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ID1110602600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/106 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 106. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Czaja 7277 A Erweiterung der Tagesordnung 7277 B Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Ergebnisse der Reise des Bundeskanzlers und seiner Delegation in die UdSSR Dr. Kohl, Bundeskanzler 7278A Dr. Vogel SPD 7284 B Rühe CDU/CSU 7287 D Schily GRÜNE 7291 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 7294 A Heimann SPD 7296 C Frau Geiger CDU/CSU 7299 C Frau Beer GRÜNE 7301 B Genscher, Bundesminister AA 7302 A Erler SPD 7305 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 7307 D Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und des Wohnungsbaugesetzes für das Saarland (Wohnungsbauänderungsgesetz 1988) (Drucksachen 11/3160, 11/3264) 7309C b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Aufhebung des Visumzwanges gegenüber Ungarn (Drucksache 11/2203) 7309 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Für eine Politik der offenen Grenzen — für ein Recht auf Zuflucht — Flüchtlings- und Asylkonzeption (Drucksache 11/3249) 7309D Tagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes (Drucksachen 11/1823, 11/3131) 7310A Tagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Sechzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 11/2726, 11/3123) 7310B Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Drucksache 11/3245) 7310B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 86 zu Petitionen (Drucksache 11/3289) 7310 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 87 zu Petitionen (Drucksache 11/3290) 7310 C Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umwandlung der deutschen Pfandbriefanstalt in eine Aktiengesellschaft (Drucksachen 11/2047, 11/2992) Uldall CDU/CSU 7310 C Dr. Wieczorek SPD 7311D Dr. Solms FDP 7313 C Hüser GRÜNE 7314 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF 7315 A Tagesordnungspunkt 13: a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung für die Bemühungen um Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen in Chile und um Gerechtigkeit für ihre Opfer (Drucksache 11/2985) b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortige Aufnahme der in Chile mit der Todesstrafe bedrohten politischen Gefangenen (Drucksache 11/2986) c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung der Oppositionspresse in Chile (Drucksache 11/2987) Volmer GRÜNE 7316B Schreiber CDU/CSU 7317 D Duve SPD 7319 C Irmer FDP 7321 A Schäfer, Staatsminister AA 7322 B Volmer GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 7323 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN: Errichtung einer internationalen Begegnungsstätte für Frieden und Versöhnung in Guernica, Baskenland zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Geste des Friedens und der Freundschaft durch die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der baskischen Stadt Guernica in Spanien (Drucksachen 11/362, 11/483, 11/3180) Frau Kelly GRÜNE 7324 A Dr. Pohlmeier CDU/CSU 7325 A Duve SPD 7325 C Irmer FDP 7326 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung asylverfahrensrechtlicher und ausländerrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 11/2302, 11/3189) Spranger, Parl. Staatssekretär BMI 7327 D Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 7328 D Dr. Hirsch FDP 7330 D Frau Olms GRÜNE 7332 A Dr. Olderog CDU/CSU 7332 D Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung (Drucksachen 11/2065, 11/3279) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wittmann, Marschewski, Dr. Hüsch, Eylmann, Dr. Langner, Seesing, Geis, Hörster und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kleinert (Hannover), Funke, Irmer und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren (Drucksachen 11/2991, 11/3279) Dr. Pick SPD 7334 B Helmrich CDU/CSU 7334 