Rede von
Michael
Jung
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Emmerlich, ich bin eigentlich etwas enttäuscht darüber, daß Sie sich hier in Ihrem Vortrag mit den juristischen Bereichen in einer Form der Richterschelte auseinandergesetzt haben;
denn das, worüber wir hier debattieren, sind ja juristische Fragen. Die Grundlage der Diskussion, die wir hier führen, bilden eine Reihe von Verurteilungen sowie die Petitionen, die an uns gerichtet worden sind. Sie haben unter anderem gesagt: Zu Unrecht verurteilt — in hunderten von Verfahren. Ich muß sagen, daraus spricht ein Mißtrauen gegen die Justiz, das von uns nicht nachvollzogen werden kann.
Es geht nicht um die Frage, daß wir keinen Protest gegen unsere Entscheidungen zulassen würden — das ist selbstverständlich — , sondern es geht um die Frage der strafrechtlichen Bewertung. Es geht hier um Petenten, die eine Amnestie für diejenigen fordern, die wegen der Teilnahme an Sitzblockaden wegen Nötigung verurteilt wurden.
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmen dem Erledigungsantrag des Petitionsausschusses zu, weil ein Amnestiebegehren oder gar ein Amnestiegesetz nicht befürwortet werden kann. Herr Kollege, Sie wissen wie ich, daß Amnestie grundsätzlich nur in Ausnahmefällen gewährt werden kann. Das fordert gerade das Rechtsstaatsprinzip, weil wir eine rechtsstaatliche Ordnung mit einem Gerichtsaufbau haben, und das sollten wir als gesetzgebende Gewalt gerade berücksichtigen. Eine Amnestie ist somit nur möglich, wenn keine Möglichkeit zu einer gerechten Regelung vorhanden ist. Ich meine, daß dies gerade in diesem Fall sehr wohl zu bezweifeln ist.
Sie kennen genau wie ich die Möglichkeiten, die unser Strafrecht schon bietet, nämlich die Berücksichtigung des Einzelfalles, die Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens, die Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens unter Auflage oder, wenn dann hinterher das rechtskräftige Urteil vorliegt, die Möglichkeit, ein Gnadengesuch zu stellen.
Das sind Möglichkeiten, die wir an Hand unserer derzeitigen gesetzlichen Regelung bereits haben.
Außerdem hat ja gerade der Bundesgerichtshof entschieden, daß die Fernziele bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind, so daß dies im jeweiligen Einzelfall ebenfalls geschieht.
Sie haben auch überhaupt nicht darauf abgehoben, daß sich unsere höchsten Gerichte mit dieser Frage ja beschäftigt haben, nämlich der Bundesgerichtshof und auch das Bundesverfassungsgericht, die beide zu dem Ergebnis gekommen sind, Herr Kollege, erstens daß im Einzelfall zu prüfen ist, aber zweitens daß Sitzblockaden — das war ja gerade die Klarheit, die herbeigeführt werden mußte — grundsätzlich als strafbare Nötigung im Sinne des § 240 StGB anzusehen sind.
Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, daß im Fall der sogenannten Sitzblockierer von unseren Gerichten, meine Damen und Herren, nach Recht und Gesetz verfahren worden ist. Wenn dem so ist, dann besteht hier kein Bedürfnis, per Amnestiegesetz eine Korrektur anzubringen.
Ich will in diesem Zusammenhang auch sehr deutlich machen, daß es Unterstellungen sind, wenn behauptet wird, die Strafverfolgung sei wegen der politischen Überzeugung der Blockierer durchgeführt worden.
Allein die strafrechtlichen Aspekte sind maßgebend. Sie kennen als Jurist genauso wie ich den Straftatbestand des § 240 des Strafgesetzbuches, den der Nötigung: „Wer einen anderen ... zu einer Handlung .. . oder Unterlassung nötigt ... " Dies ist genau durch die Sitzblockade geschehen.
Ich bin der Meinung, daß hier ganz bewußt geltendes Recht durch den sogenannten zivilen Ungehorsam mit Füßen getreten worden ist. Ob man das bagatellisiert, indem man sagt, das sei eine Regelverletzung, oder nicht — ich meine, man muß hier feststellen: Rechtsbruch bleibt Rechtsbruch.
Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es wegen des Verbotes eines Einzelfallgesetzes unzulässig, eine besondere Personengruppe hier zu amnestieren. Für diese Amnestieregelung besteht auch kein Bedürfnis.
Ich sage, meine Damen und Herren, das findet auch keine Zustimmung bei der Bevölkerung. Was empfindet denn der rechtstreue Bürger, wenn er wegen Falschparkens nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz zur Kasse gebeten wird, während Sitzblockierer, die genau dasselbe noch einmal tun würden, also bei
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8195
Jung
vorhandener Bereitschaft zum Rechtsverstoß, amnestiert werden? Der Bürger darf und muß erwarten, daß nach Recht und Gesetz verfahren wird.
Eine Amnestie ist somit nicht möglich. Deswegen lehnt die CDU/CSU-Fraktion Ihren Antrag ab.