvollzugsanstalt erweitern, werden von uns kritisch gesehen. Sie verändern den bislang ausgewogenen Interessenausgleich zwischen Strafgefangenen und den Bedürfnissen der Vollzugsanstalten. Hierzu zählt vor allem der Wegfall der Zustimmungsbedürftigkeit bei der Verlegung in den offenen Vollzug und die Untersuchung aus Sicherheitsgründen gemäß Art. 1 Nr. 21. Die Anhebung des Arbeitsentgeltes um 20 % bedeutet eine Erhöhung der täglichen Vergütung von DM 7,55 auf DM 9,06. Wenn wir auch eine Erhöhung des Arbeitsentgeltes begrüßen, so scheint uns diese Erhöhung nicht ausreichend. Nach wie vor wird von der FDP angestrebt, wesentlich höhere Arbeitsentgelte zu zahlen, dafür aber auch den Strafgefangenen in die gesetzliche Krankenversicherung und Rentenversicherung einzubeziehen. Vor allem die Einbeziehung in die Rentenversicherung ist besonders wichtig, um die Resozialisierung der Strafgefangenen zu erleichtern. Frau Nickels (GRÜNE): Das Bemerkenswerteste an dem heute zur Debatte stehenden Tagesordnungspunkt sind neben dem Inhalt der Vorlage, auf den ich sofort eingehen werde, vor allen Dingen die Entstehungsgeschichte und das Verhalten des Bundesjustizministers. Da richtet unsere Fraktion bereits vor 1 1/2Jahren eine detaillierte Große Anfrage an die Bundesregierung mit dem Ziel, die Bilanz von 10 Jahren Strafvollzugsgesetz zu ziehen und endlich einmal über Alternativen zum Gefängnissystem in der Bundesrepublik hier im Deutschen Bundestag zu beraten. Und was passiert? Bis heute war das BMJ nicht imstande, diese Anfrage zu beantworten. Zuletzt wurden wir diese Woche auf März vertröstet. Die angeblichen Gründe dafür — laut BMJ — : man habe noch nicht alle dafür notwendigen Informationen aus den Bundesländern. Zwischenzeitlich waren die Bundesländer — unter Beteiligung des BMJ — sehr wohl in der Lage, eine umfassende Gegenreform im Strafvollzug zu erarbeiten und heute hier vorzulegen. Fast drei Jahre ist es nun her, seit im Frühsommer 1986 der jetzige Tiefflugminister Scholz als damaliger Senator für Justiz und Bundesangelegenheiten in Berlin die anderen Justizminister der Länder einlud, nach zehnjähriger Geltung des Strafvollzugsgesetzes über die gemachten Erfahrungen zu beraten. Dem damaligen Senator ging es in seinem Brief allerdings nicht nur um Erfahrungsaustausch, sondern vielmehr um Grundsätzliches: er konstatierte Mängel im Strafvollzugsgesetz, so beispielsweise in der Soll-Vorschrift des § 3, die die Angleichung des Lebens im Vollzug an die allgemeinen Lebensverhältnisse fordert. Dieser Grundsatz wecke „unrealistische Erwartungen"; bei der Regelung von Vollzugslockerungen, wie z. B. Ausgang und Urlaub, müßten seiner Ansicht nach klare gesetzliche Vorgaben eingeführt und überlegt werden, „inwieweit die Tatschuld oder die Verteidigung der Rechtsordnung zu berücksichtigen sei". Der letzte Punkt wurde dann im Timmendorfer Strand zwar fallengelassen, aber weitgehende Einigkeit erzielte man dort bei Fragen des Täter-OpferAusgleichs, beim Wegfall der Zustimmung des Gefangenen zur Verlegung in den offenen Vollzug und bei der „Berücksichtigung der Bereitschaft des Gefangenen zur Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugszieles bei der Gewährung von Lockerungen" . Von da ab setzte eine, zunächst unter Ausschluß der gespannten (Fach-)Öffentlichkeit stattfindende, später aber auch breit kritisierende Debatte über den neuen Kurs, den das Strafvollzugssystem in der Bundesrepublik steuern solle, ein. Vorläufiger Höhepunkt ist der heute zu beratende Vorschlag des Bundesrates. Nach dem bekannten und seit dem Regierungswechsel offensichtlich erfolgreichen Muster haben die CDU-regierten Länder auch hier das Anderthalbf ache gefordert, um das Ganze schließlich zu erreichen. Die ursprünglich geplante Schuldschwereklausel zu Einschränkung von Vollzugslockerungen gegenüber Gefangenen ließ man später fallen, offensichtlich um den jetzt weitgehend — mit Ausnahme des Landes Bremen — erreichten Kompromiß mit den SPD-Ländern zustande zu bringen. Diese Klausel braucht auch niemand mehr, denn die Justizbehörden benutzten erfolgreich die Entscheidung des BVG aus 1983, die zwei NS-Täter betrifft, um auch „normale" Gefangene unter Verschluß zu halten. Statt dessen hat man nun den auch in anderen Gesetzentwürfen bereits überstrapazierten Täter-OpferAusgleich zum Hebel für willkürliche, d. h. gerichtlich kaum nachprüfbare, Einschränkungen gemacht. Nicht genug der Umstand, daß das Strafvollzugsgesetz bereits jetzt von unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensklauseln nur so wimmelt. Nun soll der Gefangene Vollzugslockerungen, die ja schließlich keine Gnadengeschenke, sondern notwendige Behandlungsmaßnahmen sind, wenn man gefangene Menschen nicht ganz und gar von der Außenwelt abschotten und dann irgendwann plötzlich in die Gesellschaft hineinwerfen will, nur noch dann erhalten, wenn er dafür „geeignet erscheint" und wenn „sein Verhalten im Vollzug die Bereitschaft zeigt, an der Erreichung des Vollzugszieles mitzuwirken", namentlich „Wiedergutmachung" leistet. Der Grundgedanke, daß Straftäter und Straftäterinnen selbstverständlich den angerichteten Schaden wenigstens finanziell ersetzen und so einen Beitrag zum Täter-Opfer-Ausgleich leisten sollen, ist natürlich völlig richtig und wird von uns nicht erst seit heute 9310* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1989 immer wieder betont. Bei dem hier vorgestellten Konzept fragt man sich aber, wie denn dieser Schadensersatz vonstatten gehen soll. Bisher erhalten Gefangene eine Eckvergütung von 7,33 DM täglich; diese würde nach dem Entwurf auf etwa 8,75 DM täglich, also monatlich unter 180 DM „angehoben". Von diesem Geld will und muß der Gefangene aber auch noch notwendige Einkäufe — Zusatzlebensmittel und Körperpflegemittel — tätigen. Was dann noch übrigbleibt, dient dem Überbrückungsgeld, mit dem der Gefangene den notwendigen Lebensunterhalt für sich und seine Familie für die ersten vier Wochen nach der Entlassung sichern soll (§ 51 Abs. 1 StVollzG). Die Augenwischerei, die diese Überstrapazierung des Täter-Opfer-Ausgleichs in Verbindung mit der Erhöhung des Arbeitsentgeltes darstellt, kann nicht den Blick darauf versperren, daß Sie mit dieser Generalklausel ( „Bereitschaft zum Ausgleich der Tatfolgen") sich weiter der Rechtsprechung entziehen und neue Gründe zur Einschränkung von Lockerungen schaffen wollen. Wo eine materielle Entschädigung der Opfer nicht möglich ist, bleiben nur allgemeine Bußfertigkeit und Heuchelei und deren Anerkennung oder Nichtanerkennung durch die Anstalt. (Dieser Satz entstammt einer Stellungnahme hierzu, die von Prof. Dr. Fest an der Uni Bremen verfaßt wurde). Und die Strafverteidigervereinigungen in der Bundesrepublik sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Etikettenschwindel" weil die Rechte des Gefangenen eingeschränkt würden, ohne daß das Opfer tatsächlich mit einer Schadenswiedergutmachung rechnen könne, die an einer wirklich einigermaßen gerechten Entlohnung scheitere. Immerhin betragen die Schulden eines Gefangenen im Erwachsenengefängnis durchschnittlich 45 000 DM. (s. Stellungnahme der BAG der Sozialarbeiter/Sozialpädagogen in den JVA's v. 27. 1. 