Rede von
Jutta
Oesterle-Schwerin
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90)
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte hier zwei Anträge verlesen, die leider noch nicht schriftlich vorliegen.
Erster Antrag:
Änderungsantrag
der Fraktion DIE GRÜNEN
zur zweiten Beratung des Entwurfs des Haushaltsplans 1989
Geschäftsbereich der Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
In der Abteilung „Familie und Soziales" soll eine Dienststelle „Schwulenreferat" eingerichtet werden.
Im Arbeitsstab „Frauenpolitik" soll eine Dienststelle „Lesbenreerat" eingerichtet werden.
Jede dieser Dienststellen soll durch die Schaffung zwei zusätzlicher Planstellen A 16 und durch die Umgruppierung von Mitarbeiter/innen des Ministeriums personell ausgestattet werden. Mehrkosten: 340 000 DM.
Begründung: Im Bereich Lesben- und Schwulenpolitik zeichnet sich die Bundesregierung durch völlige Untätigkeit aus.
Das Verhältnis der Gesellschaft zu homosexuellen Menschen ist aber eine Frage, die alle angeht. Die Lebenssituationen der Schwulen und der Lesben zu verbessern ist daher eine staatliche Aufgabe. Im Vergleich zu den skandinavischen Ländern, zu den Niederlanden und Frankreich hinkt die Politik der Bundesrepublik in diesem Bereich der europäischen Entwicklung hinterher. Auch die Stellungnahme der Bundesregierung in der letzten Wahlperiode
zu den Belangen von Homosexuellen hat wiederholt gezeigt, daß die Bundesregierung in diesem Bereich weder Kompetenz noch Willen zum Einsatz für gleiche Menschen- und Bürgerrechte für Lesben und Schwule zeigt. Um diesem Mißstand abzuhelfen, ist es erforderlich, daß sich zwei Dienststellen in der Bundesregierung für die Belange der Schwulen und der Lesben zuständig fühlen. Zahlreiche andere Organisationen wie ASTEN und die Bundestagsfraktion der GRÜNEN haben mit der Einrichtung solcher Referate positive Erfahrungen gemacht.
Zweiter Antrag:
In Kapitel 15 02 wird ein neuer Titel — Zuwendung an zentrale Organisationen und für überregionale Maßnahmen der Lesben- und Schwulenbewegung — mit einem Baransatz von 2 Millionen DM eingestellt.
Begründung: 5 bis 15 % der Bevölkerung sind Lesben oder Schwule. Homophobie, die Angst vor der Homosexualität, ist jedoch in der Bundesrepublik immer noch ein weitverbreitetes Phänomen. Schwule und Lesben haben insbesondere vor und in der Phase des coming out mit negativen Selbst- und Fremdbildern über Homosexualität zu kämpfen. Eine wichtige Funktion für die positive Identifizierung mit der eigenen sexuellen Orientierung bieten die Einrichtungen schwuler und lesbischer Subkultur. Die Herausbildung einer schwulen bzw. lesbischen kulturellen Identität, die sich in kulturellen und wissenschaftlichen Initiativen niederschlägt, ist eine wichtige Bereicherung der kulturellen Vielfalt der Bundesrepublik und kann dazu beitragen, gesellschaftliche Vorurteile über Schwule und Lesben abzubauen und ein Klima der Akzeptanz unterschiedlicher Lebensformen zu fördern.
Bundesweiten Organisationen und den beiden Dachverbänden Lesbenring und Bundesverband Homosexualität kommt bei der Koordinierung und dem Informationsaustausch der regionalen Initiative eine wichtige Funktion zu. Sie sind auch oft gefragte Institutionen zu den Fragen der Homosexualität und Anlaufstelle für Hilfe- und Ratsuchende aus dem gesamten Bundesgebiet. Der Bundesverband Homosexualität hat mit Schreiben vom 3. November 1988 alle Fraktionen des Deutschen Bundestages aufgefordert, durch Vorsehen eines entsprechenden Haushaltstitels im Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit eine institutionelle Förderung dieser bundesweiten Organisation zu ermöglichen.
Es wäre gar nicht notwendig gewesen, das hier zu verlesen, wenn das Präsidium diesen Antrag wegen der kleinen Wörtchen „Lesbe" und „schwul" nicht abgelehnt hätte. Aber ich mache das ja gerne. Wie der Herr Wittmann von der CDU ja schon sagte: Die Wörter „Lesbe" und „schwul" werden von mir gerade in diesem Hause immer wieder genüßlich ausgewalzt.