Rede von
Ingrid
Becker-Inglau
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ungewollt kinderlos zu sein, kann für viele Paare eine Belastung der Partnerschaft sein.
Wenn ich von der in der Antwort der Bundesregierung wie auch an anderer Stelle bereits mehrfach angenommenen Prozentzahl, nämlich 10 bis 15 % der ungewollt kinderlosen Ehepaare — die etwa gleich große Prozentzahl der unverheirateten festen Paare ist hinzuzurechnen— ausgehe, muß sich die Bundesregierung, insbesondere unsere ehemalige Familienministerin, wenn sie das Klagelied über die zu geringen Geburtenraten anstimmt, fragen lassen: Was hat diese Bundesregierung bisher getan, um wenigstens den Paaren mit dem sehnlichen Kinderwunsch zu helfen?
Nach der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN kann ich die Antwort geben: Sie hat nichts getan. Wie an vielen anderen Stellen im familienpolitischen Bereich gilt auch hier: Nichts außer Worten an vielen Orten.
So verharrt die Bundesregierung bei lange bekannten Feststellungen und Informationen darüber, daß es ungewollte Kinderlosigkeit gibt und daß es unterschiedliche Ursachen für die Unfruchtbarkeit gibt, die einerseits auf körperliche Mängel des einen oder anderen Partners oder beider Partner zurückzuführen sind, andererseits auf ungünstige Lebens- oder Umweltbedingungen. Ich vermisse über diese Aussagen hinaus, daß Ursachenforschung nötig ist und daß man die Absicht habe, hier tätig zu werden, tatsächliche Ansatzpunkte des Handelns. Ich vermisse auch Hinweise auf geplante finanzielle Mittelbereitstellung, um Hilfen zu geben und Beratungsstellen bundesweit in Zusammenarbeit mit den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, die laut Bericht wohl Bereitschaft zur Aufgabenübernahme gezeigt haben, einrichten zu können. Hier sollen ungewollt kinderlose Paare Unterstützung finden, entweder mit der Kinderlosigkeit weiterhin in der Partnerschaft zusammenleben zu können, weil sie nicht bereit sind, sich den inzwischen vielfältigen Techniken der Medizin, die sich zur Tortur entwickeln können, zu unterziehen, oder Ängste vor einer Adoption abzubauen. Aber solche Beratungsstellen haben in unserer Republik, wie die Drucksache 11/2238 deutlich macht, nur Zufallscharakter.
85 % der ungewollt kinderlosen Paare bleiben nach Schätzungen auch dann kinderlos, wenn sie sich einer der vielfältigen Methoden zur künstlichen Befruchtung unterziehen. Diese Methoden werden überall da, wo das Problem als Einzelfall auftaucht, erfolgreich oder erfolglos angewandt. Die bereits angewandten Techniken erfordern unseres Erachtens gesetzliche Regelungen.
Der Gesetzgeber ist bisher erst eingeschritten, wenn es zu so katastrophalen Entwicklungen kommt wie der Eröffnung einer Leihmüttervermittlungsstelle in Frankfurt.
Meine Damen und Herren, inzwischen kann sich die Bundesregierung auch nicht mehr mit der Schwierigkeit der Materie entschuldigen. Die im Februar dieses Jahres geführte Debatte zu dem Antrag „Chancen
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8209
Frau Becker-Inglau
und Risiken der Anwendung neuer Methoden der künstlichen Befruchtung und bei Eingriffen in menschliche Keimzellen" , den meine Fraktion gestellt hat, hat genügend Grundlagen geboten, endlich gesetzgeberisch tätig zu werden. Darin haben wir deutlich Position bezogen. Wir haben aufgezeigt, daß nicht nur strafrechtliche Regelungen, wie sie der seit dem 15. November 1988 vorliegende bayerische Gesetzentwurf vorsieht, getroffen werden müssen. Dieses kann letztes Mittel sein, und es muß unseres Erachtens geprüft werden, ob nicht Änderungen beispielsweise im Gewerberecht ausreichen, Leihmutterschaftsvermittlungsstellen oder kommerzielle Samenbanken zu verhindern oder nur öffentlichen Institutionen die Verfahren der künstlichen Befruchtung zu gestatten. Ich denke, daß das auch ein Beispiel dafür ist. Es gibt sicherlich noch andere, an denen man das deutlich machen kann. Ebenso wäre zu überlegen, ob nicht auch das Gesundheitsrecht der Länder ausreicht, Qualifikationen der dort in diesen Institutionen tätigen Ärzte oder etwa die Ausstattung zu regeln. Auch hätte die Bundesregierung inzwischen gesetzliche Klarheit schaffen können, welche Methoden der künstlichen Befruchtung unter welchen Bedingungen angewandt werden dürfen.
