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ID1110601800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/106 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 106. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Czaja 7277 A Erweiterung der Tagesordnung 7277 B Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Ergebnisse der Reise des Bundeskanzlers und seiner Delegation in die UdSSR Dr. Kohl, Bundeskanzler 7278A Dr. Vogel SPD 7284 B Rühe CDU/CSU 7287 D Schily GRÜNE 7291 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 7294 A Heimann SPD 7296 C Frau Geiger CDU/CSU 7299 C Frau Beer GRÜNE 7301 B Genscher, Bundesminister AA 7302 A Erler SPD 7305 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 7307 D Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und des Wohnungsbaugesetzes für das Saarland (Wohnungsbauänderungsgesetz 1988) (Drucksachen 11/3160, 11/3264) 7309C b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Aufhebung des Visumzwanges gegenüber Ungarn (Drucksache 11/2203) 7309 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Für eine Politik der offenen Grenzen — für ein Recht auf Zuflucht — Flüchtlings- und Asylkonzeption (Drucksache 11/3249) 7309D Tagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes (Drucksachen 11/1823, 11/3131) 7310A Tagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Sechzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 11/2726, 11/3123) 7310B Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Drucksache 11/3245) 7310B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 86 zu Petitionen (Drucksache 11/3289) 7310 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 87 zu Petitionen (Drucksache 11/3290) 7310 C Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umwandlung der deutschen Pfandbriefanstalt in eine Aktiengesellschaft (Drucksachen 11/2047, 11/2992) Uldall CDU/CSU 7310 C Dr. Wieczorek SPD 7311D Dr. Solms FDP 7313 C Hüser GRÜNE 7314 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF 7315 A Tagesordnungspunkt 13: a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung für die Bemühungen um Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen in Chile und um Gerechtigkeit für ihre Opfer (Drucksache 11/2985) b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortige Aufnahme der in Chile mit der Todesstrafe bedrohten politischen Gefangenen (Drucksache 11/2986) c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung der Oppositionspresse in Chile (Drucksache 11/2987) Volmer GRÜNE 7316B Schreiber CDU/CSU 7317 D Duve SPD 7319 C Irmer FDP 7321 A Schäfer, Staatsminister AA 7322 B Volmer GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 7323 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN: Errichtung einer internationalen Begegnungsstätte für Frieden und Versöhnung in Guernica, Baskenland zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Geste des Friedens und der Freundschaft durch die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der baskischen Stadt Guernica in Spanien (Drucksachen 11/362, 11/483, 11/3180) Frau Kelly GRÜNE 7324 A Dr. Pohlmeier CDU/CSU 7325 A Duve SPD 7325 C Irmer FDP 7326 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung asylverfahrensrechtlicher und ausländerrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 11/2302, 11/3189) Spranger, Parl. Staatssekretär BMI 7327 D Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 7328 D Dr. Hirsch FDP 7330 D Frau Olms GRÜNE 7332 A Dr. Olderog CDU/CSU 7332 D Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung (Drucksachen 11/2065, 11/3279) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wittmann, Marschewski, Dr. Hüsch, Eylmann, Dr. Langner, Seesing, Geis, Hörster und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kleinert (Hannover), Funke, Irmer und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren (Drucksachen 11/2991, 11/3279) Dr. Pick SPD 7334 B Helmrich CDU/CSU 7334 D Hüser GRÜNE 7335 A Kleinert (Hannover) FDP 7335 C Engelhard, Bundesminister BMJ 7335 D Tagesordnungspunkt 10: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Duve, Dr. Apel, Dr. Penner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erhaltung des halben Mehrwertsteuersatzes für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften (Drucksachen 11/920, 