Rede von
Dr.
Inge
Segall
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Nein, heute abend nicht mehr.
Wir debattieren nachher in der Bar weiter.
Ich will deshalb gleich am Anfang noch einmal folgendes feststellen. Gerade deshalb, weil wir die Risiken der Kernenergie und die Sorgen der Bevölkerung um diese Risiken ernst nehmen, achten wir sehr sorgfältig darauf, daß Errichtung und Betrieb von kerntechnischen Anlagen so sorgfältig wie möglich und unter strikter Beachtung des geltenden Rechts und der höchstmöglichen Sicherheitsstandards vorgenommen werden.
Bezüglich der Übersendung des Sicherheitsberichts für die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf an die österreichische Umweltministerin hat die Bundesregierung bereits Ende August dieses Jahres Stellung genommen. Sie hat dabei im einzelnen dargelegt, daß sie bereits in großem Umfang dem Informationsbedürfnis unseres Nachbarlandes Österreich entgegengekommen ist.
Ich bedauere außerordentlich, daß Österreich bisher nicht bereit ist, ein Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland über die gegenseitige Information und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie mit der Bundesrepublik Deutschland abzuschließen,
so wie wir es auch mit anderen Nachbarstaaten gemacht haben. Ich meine, auch für Österreich müßte es letztlich möglich sein, eine derartige bilaterale Zusammenarbeit völkerrechtlich festzulegen und damit auf gesicherter Grundlage eine intensivere Kooperation zu erreichen. Wir jedenfalls wollen eine möglichst umfassende grenzüberschreitende Zusammenarbeit auch mit Österreich.
Allerdings will ich in diesem Zusammenhang auch nicht verhehlen, daß ich nicht immer Verständnis für die Art und Weise habe, in der sich Bayern in Einzelfällen gegenüber seinem Nachbarland Österreich verhalten hat.
Zur Kritik an dem Verlauf des Erörterungstermins in Wackersdorf gegenüber der Bundesregierung bin ich der Auffassung, daß diese in vollem Umfang unberechtigt ist. Für die Genehmigungsverfahren sind nun einmal die jeweiligen Landesregierungen zuständig. Dies ist unbestritten, so daß Kritik, wenn sie vorgetra-
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Frau Dr. Segall
gen werden sollte, im Kern nur an die bayerische Landesregierung gerichtet werden könnte.
Ich kann jedenfalls der Bundesregierung keine Vorwürfe in bezug auf den Erörterungstermin und die Beendigung am 12. August 1988 machen. Ich verweise hier nur auf die Erörterung, die wir schon im September im Umweltausschuß des Deutschen Bundestages hatten.
Der Erörterungstermin ist ein wichtiger und deshalb auch rechtlich vorgeschriebener Teil des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens nach § 7 Atomgesetz. Zweck ist, daß die erhobenen Einwendungen mündlich erörtert werden. Auch hierzu hat die Bundesregierung bereits schriftlich in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage Stellung genommen. Außerordentlich lange, nämlich über 23 Tage hin, hat die Erörterung stattgefunden.
Gründe dafür, daß die Bundesregierung wegen der Beendigung der Anhörung nach 23 Verhandlungstagen bundesaufsichtlich handeln müßte, kann ich nicht erkennen.
Und wenn der Kollege Stiegler in einer mündlichen Anfrage an die Bundesregierung die Auffassung vertritt, daß der Themenkatalog zur Wiederaufarbeitungsanhörung „nicht einmal im Ansatz aufgearbeitet worden ist" , so frage ich mich, wie viele weitere Monate oder sogar Jahre die Anhörung denn hätte weiter stattfinden sollen.
Wie ich aber oben bereits dargelegt habe, ist hier bezüglich der Durchführung und des Zeitpunkts der Beendigung der Anhörung die bayerische Landesregierung als die zuständige Behörde gefragt. Tatsächlich geht es den GRÜNEN vielmehr darum, wieder einmal auf Bundesebene gegen das Entsorgungskonzept, insbesondere gegen die Wiederaufarbeitung, zu polemisieren und ihre Forderung nach dem Ausstieg aus der Kernenergie vorzutragen.