D Hüser GRÜNE 7335 A Kleinert (Hannover) FDP 7335 C Engelhard, Bundesminister BMJ 7335 D Tagesordnungspunkt 10: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Duve, Dr. Apel, Dr. Penner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erhaltung des halben Mehrwertsteuersatzes für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften (Drucksachen 11/920, 11/1978) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 III b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu einer Mitteilung der Kommission an den Rat über Maßnahmen im Bereich des Buches (Drucksachen 11/706, 11/2505) Weisskirchen (Wiesloch) SPD 7337 A Frau Pack CDU/CSU 7338 A Hüser GRÜNE 7338 D Neuhausen FDP 7339 B Schulhoff CDU/CSU 7340 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF 7341A, 7341D Duve SPD 7341 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags des Abgeordneten Wüppesahl (fraktionslos): Sitzplatz des Abgeordneten Wüppesahl im Plenarsaal (Drucksache 11/3198) Bohl CDU/CSU (zur GO) 7342 B Wüppesahl fraktionslos 7342 B Tagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Humanitäres Kriegsvölkerrecht (Drucksache 11/2118) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Humanitäres Kriegsvölkerrecht (Drucksache 11/3295) Verheugen SPD 7344 A Graf Huyn CDU/CSU 7345 B Frau Schilling GRÜNE 7346 B Irmer FDP 7347 B Dr. Scheer SPD 7348 D Schäfer, Staatsminister AA 7349 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: Humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan im Zusammenhang mit dem Abzug der sowjetischen Truppen (Drucksache 11/2437) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Das Genfer Abkommen zwischen Afghanistan und Pakistan vom 14. April 1988 und humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan (Drucksache 11/3272) Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 7351 C Dr. Holtz SPD 7352 A Frau Folz-Steinacker FDP 7353 B Frau Olms GRÜNE 7354 C Höffkes CDU/CSU 7355 B Schäfer, Staatsminister AA 7356 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1988 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1988) (Drucksachen 11/2742, 11/3293, 11/3297) Regenspurger CDU/CSU 7358 A Lutz SPD 7359 B Dr. Hirsch FDP 7360 B Nächste Sitzung 7361 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 7362* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 7277 106. Sitzung Bonn, den 10. November 1988 Beginn: 15.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens** 11. 11. Amling 11. 11. Antretter 10. 11. Frau Beer 11. 11. Böhm (Melsungen)* 11. 11. Börnsen (Ritterbude) 11. 11. Dr. Bötsch 11. 11. Bühler (Bruchsal)* 10. 11. Dollinger 11. 11. Dr. Dregger 11. 11. Ebermann 11. 11. Frau Eid 11. 11. Dr. von Geldern 10. 11. Dr. Glotz 11. 11. Grüner 10. 11. Frau Dr. Hamm-Brücher 11. 11. Dr. Hauff 11. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Hensel 11. 11. Frau Hoffmann (Soltau) 11. 11. Irmer 10. 11. Dr. Klejdzinski* 10. 11. Dr. Knabe 10. 11. Kolb 10. 11. Leonhart 11. 11. Frau Luuk* 10. 11. Dr. Müller** 11. 11. Müller (Düsseldorf) 10. 11. Frau Nickels 11. 11. Niegel* 10. 11. Paintner 11. 11. Reddemann** 10. 11. Reuschenbach 11. 11. Frau Rock 11. 11. Frau Saibold 10. 11. Dr. Schäuble 10. 11. Scherrer 10. 11. Dr. Schmude 11. 11. Dr. Schneider (Nürnberg) 10. 11. Frau Trenz 11. 11. Voigt (Frankfurt) 11. 11. Frau Wieczorek-Zeul 11. 11.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Besuch in Moskau hat uns einen wichtigen Schritt vorangebracht; das ist ein Meilenstein in der Entwicklung der deutsch-sowjetischen Beziehungen. In der Vorbereitung des Besuchs von Generalsekretär Gorbatschow hier in der Bundesrepublik werden wir dem neu geöffneten Kapitel weitere Substanz geben.
    Wir sind uns alle bewußt, daß die Resonanz, die der Besuch in Moskau in der Weltöffentlichkeit gefunden hat, das Gewicht unterstreicht, das international dem deutsch-sowjetischen Verhältnis gegeben wird; das bedeutet Verantwortung.