11/1978) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 III b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu einer Mitteilung der Kommission an den Rat über Maßnahmen im Bereich des Buches (Drucksachen 11/706, 11/2505) Weisskirchen (Wiesloch) SPD 7337 A Frau Pack CDU/CSU 7338 A Hüser GRÜNE 7338 D Neuhausen FDP 7339 B Schulhoff CDU/CSU 7340 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF 7341A, 7341D Duve SPD 7341 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags des Abgeordneten Wüppesahl (fraktionslos): Sitzplatz des Abgeordneten Wüppesahl im Plenarsaal (Drucksache 11/3198) Bohl CDU/CSU (zur GO) 7342 B Wüppesahl fraktionslos 7342 B Tagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Humanitäres Kriegsvölkerrecht (Drucksache 11/2118) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Humanitäres Kriegsvölkerrecht (Drucksache 11/3295) Verheugen SPD 7344 A Graf Huyn CDU/CSU 7345 B Frau Schilling GRÜNE 7346 B Irmer FDP 7347 B Dr. Scheer SPD 7348 D Schäfer, Staatsminister AA 7349 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: Humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan im Zusammenhang mit dem Abzug der sowjetischen Truppen (Drucksache 11/2437) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Das Genfer Abkommen zwischen Afghanistan und Pakistan vom 14. April 1988 und humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan (Drucksache 11/3272) Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 7351 C Dr. Holtz SPD 7352 A Frau Folz-Steinacker FDP 7353 B Frau Olms GRÜNE 7354 C Höffkes CDU/CSU 7355 B Schäfer, Staatsminister AA 7356 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1988 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1988) (Drucksachen 11/2742, 11/3293, 11/3297) Regenspurger CDU/CSU 7358 A Lutz SPD 7359 B Dr. Hirsch FDP 7360 B Nächste Sitzung 7361 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 7362* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 7277 106. Sitzung Bonn, den 10. November 1988 Beginn: 15.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens** 11. 11. Amling 11. 11. Antretter 10. 11. Frau Beer 11. 11. Böhm (Melsungen)* 11. 11. Börnsen (Ritterbude) 11. 11. Dr. Bötsch 11. 11. Bühler (Bruchsal)* 10. 11. Dollinger 11. 11. Dr. Dregger 11. 11. Ebermann 11. 11. Frau Eid 11. 11. Dr. von Geldern 10. 11. Dr. Glotz 11. 11. Grüner 10. 11. Frau Dr. Hamm-Brücher 11. 11. Dr. Hauff 11. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Hensel 11. 11. Frau Hoffmann (Soltau) 11. 11. Irmer 10. 11. Dr. Klejdzinski* 10. 11. Dr. Knabe 10. 11. Kolb 10. 11. Leonhart 11. 11. Frau Luuk* 10. 11. Dr. Müller** 11. 11. Müller (Düsseldorf) 10. 11. Frau Nickels 11. 11. Niegel* 10. 11. Paintner 11. 11. Reddemann** 10. 11. Reuschenbach 11. 11. Frau Rock 11. 11. Frau Saibold 10. 11. Dr. Schäuble 10. 11. Scherrer 10. 11. Dr. Schmude 11. 11. Dr. Schneider (Nürnberg) 10. 11. Frau Trenz 11. 11. Voigt (Frankfurt) 11. 11. Frau Wieczorek-Zeul 11. 11.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Vogel, die FDP hat mit Respekt die Art zur Kenntnis genommen, wie Sie die Vorgänge des heutigen Vormittags behandelt haben. Wir wollen uns dem anschließen. Ich sage für die Freie Demokratische Partei: Es ist eine schwierige Aufgabe, an einem solchen Tage und zu einem solchen Anlaß sprechen zu müssen. Niemand wird darum beneidet, wenn er diese Aufgabe wahrnimmt. Aber wir müssen feststellen, daß die Ansprache von heute morgen auf weiten Strecken, wenn auch sicher ungewollt, den Eindruck des Versuchs einer Rechtfertigung oder Teilrechtfertigung der schlimmsten Ereignisse jüngster deutscher Geschichte erweckte. Die Mitglieder der FDP-Fraktion fühlen sich durch diese Rede nicht vertreten.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Reise des Bundeskanzlers und seiner Delegation in die UdSSR war auch nach Auffassung der FDP ein Erfolg. Dieser Erfolg ist nicht zuletzt das Ergebnis einer langfristig auf Kontinuität angelegten Politik, an der die FDP immer beteiligt war und für die ihr Außenminister Hans-Dietrich Genscher in erster Linie steht. Wir sehen mit Vergnügen und nicht mit irgendwelchem Neid die Diskussion darüber, wer denn nun der Erfinder, der Betreiber und der Promotor der Ostpolitik war, und wir denken an die 50er Jahre, an Karl Georg Pfleiderer und viele andere.

