Rede von
Gerald
Häfner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Viele in diesem Haus hätten wohl manchmal am liebsten Bürger, die sich einfach darauf beschränken, alle vier Jahre ihre Stimme abzugeben und in die Urne zu werfen — Dieter Hildebrandt hat ja auf diese merkwürdige Bestattungssprache aufmerksam gemacht — , wo die Stimme dann verschwindet, weg ist und nicht mehr verfolgbar ist.
Es gibt aber Fragen, da muß man sich einschalten. Eine solche Frage ist die Frage des Friedens und insbesondere die Frage der Atomraketen gerade in diesem Land, das wie kein anderes in der Welt so dicht mit Atomraketen bestückt ist.
Es gibt in diesem Land Tausende von Bürgerinnen und Bürgern, die sich gewaltfrei, nämlich durch Sitzblockaden, gegen diese Raketen und ihre Stationierung in unserem Land gewehrt haben, die dabei nicht mit einem empfindlichen Übel gedroht haben, die dabei keinerlei Gewalt angewendet haben, die dabei nicht verwerflich gehandelt haben und die dennoch nach § 240 des Strafgesetzbuches, der eben dies, also Gewaltanwendung und verwerfliche Gewalt, voraussetzt, verurteilt worden sind.
Verwerflich — das möchte ich deutlich sagen — sind für mich nicht die Sitzblockaden der Friedensbewegung, sondern verwerflich ist für mich eine Politik, die vorgibt, etwas verteidigen zu wollen, und dabei aufs Spiel setzt, gerade alles dies und noch viel mehr zu zerstören.
Noch immer sind aber Tausende von Verfahren anhängig.
Ich möchte eines hier ganz deutlich sagen: Wer A sagt, der muß nicht auch B sagen, sondern er kann auch erkennen, daß schon A falsch gewesen ist. Wo A für „Atom" steht, gilt dies allzumal. Es gilt aber auch für das, was wir hier zu verhandeln haben, zumal übrigens auch die Justiz nicht immer eindeutig A gesagt hat, sondern sehr, sehr verschieden entschieden hat. Selbst das Bundesverfassungsgericht war in dieser Frage mit 4 : 4 Stimmen gespalten, und auch der Bundesgerichtshofsbeschluß schafft hier nur scheinbare Klarheit. Das heißt, der Gesetzgeber ist gefordert. Deshalb haben die Petenten recht getan, und ich denke, man muß ihnen ausdrücklich danken, daß sie sich an den Gesetzgeber wenden und hier eine Korrektur fordern.
Nun zur Petition selbst. Auch ich meine, daß eine isolierte Amnestie für einen bestimmten Personenkreis oder Zeitraum nicht möglich ist, nicht unserem Rechtssystem entspricht. Insofern stimme ich sogar der Argumentation des Bundesjustizministers zu, wenn er erklärt, der Kreis der Begünstigten sei viel zu eng gefaßt und die hier geforderte Amnestie lasse den Straftatbestand selbst unberührt. Nur, was folgt daraus? Die einzige konsequente Folgerung kann doch nur sein, den Kreis entsprechend auszudehnen und den Straftatbestand selbst, also das Gesetz, in der erforderlichen Weise zu präzisieren, nämlich so, daß der Begriff der Gewalt in § 240 des Strafgesetzbuchs mit einer ausreichend klaren Legaldefinition versehen wird. Dann, aber auch nur dann, ist aus der Sicht meiner Fraktion der Weg für ein Straffreiheitsgesetz frei, das endlich die vielen wegen ihres Engagements für den Frieden nach § 240 Verurteilten von Strafverfolgung freistellt und damit dem innergesellschaftlichen Frieden wie dem Frieden auf der Welt dient.
Meine Fraktion hat hierzu einen Gesetzentwurf vorgelegt, der beide Komponenten enthält, sowohl die Änderung des § 240 StGB, die ich schon aus rechtsstaatlichen und rechtssystematischen Gesichtspunkten für dringend erforderlich halte, und ein Straffreiheitsgesetz, das der Intention der Petenten entspricht. Ich fordere insbesondere Sie, Herr Emmerlich, und die Kollegen von der SPD auf — ich ergänze, daß ich Ihrem Antrag zustimmen werde —, mit uns — endlich, sage ich dazu — in ein Gespräch einzutreten, wie wir hier zu einer gemeinsamen Maßnahme kommen. Denn wenn wir diese Petition — darüber sollten wir uns keine Illusionen machen — an die Bundesregierung überweisen, dann ist die Hoffnung, daß die Bundesregierung handeln wird, nach aller Erfahrung wenig begründet. Wenn wir es also mit der Unterstützung dieser Petition ernst meinen, dann sind wir als Gesetzgeber gefordert und müssen im Bundestag ein entsprechendes Gesetz einbringen. Wir haben das, wie gesagt, schon gemacht. Ich bin bereit — ich möchte ausdrücklich dieses Angebot machen — , auch einen gemeinsamen Antrag, einen gemeinsamen Entwurf vorzulegen, wenn hierzu Bereitschaft in der SPD besteht. Es gibt unterschiedliche Äußerungen in der Öffentlichkeit, aber gerade dies veranlaßt mich zu Hoffnung.
Für heute stimmen wir dem Antrag der SPD zur Änderung der Beschlußempfehlung des Ausschusses zu.