    Für die Bundesregierung war dieser Besuch Ausdruck ihres Willens, Vertrauen zu schaffen und auf dieser Grundlage Zusammenarbeit in allen Bereichen als das zentrale Element zur Gestaltung der West-OstBeziehungen einzusetzen. Wir haben festgestellt, Generalsekretär Gorbatschow teilt diese Zielvorstellung.
    Die starke Dynamik, die unsere Beziehung in der jüngsten Zeit kennzeichnet, verpflichtet uns, das Begonnene entschieden fortzusetzen. Das gemeinsame Dokument, das bis zu dem Besuch des Generalsekretärs Gorbatschow im kommenden Jahr erarbeitet werden wird, wird Substanz und Perspektiven der deutschsowjetischen Beziehungen und Zusammenarbeit definieren und zugleich unsere Beiträge zur Annäherung zwischen West und Ost beschreiben. Diesem Dokument wird von beiden Seiten erhebliche Bedeutung zugemessen.
    Wachsendes Vertrauen und die umfassende Bereitschaft zu Dialog und Zusammenarbeit auf allen Ebenen eröffnen große Möglichkeiten. Es ist zutreffend und keineswegs übertrieben, wenn von der zentralen oder auch von der Schlüsselrolle der deutsch-sowjetischen Beziehungen gesprochen wird.
    Das deutsch-sowjetische Verhältnis hat Bedeutung für unsere beiden Staaten, für die Lage in Europa und für das West-Ost-Verhältnis im Guten wie im Schlechten. Die deutsch-sowjetischen Beziehungen haben seit jeher ihre Wirkungen über das bilaterale Verhältnis hinaus entfaltet.
    Wir haben mit dem Moskauer Vertrag aufbauend auf den Erfahrungen unserer gemeinsamen Geschichte die Grundlage für eine langfristige Zusammenarbeit geschaffen. Der Moskauer Vertrag wiederum öffnete den Weg für den Warschauer Vertrag, den Vertrag mit der CSSR, den Grundlagenvertrag mit der DDR und für das Viermächteabkommen für Berlin. Er hat schließlich den Weg freigemacht für die Schlußakte von Helsinki und den darauf bauenden KSZE-Prozeß.
    Der mit dem Moskauer Vertrag eingeleitete Weg hat sich allen Rückschlägen und allen Perioden des Stillstands zum Trotz als tragfähig und übrigens als der einzig mögliche erwiesen. Auch das unterstreicht die Schlüsselrolle der deutsch-sowjetischen Beziehungen.
    Die Entwicklung der West-Ost-Beziehungen heute eröffnet Aussichten auf einen grundlegenden Wandel, vor allen Dingen auf den Abbau von Konfrontation und für eine Kooperation in allen Bereichen. Dabei haben wir keine Berührungsängste. Wir sollten sie gerade in einer Zeit nicht haben, in der die Attraktivität unserer Gesellschaftsordnung eine immer größere Anziehungskraft ausübt, in einer Zeit, in der Politik und Wissenschaft in der Sowjetunion mit großem Ernst unsere Erfahrungen studieren, um herauszufinden, was im Rahmen der Ordnung, die sie sich gegeben haben, daraus abgeleitet werden kann. Nicht Kooperation ist eine Gefahr für Stabilität und Frieden, sondern fortdauernde Konfrontation wäre es.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Mit ihrer Öffnung nach innen und außen hat die Sowjetunion eine grundlegende Reform begonnen — Gorbatschow selbst spricht von einem revolutionären Prozeß — , eine Reform, die sowohl ihre politischen als auch gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und rechtlichen Verhältnisse umgestalten soll.
    Meine Damen und Herren, in einem solchen Entwicklungsprozeß sind wir offen für eine Begegnung der Außenminister der Organisation der westlichen Demokratien mit den Außenministern der Organisationen — ich meine sowohl den Warschauer Pakt wie den RGW — der sozialistischen Staaten. Wir sehen in einer systemöffnenden Zusammenarbeit die Chance für die Schaffung einer europäischen Friedensordnung. Frau Kollegin, dieses Ziel ist das übergeordnete Ziel des Harmel-Berichts von 1967. Damals nämlich, 1967, hat das westliche Bündnis mit der Forderung nach einer europäischen Friedensordnung ein Angebot gemacht, das erst jetzt in der Vision Gorbatschows von dem gemeinsamen europäischen Haus eine konstruktive, von uns zu nutzende Antwort gefunden hat.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