    (Rühe [CDU/CSU]: Adenauer!)

    Uns bereitet es Vergnügen, wenn Dinge, die auch von uns mitbetrieben worden sind, von anderen aufgenommen und gemeinsam zum Erfolg geführt werden.

    (Beifall bei der FDP — Schily [GRÜNE]: Pfleiderer hat nicht sehr viel zu sagen gehabt!)

    — Bitte?

    (Schily [GRÜNE]: Er hat nicht die Oberhand gewonnen!)

    — Wenn Sie sich richtig erinnern, Herr Schily, und wenn Sie das damals auch schon so verfolgt hätten, dann wüßten Sie, daß sich von dort an eine ununterbrochene ost- und deutschlandpolitische Diskussion in meiner Partei entwickelt hat, die wir in den verschiedenen Koalitionen — ich komme darauf gleich noch zurück — durchgesetzt haben. Diese Politik, die auf Kooperation und Dialogbereitschaft setzt, hat die Vertrauensbasis mit geschaffen, die zu den deutlich verbesserten deutsch-sowjetischen Beziehungen geführt hat. Vertrauen bedeutet für uns nicht Vertrauensseligkeit. Wir stimmen dem zu, Herr Rühe. Wir haben dies bewiesen. Ich weiß, mancher mag das heute nicht mehr gerne hören. Die heutige Atmosphäre sieht auch nicht mehr so aus. Trotzdem sei es noch mal gesagt. Wir haben dies dadurch bewiesen, daß wir den NATO-Doppelbeschluß nicht nur mit beschlossen — das mit Ihnen von der SPD — , sondern
    auch mit durchgeführt haben — dieses mit Ihnen von der CDU —,

    (Beifall bei der FDP — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das war ein Fehler!)

    mit dem bekannten positiven Ergebnis,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Daß Gorbatschow Generalsekretär wurde! — Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

    das wir heute vor uns haben. — Herr Kollege Ehmke, wenn Sie den Findungsprozeß im Zentralkomitee und Politbüro der KPdSU so gut beherrschen, dann können Sie uns vielleicht ein paar nähere Informationen darüber vermitteln. Das wäre sicher interessant.
    Die Gespräche des Bundeskanzlers in Moskau zeigen, daß die deutsch-sowjetischen Beziehungen zu einem der Drehpunkte des Ost-West-Dialogs geworden sind. Das belegt nicht zuletzt die Breite der angesprochenen Themen. Neben der Vielzahl bilateraler Fragen standen die Fortschritte der Abrüstungsverhandlungen, das Verhältnis der Sowjetunion zur Europäischen Gemeinschaft, die mögliche Menschenrechtskonferenz — hoffentlich wird sie zustande kommen — im Mittelpunkt der Gespräche. Der erneut bekräftigte Wunsch beider Staaten, das Wiener Folgetreffen der KSZE auf der Basis des vorliegenden Schlußdokuments bis Mitte November 1988 zum Abschluß zu bringen, sollte diesen Verhandlungen einen zusätzlichen Impuls verleihen, damit der Weg zu Verhandlungen über die konventionelle Abrüstung sobald wie möglich geöffnet wird.
    Im übrigen, wie sich die Welt geändert hat: Derjenige, der heute das Ergebnis in Wien blockiert, wurde früher dafür gelobt, daß er eine von der Sowjetunion unabhängige Außenpolitik betrieb. Heute hätten wir ihn gerne auf dem Kurs der Sowjetunion.
    Mit Befriedigung, meine Damen und Herren, können wir zur Kenntnis nehmen, daß sich die positive Haltung der Sowjetunion zur Europäischen Gemeinschaft während des Besuchs des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers in Moskau bestätigt hat. Wir alle wissen: Auch das ist eine neue Entwicklung. Früher lief da nichts. Es wurde von sowjetischer Seite positiv bemerkt, daß sich die EG und der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe gerade während der deutschen EG-Präsidentschaft nähergekommen sind. Die Sowjetunion sieht in der Bundesrepublik einen ihrer wesentlichen Gesprächspartner im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. Es wird jetzt darauf ankommen, die begonnenen bilateralen Verhandlungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Sowjetunion zu einem für beide Seiten befriedigenden Ergebnis zu führen.
    Der Erfolg der Reise des Bundeskanzlers, des Bundesaußenministers und der übrigen Kabinettsmitglieder dokumentiert sich auch in der Vielzahl der abgeschlossenen bilateralen Abkommen und ihrer Bedeutung. Das Paket enthält für beide Partner Bereiche von besonderem Interesse.
    Aus meiner Sicht ist das Abkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei einem nuklearen Unfall und den Informationsaustausch über Kernkraftanlagen besonders wichtig. Das Abkommen ermöglicht



