Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind am Ende eines langen und glanzlosen Debattentags schließlich zu einer der entscheidenden Zukunftsaufgaben dieser Gesellschaft gekommen.
— Meine Damen und Herren, Sie werden mir zustimmen, daß es sich bei dem Ausbau des Hochschulsystems in Forschung und Lehre um eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben handelt.
Ich denke, es steckt viel Symbolik darin, daß dieser Tagesordnungspunkt im Parlament zu fast mitternächtlicher Stunde verhandelt wird.
In der Tat — so möchte ich mir einmal diese Symbolik auszureizen gestatten — muß eine Politik, die aus den Fachhochschulen die Armenhäuser unserer Hochschullandschaft gemacht hat, auch das Licht des Tages scheuen.
Denn was für das Hochschulwesen insgesamt gilt, nämlich der drohende Ruin wesentlicher Teile von Lehre und Forschung, gilt erst recht für die Fachhochschulen.
Es liegt Ihnen heute eine Stellungnahme der Bundesregierung zum Entwicklungsstand und zu den Perspektiven der Fachhochschulen vor. Das politisch Wichtigste jedoch haben diese Bundesregierung und ihr Minister Möllemann nicht vorgelegt, nämlich ein Handlungskonzept, wie diese Regierung die Hochschulprobleme zu bewältigen gedenkt.
Ich kann in dem Beitrag von Herrn Daweke, auf den ich mich gefreut hatte
und auf den ich hoffte eingehen zu können, ein Thema nicht entdecken, um das es wirklich geht, nämlich die Krise des Hochschulsystems.
Sie haben sich dazu nicht geäußert. Sie haben ein idealisiertes Modell von Fachhochschulen gezeichnet. Sie sprachen davon, daß sich die Lage der Fachhochschulen systematisch verbessert habe,
daß die Studienzeiten eines der attraktivsten Elemente im Fachhochschulsystem seien. Nur, Herr Daweke, Sie sprechen von Regelstudienzeiten. Sie sprechen von etwas, was es in der Realität so nicht gibt; denn die Realität sieht so aus, daß sich die durchschnittliche Studiendauer an den Fachhochschulen systematisch der Tendenz der Studiendauern an den Universitäten angleichen.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8229
Wetzel
— Das ist keine Erklärung dafür, daß die Durchschnittsstudiendauer an Fachhochschulen inzwischen 10,3 Semester beträgt,
während die Regelstudienzeit sechs Semester beträgt. Bitte schön, Herr Daweke, wenn Sie darin kein Problem sehen, dann bestätigen Sie nur das Verhalten der maßgeblichen Bildungspolitiker im Bund und in den Ländern, die meinen, ohne nennenswerte Maßnahmen davonkommen zu können.
Die dem Parlament vorgelegte Stellungnahme ist auch ein Beispiel dafür, wie diese Bundesregierung bei Bildungsaufgaben praktische Politik durch unverbindliche Rhetorik ersetzt.
— Herr Daweke, nicht „ach Gott". Die harte Realität sieht so aus: Massenstreiks der Studierenden an Fachhochschulen und Universitäten in Hessen.
Wenn Ihnen das nicht genügt, dann sage ich folgendes: Die Hochschullehrer einer der größten Fachhochschulen, nämlich der Fachhochschule in Hamburg, haben beschlossen, ab übermorgen die Fachhochschule zu schließen, weil kein vernünftiger Lehrbetrieb mehr gewährleistet ist. Das ist die Realität an den Fachhochschulen. Wenn Sie meinen, sich davor drücken zu können, dann hat das mit Politik sehr wenig zu tun.
Sie sprachen vorhin, Herr Daweke, von einer Abstimmung mit den Füßen. Da haben Sie eine dieser Formen von Abstimmung, die nämlich zeigt, was die Studierenden und ihre Lehrenden an den Fachhochschulen von dieser Art von Bildungspolitik halten.