Ich will hier noch einmal unsere Forderungen dazu aufzählen.
Wir lehnen Leihmutterschaft ab. Ich glaube, darüber besteht Konsens bei allen Fraktionen. Ebenso ist die Vermittlung unter Strafe zu stellen. Ich glaube, auch die Begründung ist sehr klar. Wir meinen, daß eine solche Herabwürdigung der Frau als Gebärmaschine nicht mit unseren ethischen und moralischen Wertvorstellungen vereinbar ist.
Ebenso lehnen wir die Verwendung von Samen und Eizellen Dritter ab; die Vermittlung ist ebenfalls zu bestrafen.
Zudem lehnen wir die extrakorporale Befruchtung ab, wenn nicht besondere Voraussetzungen, z. B. eine eileiterbedingte Sterilität, vorliegen. Dabei ist die Entnahme überzähliger Eizellen unzulässig. Ich denke, wir haben im Zusammenhang mit dem Forschungsbereich schon einiges dazu gesagt.
Wir wollen aber die homologe Insemination bei Ehepaaren und bei in fester Gemeinschaft lebenden Paaren zulassen.
Bei der Definition gibt es Unterschiede beispielsweise gegenüber dem bayerischen Vorschlag, aber ich denke, das ist etwas, bei dem wir uns abstimmen müssen, inwieweit wir übereinkommen können, wenn man vielleicht noch mehr Erfahrungen hat. Das läßt sich dann sicherlich noch regeln. Wir meinen, daß eben beide Paare gleichbehandelt werden müssen, wenn die medizinische Unfruchtbarkeit eines Partners oder beider Partner auf anderem Wege nicht überwunden werden kann. Eine intensive Beratung, in der das Wohl des zu zeugenden Kindes im Vordergrund stehen muß, ist durch eigens dafür ausgebildete und zugelassene Ärzte einer solchen Behandlung vorzuschalten. Ich denke, das ist, wie wir meinen, ganz
besonders wichtig bei den Paaren, die in fester Partnerschaft leben.
Aber die Erfahrung mit der Häufigkeit der Ehescheidung zeigt eigentlich, daß es bei Ehepaaren genauso wichtig wäre,
eine solche Beratung vorzunehmen. Wenn ich die homologe Insemination auch für unverheiratete feste Paare zulasse, so muß ich die rechtliche Stellung des Kindes wie bei den ehelichen Kindern sichern. Das ist meines Erachtens Voraussetzung dafür.
Es ist sicherlich keine familienpolitische Grundlage, wenn die homologe künstliche Befruchtung eine Frage des Geldbeutels ist, etwa nach dem Motto: „Wenn du reich bist und ungewollt kinderlos, kannst du dich künstlich befruchten lassen; wenn du arm bist, muß du kinderlos bleiben." Deshalb meine ich, daß die Kosten für eine solche Behandlung, wie es bis zum 31. Dezember dieses Jahres in § 27 der RVO geregelt ist, in dem sogenannten Gesundheits-Reformgesetz der Bundesregierung wiederzufinden sein müssen. Deshalb bitten wir Sie, unserem Entschließungsantrag in der vorgelegten Form zuzustimmen.
Vielen Dank.