    Dr. Graf Lambsdorff
    den regelmäßigen bilateralen Informationsaustausch über den Betrieb aller zivilen Kernkraftanlagen. Wir wollen dieses Abkommen nutzen, um an einer beschleunigten Einführung von international anerkannten Sicherheitsstandards in der Sowjetunion mitzuwirken. Das trägt zu einer Erhöhung der Sicherheit für uns bei und eröffnet unserer Industrie, die auf dem Gebiet der Sicherheitsstandards von Kernkraftanlagen international eine führende Stellung einnimmt, neue Exportchancen.
    Ich weise weiter auf die vereinbarte Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Hochtemperaturreaktorkonsortium und dem sowjetischen Staatskomitee zur Nutzung der Atomenergie hin. Der privatwirtschaftliche Vertrag sieht die industrielle Zusammenarbeit bei Planung und Bau von Hochtemperaturreaktoren mit kleiner Leistung vor. Fernziel dieser Zusammenarbeit ist der gemeinsame Bau von Kernkraftwerken zur Erzeugung von Strom- und Prozeßwärme in der Sowjetunion und der Export derartiger Anlagen in Drittländer. Wir eröffnen der deutschen Industrie angesichts des eindeutigen sowjetischen Bekenntnisses zum weiteren Ausbau der Kernindustrie die Möglichkeit, eine von der deutschen Industrie entwickelte Spitzentechnologie mit besonders hohen Sicherheitseigenschaften international zu demonstrieren.
    Wir fragen uns allerdings, meine Damen und Herren, was sich Ministerpräsident Rau und die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen dabei denken, wenn sie Bau und Betrieb des Hochtemperaturreaktors in Nordrhein-Westfalen behindern und gleichzeitig deren Export begrüßen. Auf Dauer kann man nicht exportieren, was man zu Hause nicht benutzen will.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schily [GRÜNE]: Das ist richtig!)

    — Sie sind wenigstens konsequent, Herr Schily; das muß ich in dem Zusammenhang bestätigen.
    Mir scheint das Projekt zur Aus- und Weiterbildung von sowjetischen Managern von besonderer Bedeutung zu sein. Wenn es um das immer wieder zitierte Wort: „Wir wollen Herrn Gorbatschow helfen" geht, dann geht es in meinen Augen um diesen Bereich. Technisches Know-how, Management-Know-how, da herrscht bittere Not, man hat dort keine Ahnung. Hier können wir zur Verfügung stehen, und das kostet auch gar nicht viel Geld. Das ist machbar, und es ist dringend erforderlich. Es geht darum, sowjetische Führungskräfte auf neue Aufgaben vorzubereiten, die im Rahmen der Reform des sowjetischen Wirtschaftssystems auf sie zukommen. Das heißt insbesondere: eigenverantwortliche betriebswirtschaftliche Entscheidungen treffen, auch im Hinblick auf die verstärkte Integration der sowjetischen Wirtschaft in den internationalen Wettbewerb. Hier liegt wirklich ein Aufgabenbereich auch für uns.
    Die Errichtung von je einem Industrie- und Handelszentrum in der UdSSR und der Bundesrepublik wird zur Intensivierung und Ausweitung der wirtschaftlichen Beziehungen beitragen.