89, Blatt 77) Geradezu erschreckend sind die Vorschläge auch in bezug auf den zukünftigen Rechtsschutz für Gefangene: Wie damals befürchtet, soll die Trennscheibe jetzt sogar für Verteidigerbesuche bei „normalen", d. h. nichtterroristischen Gefangenen eingeführt und auch Anwaltspost geöffnet und untersucht werden können (§ 29 Abs. 3). Immerhin hat die Bundesregierung zu diesem Punkt Bedenken angemeldet. Weiterhin sollen Gefangene, die gerichtlichen Rechtsschutz suchen, einen Kostenvorschuß zahlen müssen. Schon jetzt heben die Gerichte die Streitwerte in den entsprechenden Verfahren nach § 109 dermaßen an, daß die Kosten viele Gefangene abschrecken, sich überhaupt noch zur Wehr zu setzen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Hiermit aber schneidet man dem größten Teil der Gefangenen nun endgültig den Weg zum Gericht ab, und das ist ja offensichtlich auch so beabsichtigt. Nur diejenigen, die Privatvermögen im Hintergrund haben, können weiterhin Rechtsschutz beanspruchen. Dieses Sondergesetz gegen Gefangene — denn im Verwaltungsverfahrensrecht gibt es aus gutem Grund keine derartige Vorschußpflicht — wird mit der Behauptung begründet, Gefangene würden „mutwillig und mißbräuchlich " derartige Anträge auf Gerichtsentscheidung stellen. Zum einen ist es aber jetzt bereits so, daß die gefangenen Antragsteller/innen im Falle des Unterliegens selbstverständlich die Gerichts- und Anwaltskosten zu tragen haben, zum anderen liegt die gerichtliche Ablehnung sehr oft darin begründet, daß der Antrag schon aus formalen Gründen unzulässig ist, weil der Betroffene z. B. Fristen versäumt oder Vorverfahren da, wo sie notwendig wären, nicht eingehalten hat. Anstatt in diesem so sensiblen „besonderen Gewaltverhältnis", wie es in Gefängnissen nun mal besteht (BVG), Rechtsmittel zu verkürzen, sollte man z. B. die Prozeßkostenhilfe ausweiten und anwaltliche Beratung in den Anstalten erleichtern. Im übrigen liegt die relativ hohe Mißerfolgsrate dieser Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG sicherlich darin begründet, daß das Strafvollzugsgesetz im Gegensatz zu anderen öffentlich-rechtlichen Gesetzen aus einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe und Ermessensvorschriften besteht. Hier Konkretisierung und damit Rechtssicherheit für Gefangene und Bedienstete zu schaffen wäre ein weitaus sinnvolleres Anliegen einer Reform als die Motive, die hinter dem vorliegenden Entwurf mit seinen hehren Formulierungen mehr schlecht als recht verborgen sind. Die GRÜNEN und andere Kräfte in der bundesrepublikanischen Kriminalpolitik fordern seit langem statt dessen 1. die leistungsgerechte Bezahlung der Gefangenen und ihre Einbeziehung in die Sozial- und Krankenversicherung. (Hierzu werden bedauerlicherweise keine Vorschläge gemacht, statt dessen erlaubt man die mittelalterliche Zellenarbeit über weitere fünf Jahre hinaus.) 2. Lockerungen, offener Vollzug und die Empfehlung von seiten der Anstalt, eine vorzeitige Entlassung nach zwei Dritteln der verhängten Strafe, sollten nicht wie bisher Ausnahme bleiben, sondern zur Regel werden. Würden hierzu die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen, könnte sowohl für die erfolgreiche Resozialisierung des/der einzelnen Gefangenen als auch für die Sicherheit der Bevölkerung weit mehr erreicht werden als durch weitergehende Beschränkungen im Strafvollzug. Auch so bedauerliche und schreckliche Ereignisse, wie die Gladbecker Geiselaffäre sollten niemanden zu solch populistischen Schnellschüssen verführen. Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz: Der Schwerpunkt des Gesetzentwurfs liegt bei den Vorschlägen zur Regelung des Verteidigerverkehrs. Hinichtlich dieses gesamten Komplexes hat die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme eine Überprüfung vorgeschlagen, weil einerseits ein Bedürfnis der Praxis nach wirksamen Maßnahmen nicht von der Hand zu weisen ist, andererseits aber den Belangen einer wirksamen Verteidigung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muß. Über weitere Einzelaspekte des vorliegenden Gesetzentwurfes ist bereits gesprochen worden. Ich möchte deshalb hier nur noch zwei kriminalpolitisch erwünschte Vorschläge herausgreifen: Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 126. Sitzung. Bonn, Freitag, den 17. Februar 1989 9311* Erstens die beabsichtigte Anhebung des Arbeitsentgelts der Gefangenen. Sie wird die Motivation des Gefangenen für seine Arbeit im Vollzug erhöhen. Darüber hinaus wird sie in vielen Fällen auch die Eingliederung nach der Haft erleichtern. Der Gefangene wird nämlich mehr Überbrückungsgelder als bisher ansparen können. Schließlich wird sie dem Täter auch die Möglichkeit eröffnen, schon während des Vollzuges einen Beitrag zur Wiedergutmachung der Tatfolge zu leisten. Die seit langem überfällige Erhöhung des Arbeitsentgelts entspricht damit der Intention des Strafvollzugsgesetzes. Sie wird von der Bundesregierung deshalb uneingeschränkt unterstützt. Zu begrüßen ist zweitens der Vorschlag, Maßnahmen zum Ausgleich von Tatfolgen schon in den Vollzugsplan mit einzubeziehen. Hierin kommt der Gedanke des Täter-Opfer-Ausgleichs zum Ausdruck, der dem Bundesminister der Justiz sehr am Herzen liegt. Wie Sie sich erinnern können, haben wir erst 1986 das Opferschutzgesetz verabschiedet. Es hat als neuen Strafzumessungsgrund auch das Bemühen des Täters um Ausgleich mit dem Verletzten eingeführt. Die Ergänzung des Vollzugsplans würde diesen im Strafrecht verwirklichten Gedanken auf den Strafvollzug übertragen. Auch diese Vorschläge des Gesetzentwurfs sind sicher kein Riesenschritt zur Verbesserung des Strafvollzuges. Sie sind aber ein Beitrag, die soziale Verantwortung und Eingliederung von Gefangenen zu fördern und die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen. Diese Ziele finden die volle Unterstützung der Bundesregierung. Bei Änderungen des Strafvollzugsgesetzes kommt es vor allem darauf an, das Grundprinzip der Resozialiserung des Gefangenen im Auge zu behalten. An dieser Zielrichtung des Strafvollzugsgesetzes ist jeder Änderungsentwurf zu messen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 10. Februar 1989 beschlossen, den nachfolgenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gem. Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Gesetz über Agrarstatistiken (Agrarstatistikgesetz — AgrStatG) Fischwirtschaftsgesetz (FWG) Gesetz zur Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit (FELEG) Gesetz zur Änderung besoldungs- und wehrsoldrechtlicher Vorschriften Gesetz zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und des Wohnungsbaugesetzes für das Saarland (Wohnungsbauänderungsgesetz 1988 — WoBauÄndG 1988) Gesetz zur Schaffung eines Vorrechts für Umlagen auf die Erzeugung von Kohle und Stahl (EGKS-UmVG) Gesetz zu dem Abkommen vom 4. Dezember 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Kuwait zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen Gesetz zu dem Abkommen vom 23. November 1987 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Venezuela zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Unternehmen der Luftfahrt und der Seeschiffahrt Gesetz zu dem Protokoll vom 26. März 1986 zur Änderung des Übereinkommens vom 4. Juni 1974 zur Verhütung der Meeresverschmutzung vom Lande aus Gesetz zur Einführung eines zusätzlichen Registers für Seeschiffe unter der Bundesflagge im internationalen Verkehr (Internationales Seeschiffahrtsregister — ISR) Zu dem letztgenannten Gesetz hat der Bundesrat folgende Entschließung gefaßt bzw. angenommen: Der Bundesrat begrüßt ebenso wie der Deutsche Bundestag die Zielsetzung des Gesetzes, durch die Einführung eines Internationalen Seeschiffahrtsregisters Schiffe unter deutscher Flagge zu halten, einen Beitrag zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit deutschflaggiger Schifte zu leisten und langfristig qualifizierte Arbeits- und Ausbildungsplätze für deutsche Seeleute zu erhalten. Er fordert die Bundesregierung deshalb auf, durch eine Änderung der Schiffsbesetzunqsverordnung umgehend sicherzustellen, daß der überwiegende Anteil der Arbeitsplätze des Führungspersonals und der für die Qualifizierung notwendigen Ausbildungsplätze an Bord der im Internationalen Seeschiffahrtsregister eingetragenen Schiffe für deutsche Seeleute erhalten bleibt. Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuß Drucksache 11/1031 Drucksache 11/2535 Drucksache 11/3277 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 10/5298 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Innenausschuß Drucksache 11/3200 Nr. 2.1 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/3558 Nr. 3.1---3.4, 3.8-3.12 Drucksache 11/3636 Nr. 2.3-2.7, 2.9, 2.10 Drucksache 11/3703 Nr. 2.4 — 2.9 Drucksache 11/3831 Nr. 1, 2, 4-10 Ausschuß für Forschung und Technologie Drucksache 11/2956 Nr. 2.5 Drucksache 11/3021 Nr. 2.13 Drucksache 11/3558 Nr. 3.38 Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat mit Schreiben vom 26. Januar 1989 gemäß § 17 Abs. 5 Postverwaltungsgesetz den Haushaltsplan der Deutschen Bundespost für das Haushaltsjahr 1989 übersandt. Die Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme aus.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Rudolf Seiters


