Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Rechtsgehorsam gegenüber dem Grundgesetz für das deutsche Volk, Herr Ehmke, als Staatsvolk und für Deutschland zu reden, verlangte in einem wichtigen Vortrag der frühere Bundesverfassungsrichter Professor Willy Geiger. Ohne Zweifel wird über Deutschland mehr als vor drei oder vier Jahren international gesprochen, auch mehr als unter früheren Koalitionen, sicher nicht nur durch unser Verdienst. Aber es wird gesprochen — das kann man doch ohne falsche Bescheidenheit unterstreichen.
Der Bundeskanzler beharrt auf der Vollendung der staatlichen Einheit, ebenso die gemeinsame Bundestagsentschließung vom 24. Januar 1984, der Sie noch zugestimmt haben und — neu — die Berliner FDP-Erklärung, Herr Kollege Hoppe und Herr Kollege Ronneburger, sicher durch Ihre Verdienste.
Das gebieten das Grundgesetz, seine Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht und auch — das darf ich bescheiden sagen, und das ist nicht falscher
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 113. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 1. Dezember 1988 8131
Dr. Czaja
Nationalstolz — die Treue zu unserer Geschichte, unserer deutschen und europäischen Geschichte.
Der Bundeskanzler hat bei seinem ersten Moskauer Besuch, dann gegenüber Honecker und jetzt gegenüber Gorbatschow unmißverständlich die beharrliche Verfolgung dieses Ziels entschieden bekräftigt.
Niemand weiß, wie lange — um ein Wort Kohls aufzunehmen — die historische Vorläufigkeit dies verhindert.
Doch täglich — und jetzt spreche ich Sie an — gilt es,
in den Kernfragen Deutschlands und der Deutschen
— ein FDP-Wort aufgreifend — flexibel und kreativ auf friedlichen Wandel zu setzen!
Meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie die Gemeinsamkeit ansprechen, so bitte ich Sie herzlich, im täglichen Ringen mit uns darum zu wetteifern.
Ich bitte Sie, Herr Bahr, nicht zu resignieren. Ich habe rasch Ihre Rede eingesehen. Ich finde es tragisch
— ich sage es ehrlich so, wie ich es sehe — , daß hier ein zentraler Satz wörtlich heißt:
Wer die deutsche Frage aufwirft, stört Europa. Herr Bahr, ich finde das tragisch gerade bei Ihnen.
— Nein, so sage ich das nicht!
In Moskau sollte man wissen, daß viele deutsche Politiker die Perestroika auch daran messen, ob im Frühjahr auf dem so oft zitierten „weißen Blatt" auch einiges zu unseren berechtigten deutschen Interessen stehen wird, z. B. auch zur Realisierung der an sich vereinbarten Vertretung Berlins durch die Bundesrepublik Deutschland und zu den Bindungen zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik Deutschland.
Herr Bahr, auch das darf ich doch in Ihrer Gegenwart sagen: Die Erklärung Gromykos vom 29. Juli 1970 zu den Ostverträgen als Gewaltverzichtsverträgen, somit zum Offensein der Zukunft ganz Deutschlands für vertragliche Regelungen,
darf von keiner Seite dialektisch ausgehöhlt werden. Vielmehr ist sie durch die Bereitschaft zu ergänzen, die Zukunft eines menschenwürdig strukturierten ganzen Europas zu erörtern.
Der Bundeskanzler hat sich im Februar in Berlin und danach wiederholt ebenso, Herr Bahr, zur Verantwortung für die Gemeinschaft — wie er es sagte — als dem Torso Europas wie zur Verantwortung für ein ganzes menschenwürdiges Europa bekannt. Gerade deshalb — das ist die Antwort, die ich Ihnen gebe, Herr Bahr — konnte, durfte und mußte er heute hier erklären: Wir wollen ein ganzes freies Deutschland in einem ganzen menschenwürdigen Europa. Dieser Satz ist richtig, meine Damen und Herren.
