Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Das teuerste Waffensystem in der Geschichte der Bundeswehr, der Jäger 90, wird nicht nur von der SPD-Fraktion abgelehnt, sondern auch aus den Reihen der Koalitionsfraktionen mit skeptischen bis ablehnenden Stellungnahmen begleitet. Der Kollege Wimmer sagte im Ausschuß, er habe dem Jäger 90 „nur mit Bauchschmerzen" zustimmen können. Herr Feldmann von der FDP ist „einfach dagegen" und „hält gar nichts davon" . Sein Kollege Grünbeck hat sogar einen Aufruf unterschrieben, der sich gegen den Jäger ausspricht.
Für Herrn Lambsdorff „läßt sich heute noch nicht absehen", ob man „an dem Projekt ,Jäger 90' festhalten" sollte. Herr Mischnick hat noch im Sommer dieses Jahres einen allgemeinen Kassensturz in Sachen Verteidigungsausgaben verlangt. Sie wären gut beraten gewesen, meine Herren und Damen von der FDP, wenn Sie diesen Kassensturz auch durchgesetzt hätten.
Dann wäre nämlich auch Ihnen aufgegangen, daß es eine finanziell abgesicherte Bundeswehrplanung nicht gibt. Im Gegenteil: Im Verteidigungsministerium herrscht ein grandioses Planungschaos. Da werden an dem öffentlich gefeierten Bundeswehrplan, der für zwölf Jahre gelten soll, ständig Veränderungen vorgenommen. Geplante Waffenbeschaffungen werden gestreckt, geschoben und gestrichen, weil ganz einfach das Geld nicht da ist und weil das Ministerium unsere Warnungen in den Wind geschlagen hat.
Da präsentiert man uns mit großem Gestus eine neue Heeresstruktur, und wenige Monate später, im Mai dieses Jahres, hören wir, daß sich der Inspekteur des Heeres vor der Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU-Fraktion beklagt, daß ihm allein für das Heer über 36 Milliarden DM fehlen, um eben diese Planung durchführen zu können. Mitten in dieses Planungschaos hinein kommt der Jäger 90.
Schon die offiziell veranschlagten 22,5 Milliarden DM sind eine ungeheure Summe. Aber jeder und jede von uns im Raum weiß, daß das alles Makulatur ist. Der Bundesrechnungshof setzt die Kosten schon höher an und beziffert sie für die Entwicklung, Produktion und Nutzung des Jägers auf fast 46 Milliarden DM. Der Bundesrechnungshof hat ebenfalls darauf hingewiesen, daß in diesen 46 Milliarden DM Preissteigerungen und Mittel zur Abdeckung der technologischen Risiken noch gar nicht enthalten sind. An technologischen Risiken ist aber wahrhaft kein Mangel: Die Zelle, das Triebwerk, Avionik und Ausrüstung des Jägers 90 sollen zum größten Teil aus neuen Technologien bestehen, die erst noch entwickelt werden müssen, die es also noch gar nicht gibt.
Zur Abdeckung der daraus entstehenden Kostenrisiken sind lächerliche 332 Millionen DM vorgesehen. Die Triebwerke sollen gar erst drei bis fünf Jahre nach dem Jäger fertig sein.
— So ist es, Herr Rühe. Erkundigen Sie sich einmal. Wenn das kein Beispiel für aberwitzige Planung ist, dann sagen Sie mir einmal, was dafür ein Beispiel wäre.
Preissteigerungen — der Bundesrechnungshof beziffert allein die über die allgemeine Inflationsrate hinausgehenden Kostensteigerungen mit erfahrungsgemäß 3,7 % pro Jahr — kommen in der fabelhaften Rechnung des Verteidigungsministeriums natürlich überhaupt nicht vor.
Die offizielle Kostenrechnung ist bis zur Peinlichkeit geschönt. Sie hat mit der Realität nichts zu tun, sehr viel aber mit dem Wunsch, das Projekt „Jäger 90" um jeden Preis durch den Deutschen Bundestag zu bringen.
Die wahren Lebenswegkosten des Jägers 90 werden nach unseren Berechnungen mindestens 100 Milliarden DM betragen. Das bezieht sich aber nur auf den Anteil der Bundesrepublik Deutschland von 33 % Das Gesamtprojekt auf europäischer Ebene wird damit um die 300 Milliarden DM verschlingen.
Es wäre ein miserables Zeichen für die Zukunftsfähigkeit Europas, wenn der westeuropäische Binnenmarkt
8184 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988
Frau Fuchs
mit einer derart gigantischen Fehlleitung von Mitteln beginnen würde.
Nun hat es bis vor kurzem Unsicherheiten gegeben, ob Spanien den Entwicklungsvertrag unterschreibt und seinen Anteil von 13 % aufrechterhält. Spanien hat vor wenigen Tagen unterschrieben, aber nur um den Preis einer Zusatzvereinbarung, die man aus gutem Grund dem Parlament vorher nicht vorgelegt hat.
Spanien hat ja Schwierigkeiten, seinen Kostenanteil von 13 % an der Entwicklung industriell abzudekken. Die spanische Industrie ist dazu nicht in der Lage. Um Spanien dennoch im Projekt „Jäger 90" zu halten und um zu verhindern, daß die anderen Teilnehmerstaaten größere Anteile zeichnen müssen — Sie erinnern sich, daß ein FDP-Parteitag dies als Ausstiegsgrund genannt hat —, haben die Minister Spanien versprochen, daß es außerhalb der laufenden Phase — das kann ja nur die Produktionsphase sein — Aufträge bekommt oder Aufträge aus ganz anderen Rüstungsprojekten. Damit haben die Minister Jahre, bevor irgendein Parlament über den Eintritt in die Produktionsphase beraten, geschweige denn beschlossen hat, den Spaniern bereits Aufträge aus dieser Produktionsphase zugesagt.
