Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag des Kollegen Hoss — ich kann es nicht anders bezeichnen — ist eigentlich ein superkonservativer.
Sie und einige Gewerkschaften wollen am liebsten alles beim alten lassen, den Status quo möglichst festfahren.
— Ich komme darauf, Kollege Hoss, seien Sie beruhigt.
Dabei wird so getan, als lebten wir auf einer Insel der Seligen, als seien wir nicht von den Veränderungen auf dem Weltmarkt, auf dem wir unsere Produkte zu verkaufen haben, abhängig. Wir müssen einfach mit dem Faktum leben, daß es die Konkurrenz aus dem Ausland gibt, wo am Wochenende auch gearbeitet wird. Der Tarifexperte der IG Chemie, Horst Mettke, hat zu Recht darauf hingewiesen: Auch 10 km vor dem Vatikan wird sogar sonntags gearbeitet, und wenn ich mich richtig erinnere, wird auch im Vatikan sonntags gearbeitet.
Wichtig ist auch seine Feststellung, daß die Gewerkschaften nicht die Augen vor der technologischen Entwicklung in den Betrieben verschließen dürften und daß, wenn der tarifliche Vorsprung der Bundesrepublik gegenüber den Nachbarstaaten gehalten werden soll, darüber geredet werden müsse, wo die Gewerkschaften bei Wochenendarbeit an Ecken, wo es Sinn macht, nachgeben können. Es ist zwar überraschend, wenn die Blumschen Vorschläge einerseits von der SPD als völlig unausgegoren bezeichnet werden und andererseits Oskar Lafontaine erklärt, er habe das gleiche Modell als Beleg für seine Thesen angeführt. Auch der von mir geschätzte Professor Farthmann hat gestern abend in Hagen in einer Podiumsdiskussion eine ähnliche Position eingenommen.
Nun sage ich nicht, daß diese Meinungsvielfalt etwas Schlechtes ist, sondern ich glaube, daß dieser Meinungsbildungsprozeß, der in einer Partei oder gesellschaftlichen Gruppe stattfindet, etwas Positives ist. Insoweit hat Streit auch etwas Positives,
insbesondere wenn es zu einem positiven Ergebnis kommt.
Sicher ist richtig an dieser Überlegung, daß die Maschinenlaufzeiten und individuelle Arbeitszeit stärker entkoppelt werden müssen. Mehr Flexibilität ist in allen Bereichen der Wirtschaft notwendig. Wenn ich dennoch diesem Modell, Norbert Blüm, nur bedingt zustimmen mag, gibt es dafür zwei Gründe: Kolleginnen und Kollegen, wir sind Weltmeister in der Arbeitszeitverkürzung. Wir arbeiten viel weniger als alle anderen. Ein japanischer Entwicklungsingenieur arbeitet bis zum Jahre 2000 dreieinhalb Jahre länger als ein deutscher. Das soll uns guttun, so meinen einige.
— Hochverehrter Herr Kollege Scharrenbroich, die Lohnstückkosten bei uns sind etwas niedriger, weil unsere Ingenieure bis jetzt länger gearbeitet haben.
Damit das aber so bleiben kann, müssen sie weiter arbeiten können, und diese Möglichkeit darf ihnen nicht genommen werden.
Das vorgeschlagene Modell mag ja in einigen Großunternehmen, die in Schichtbetrieb produzieren, vertretbar sein, für Handwerksbetriebe, kleine und mittelständische Unternehmer, die nicht mehrere Schichten fahren, ist es meiner Auffassung nach nicht akzeptabel. Hier haben wir das Problem, daß es uns an qualifizierten Kräften fehlt. Wir möchten gerne mehr qualifizierte Leute einstellen, sie fehlen uns.
Deswegen ist es für diesen Bereich sicher nicht richtig, ein solches Modell einzuführen. Es würde auch dem Sinn flexibler Regelungen widersprechen, alles über einen Kamm zu scheren, Kollege Hoss. Flexibilität lebt davon, daß unterschiedliche, den Interessen der Belegschaft und des Unternehmens angepaßte Lösungen gefunden werden.
Angebliche Patentrezepte helfen nicht. Deswegen möchte ich mit der Bitte schließen, die eigentlich den „grünen" Kollegen passen müßte, mit dem Motto: Laßt viele Blumen blühen, aber steckt bitte die Blumen nicht in Zwangsjacken, wie einige das offensichtlich wollen.
Danke schön.