    Beiden Visionen liegt die Erkenntnis zugrunde, daß Europa vom Atlantik bis zum Ural reicht, daß dieses Europa zusammengehört und daß die Menschen in diesem Europa eine tiefe Sehnsucht nach Frieden haben. Beiden Visionen muß auch die Ansicht zugrunde liegen, daß die Schlußakte von Helsinki die Kursbestimmung für eine Friedensordnung ist, in der Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung im friedlichen Wettbewerb miteinander leben können.



    Bundesminister Genscher
    Deshalb, Herr Kollege Schily, kann eine immer stärkere Annäherung der Demokratien in der Europäischen Gemeinschaft dann nicht ein Hindernis für systemöffnende Zusammenarbeit sein, wenn gerade wir und alle unsere Partner für Öffnung sind und unsere Einigung in der Europäischen Gemeinschaft zugleich als ein Angebot für Zusammenarbeit mit den anderen Staaten im ganzen Europa verstehen, seien es die EFTA-Staaten oder die Mitgliedstaaten des RGW.


Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Beer?

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Nein, ich möchte nicht, weil ich die Debatte nicht verlängern möchte, Frau Kollegin. Wir werden sicher noch Gelegenheit haben, darüber zu reden.
    Wenn wir heute darangehen, die Architektur des künftigen Europas zu bestimmen, dann erweist sich darin auch die Lebenskraft der Identität, der unteilbaren europäischen Identität. Sie ist stärker als Ideologien, sie gründet sich auf gemeinsame Geschichte, gemeinsame Kultur, zu der alle Völker beigetragen haben und weiter beitragen sollen — ich stimme dem zu, was Sie über Vielfalt gesagt haben, Herr Kollege Schily —, und sie gründet sich auf das Bewußtsein der gemeinsamen Verantwortung für die Zukunft unseres Kontinents.
    Weder die unterschiedlichen politischen Systeme noch die Perioden des Kalten Krieges, noch militärische Konfrontation, auch nicht die beiden Paktsysteme, die sich hochgerüstet gegenüberstehen, ja nicht einmal Jahrzehnte der Trennung haben aus einem Europa zwei gemacht und übrigens nicht aus einer deutschen Nation zwei deutsche Nationen. Im Gegenteil: Das Bewußtsein unserer europäischen Identität wird immer stärker. Je deutlicher wir Deutschen die Sache des Friedens in Europa zu unserer eigenen Sache machen, um so mehr dienen wir auch unserem nationalen Interesse. Nicht eine neue Wirsind-wieder-wer-Mentalität, sondern unsere Verantwortung in und für Europa wird und muß unsere Politik auch in Zukunft bestimmen. Es ist gewiß keine Anmaßung und keine Überheblichkeit, sondern tief begründete Einsicht in unsere geschichtliche Aufgabe, wenn wir Deutschen Vertrauensbildung zwischen West und Ost gerade als unsere Sache begreifen.
    Die Völker der Sowjetunion, unsere polnischen Nachbarn, unsere Nachbarn in der CSSR blicken mit ihren geschichtlichen Erfahrungen auf uns, auf die Deutschen, wenn sie danach fragen, wie ernst es der Westen mit dem Frieden meint. Die Frage nach ihrer Sicherheit richtet sich in erster Linie an uns und nicht an unsere Verbündeten, von denen die meisten im Kampf gegen Hitler-Deutschland an ihrer Seite gestanden haben. Deshalb ist es unsere Aufgabe, für die Brücke neuen Vertrauens den Hauptpfeiler zu bilden.
    Unser Bemühen, das Bemühen der Bundesrepublik Deutschland, mit der Sowjetunion ein Verhältnis guter und verläßlicher Partnerschaft herzustellen, gibt deshalb auch wirklich niemandem im Westen Anlaß
    zu Mißtrauen. Es hat wahrlich ganz andere Ziele deutscher Politik in diesem Jahrhundert gegeben als das Bemühen um gute Nachbarschaft mit allen Europäern.
    Herr Präsident, wir haben hier in der Bundesrepublik Deutschland durch unsere Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der westlichen Demokratien von der am 8. Mai 1945 wiedergewonnenen Freiheit verantwortlichen Gebrauch gemacht, und das ist eine tiefgreifende Verbindung, die Verbindung der Werte. Die Festigung der Gemeinschaft der westlichen Demokratien, die Schaffung der Europäischen Politischen Union einerseits und das Streben nach Überwindung der Trennung Europas andererseits durch eine europäische Friedensordnung sind doch keine sich widersprechenden, ja es sind in meiner Überzeugung nicht einmal konkurrierende Ziele, von denen das eine nur zum Schaden des anderen verfolgt werden könnte.
    Beide Zielsetzungen haben ihren Ursprung in unserer gemeinsamen europäischen Geschichte. Sie akzeptieren, daß eine Friedensordnung es ertragen muß, daß in ihr auch unterschiedliche gesellschaftliche Systeme vorhanden sind, wenngleich wir alles daransetzen werden, daß durch die Verwirklichung der Werte, die in der Schlußakte von Helsinki niedergelegt sind, so viel wie möglich Schritt für Schritt an Menschenrechten, Freizügigkeit, individueller Entfaltungsmöglichkeit im ganzen Europa durchgesetzt werden kann.
    In den guten und herzlichen Wünschen für den neuen amerikanischen Präsidenten ist die Werteverbindung der europäischen Demokratien mit den nordamerikanischen Demokratien gerade wieder deutlich zum Ausdruck gekommen. Aber ich fand es auch eine große Ermutigung, daß es schon am Tag nach der Wahl zu einem Austausch von Botschaften des guten Willens zwischen dem ersten Mann der Sowjetunion und dem künftigen ersten Mann der Vereinigten Staaten gekommen ist.
    Wir sollten nicht falsche Gleichungen aufmachen. Wir sollten nicht befürchten, daß Verbesserungen im West-Ost-Verhältnis zu Verschlechterungen im WestWest-Verhältnis führen müssen oder umgekehrt; sondern wir sollten auf der einen Seite erkennen, was uns an Werten verbindet, und auf der anderen Seite erkennen, was uns an Verantwortung verbindet, um das Überleben der Europäer in West und Ost sicherzustellen.
    Die Gemeinschaft der Werte führt die Staaten der Europäischen Gemeinschaft über das hinaus, was man als Wirtschaftsgemeinschaft bezeichnet. Das ist eine ganz andere Dimension. Aber die Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft bedeutet doch nicht die Abkehr ihrer Mitglieder von dem Teil Europas, der nördlich, der südlich, der östlich der Grenzen der Europäischen Gemeinschaft liegt, so wie im übrigen unsere immer enger werdende deutsch-französische Zusammenarbeit sich nicht gegen, sondern für das ganze Europa auswirken soll. Die Europäische Gemeinschaft ist nicht das ganze Europa. Deshalb gehören zu ihrem Selbstverständnis Offenheit, Abbau von Trennung und Wille zur Zusammenarbeit.