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Präsidentin des Deutschen Bundestages hat heute Geburtstag.

    (Beifall)

    Im Namen aller Fraktionen dieses Hauses möchte ich Ihnen, Frau Süssmuth, zu diesem Tage ganz herzlich und ganz aufrichtig gratulieren und Ihnen weiterhin eine glückliche Hand bei der Führung dieses wichtigen Amtes wünschen. Ich glaube, ich darf auch insoweit im Namen aller Fraktionen sagen: Wir werden Sie in Ihrer Amtsführung nach Kräften unterstützen.
    Alles Gute für Sie und Gottes Segen.

    (Beifall)



Rede von Dr. Rita Süssmuth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Ich danke herzlich für die Glückwünsche, noch mehr für die Unterstützung.
Ich rufe Zusatzpunkt 5 und Punkt 21 der Tagesordnung auf:
ZP5 Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
zu einer möglichen Beteiligung deutscher Firmen an einer C-Waffen-Produktion in Libyen
21. Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über eine mögliche Beteiligung deutscher Firmen an einer C-WaffenProduktion in Libyen
— Drucksache 11/3995 —
Uberweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Auswärtiger Ausschuß
Haushaltsausschuß
Zur Erklärung der Bundesregierung liegen Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/4011 und 11/4012 vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zweieinhalb Stunden vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch. — Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Schäuble.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende schriftliche Bericht, den die Bundesregierung am 15. Februar 1989 verabschiedet hat, legt in großem Umfang bisher geheimgehaltene Unterlagen offen. Das gilt insbesondere für die Berichterstattung des Bundesnachrichtendienstes. Das ist einmalig in der parlamentarischen Geschichte unseres Landes. Aber der Bundesregierung ist daran gelegen, lückenlos aufzuklären, was deutsche Behörden über eine mögliche Mitwirkung deutscher Firmen am Bau der CWaffen-Anlage Rabta in Libyen wußten und was sie getan haben, um das zu verhindern.
    Mit dieser Offenlegung geheimer Dokumente hat sich die Bundesregierung über ausdrückliche Bedenken des Bundesnachrichtendienstes hinweggesetzt, der befürchtet, daß dadurch insbesondere andere Geheimdienste Einblicke in seine Arbeitsweise gewinnen könnten. Die Bundesregierung hat sich diese Entscheidung nicht leichtgemacht, die sie in Erfüllung des Berichtsauftrages des Deutschen Bundestages getroffen hat und für die vor allem die Betroffenheit über eine mögliche Beteiligung Deutscher an einer libyschen Chemiewaffenproduktion und zahlreiche Vorveröffentlichungen ausschlaggebend waren.
    Die Bundesregierung ist Vorkämpferin für die weltweite und völlige Abschaffung aller chemischen Waffen. Auch ihr Interesse an der baldigen Verwirklichung dieses Ziels rechtfertigt die Offenheit des Berichtes. Aber die Außergewöhnlichkeit der Umstände schließt zugleich aus, daß man aus dieser Veröffentlichung einen Präzedenzfall machen kann. Das gilt sowohl für das Parlament wie für die Öffentlichkeit.
    Bereits am 18. Januar 1989 habe ich mich an dieser Stelle um eine korrekte und vollständige Aufklärung bemüht, soweit mir das nach dem damaligen Kenntnisstand möglich war. Der in der Zwischenzeit erstellte schriftliche Bericht der Bundesregierung ist noch detaillierter. Er beruht auf den Angaben aller