Auch hier sollte und dürfte die SPD mit Blick auf Schumacher und vielleicht auch mit Blick auf das Godes-berger Programm nicht zurückhängen.
Wir sollten vielmehr gemeinsam die EPZ und die Außenpolitik der Gemeinschaft gemäß Art. 30 der Einheitlichen Europäischen Akte, die nirgends die Souveränität der Staaten in Frage stellt, zu einem Kernpunkt aktueller Bemühungen in der EG um schrittweisen Abbau der Teilung Europas und Deutschlands machen oder zu machen versuchen. Gemeinsam und daher überzeugend sollte vorweg die aktuelle Unterstützung jener Mitgliedstaaten dafür eingefordert werden, die bereits durch Art. 7 des Deutschlandvertrages und als NATO-Staaten durch die politische Leitlinie des Harmel-Berichts eigentlich dazu verpflichtet sind.
Neben und zusätzlich zu Sicherheit und kontrollierter Abrüstung sollte auch wieder an die politischen Ursachen der Teilung Europas und Deutschlands herangegangen werden; so wiederholt auch Burt, so wiederholt der scheidende amerikanische Präsident und die britische Premierministerin Thatcher unlängst in Warschau und — ich darf hier auch sagen, weil er vorhin angesprochen wurde — jahrzehntelang Konrad Adenauer, meine Damen und Herren.
Übrigens hat der britische Botschafter 1986 in Essen als Meinung der britischen Regierung — ebenso wie das Bundesverfassungsgericht am 21. Oktober 1987 — eingedenk der Fortgeltung der Berliner Vierer-Erklärungen öffentlich festgestellt, daß dabei vom Gebietsstand Deutschlands von 1937 auszugehen und dann ohne Bruch des Rechtsgehorsams ein politischer Ausgleich, der auch für andere tragbar ist, anzustreben wäre. Ich glaube nicht, daß sich die britische Regierung auf die Deutschnationale Partei bezogen hat, die sich im übrigen zum Schluß auch gespalten hat — ich habe damals als junger Mensch die ganze Deutschnationale Partei politisch bekämpft — und die nicht völlig mit Hitler zusammengegangen ist.
Sehr geehrter Herr Ehmke, mich hat eines sehr geschmerzt: Ich empfinde es bitter, daß sich Herr Vogel — man mag über Europa, über die europäische Integration und Deutschland verschiedener Meinung sein — ständig auf den toten Adenauer beruft. Das ist höchstens ein politisch-politologisch entstellter Adenauer. Ich meine, dieser Tote, der sich hier nicht wehren kann, hat seine Erinnerungen dem deutschen Volk gewidmet. Lesen Sie einmal seine große Rede aus dem Jahre 1949 über die Grenzfragen durch, die den vollen Beifall Ihrer Fraktion gefunden hat. Lesen Sie vielleicht auch einmal das Memorandum, das Adenauer im Jahre 1953 im Zusammenhang mit dem Deutschland-Vertrag zur Grenzfrage an Eisenhower gesandt hat. Dann werden Sie solche Berufungen auf
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Dr. Czaja
den toten Adenauer, der sich ja nicht mehr wehren kann, nicht vornehmen.
Ich glaubte, das in seinem Gedenken sagen zu müssen. Dadurch habe ich eine Minute meiner Redezeit verbraucht, die mir vielleicht nicht angerechnet wird.
Nach den erfolgreichen begrüßenswerten Phasen der bereits erörterten humanitären Erleichterungen und Ansätze zu einer kontrollierten Rüstungsminderung hat die englische Premierministerin in Warschau — genauso wie Sie, Frau Dr. Wilms, heute hier — deutlich den nächsten entscheidenden Schritt zum friedlichen Wandel markiert: mehr praktizierte Menschenrechte vor unserer Tür, jenseits des Eisernen Vorhangs, für — ich sage es deutlich — Nichtdeutsche und Deutsche.