    Bundesminister Genscher
    Um das Wirklichkeit werden zu lassen, dafür können, wie der Bundeskanzler heute erwähnt hat, durchaus Zusammenkünfte auch der Außenminister der beiden Gemeinschaften — EG auf der einen Seite, RGW auf der anderen Seite — nützlich sein. Die Interdependenz zwischen den Staaten der Europäischen Gemeinschaft und den EFTA-Staaten, aber auch zwischen den Staaten der Europäischen Gemeinschaft und den europäischen Mitgliedern des RGW ist im Grund viel weiter fortgeschritten, als vielen in West und Ost bewußt ist. Ich meine das keineswegs nur in einem ökonomischen Sinn. Es gilt in gleicher Weise für den grenzüberschreitenden Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und für die Erhaltung des Friedens.
    Diese wechselseitige Abhängigkeit in einem guten Sinn enthält ein Entwicklungspotential für das ganze Europa, das bei entschlossener Nutzung durch West und Ost eine grundlegende Änderung der Lage in Europa bewirken kann. Deshalb müssen wir Anwälte einer solchen Entwicklung sein.
    Eine solche durchgreifende Änderung der WestOst-Beziehungen wäre nicht möglich ohne grundlegende Reformen in der Sowjetunion, wie sie mit den Worten Glasnost und Perestroika zur Öffnung nach innen und außen führen sollen. Niemand kann heute noch bestreiten — und es bestreitet auch niemand mehr — , daß eine Sowjetunion, die sich nach innen und nach außen öffnet, für uns ein besserer, ein berechenbarerer Partner als eine Sowjetunion ist, die sich nach außen abschließt und nach innen verhärtet.
    Die von der neuen sowjetischen Führung in Angriff genommene Politik liegt also auch in unserem Interesse. Deshalb wollen wir den Erfolg dieser Politik. Und deswegen werden wir diesen Erfolg nicht behindern, sondern wir sind dafür, ihn in Übereinstimmung mit unseren Interessen zu fördern.

    (Beifall bei Abgeordneten der FDP)

    Ich muß Ihnen sagen: Um so verwunderlicher ist es, und es zeugt eigentlich auch nicht gerade von demokratischem und freiheitlichem Selbstbewußtsein, daß es derzeit Stimmen gibt — man hört sie gelegentlich immer wieder — , die Generalsekretär Gorbatschow als gefährlicher als seine Vorgänger ansehen. Meine Damen und Herren, Demokratien brauchen aus ihrem Selbstverständnis heraus keine Feindbilder, sondern Feindbilder widersprechen ihrem Selbstverständnis.