Die Forderung der Opposition nach einem Baustopp ist auch noch in anderer Hinsicht widersprüchlich. Da wird einerseits ständig kritisiert, daß die Entsorgungsfortschritte mit der tatsächlichen Entwicklung des Anfalls von Abfällen aus Kernkraftwerken nicht Schritt gehalten haben,
andererseits wird alles rechtlich, politisch und tatsächlich Mögliche unternommen, um die Realisierung des
Entsorgungskonzepts und seine Fortschreibung zu verhindern.
Auch unter einem anderen Aspekt ist das Oppositionsverhalten unverständlich und auch im Hinblick auf die Sicherheit unserer Bevölkerung unverantwortlich. Von der Opposition wird immer wieder auf die Problematik der Ausfuhr von gefährlichen Abfällen ins Ausland hingewiesen. Wir sind uns mit Ihnen über die Ablehnung des Mülltourismus völlig einig. Hier wird nun aber von Ihnen für einen Abfallbereich die mögliche und nach Gesetz vorgeschriebene Entsorgung abgelehnt. Soll nach Ihrer Auffassung dieser Abfall, der ja bereits da ist und behandelt werden muß, im Ausland entsorgt werden?
Zur Entsorgung der bei der Nutzung der Kernenergie entstehenden Abfälle sind wir nach dem Gesetz verpflichtet;
eine gesicherte und umweltverträgliche Entsorgung ist für eine weitere Nutzung der Kernenergie notwendig und unumgänglich.
Deshalb haben wir uns immer wieder für eine Fortschreibung des nationalen Entsorgungskonzepts mit Erfolg eingesetzt.
Auch aus den Vorgängen um Transnuklear ziehen wir alle Konsequenzen. Ich nenn hier als Stichworte nur: lückenloses Kontrollsystem über die radioaktiven Abfälle
und verbesserte Überwachung des Brennstoffkreislaufs durch ein Bundesamt für Strahlenschutz.
Die 350-Jahrestonnen-Anlage von Wackersdorf
betrachtet die FDP als die bereits von der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" geforderte großtechnische Demonstrationsanlage zur Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen.
Mit dem Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Umweltgutachten 1987 stimmen wir darin überein, daß die Umweltauswirkungen der Wiederaufarbeitung und der direkten Endlagerung abgewogen werden sollen, ehe eine endgültige Entscheidung für einen oder beide Entsorgungswege gefällt wird.
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Frau Dr. Segall
Wenn sich erweist, daß eine direkte Endlagerung unter Sicherheits- und Kostengesichtspunkten den Vorzug verdient, ist nach unserer Auffassung die Entsorgungsstrategie entsprechend zu ändern. Deshalb hat in diesem Zusammenhang auch meine Partei, zuletzt auf der Sitzung des Bundeshauptausschusses in Berlin im November 1988, gefordert, das Atomgesetz so zu novellieren, daß der gesetzliche Zwang zur Wiederaufarbeitung aufgehoben und die direkte Endlagerung rechtlich möglich wird. Deshalb sollte auch zusätzlich geprüft werden, ob die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf auch in die Lage gebracht werden kann, Brennelemente für die direkte Endlagerung zu konditionieren.
Meine Damen und Herren, die FDP nimmt die Verpflichtung zur umweltverträglichen und sicheren Entsorgung von Abfällen aus kerntechnischen Anlagen ernst. Deshalb werden wir uns für die weiteren notwendigen Entsorgungsschritte einsetzen, denn nicht nur nach der geltenden Rechtslage, sondern auch aus wohlverstandenem Sicherheitsinteresse für unsere Bevölkerung muß eine optimale Entsorgung stattfinden.
Ich danke Ihnen.