Rede von
Thomas
Schröer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt in unserem Land eine breite Koalition der Vernunft: Arbeitgeber und Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsverbände, Parteien und zahllose freie Bürgerinitiativen fordern alle, daß sobald als möglich ein neues Bundesausländergesetz vom Deutschen Bundestag verabschiedet wird. Sie fordern ein Gesetz, das der Tatsache Rechnung trägt, daß 4,6 Millionen Ausländer in unserem Lande zu Hause sind.
— Ich habe die neuesten Zahlen der Volkszählung entnommen.
Unter uns leben 4,6 Millionen Ausländer, denen wir Sicherheit geben müssen, damit sie ihre Lebensplanung wirklich in Angriff nehmen können.
Vor allen Dingen aber brauchen wir ein Gesetz, das mit der Lebenslüge unserer Republik aufräumt,
wir seien nie ein Einwanderungsland gewesen. Wir waren nämlich mit Zustimmung aller politischen Kräfte ein Einwanderungsland.
Ausländische Arbeitnehmer haben zum Wohlstand unseres Landes in hohem Maße beigetragen.
Sie bereichern auch heute die Vielfalt unseres sozialen und kulturellen Lebens. Hieraus erwachsen für uns Verpflichtungen, denen wir Rechnung tragen müssen. Wir sind all denen dankbar, die mit dazu beitragen, daß sich Ausländer bei uns zu Hause fühlen können.
Dem schändlichen Satz von Minister Stoiber, wir seien auf dem Wege zu einer „durchmischten und durchrassten Gesellschaft" , setzen wir entgegen: Wir wollen eine multi-kulturelle Gesellschaft. Kulturelle Vielfalt bedroht uns nicht, sondern sie bereichert uns.
Wir wollen niemanden ausgrenzen. Wir sehen vielmehr unsere Aufgabe darin, alles zu tun, um Verständnis, Achtung und Zusammenarbeit zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft in unserem Lande zu ermöglichen.
Sie werden vielleicht fragen, warum man so viele Sätze darauf verwendet, Selbstverständliches zu sagen.
— Ich komme gleich auf Herrn Zimmermann.
Man muß das einfach deshalb tun, weil diese Regierung sich einen Innenminister leistet, dessen Borniertheit jedes erträgliche Maß übersteigt.
Herr Dr. Zimmermann hat die Vernunft in den Vorruhestand geschickt und ist seither der ungekrönte König an deutschen Stammtischen.
— Sehen Sie, jetzt tue ich das, was Sie nicht tun: Ich höre Ihnen zu.
Er hat es zu verantworten, daß es trotz der vollmundigen Ankündigungen des Bundeskanzlers in seinen Regierungserklärungen von 1983 und 1987 bislang nicht zu einer Novellierung des Ausländergesetzes
8198 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Schröer
von 1965 gekommen ist. Diese Regierung hat sich bei dem Thema „Ausländerrecht" als handlungsunfähig erwiesen.
Wir Sozialdemokraten wollen aber nicht länger warten, und zwar deswegen, weil die Betroffenen nicht länger warten können.
Das ist der Punkt, auf den es ankommt. Die Ausländer haben ein Recht auf Rechte. Deshalb haben wir einen eigenen Antrag vorgelegt, der unsere Position für ein neues Bundesausländergesetz festschreibt.
Ich möchte daraus vier Punkte besonders herausgreifen.
Erstens. Wir wollen — unterhalb der kulturell schwer zu überwindenden Staatsangehörigkeitsfrage — ein Niederlassungsrecht einführen, das den Ausländern, die mehr als acht Jahre unter uns gelebt haben, die gleichen Rechte und Pflichten wie einem Deutschen gibt.
Zweitens. Wir wollen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehegatten.
Ich möchte nicht noch einmal erleben, daß, wie es vor drei Jahren geschehen ist, die Witwe eines türkischen Bergmannes, der unter Tage zu Tode gekommen ist, gegen ihre Abschiebung kämpfen muß. Es bedurfte des Eingreifens des nordrhein-westfälischen Innenministers Schnoor, damit sie nicht abgeschoben wurde.
Nebenbei sage ich dazu: Wenn wir diesen Herbert Schnoor nicht hätten, würde ich mich für einen solchen Vorfall für unser Land schämen.
Drittens. Wir wollen, daß ausländische Ehepaare zusammenleben können und daß sie ihre unter 18jährigen Kinder jederzeit in die Bundesrepublik nachziehen lassen können. In meinen Augen ist es pervers, daß eine deutsche Ehe, wenn die Ehepartner ein Jahr getrennt gelebt haben, als zerrüttet gilt und dann geschieden wird, daß aber bei ausländischen Ehepartnern eine zwei- oder dreijährige Ehebestandsfrist gilt, um die Ehe in Deutschland als gültig anzuerkennen.
Dies muß sich ändern. Eheleute gehören zueinander, so wie auch minderjährige Kinder zu ihren Eltern gehören.
Wer der Überzeugung ist, daß Ehe und Familie des besonderen Schutzes des Staates bedürfen, der macht sich unglaubwürdig, wenn er zwischen deutschen und ausländischen Familien unterscheidet. Hiermit muß Schluß gemacht werden.
Viertens. Wir wollen die Möglichkeit der Abschiebung straffällig gewordener Ausländer drastisch einengen. Es geht nicht an, daß wir einerseits soziale Auffälligkeit der Gesellschaft mit anlasten, uns aber andererseits bei Ausländern unserer eigenen Mitverantwortung durch Abschiebung entziehen. Wer hier geboren und aufgewachsen ist, darf nicht in ein ihm fremdes Land verfrachtet werden, auch wenn er dessen Paß besitzt. Jedes Land muß mit den Problemen fertig werden, die es selbst geschaffen hat.
Meine Damen und Herren, was ich uns allen beim Thema „Ausländerrecht" wünsche, ist die Gelassenheit des CDU-Oberbürgermeisters von Stuttgart, Manfred Rommel. Der hat gesagt — ich kann nicht schwäbisch sprechen, aber ich zitiere es einfach — :
24 % meiner Stuttgarter sind Ausländer, sind alles gute Schwaben, aber noch bessere Stuttgarter. Wenn es ein paar mehr würden, vielleicht würde meine Stadt dann zur Weltstadt.
Meine Damen und Herren, da die Bundesregierung offenkundig in diesem Bereich handlungsunfähig ist, wird die SPD-Fraktion einen eigenen Gesetzentwurf zum Bundesausländergesetz einbringen.
— Das kündigen wir nicht seit Jahren an,
das kündige ich jetzt zum erstenmal an, lieber Herr Gerster.
Wir werden uns dabei an den Leitsätzen orientieren, die Ihnen heute als Antrag vorliegen.
Wichtig ist dabei: Heinz Kühn und Lieselotte Funcke, die bisherigen Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, denen ich an dieser Stelle gerne Dank sagen möchte für ihre so wirkungsvolle und auch zum Teil umstrittene, aber deshalb um so wichtigere Arbeit,
haben uns eines deutlich gemacht: Ausländerpolitik ist mehr als der Vollzug juristischer Vorgaben. An die Stelle politischer und behördlicher Herablassung muß die menschliche Zuwendung zu unseren ausländischen Nachbarn treten. Wir wollen alles tun, um gute Nachbarn zu sein.