Rede von
Karl
Lamers
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zielbestimmung für die deutsch-französische militärische Zusammenarbeit, die nunmehr in dem gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitsrat vorgenommen werden muß, hat der Vorsitzende meiner Fraktion mit dem Bild des europäischen Pfeilers umschrieben. Er hat damit klargemacht, daß die Verwirklichung dieses Zieles gleichbedeutend wäre mit einer grundlegenden Veränderung der politischen und der militärischen Struktur innerhalb des Bündnisses. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, bedürfen die Europäer sowohl großer Kühnheit als auch ebenso großer Besonnenheit.
Ich hoffe, daß die Bundesregierung beide Eigenschaften bei der Arbeit im gemeinsamen Verteidigungsrat belegen wird. Ich hoffe, daß sich alle Länder, daß sich die Bundesrepublik Deutschland und auch Frankreich bewußt sind, daß alle europäischen Länder Unabhängigkeit — genauer gesagt: ein größtmögliches Maß an Unabhängigkeit — nur noch gemeinsam erhalten können, wenn sie ihre Kräfte zusammentun.
Zweitens. Die deutsch-französische Zusammenarbeit und der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsidentität, einer gemeinsamen Sicherheitspolitik, stehen nicht nur nicht im Gegensatz zu der anderen Hauptaufgabe, die sich auf unserem Kontinent stellt, nämlich der Errichtung einer besseren, friedlicheren, stabileren Friedensordnung, sondern im Gegenteil: Sie sind die Voraussetzung für die Erreichung auch dieses Ziels. Westeuropa muß durch die Attraktivität seiner Lebensordnung ein Anreiz sein für tiefgreifende Reformen in allen sozialistischen Ländern, vor allen Dingen der Sowjetunion, darf aber
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8151
Lamers
nie eine Verlockung für hegemoniale Ambitionen sein. Westeuropa, das demokratische Europa, muß Partner der Sowjetunion sein; aber gerade dazu muß es auch in der Lage sein, Gegenpart der Sowjetunion zu sein.
In dieser Vorstellung von der Bedeutung, wenn Sie so wollen: der Macht, auch der militärischen Macht, waren sich die Fraktionen bei der gestrigen Beratung im Auswärtigen Ausschuß auch einig. Ich glaube, daß es hervorgehoben zu werden verdient, daß FDP, CDU/CSU und Sozialdemokraten eine gemeinsame Berichterstattung für den heutigen Tag vorgelegt haben. Das ist ein Erfolg für die deutsche Politik; denn für jedes Land, das sich mit uns auf ein gemeinsames Vorhaben einläßt, ist natürlich nicht nur die Haltung der Regierung, sondern auch die der Opposition von Bedeutung. Je enger das Vorhaben, um das es geht, zusammenführen soll, um so wichtiger wird die Betrachtung der Gesamtlage des Partners. Das, worum es bei dem vorliegenden Gesetzentwurf geht, ist ja in der Tat in letzter Konsequenz nicht mehr und nicht weniger als die Aufforderung an Frankreich und die Bundesrepublik, ihr Schicksal zu teilen, besser: aus der Tatsache, daß sie kein getrenntes Schicksal mehr haben können, die politisch-institutionellen Konsequenzen zu ziehen.
Daß man mit dieser Bereitschaft etwa auf Seiten der Bundesrepublik Deutschland nicht rechnen könnte, wenn die Gefahr bestünde, daß in Frankreich die Kommunisten die Regierung übernähmen, versteht sich ebenso wie umgekehrt, daß man nicht mit Frankreichs Bereitschaft hierzu rechnen dürfte, wenn zu befürchten wäre, daß hierzulande die GRÜNEN die Chance hätten, die Regierung zu stellen oder auch nur als Koalitionspartner einer anderen Fraktion die Regierungspolitik mit zu bestimmen.
Damit bin ich bei Ihrer Position, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD. Ich möchte mich zunächst einmal ausdrücklich bedanken für die gute Zusammenarbeit bei der Abfassung des Berichts.
Aber es bleiben natürlich Fragen, die übrigens — —