    (Beifall bei der FDP, der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Es wäre im übrigen schlecht um die westlichen Demokratien bestellt, wenn sie für ihren Zusammenhalt die Angst vor der Sowjetunion brauchten.
    Die Entwicklung der deutsch-sowjetischen Beziehungen auf der Grundlage des Moskauer Vertrages dient dem ganzen Europa. Dabei ist offenkundig, daß wir mit der Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch die Voraussetzungen schaffen für durchgreifende Fortschritte bei der Abrüstung. Wer Europa als Ganzes begreift, wer die Trennung des Kontinents — und das zu Recht — beklagt, der muß jeden Schritt zum Abbau des Trennenden wollen, der muß wollen, daß Konfrontation durch Kooperation abgelöst wird, der kann
    auch nicht die wirtschaftliche und technologische Spaltung unseres Kontinents wollen.
    Das verlangt, daß die Beschränkungen des wirtschaftlichen und technologischen Austausches auf das wirklich unverzichtbare Mindestmaß reduziert werden — aber das übrigens auf beiden Seiten, meine Damen und Herren. Auf westlicher Seite dürfen Vorstellungen keinen Platz haben, die die unbezweifelbare wirtschaftliche und technologische Stärke des Westens als Machtmittel gegen unsere östlichen Nachbarn einsetzen wollen. Unsere wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten sind ein Angebot zur Zusammenarbeit, zu gleichberechtigter Zusammenarbeit und zu beiderseitigem Vorteil. Die im System der sozialistischen Staaten begründeten Probleme, die allerdings können diese Staaten nur selbst lösen. Das können wir nicht.
    Die Erfahrung zeigt: Je ausgeglichener der Entwicklungsstand, desto einfacher, desto größer der Austausch, desto größer auch das Interesse an der Erhaltung stabiler und friedlicher Rahmenbedingungen. Die Qualität der wirtschaftlichen Beziehungen hat auch außenpolitische und sicherheitspolitische Bedeutung.
    Sicherheitspolitisch, meine Damen und Herren, geht es jetzt darum, alle Möglichkeiten von Abrüstung und Rüstungskontrolle zu nutzen und über das Netz der Abschreckung, das Auffangnetz der Ultima ratio, der letzten Vernunft, ein zusätzliches Netz von neuen, kooperativen Strukturen militärischer Sicherheit zu spannen und damit die Risiken zu reduzieren, die sich bei einer ausschließlichen Abstützung auf Abschreckung ergeben würden.
    Es gibt heute schon solche kooperativen Strukturen. Dazu gehören die vertrauensbildenden Maßnahmen der Schlußakte von Helsinki, die Vereinbarungen der Stockholmer Abrüstungskonferenz, mehrere bilaterale Vereinbarungen der USA und der Sowjetunion. Der ABM-Vertrag gehört dabei zu den wichtigsten. Es geht letztlich um die Schaffung einer neuen Qualität von Sicherheit auf der Grundlage kooperativer Sicherheitsstrukturen.
    Die westlichen Vorstellungen von der konventionellen Abrüstung werden diese Strukturen weiter konkretisieren und ausbauen. Autonome Sicherheitsanstrengungen allein reichen im Nuklearzeitalter nicht aus.

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

    Es geht dabei um mehr und nicht weniger Sicherheit. Dem würde es widersprechen, wenn Abrüstung an einer Stelle durch neue Rüstung an anderer Stelle kompensiert werden sollte.

    (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

    Abrüstung und Rüstungskontrolle sind für uns im Atlantischen Bündnis integrale Bestandteile unserer Sicherheitspolitik. Dazu gehört auch die Erkenntnis, daß unbegrenzte Rüstung nicht unbegrenzte Sicherheit schafft, daß aber aus ausgewogener und beiderseitiger Abrüstung zusätzliche Sicherheit gewonnen werden kann.



    Bundesminister Genscher
    Meine Damen und Herren, zu den integralen Bestandteilen der Sicherheitspolitik gehören aber natürlich auch, Frau Kollegin, unsere Verteidigungsanstrengungen, zu denen die Soldaten unserer Bundeswehr ihren friedenssichernden Beitrag leisten. Die Bundeswehr als Wehrpflichtarmee in einer demokratischen Gesellschaft wird nicht zum Denken in Feindbildern erzogen. Feindbilder sind ihr so wesensfremd, wie sie einer freiheitlichen Gesellschaft wesensfremd sind.

    (Widerspruch bei den GRÜNEN) — Ja, das ist so.

    Ganz gewiß, meine Damen und Herren — —