    Die Einbeziehung von Berlin ist bei den jetzt abgeschlossenen Regierungsabkommen pragmatisch und befriedigend geregelt. Die grundsätzlichen Differenzen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik in der Berlin- und Deutschlandfrage konnten bei den Moskauer Gesprächen nicht ausgeräumt werden. Nach Auffassung der FDP gebührt Bundeskanzler Kohl Dank für seine klaren Worte zur Haltung der Bundesregierung und der Bundesrepublik.
    Die Überwindung der Teilung Europas und die Überwindung der Teilung Deutschlands sind auch für die FDP untrennbar miteinander verbunden. Die Sowjetunion hat demgegenüber in Moskau an ihren alten Positionen zur Berlin- und Deutschlandpolitik festgehalten.
    Es gilt, die Dynamik zu nutzen, die durch den Besuch des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers und durch den geplanten Gegenbesuch des Generalsekretärs in Bonn in die deutsch-sowjetischen Beziehungen gekommen ist, um auch in der Berlin- und Deutschlandpolitik weitere Fortschritte zu erzielen.
    Wir sind uns darüber im klaren, daß sich derartige Fortschritte nur schrittweise durch einen oft mühsamen Dialog erreichen lassen. Wir wissen auch, daß Fortschritte nicht erreicht werden können, wenn die bestehenden Grenzen in Europa in Frage gestellt werden, und wir tun dies nicht.
    Herr Schily, die NATO im gegenwärtigen Zeitpunkt in Frage stellen? Man kann sehr schnell zwischen allen Stühlen sitzen, und wer will hier mit solchen Anregungen eigentlich wirklich veraltete Nationalpolitik?
    Meine Damen und Herren, parallel zu den Gesprächen des Bundeskanzlers haben Vertreter der deutschen Wirtschaft erfolgreiche Verhandlungen über eine Kooperation mit der Sowjetunion in vielen Bereichen geführt. Das Vertrauen, das die deutsche Industrie in die künftige wirtschaftliche Entwicklung der Sojwetunion legt, ist zu begrüßen. Umgekehrt ist unverkennbar, daß die Sowjetunion der Kooperation mit deutschen Firmen erhebliche Bedeutung beimißt und daß ihre Erwartungen in diese Zusammenarbeit sehr hoch sind. Das Stichwort von Joint-ventures und Kapitaleigner bis zu Mehrheitsverhältnissen ist ja sensationell neu. Ein deutsches Bankenkonsortium ist bereit, auf rein kommerzieller Basis einen Betrag von 1 Milliarde Rubel zu kreditieren.
    An die in- und ausländischen Kritiker gerichtet merke ich an, daß dieser Rahmenkredit deutlich niedriger ist als die Beträge, über die andere westliche Staaten zur Zeit mit der Sowjetunion verhandeln.
    Meine Damen und Herren, für die deutsche Wirtschaft ist festzustellen, daß es sich bei dem Rahmenkredit um eine rein kommerzielle und nicht präferenzierte Vereinbarung handelt, die voll in Übereinstimmung mit den westlichen Leitlinien über die WestOst-Wirtschaftsbeziehungen, nämlich dem OECD-Konsensus, steht. Ich halte diesen Kredit auch unter politischen Gesichtspunkten für wichtig, weil er ein Beitrag zur Reformpolitik der Sowjetunion ist und weil er die Integration der Sowjetunion in die Weltwirtschaft fördert.
    Für die Sowjetunion wird es darauf ankommen, die zur Verfügung gestellten Auslandskredite sinnvoll einzusetzen und der warnenden Überschrift eines In-



