Rede von
Wolfgang
Lüder
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Frau Präsidentin! Persönlich empfinde ich es als schade, daß wir die Debatte um den Antrag der GRÜNEN nicht länger hingezogen haben, weil wir dann vielleicht erreicht hätten, daß unter Ihrer Präsidentschaft ein Volkszählungsdatum für falsch erklärt worden wäre
und der Kollege Richter das vierte Lebensjahrzent in diesem Hause begonnen hätte.
So müssen wir vorher abbrechen, und deswegen will ich ganz schnell zum Punkt, zur Sache kommen.
Die Debatte geht um zwei Vorlagen, von denen die eine durch Zeitablauf überholt und die andere durch Übereilung noch unausgereift ist. Die Unterrichtung der Bundesregierung über den Ablauf der Volkszählung — das ist ja eigentlich der heutige Anlaß der Debatte — können wir zur Kenntnis nehmen. Diese Unterrichtung zeigt, was auch das Ergebnis jetzt bestätigt, daß der Ablauf der Volkszählung ein hohes Maß an Normalität erreichte. Und die neue Vorlage, mit der die SPD die Mehrkosten der Volkszählung dem Bund auferlegen will, werden wir in den Ausschüssen in Ruhe prüfen. Ich halte nichts davon, eilige Resolutionen wie hier die des Deutschen Städtetages, kaum daß das Kopierpapier dafür erkaltet ist, schon für der Weisheit letzten Schluß zu nehmen.
Wir werden sorgfältig prüfen, woher die Mehrkosten eigentlich stammen und wer sie zu vertreten hat, bevor wir hier zur Sache Stellung nehmen.
Wichtiger für heute ist das Ergebnis der Volkszählung, das uns — dank gründlicher Arbeit des Statistischen Bundesamtes und der statistischen Landesämter, für die wir, glaube ich, Dank sagen sollten — jetzt vorliegt. Dieses Ergebnis wird uns noch vielfach beschäftigen. Schon heute meine ich, daß wir drei Konsequenzen ziehen müssen.
Erstens. Die hohe Akzeptanz der Volkszählung bei unseren Bürgern zeigt, um es — Herr Minister, ich darf Sie einmal zitieren — in den Worten Dr. Zimmermanns zu sagen, „daß unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger viel vernünftiger sind, als manche wahrhaben wollten".
Die Konsequenz daraus: Wir können mit dem Bürger rechnen, wenn wir ihn von der Notwendigkeit dessen überzeugen, was wir von ihm wollen. Das verlangt Überzeugung und Bereitschaft zum freiwilligen Engagement. Drohgebärden oder gar Einstufung von Volkszählungsgegnern in der Nähe der Staatsfeinde ist unangemessen und falsch. Deswegen, Herr Minister, muß ich Sie und auch die Landesinnenminiser auffordern, die Namen der Volkszählungsgegner, die in APIS, der Polizeidatei für die Feinde der inneren Sicherheit, stehen, aus dieser Datei zu entfernen.
Zweitens. Die Volkszählung hat manches Überraschende gebracht: Die Irrtümer über die Bevölkerungszahlen in manchen Bundesländern sind erheblich; die finanziellen Konsequenzen wiegen schwer. Noch schwerer aber wiegt, daß der Wohnungsbestand bisher offenbar falsch berechnet wurde.
Ich halte es für eine Verpflichtung des sozialen Bundesstaates, der wir nach unserem Grundgesetz sind, daß hier mit Phantasie und Mut zügig nachgebessert wird. Dabei ist allerdings nicht die Wiederauflage alter Programmschemata gefordert. Nachdenken über neue und schnelle Wege, insbesondere über solche, die sich in unser Wirtschaftssystem einfügen, verspricht schnelleren und wirksameren Erfolg.
Drittens. Manches Ergebnis überrascht nur vordergründig. Herr Dr. Zimmermann, Sie meinten zwar, Sie seien von der Höhe des Ausländeranteils überrascht. Wir haben in der Ausländerdebatte vorhin darüber diskutiert, daß wir bei uns 600 000 Ausländer weniger wohnen haben, als die Behörden das bisher angenommen haben.
Ich meine — das in Ergänzung zu der Debatte vorhin — , daß wir bei der Bewertung auch sehen sollten, daß seit 1970 1 350 000 Kinder ausländischer Mitbürger bei uns geboren wurden. Der größte Teil der Zu-
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8239
Lüder
nahme der Ausländerzahl erklärt sich schon allein aus dieser Zahl.
Da wiederhole ich den Wunsch, die Bitte, ja die Forderung: Wir müssen hier nach Wegen suchen, die Einbürgerung für alle die zu erleichtern, die bei uns bleiben wollen. Dabei nehme ich auch vermehrt Doppelstaatsangehörigkeiten in Kauf, weil ich bikulturelles Leben als Vorteil und nicht als Nachteil sehe.
Noch eine letzte Bemerkung, Frau Präsidentin: Die Ergebnisse der Volkszählung bestätigen ihre Notwendigkeit. Offenbar sind die Methoden der Fortschreibung beim Mikrozensus noch nicht so weit entwickelt, daß auf die Volkszählung ganz verzichtet werden kann. Deshalb sollten wir die Methoden des Mikrozensus weiterentwickeln, um in Zukunft möglichst wenig Volkszählungen zu brauchen.