    Bundesminister Dr. Schäuble
    beteiligten Ressorts und des Bundesnachrichtendienstes. Er ist mit diesen abgestimmt und einstimmig vom Kabinett beschlossen. Er schildert die Entwicklung bis zum 15. Februar, dem Tag seiner Verabschiedung durch die Bundesregierung.
    Der Bericht zeichnet trotz der vielen zusätzlichen Informationen im wesentlichen das gleiche Bild, über das ich Ihnen schon am 18. Januar berichtet habe. Auch die damaligen Schlußfolgerungen bleiben nach wie vor gültig, nämlich: Die zuständigen Ermittlungsbehörden erhielten unverzüglich alle Informationen, die Anlaß zu gezielten Vorermittlungen geben konnten. Sie haben im Rahmen ihrer Zuständigkeit die erforderlichen Ermittlungsmaßnahmen ergriffen.
    Über meine Feststellung vom 18. Januar hinaus müssen wir auf Grund einer Analyse des Bundesnachrichtendienstes vom 19. und 25. Januar heute davon ausgehen, daß die Anlage in Rabta zur Produktion von chemischen Waffen nicht nur geeignet, sondern auch von vornherein bestimmt war.
    Erste Meldungen über mögliche Pläne zum Bau einer Chemiewaffenfabrik in Libyen erhielt die Bundesregierung vom Bundesnachrichtendienst am 22. April 1980. Hinweise auf den Standort und die mögliche Mitwirkung deutscher Firmen enthielt diese Meldung nicht, so daß konkrete Ermittlungen auf Grund der Unbestimmtheit dieser Meldung nicht möglich waren.
    In der Folgezeit, bis hin zum Sommer 1988, gab es eine große Zahl weiterer Meldungen, die unterschiedliche Tendenzen aufwiesen. Gerüchten über die mögliche Mitwirkung deutscher Firmen standen Meldungen gegenüber, z. B. noch vom 27. Januar vergangenen Jahres, nach denen wahrscheinlich keine deutsche Firma an der Chemiewaffenanlage beteiligt sei.
    In den Jahren seit 1980 haben die jeweils Zuständigen stets veranlaßt, was der jeweilige Erkenntnisstand erforderte und ermöglichte. Die jetzige Bundesregierung hat z. B. im Jahre 1984 Verschärfungen des Außenwirtschaftsrechts vorgenommen, nachdem sie Hinweise auf eine mögliche Mitwirkung deutscher Firmen an einer Chemiewaffenproduktionsanlage im Irak erhalten hatte. Diese Rechtsänderungen, meine Damen und Herren, sind im Bericht im einzelnen aufgeführt.
    Die damalige Bundesregierung — 1980 — hatte in dieser Hinsicht nichts unternommen. Dies ist ihr auch nicht vorzuwerfen, weil das damalige Meldeaufkommen hierzu noch keine Möglichkeit ergab.
    Ein anderes Beispiel: Am 5. Juli 1985 berichtete die deutsche Botschaft in Moskau von Hinweisen eines deutschen Geschäftsmannes, wonach die Firma Imhausen in Hongkong einen Vertrag zur Lieferung eines pharmazeutischen Projekts abgeschlossen habe. Nach Meinung des Informanten gebe es Anhaltspunkte dafür, daß es sich in Wirklichkeit um eine CWaffen-Produktion handle, die für einen unbekannten Standort, möglicherweise Libyen, bestimmt sei.

    (Gansel [SPD]: So war es dann auch!)

    Obwohl der Botschafter bei der Weitergabe dieser Meldung große Skepsis zeigte

    (Zuruf des Abg. Gansel [SPD])

    — ja gut, Herr Gansel, so war die Meldung, und so war das Meldungsaufkommen; gleichwohl hat er die Meldung weitergegeben — , wurde das Bundesamt für Wirtschaft eingeschaltet und der Bundesnachrichtendienst um Überprüfung gebeten.
    Aus dessen ausführlicher Stellungnahme geht hervor, daß die Firma Imhausen zwar von der chemischen Fachkompetenz zur Lieferung aller Arten chemischer Anlagen in der Lage sei, auch von Anlagen, wie sie zur Kampfstoffherstellung benötigt würden; es gebe jedoch keinerlei Indizien für die Beteiligung Imhausens an einem derartigen Projekt. Auch das Bundesamt für Wirtschaft lieferte keine anderen Anhaltspunkte.
    Wiederholt hat die Bundesregierung auch die deutsche Wirtschaft vor Lieferungen sensitiver Produkte aus dem C-Waffen-Bereich an möglicherweise dubiose Abnehmer gewarnt, so z. B., um nur einen im Bericht erwähnten Vorgang zu zitieren, am 10. Juni 1986.
    Erste Hinweise auf eine Mitwirkung der Firma Imhausen am Bau einer C-Waffen-Anlage in Libyen von amerikanischer Seite erhielt die Bundesregierung im Mai 1988.

    (Sellin [GRÜNE]: Ein Jahr später!)

    Hierüber wurde sofort das Zollkriminalinstitut unterrichtet. Der Bundesnachrichtendienst schloß sich unverzüglich mit dem Zollkriminalinstitut kurz, nachdem er im Juli 1988 weitere Informationen erhalten hatte. Beide Behörden hielten im weiteren Ablauf engen Kontakt.
    Erst diese Informationen vom Juli 1988 waren so konkret, daß sie den Ermittlungsbehörden Anlaß zu gezielten Vorermittlungen gegen Imhausen gaben und wohl auch geben konnten. Gleichwohl reichten selbst diese Erkenntnisse im Sommer 1988 den zuständigen Behörden für die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens noch nicht aus.

    (Dr. Knabe [GRÜNE]: Behördenschlaf!)