— Möchten Sie vielleicht eine Zwischenfrage stellen?
Meine Damen und Herren, wir werden über diese Stellungnahme der Bundesregierung und den Entschließungsantrag der SPD im Ausschuß weiter verhandeln.
Ich denke aber, folgende Punkte sollten in den Vordergrund gestellt werden:
Erstens. Im Rahmen eines Notprogramms von Bund und Ländern müssen Mittel bereitgestellt und Vereinbarungen getroffen werden, die dazu beitragen, den Fachhochschulen wieder einen verantwortbaren Lehrbetrieb zu ermöglichen. Um zu verdeutlichen, warum ich vorhin von den Fachhochschulen als Armenhäusern sprach, will ich Ihnen dazu vier plastische Kenndaten nennen:
An den universitären Hochschulen stieg zwischen 1977 und 1987 die Zahl der Studierenden um 40 %, während der Stellenzuwachs — einschließlich der Kliniken — 14 % betrug. Noch dramatischer aber hat sich die Überlastsituation an den Fachhochschulen entwickelt. Dort stieg die Zahl der Studierenden nicht nur um 40 %, sondern um 70 %, während der Stellenzuwachs nicht einmal 14 %, sondern nur 8 % betrug, d. h. Überlastsituation in der gegenwärtigen Hochschullandschaft, eine Überlastsituation, die insbesondere die Fachhochschulen betrifft.
Zweitens — dies hängt eng mit dieser Problematik zusammen —: Fachhochschulen benötigen eine den universitären Hochschulen vergleichbare Ausstattung. Das bedeutet u. a.: Es ist nicht nur mehr wissenschaftliches, sondern auch mehr nichtwissenschaftliches Personal erforderlich. Hierzu als kleines Stichwort: Fachhochschule Fulda: 100 Hochschullehrer. Kein einziger dieser Hochschullehrer oder der Hochschullehrerinnen hat überhaupt eine eigene Schreibkraft.
Drittens. Verstärkung der Forschungsmöglichkeiten an Fachhochschulen. Wenn die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme von einer „Eigenständigkeit der Fachhochschulen in Forschung und Entwicklung" spricht, dann geht auch diese Aussage wieder einmal an der Realität vorbei. Die Fachhochschulen sind derzeit fast ausschließlich auf Drittmittelfinanzierung angewiesen, die sie in ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit aufs engste an Marktmechanismen ankoppelt. Die Forschung ist damit prinzipiell Auftragsforschung und nur Auftragsforschung. Von der allgemeinen Forschungsförderung der DFG erhalten die Fachhochschulen ganze 0,1 %.
Herr Daweke, sie haben die DFG angeführt: Ganze 0,1 % erhalten die Fachhochschulen von der allgemeinen Forschungsförderung! Das bedeutet: Gerade an den Fachhochschulen, wo Forschung stark anwendungs- und praxisorientiert ist, fehlt es an Möglichkeiten zur selbständigen Entfaltung einer kritischen Dimension.
Meine Damen und Herren, ich sehe gerade, daß rote Licht fängt an zu blinken. Ich komme zu einem Schlußpunkt.
Wir GRÜNE sind der gut begründbaren Überzeugung,
daß der Verzicht im geltenden Hochschulrahmengesetz auf integrierte Gesamthochschulen ein Fehler war, der, sobald es die politischen Kräfteverhältnisse erlauben, rückgängig gemacht werden muß. Bildungs- und wissenschaftspolitisch liegt unsere Zukunft in einem integrierten Hochschulsystem mit hoher vertikaler und horizontaler Durchlässigkeit.
Wir denken, daß sich so diejenigen Fähigkeiten bei den Studierenden entwickeln können, und zwar auf Grund eigener Entscheidung, auf Grund von Wahlmöglichkeiten, die sie selber nutzen, die wir dringend für die Bewältigung unserer sozialen und ökologischen Zukunftsaufgaben benötigen.
8230 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Wetzel
Ich danke Ihnen.