Das nenne ich eine wahrhaft souveräne Mißachtung der Parlamente.
Da nützt es Ihnen, Herr Wimmer, auch gar nichts, wenn Sie in Zeitungsinterviews darauf hinweisen, daß Sie „jetzt nur für den Entwicklungsanteil gestimmt" hätten, um gegen ungerechtfertigte Kostenentwicklungen noch etwas in der Hand zu haben. Dem ist von Ihrem eigenen Minister längst vorgegriffen worden. So witzig finde ich das gar nicht!
Meine Herren und Damen, der Jäger 90 ist nicht nur finanzpolitischer Wahnsinn, das „SDI der Europäer", wie der Kollege Feldmann einmal treffend bemerkte, der Jäger 90 ist auch verteidigungspolitisch überflüssig und abrüstungspolitisch schädlich;
denn das Jagdflugzeug 90 wird nicht nur zur Luftabwehr dienen, sondern auch zum Angriff. Es soll Begleitschutz für den Tornado fliegen, für ein offensives Kampfflugzeug also, das tief in gegnerisches Gebiet eindringen kann.
— Sie müssen sich einmal schlau fragen! — Genau das aber ist unvereinbar mit dem Ziel, zur Stärkung der Stabilität in Europa die Angriffspotentiale in Ost und West abzubauen.
Der Jäger 90 wird die offenkundige Neigung der NATO, die Luftstreitkräfte möglichst lange aus dem Abrüstungsprozeß herauszuhalten, weiter zementieren. Er nimmt uns politischen Handlungsspielraum bei der Abrüstung. Er macht Abrüstung in Europa noch schwerer.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen, was der Kollege Feldmann zur abrüstungspolitischen Bedeutung des Jägers 90 gesagt hat.
— Der ist aus gutem Grunde nicht da, Kollege Ehmke.
Herr Feldmann sagte:
Er paßt eindeutig nicht in die Landschaft. Da die ersten Jäger 1997 ausgeliefert werden sollen, wird das Bedrohungsbild von gestern bis in das nächste Jahrtausend festgeschrieben. Es macht keinen Sinn, erst teuer aufzurüsten, um später abzurüsten.
Das sagte Herr Feldmann. Und recht hat er!
Warum also wurde der Jäger 90 dennoch beschlossen, wo jeder und jede weiß, daß wir damit auf einer finanziellen Zeitbombe sitzen? Etwa, weil er militärisch unentbehrlich ist oder weil es auf dem Weltmarkt keine billigeren Alternativen für leichte Jäger gegeben hätte? Nein, das wahre Motiv für den Jäger ist, daß nur er „die größte Umwegfinanzierung aller Zeiten" ermöglicht hat, wie Herr Lambsdorff das ausdrückt. Es geht hier in Wahrheit gar nicht in erster Linie um militärische Fragen. Es geht um die größte Industriesubvention in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.
Es geht hier um den Eintrittspreis von Daimler-Benz bei MBB.
Hören wir dazu einen fachkundigen Zeugen, Sepp Hort, den ehemaligen stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von MBB. Er sagte in einem Interview:
Ich weiß nur aus Gesprächen mit Herren von Daimler, daß eine positive Entscheidung der Bundesregierung für den Jäger 90 immer eine Vorbedingung war.
Das ist die Wahrheit, meine Herren und Damen von der Koalition, die Sie nicht hören wollen.
Und die Wahrheit ist auch, daß sich die Mehrheit dieses Hauses hat erpressen lassen von jenen Legenden, die Herr Vogels von MBB und andere jahrelang landauf, landab verkündet haben, als sie sagten: Wer aus dem Jäger aussteigt, der steigt auch aus dem Airbus aus.
Heute stehen wir vor einem Trümmerhaufen. Die Mehrheit des Deutschen Bundestages hat unter dem Deckmantel militärischer Argumente mit der größten Subvention in der bundesdeutschen Geschichte geholfen, die Übernahme von MBB durch Daimler-Benz zu finanzieren. Und das ist Bankrott der Politik.
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8185
Frau Fuchs
Meine Herren und Damen, es ist uns nicht verborgen geblieben, daß diese neue Machtzusammenballung auch in der CDU/CSU zu einer Art neuer Nachdenklichkeit geführt hat. Herr Friedmann spricht davon, daß Daimler und MBB 70 % der Entwicklungs-und 60 % der Beschaffungsprogramme im militärischen Bereich vereinigten. Diese neue Nachdenklichkeit hat allerdings noch keine Folgen gezeigt.
Aber ich will Ihnen nicht vorenthalten, zu welch grundsätzlichen Fragestellungen sich der Kollege Wimmer in einem Interview vorgetastet hat,
als er sagte:
Wir haben bei derartigen internationalen Waffenprojekten inzwischen Größenordnungen erreicht, daß man sich fragen muß, ob ein nationales Parlament überhaupt noch in die Lage versetzt wird, dazu eine Entscheidung zu treffen. Beteiligt sind ja die Luftwaffe, das Verteidigungsministerium, die Industrie und die europäischen Partner. Das heißt, es steht, wenn sie sich einig sind, so viel Wissen vor mir, daß ich mich fragen muß, wo denn da überhaupt noch unsere parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten sind. Deswegen laufen wir bei diesen Dingen so ein bißchen neben wichtigen Entscheidungsprozessen her. Die Frage ist, ob wir damit in der Verfassungswirklichkeit noch parlamentarische Demokratie durchführen können. Das ist ein Grundsatzproblem.