    — Es hat auch etwas mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.
    Erst das um die Jahreswende 1988/89 in der Bundesrepublik Deutschland aufgefundene Beweismaterial erfüllte die Voraussetzungen für die Einleitung eines förmlichen Ermittlungsverfahrens. Über die Ermittlungsmaßnahmen des Zollkriminalinstituts bringt der Bericht der Bundesregierung alle Einzelheiten, und ich verweise darauf.
    Hinsichtlich des Standes der inzwischen eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, meine Damen und Herren, verweise ich auf Kapitel 3 des Berichts. Sie werden verstehen, daß hierüber weitere Auskünfte zu erteilen nicht der Bundesregierung obliegt, sondern den Justizbehörden der Länder.
    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man die große Anzahl nachrichtendienstlicher Hinweise verfolgt — und dies weist der Bericht im einzelnen aus — , so ergibt sich, daß in den wenigen Fällen, in denen überhaupt Ansatzpunkte für weitere Aufklä-



    Bundesminister Dr. Schäuble
    rung geliefert wurden, Nachforschungen angestellt worden sind. Ich möchte aber ausdrücklich festhalten, daß sich aus der überwiegenden Mehrzahl nachrichtendienstlicher Hinweise konkrete Verdachtsmomente gegen deutsche Firmen nicht ergaben. Dies ist keinerlei Kritik am Bundesnachrichtendienst. Es liegt eben in der Natur nachrichtendienstlicher Arbeit, auch ungesicherte Meldungen weiterzugeben, wenn diese für die politische Arbeit der Regierung von Belang sein können. Nachrichtendienstliche Informationen sind ihrer Natur nach etwas anderes als amtliche Mitteilungen. Sie eignen sich daher auch nicht zur öffentlichen Weitergabe.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    In der Erörterung des Entwurfs dieses Berichts in der zuständigen Ministerrunde vor drei Tagen, meine Damen und Herren, haben wir uns noch einmal die Frage gestellt, warum die für die Arbeit der Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollkommission erst im September 1988 mit diesem Thema befaßt wurde. Präsident Wieck hat dazu erklärt, daß das Meldungsaufkommen vor diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend konkret und gesichert gewesen sei, um dieses Kontrollgremium zu unterrichten. Ich will doch die Bewertung des nachrichtendienstlichen Meldeaufkommens durch den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes bis zum September 1988 zu einer realitätsbezogenen Einschätzung hier noch einmal wörtlich wiedergeben.
    Die Chronologie, die wir vorlegen, bestätigt die Feststellung, die ich am 18. Januar hier getroffen habe, daß die Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt den Informationsfluß zu und zwischen den zuständigen Behörden verzögert hat. Für die Aufklärung möglicher außenwirtschaftsrechtlicher Vergehen und für deren etwaige Verhinderung war aber dieser Informationsfluß zu den Ermittlungsbehörden entscheidend. Es ist nichts versäumt worden.
    In der öffentlichen Diskussion spielt verständlicherweise daneben der Zeitpunkt der Information des Bundeskanzlers und der beteiligten Ressortminister eine wesentliche Rolle. Auch hierzu gibt der uns vorgelegte Bericht erschöpfend Auskunft.
    Der Bundeskanzler wurde erstmals durch Vorlage des Leiters der Abteilung 6 des Bundeskanzleramts vom 20. Oktober 1988 zusammenfassend über die nachrichtendienstlichen Erkenntnisse in bezug auf die libyschen Bemühungen zur Errichtung einer Kampfstoffabrik unterrichtet.

    (Gansel [SPD]: Was heißt ,,zusammenfassend"?)

    — Es war eine zusammenfassende Darstellung einzelner Meldungen des Bundesnachrichtendienstes in einer Vorlage des Leiters der dafür zuständigen Abteilung des Bundeskanzleramts, in der der Stand der Erkenntnisse über Pläne Libyens eine Chemiewaffenfabrik zu erstellen, zusammengefaßt wurde.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Vorher unzusammenfassend?)

    — Aber, liebe Frau Matthäus-Maier! Gut; ich beantworte auch gern die Frage. Der Bundeskanzler wurde
    durch eine zusammenfassende Vorlage vom 20. Oktober 1988 erstmals überhaupt informiert. In dieser war auch eine mögliche Verwicklung der Firma Imhausen erwähnt.
    Am 10. November 1988 berichtet die Deutsche Botschaft in Washington über die Besorgnisse der USA über eine C-Waffen-Fähigkeit Libyens. Sie kündigt für den Besuch des Bundeskanzlers am 15. November 1988 eine besondere Unterrichtung der deutschen Delegation an.
    Über diesen Bericht der Botschaft wird auch das Bundeskanzleramt unterrichtet.
    Am 12. November, zu einem Zeitpunkt übrigens, zu dem der Bundeskanzler zur Teilnahme an der Geburtstagsfeier für Simon Wiesenthal bereits abgereist ist, erhält Bundesminister Genscher einen Brief von Außenminister Shultz, der dem Botschaftsbericht entspricht und keine neuen Informationen über den Botschaftsbericht vom 10. November hinaus enthält.
    Am 15. November erhalten der Bundeskanzler und der Außenminister Genscher beim Gespräch mit Außenminister Shultz in Washington von CIA-Direktor Webster Hinweise auf eine Beteiligung deutscher Firmen, darunter der Firmen Imhausen und IBI, an der möglichen Chemiewaffenanlage in Rabta. Auch habe ein Angestellter von Imhausen in den beiden vergangenen Jahren im Technologiezentrum häufiger technische Hilfe geleistet. Der Bundeskanzler sagt sofortige und schnelle Prüfung zu und kündigt an, daß die gesetzlichen Bestimmungen, falls notwendig, verschärft würden.
    Nach der Rückkehr aus den Vereinigten Staaten unterrichtet der Bundeskanzler am 17. November das Bundeskabinett und am 18. November den Bundessicherheitsrat über die von der Regierung der Vereinigten Staaten erhaltenen Hinweise.
    Weil so viel gern auch ein bißchen falsch dargestellt wird, zitiere ich das, was ich am 18. Januar hier schon verlesen habe, aus dem Protokoll der Sitzung des Bundessicherheitsrats am 18. November 1988 noch einmal. Der Bundeskanzler hat laut Protokoll ausgeführt:
    Von der US-Regierung wären Bilder und Unterlagen über die Produktion chemischer Waffen in Libyen vorgelegt worden. Diese Informationen hätten ihn sehr betroffen gemacht. In den Produktionsstätten in der Wüste würde ein gewaltiges Potential chemischer Waffen hergestellt. Ein beachtlicher Teil der Geräte solle deutscher Herkunft sein, und deutsche Fachleute sollten beteiligt sein. Ein Problem bei der Beurteilung wäre, daß zivile Produkte der chemischen Industrie teilweise kaum zu unterscheiden wären von Substanzen für chemische Waffen. Zunächst einmal müßten wir uns ein klares Bild darüber verschaffen, welche Informationen in den USA vorlägen. Darüber hinaus wäre zu überlegen, was wir tun könnten. Wenn unsere Gesetze nicht ausreichten, müßten wir neue schaffen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das war sehr vernünftig! — Gansel [SPD]: Diese Überlegungen hätte man vor fünf Jahren anstellen müssen!)