    Dr. Graf Lambsdorff
    terviews, das man vor einigen Tagen in deutschen Zeitungen lesen konnte — „Zu schnell und zu viel" —, durch Erfolge zu begegnen.
    Der Generalsekretär hat eine wesentliche Reform der sowjetischen Wirtschaft angekündigt. Eine Steigerung der Effizienz des sowjetischen Wirtschaftssystems liegt auch in unserem Interesse. Der bilaterale Handel zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion wie auch mit anderen westlichen Staaten ist in den letzten Jahren durch die nicht ausreichende Exportfähigkeit der Sowjetunion und den dadurch mitbestimmten Devisenmangel wesentlich beeinträchtigt worden. Die Sowjetunion wird Wert darauf legen müssen, das Konsumgüterangebot im Inland zu erhöhen, um den Erfolg der neuen Wirtschaftspolitik ihrer Bevölkerung augenfällig zu machen. Das für Wirtschaftsfragen zuständige Politbüromitglied, Herr Szjunkow, sagte mir im Juli in Moskau: 40 Jahre nach dem Kriege haben unsere Menschen doch einen besseren Lebensstandard verdient. Wohl wahr, habe ich ihm gesagt, dann macht's mal!
    Bei den Gesprächen der deutschen Delegation in Moskau war viel von marktwirtschaftlichen Elementen die Rede — der Bundeskanzler hat ja Ludwig Erhard in dem Zusammenhang erwähnt; übrigens sollte ihn mancher zu Hause auch wieder lesen — , die in das sowjetische Wirtschaftssystem eingebaut werden sollen. Ich begrüße eine derartige Entwicklung, nicht nur weil sie Liberalen grundsätzlich sympathisch ist, sondern auch weil dies der richtige Weg zu einer auch in unserem Interesse liegenden Effizienzsteigerung ist, vor allem aber weil ein Prozeß der Dezentralisierung der Entscheidungsverfahren notwendigerweise mit größerem gesellschaftlichem Pluralismus verbunden ist. Die FDP, meine Damen und Herren, beobachtet mit großem Interesse, ob und wie eine kommunistische Partei ohne Zentralverwaltungswirtschaft ihre dominierende Rolle im staatlichen Leben behaupten kann.
    Beide Delegationen haben sich vorgenommen, die Zeit bis zum Besuch von Generalsekretär Gorbatschow im Frühjahr des kommenden Jahres dazu zu nutzen, ein gemeinsames Dokument für die Perspektiven der künftigen Zusammenarbeit auszuarbeiten. Es wird darauf ankommen, insbesondere auf den Gebieten, auf denen während des Besuchs des Bundeskanzlers in Moskau noch keine ausreichenden Fortschritte erzielt werden konnten, voranzukommen. Das beabsichtigte Investitionsschutzabkommen sollte bis dahin unterschriftsreif sein.
    Die FDP sieht in dem Besuch des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers in Moskau — ich wiederhole das — die geradlinige Fortsetzung einer von den Liberalen seit Jahrzehnten für richtig gehaltenen und betriebenen Ost- und Deutschlandpolitik, und wir werden die Bundesregierung in ihren Bemühungen, die Beziehungen zu unserem großen Nachbarn Sowjetunion zu verbessern, auch weiterhin nachhaltig und tatkräftig unterstützen.
    Ich bedanke mich.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Heimann.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Prof. Gerhard Heimann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Amtsantritt von Michail Gorbatschow vollzieht sich in Moskau ein Themenwechsel. Die Sicherheitspolitik bleibt immer noch ganz oben auf der Liste. Wie könnte es auch anders sein; denn mit Ausnahme des INF-Abkommens ist keine wichtige Frage auf diesem Gebiet wirklich gelöst, allenfalls konzeptionell neu durchdacht. Aber es ist doch auffällig, wie sich andere Fragen gleichrangig danebenschieben, und das ist so, weil es einer neuen Schwerpunktsetzung der sowjetischen Politik entspricht. Das hat auch seinen Ausdruck gefunden, sieht man sich einmal die Themen der Abkommen und Vereinbarungen bei diesem Besuch des Kanzlers in Moskau an.
    Das alles gibt Anlaß, darüber nachzudenken, was ein solcher Übergang zu Themen der Wirtschaft, der technisch-wissenschaftlichen Entwicklung und der Umwelt für eine Partnerschaft zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Sowjetunion bedeutet.
    Solange es für die Sowjetunion in der Hauptsache um zweierlei ging, erstens im Club der atomaren Zwei durch eine gesicherte strategische Zweitschlagskapazität mit den Vereinigten Staaten die atomare Balance aufrechtzuerhalten und zweitens zusammen mit den Vereinigten Staaten das machtpolitische Vakuum auszufüllen, das in der Mitte Europas als Folge des Zweiten Weltkrieges durch den jähen Sturz des Deutschen Reiches ins Bodenlose entstanden war, so lange stimmte das Bild zweier Supermächte, die im eigentlichen Sinne nur sich selbst als Gegner und als Partner haben, und, deutlich deklassiert darunter, jeweils von diesen Supermächten auf unterschiedliche Weise abhängiger europäischer Subsysteme. Das ist jedenfalls für die Vergangenheit ein mehr oder weniger zutreffendes, wenn auch bewußt vereinfachtes Bild.
    Ganz zweifellos werden die hierin zum Ausdruck kommenden alten Prioritäten sowjetischer Politik nicht von heute auf morgen abgelöst werden, aber es ist doch schon heute erkennbar, daß atomare Hochrüstung in der operativen Politik kaum zusätzliche vernünftige Handlungsspielräume schafft, ja sogar zu einer schweren Belastung der Supermächte selbst werden kann. Möglicherweise liegt hier einer der Gründe für die zu beobachtenden großen strukturellen Schwierigkeiten, mit denen beide Supermächte, die in vielen den gesellschaftlichen Reichtum produzierenden zivilen Sektoren kaum noch auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sind, zu kämpfen haben. In Wirklichkeit hat das atomare Patt die Supermächte streckenweise zu unbeweglichen Dinosauriern gemacht.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Die einzig mögliche, das Überleben der Menschheit sichernde Konsequenz aus der Pax atomica ist die friedliche Konkurrenz der unterschiedlichen Gesellschaftssysteme in West und Ost. Wirtschafts- und Sozialpolitik, Ökologie, Wissenschaften, kulturelle Vielfalt, Dritte Welt, das werden die Felder sein, die über Weltmachtgeltung und gesellschaftliche Attraktivität entscheiden werden. Genau das aber ist die zentrale