    Bundesminister Dr. Schäuble
    Am 20. Dezember 1988 — —

    (Leonhart [SPD]: Schon 1985 lagen Hinweise vor!)

    — Aber Herr Kollege! Ich finde: Wenn Sie wirklich ernst genommen werden wollen mit Ihrem Anspruch auf Information und Aufklärung, sollten Sie den Bericht lesen, sollten Sie zuhören und sollten Sie sich die Information geben lassen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Leonhart [SPD]: Sie haben am 18. Januar das gleiche gesagt!)

    — Aber, wie hätten Sie es denn lieber? Wenn ich am 18. das Gegenteil gesagt hätte, würden Sie mir heute bittere Vorwürfe machen.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich finde, es spricht eigentlich eher für die Bundesregierung, ein bißchen sogar für mich, daß ich schon am 18. Januar im wesentlichen dasselbe gesagt habe und jetzt nur zusätzliche Informationen geben kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD — Gattermann [FDP]: Oft genug wiederholt! — Gansel [SPD]: Wir hätten gewünscht, daß Sie 1985 etwas getan hätten!)

    — Ich habe, Herr Kollege Gansel, vor wenigen Minuten so präzise wie irgend möglich geschildert, was 1985 getan wurde. Es wurde eine sehr vage Meldung, ein Gerücht — —

    (Dr. Vogel [SPD]: Mit Namen und Ort!)

    — Nicht Name und Ort!

    (Dr. Vogel [SPD]: „Imhausen" stand drin im Moskauer Bericht!)

    — Ja. Richtig!

    (Dr. Vogel [SPD]: Und „Hippenstiel" stand auch drin!)

    — Herr Kollege Vogel, es dürfte Ihnen vielleicht nicht ganz neu sein, daß nachrichtendienstliche Meldeaufkommen häufig sehr vage Gerüchte wiedergeben. Deswegen ist auch diesem Hinweis, wie ich gesagt habe, sowohl durch die Einschaltung des Bundesamtes für Wirtschaft wie durch die Einschaltung des Bundesnachrichtendienstes mit allen Möglichkeiten nachgegangen worden; aber es ging uns, wie es Ihnen 1980 ging: Es war eben nicht konkret genug, um weitere Maßnahmen in die Wege zu leiten.

    (Jungmann [SPD]: Jetzt hat er die richtige Kurve gekriegt! — Müller [Pleisweiler] [SPD]: Lesen Sie einmal vor, was 1980 im Bericht stand!)

    — Steht alles im Bericht.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Lesen bildet! — Gansel [SPD]: Genau der gleiche Zeitplan wie bei der U-Boot-Affäre!)

    Ich fahre fort. Am 20. Dezember 1988, also fünf Wochen nach der Sitzung des Bundessicherheitsrats und immer noch vor den ersten Veröffentlichungen — das ist wichtig — , ordnet der Bundeskanzler in der Kabinettssitzung an, daß die Gesetzentwürfe zur Verschärfung des Außenwirtschaftsrechts bis Ende Februar vorzulegen seien. Meine Damen und Herren, wir legen Ihnen heute zwei der fünf Gesetzentwürfe 14 Tage früher vor. Ich lege aber doch Wert darauf, daß diese Frist- und Terminsetzung am 20. Dezember vor jeder ersten Veröffentlichung erfolgt ist.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Erstaunlich! — Müller [Pleisweiler] [SPD]: Wenn man so viel weiß!)

    Dies alles belegt, daß auch den amerikanischen Informationen sofort und mit jedem nur möglichen Nachdruck nachgegangen wurde.
    Demgegenüber war die Zurückhaltung der Bundesregierung mit öffentlichen Erklärungen vor den ersten Veröffentlichungen rechtlich zwingend geboten. Für die Unterrichtung der Öffentlichkeit über mögliche strafrechtliche Verfehlungen von Bürgern sind enge rechtliche Grenzen gesetzt. Der Bürger, übrigens auch seine Firma, darf nicht der Gefahr einer öffentlichen Vorverurteilung mit allen möglichen persönlichen und wirtschaftlichen Folgen ausgesetzt werden. Auch darf die Unterrichtung der Öffentlichkeit nicht die Arbeit der zuständigen Ermittlungsbehörden vereiteln oder verhindern.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Selbstverständlich! )

    Schließlich hatte der Bundesnachrichtendienst, meine Damen und Herren, bis zum 5. Januar dieses Jahres alle seine einschlägigen Meldungen aus Gründen des Quellenschutzes ausdrücklich als nicht gerichts-, d. h. nicht öffentlich verwertbar bezeichnet. Die Bundesregierung hätte fehlerhaft gehandelt, wenn sie über solche Meldungen öffentlich berichtet hätte.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Kittelmann [CDU/CSU]: So ist es! Zuhören, Herr Gansel !)

    Die deutschen Behörden, meine Damen und Herren, haben also im vorgegebenen rechtlichen Rahmen gehandelt. Die nachträgliche Analyse im Zuge der Vorarbeiten für den Bericht der Bundesregierung und in der Auswertung der Erfahrungen, die wir alle miteinander gemacht haben und machen, zeigt jedoch auch: Die bestehenden Gesetze reichen zur wirksamen Kontrolle sensitiver Exporte nicht aus. Eine Reihe entscheidender Tatbestände wird überhaupt nicht erfaßt. Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt machen Kontrollen immer komplizierter.
    Insbesondere können immer neue Stoffe, die für die Produktion etwa von Pharmazeutika oder Düngemitteln dienen, auch zur Herstellung chemischer Waffen verwendet werden. Daher wird es auch immer schwieriger, die Weitergabe solcher Produkte etwa an Länder der Dritten Welt zu kontrollieren. Hier müssen die Genehmigungstatbestände angepaßt werden.
    Gerade für eine wirksame Exportkontrolle im Bereich chemischer Waffen hat sich das bisherige Instrumentarium als unzureichend erwiesen. Die Mängel liegen zum einen im Zugang zu Informationen über Exportbewegungen und zum anderen, meine Damen und Herren, im Informationsaustausch zwischen den Behörden. Eine umfassende Informationsgewinnung und ein ungehinderter Informationsaustausch sind für



    Bundesminister Dr. Schäuble
    die wirksame Kontrolle unerläßlich. Um etwa die CWaffen-Trächtigkeit einzelner Exportvorgänge, z. B. bei getrennter Ausfuhr von verschiedenen Anlageteilen, überhaupt erkennen zu können, müssen die Kontrollbehörden über alle Exportvorgänge informiert sein, und sie müssen die Informationen hierüber miteinander verknüpfen können.
    Diese Verknüpfung ist um so wichtiger, als schon unter normalen Umständen der Export von Industrieanlagen vielfach arbeitsteilig erfolgt. Von dieser Möglichkeit wird gewiß der in noch viel stärkerem Maße Gebrauch machen, der die Exportkontrollen konspirativ umgehen will.
    Meine Damen und Herren, der Bericht stellt fest: Bei einer stärkeren Vernetzung von Informationen hätten wahrscheinlich zu einem früheren Zeitpunkt Konsequenzen ergriffen werden können.

    (Dr. Vogel [SPD]: Ja, ja!)

    Das ist eine bedeutsame Feststellung. Darüber werden wir auf Grund der Vorlage der Bundesregierung in den nächsten Wochen zu reden haben.
    Meine Damen und Herren, der Datenschutz geht vom Grundsatz weitestgehender Datenabschottung aus. Wenn aber Daten über einzelne Exportbewegungen nicht miteinander verknüpft werden dürfen, dann gewinnen wir nie ein Bild über alle sensitiven Exporte.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: So ist es!)

    Ohne Datenverbund, ohne eine Art Rasterfahndung nach potentiell verdächtigen Lieferungen wird es zwangsläufig immer dem Zufall überlassen bleiben, ob die Kontrollbehörden illegale Exporte verhindern können.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Dürfte die OFD Freiburg nicht wissen, daß es Libyen sein kann? — Gansel [SPD]: Gibt es einen Datenschutz zwischen Herrn Schreckenberger und Herrn Kohl? — Dr. Vogel [SPD]: Der Kanzler wird geschützt! — Weitere Zurufe von der SPD)

    — Ich finde, wir lassen das ruhig mal so ein bißchen ablaufen. Es macht ja zwischendurch Spaß, und es dient auch der Entspannung. Es zeigt nur, wie wenig Ihnen daran liegt, informiert zu werden. Sie haben den Bericht offensichtlich nicht gelesen. Sonst könnten Sie hier nicht solches Zeug fragen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Geben Sie eine Antwort darauf!)

    — Sie haben wirklich den Bericht nicht gelesen, sonst könnten Sie hier keinen solchen Unfug fragen. Es tut mir leid.

    (Gansel [SPD]: Wer wird sich diese Lektüre entgehen lassen, Herr Minister!)

    — Das hoffe ich sehr, daß Sie ihn sehr genau lesen. Der Bundestag hat den Bericht angefordert, und wir haben den Auftrag auch erfüllt.
    Sie wollen offenbar nicht so genau etwas über die Problematik des Datenschutzes hören. Ich hoffe, daß wir in den weiteren Beratungen über die Gesetzentwürfe darüber sachlich konstruktiv zusammenarbeiten.
    Wir — die Bundesregierung jedenfalls — haben uns dazu entschlossen, die Informationsgewinnung und den Informationsaustausch zwischen den Kontrollbehörden zu erleichtern. Die Bundesregierung wird sich bemühen, die notwendigen Schutzvorschriften zur Speicherung und Nutzung der Daten zu schaffen, um unbescholtene Unternehmer nicht zu verdächtigen. Aber wir müssen auf der anderen Seite bis an die Grenze des im Datenschutz Zulässigen gehen, wenn wir die Verbreitung sensitiver Technologie zu militärischen Zwecken wirksamer als bisher verhindern wollen.
    Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung bei Verabschiedung dieses Berichtes ein Maßnahmenbündel mit vier Schwerpunkten beschlossen: zum einen neue Exportverbote für militärisch nutzbare Güter; zum zweiten die Verbesserung der Informationsbasis der Kontrollbehörden und des Informationsaustausches zwischen ihnen; zum dritten die Verschärfung bestehender Straf- und Bußgeldbestimmungen und die Einführung der Strafbarkeit für die Mitwirkung von Deutschen bei der Herstellung oder Verbreitung von biologischen und chemischen Waffen, wo immer auf der Welt dies geschieht, ob im In-oder Ausland. Dabei prüfen wir, ob wir dies auch auf atomare Waffen zusätzlich erstrecken können, wo es eine besondere Problematik gibt.

    (Gansel [SPD]: Sehr gut!)

    Den Prüfungsauftrag haben wir am Mittwoch ausdrücklich beschlossen.
    Dazu gehört zum vierten die erheblich verbesserte personelle und materielle Ausstattung der Kontrollbehörden. Bei der Verfolgung von Außenwirtschaftsvergehen sollen künftig auch die Technik und der besondere Sachverstand des Bundeskriminalamtes stärker als bisher genutzt werden.
    Aber, meine Damen und Herren, die Ausweitung der Außenwirtschaftskontrolle — das darf man nicht verschweigen — greift ein Stück weit in das liberale Außenwirtschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland ein. Auch, um daraus nicht zu große Hindernisse für die Abwicklung des Außenhandels entstehen zu lassen, werden die mit der Kontrolle befaßten Behörden besser ausgestattet werden müssen und besser ausgestattet werden.
    Mit der Erstreckung der Geltung außenwirtschaftlicher Strafnormen auf Taten von Deutschen auch im Ausland betritt die Bundesregierung rechtliches Neuland. Sie hält jedoch die dazu geschaffenen Bestimmungen für den mit der Verschärfung der Außenwirtschaftskontrolle verfolgten Zweck für unverzichtbar. Ich denke, daß es völlig unerträglich für uns alle ist, wenn wir noch immer mit Meldungen konfrontiert werden, daß sich möglicherweise deutsche Staatsangehörige irgendwo im Nahen und Mittleren Osten an der Produktion chemischer Waffen beteiligen und sie damit etwas gar nicht Verbotenes tun und sich auch gar nicht strafbar machen. Deswegen wollen wir diese Strafbestimmung einführen. Ich füge hinzu, natürlich wird auch in Zukunft gelten, daß wir keinen hängen, es sei denn, wir hätten ihn denn. Solange sie im Aus-



    Bundesminister Dr. Schäuble
    land sind, werden sie dem Zugriff deutscher Organe dennoch entzogen bleiben.

    (Gansel [SPD]: Da gibt es doch wohl Rechtshilfeabkommen!)

    — Da werden wir dann sicherlich an Herrn Gaddafi herantreten, Herr Gansel. Das wird sicherlich große Erfolgsaussichten haben.

    (Gansel [SPD]: Das war doch — —!)

    — Ich sage das deswegen, Herr Kollege Gansel, weil ich finde, wenn jemand in Libyen ist, kann nur Libyen uns im Wege der Rechtshilfe helfen, daß er zu uns kommt.

    (Gansel [SPD]: Aber mit dem Iran und mit Ägypten!)