    Heimann
    und höchst moderne Aussage, wie sie uns im „Neuen Denken" der Sowjetunion entgegentritt.
    Solange europäische Politik unter einer Prädominanz militärischen Denkens betrieben werden muß, sind die Aussichten der Europäer insgesamt eher schlecht. Sobald sich aber die simple, übrigens genuin sozialdemokratische Erkenntnis durchsetzt, daß sich die Zukunft der Systeme nicht an ihrer militärischen Stärke entscheiden wird, stehen die Chancen für Europa gut.
    Am 9. September 1965 sagte Charles de Gaulle: Wir sehen ohne Zaudern dem Tag entgegen, an dem Europa im Interesse einer konstruktiven Verständigung vom Atlantik bis zum Ural ganz seine eigenen Probleme selbst regelt. De Gaulle fand damals in der Sowjetunion keinen Staatsmann und Partner von gleicher visionärer Kraft und Größe, aber er fand auch in Westeuropa kein Gehör. Seine Worte verhallten fast folgenlos. Europa war offenbar noch nicht soweit.
    Jetzt, mehr als 20 Jahre später, ist es Gorbatschow, der mit seinem Begriff „das gemeinsame europäische Haus" wieder Europa vom Atlantik bis zum Ural denkt. Wird er — anders als damals de Gaulle — einen Partner finden, und wird Westeuropa dieser Partner sein?
    Zu dem radikalen Themenwechsel kommt ein radikaler Szenenwechsel. Die Zeit ist vorbei, als über Europas Schicksal entweder in Washington oder in Moskau oder in Washington und Moskau entschieden wurde. Die Europäische Gemeinschaft ist zu einem Faktor von weltpolitischer Bedeutung herangewachsen, der an wirtschaftlicher Kraft und wissenschaftlich-technischer Innovationsfähigkeit die Sowjetunion im zivilen Sektor überflügelt und die Vereinigten Staaten in vielerlei Hinsicht erreicht hat, teilweise sogar übertrifft. Diesen Erfolg — da gebe ich Herrn Schily ganz recht — hat die Europäische Gemeinschaft erringen können, weil sie bisher nicht versucht hat, eine militärische Supermacht zu werden. Sie würde diesen Erfolg aufs Spiel setzen, wenn sie es nachträglich versuchen würde.
    Immerhin, die Europäische Gemeinschaft ist ein weltpolitischer Faktor. Die darin liegende Auflösung des bipolaren Weltbildes kann und wird zu einer neuen Balance in Europa führen. Eine neue Balance heißt nicht, sich von den Vereinigten Staaten abzukoppeln, heißt aber, daß die Chance, westeuropäische und deutsche Interessen im Notfall auch einmal gegenüber den Vereinigten Staaten zu behaupten, ungleich größer geworden ist. Nicht jedes Stirnrunzeln auf dem Capitol in Washington in bezug auf sogenannte Vorzugskredite an Moskau oder jede Drohung, COCOM anzurufen, macht in Westeuropa heute noch Eindruck.
    Das Wichtigste aber ist: Dadurch, daß die Europäische Gemeinschaft größer geworden ist, hat sie auch an Selbstbewußtsein gewonnen, so daß der Popanz von der furchteinflößenden Übergröße des russischen Bären auf ein vernünftiges Maß reduziert wird. Nur so kann es gelingen, mit der Sowjetunion, die auch so noch groß genug bleibt, in ein und dasselbe Haus einzuziehen, ohne daß bereits im vorhinein fast alle Zimmer belegt sind. Was bei Charles de Gaulle nur eine
    kühne Vision sein konnte, könnte heute gelingen: die Rückbesinnung der Sowjetunion darauf, daß sie auch ein Teil Europas ist und daß Rußland immer ein Teil der europäischen Geschichte war, und die gleichberechtigte Partnerschaft zwischen ihr, den übrigen RGW-Staaten und der Europäischen Gemeinschaft.
    Die Frage ist nur: Begreifen wir die Größe der Herausforderung, und finden wir adäquate Mittel, um ihr gerecht zu werden? Dies ist der einzige Maßstab, der heute zählen darf. Unter dieser Meßlatte steht jeder Besuch eines Bundeskanzlers in Moskau und jeder Gegenbesuch in Bonn. Unter dieser Fragestellung müßte selbst die Opposition wünschen, daß der Herr Bundeskanzler das ist, wofür er sich gerne hält, nämlich ein Enkel Adenauers. Allerdings, im Zusammenhang mit Ostpolitik käme es ja wohl mehr darauf an, ein Enkel Brandts und Bahrs zu sein.