    — Wir werden uns darum bemühen. Deswegen führen wir die Bestimmungen ein.
    Aber ich finde doch, Frau Präsidentin, daß wir uns auch in dieser Stunde vor Illusionen hüten müssen. Auch die neuen von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen können eine absolute Kontrolle der Weitergabe sensitiver Technologie an das Ausland nicht garantieren. Meine Damen und Herren, noch so gute Gesetze vermögen — das ist keine neue Erfahrung in der Menschheitsgeschichte — Zuwiderhandlungen nicht völlig ausschließen.
    Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben für die vorgesehene Verschärfung der Außenwirtschaftskontrollen Verständnis bekundet und der Bundesregierung ihre Bereitschaft zur Mitarbeit angeboten. Staat und Wirtschaft haben ein gleichgerichtetes Interesse daran, daß der Export nicht durch das Verhalten einiger weniger in Mißkredit gerät. Vom Export hängt in der Bundesrepublik Deutschland schließlich jeder dritte Arbeitsplatz ab. Deswegen darf er nicht durch das Fehlverhalten einiger weniger in Mißkredit gezogen werden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im übrigen, meine Damen und Herren, ist jede Regierung insbesondere in wirtschaftlich-technischem Bereich auf Know-how, auf Information und Mitarbeit ihrer Industrie und Wirtschaft angewiesen. Wirtschaft und Industrie kennen am ehesten die Entwicklung neuer Produkte in sensitiven Bereichen. Sie wissen vieles, was eine Bürokratie zwangsläufig erst langsamer in Erfahrung bringen kann. Industrie und Handel wissen mehr und reagieren oft effizienter als staatliche Stellen. Warum wohl ist die Soziale Marktwirtschaft allen anderen Organisationsformen an Effizienz weit überlegen!
    Deshalb appelliert die Bundesregierung an das Verantwortungsb ewußtsein der deutschen Wirtschaft und ruft sie zum Dialog und zur Zusammenarbeit auf.
    Die jetzt von uns als Gesetzentwürfe beschlossenen Verbesserungen der außenwirtschaftlichen Gesetzgebung und der Organisationsstruktur im nationalen Bereich muß auch durch verbesserte, verstärkte internationale Zusammenarbeit ergänzt werden. Die Bundesregierung ist in diesem Sinne in den Gremien der Europäischen Politischen Zusammenarbeit tätig geworden. Sie hat darüber hinaus eine gemeinsame Initiative der Zwölf zur Verhinderung der Verbreitung chemischer Waffen im Rahmen der australischen Gruppe vorgeschlagen, der inzwischen die 19 wichtigsten Industrieländer der westlichen Staatengemeinschaft angehören, und sie hat eine weitere Initiative der Zwölf gegenüber der Arabischen Liga vorgeschlagen.
    Ich unterstreiche an dieser Stelle allerdings: Internationale Bemühungen um Nichtverbreitung von chemischen Waffen dürfen auf keinen Fall die Genfer Verhandlungen über eine vollständige Ächtung und Beseitigung der chemischen Waffen ersetzen; sie dürfen nicht zum Alibi werden. Vereinbarungen über die Nichtverbreitung von chemischen Waffen wird die Bundesregierung immer nur als eine Zwischenstufe auf dem Weg zu einem totalen Verbot und einer totalen, weltweiten Beseitigung dieser Waffen verstehen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Beer [GRÜNE]: Sie haben es doch selber verhindert!)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche habe ich wie eine Reihe von Kollegen, wie Sie selbst, Frau Präsidentin — ich im Auftrag des Bundeskanzlers — , Gespräche mit der amerikanischen Regierung, mit führenden amerikanischen Politikern beider Häuser, beider Parteien und mit Vertretern amerikanischer Medien geführt. Ich habe meine Gesprächspartner dabei über die umfassenden politischen, gesetzgeberischen und organisatorischen Schlußfolgerungen unterrichtet, die die Bundesregierung aus jüngsten Vorkommnissen gezogen hat. Ich habe bei Präsident Bush, bei Außenminister Baker, bei Handelsminister Mosbacher volles Vertrauen und Zustimmung zu den von uns eingeleiteten Maßnahmen gefunden. An diesen Diskussionen waren alle besonders engagierten Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses beteiligt. Sie alle haben in diesen Gesprächen die von der Bundesregierung vorgesehenen und vorgeschlagenen Maßnahmen anerkannt. Keiner der Senatoren und Abgeordneten bezweifelte ihre Eignung und Wirksamkeit, künftige sensitive Exporte besser zu verhindern.

    (Kittelmann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

    Mehrfach wurde übrigens auch die Hoffnung auf eine zügige Umsetzung dieser Beschlüsse der Regierung durch den Deutschen Bundestag geäußert. Andererseits zeigte sich auch, daß die Gefahr einer Sanktionsgesetzgebung im Kongreß, die de facto vor allem deutsche Firmen treffen würde, noch nicht abgewendet ist.
    Ich habe an meine amerikanischen Gesprächspartner im Kongreß appelliert, etwaige Sanktionen gegen ausländische Firmen an dieselben rechtsstaatlichen Voraussetzungen zu binden wie Sanktionen gegen amerikanische Firmen. Ich glaube, daß dies ein nicht unbilliges Verlangen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe auch davor gewarnt, ausländische Firmen öffentlich vorab zu verurteilen und sie ohne rechtsstaatliche Untersuchung an den Pranger zu stellen.

    (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!)




    Bundesminister Dr. Schäuble
    Ich habe schließlich erläutert, wie wichtig es ist, die Kooperationsbereitschaft der Industrie zu erhalten. Dies kann nur gelingen, wenn Sanktionen wirklich nur die schwarzen Schafe treffen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die Ächtung der chemischen Waffen ist ein vorrangiges Ziel aller politischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland. Auch aus diesem Grunde ist die Bundesregierung so betroffen, daß möglicherweise deutsche Firmen an der Weitergabe von C-Waffen-Technologie an unverantwortliche Regierungen beteiligt sind.
    Aus diesem Grunde — ich wiederhole das — legt die Bundesregierung trotz Bedenken aus der Sicht des Bundesnachrichtendienstes diesen außergewöhnlichen Bericht vor. Deshalb haben wir auch Gesetzentwürfe vorbereitet, mit denen wir rechtliches Neuland betreten und mit denen wir an die Grenze des wirtschafts- und rechtspolitisch Möglichen gehen. Deshalb nehmen wir auch partielle Erschwerungen für unseren Außenhandel in Kauf.
    Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in den Zielen, so denke ich, sind wir uns alle einig. Das sollte sich auch in der Ernsthaftigkeit zeigen, mit der wir diese Debatte führen müssen. Gemeinsames Ziel von Bundesregierung und Bundestag muß es jetzt sein, die eingeleiteten Maßnahmen zur Verschärfung der Außenwirtschaftskontrollen so schnell wie möglich zu beschließen und in Kraft zu setzen. So notwendig die kritische Aufarbeitung der Vergangenheit ist, lassen Sie uns dennoch gemeinsam das in unserer Verantwortung Stehende für die Zukunft tun.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)