    (Beifall bei der SPD)

    Europa würde seine historische Stunde, die Chance seiner Wiedergeburt verpassen, wenn der Öffnung nach Westen, die Gorbatschow betreibt, nicht eine Öffnung nach Osten als Antwort erfolgen würde. Theo Sommer sagt dazu in der „Zeit" :
    In der Entspannungsphase I hat die Bundesrepublik ihren Sonderkonflikt mit dem Osten beendet. In der nun anhebenden Entspannungsphase II geht es um viel mehr: um die Überwindung jenes Grundkonflikts zwischen Ost und West, der seit 1945 die Weltpolitik bestimmt hat.
    Er nennt das die Wende von den konfrontativen zur kooperativen Koexistenz.
    Kann es in der Europäischen Gemeinschaft, so frage ich, noch einen anderen Staat geben, der ein so elementares Interesse daran haben muß, daß Koexistenz aufhört, konfrontativ zu sein, und anfängt, kooperativ zu werden, wie die Bundesrepublik Deutschland? Ihre Lage in Mitteleuropa, die Teilung des Volkes und auch die Pflicht, die Interessen von Berlin (West) umsichtig und klug wahrzunehmen, das alles zusammengenommen und eben nicht nur ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit macht die Bundesrepublik zu dem geborenen Partner der Sowjetunion in Westeuropa, sogar zu einem Hauptpartner.
    „Geborene Partner" , das kann allerdings mißverständlich sein, sogar schädlich, wenn es bedeuten würde, Frankreich, Großbritannien, Italien und andere abzuhalten, mit gleicher Intensität die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu suchen. Das kann die Bundesrepublik überhaupt nicht wollen, im Gegenteil, ohne die anderen wird ihr eigener Spielraum enger. Das würde im übrigen auch gelten, wenn sich die Beziehungen zwischen den beiden Supermächten wieder verschlechtern würden. Dennoch, es ist einfach nicht zu leugnen, was die elementare Interessenlage angeht, ist kaum jemand so berührt wie die Bundesrepublik. Das hat die Sowjetunion offenbar erkannt, und die Bundesregierung beginnt, danach zu handeln.
    Das allein — und das sage ich an die Adresse des Bundeskanzlers — und nicht seine streckenweise die Kritik geradezu herausfordernde Art und Weise des Auftretens ist der Grund, weshalb seine Moskau-



    Heimann
    Reise alles in allem bei der SPD mehr Beifall als Kritik gefunden hat. Hier bahnt sich ein äußerst folgenreicher politischer Konsens zwischen allen wichtigen gesellschaftlichen und politischen Kräften in der Bundesrepublik an.
    Ein solcher Konsens kann aber nur von Dauer sein, wenn auch über fernere Ziele Klarheit besteht. Der Bundeskanzler hat in Moskau auch über die Einheit der Nation gesprochen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Das hat auch der Bundespräsident, allerdings in unvergleichbarer Weise getan. Entscheidend ist, daß unser Beharren auf der Einheit der Nation in einer Form erfolgt, die jede, aber wirklich jede auch nur intellektuelle Verbindung mit jenen abenteuerlichen Spekulationen und Hoffnungen ausschließt, die manche, auch in der Partei des Bundeskanzlers, an eine Wiederbelebung deutsch-sowjetischer Zusammenarbeit knüpfen. Hier könnte der Bundeskanzler gar nicht deutlich genug werden, hat es aber aus den bekannten innenpolitischen und wohl auch innerparteilichen Gründen vorgezogen, eher undeutlich zu bleiben.
    Wer ein klares Bild von der deutschen Zukunft vermitteln will, muß zuvor ein klares Bild von den Ursachen der europäischen Teilung haben. Die Teilung Deutschlands ist die Folge des Zweiten Weltkrieges, den die Deutschen begonnen haben, und des Auseinanderbrechens der Anti-Hitler-Koalition im Ost-WestKonflikt nach dem Zweiten Weltkrieg. Seither gehören die deutschen Staaten unterschiedlichen Bündnissen und Systemen an. Ursache und Kern der Teilung ist also nicht eine nationale Abspaltung des einen oder anderen Teils, wie es dies in der deutschen Geschichte allerdings auch häufig genug gegeben hat, sondern der überlagernde Ost-West-Konflikt und der darin eingeschlossene Antagonismus zweier Bündnisse und Systeme. Es ist deshalb Unsinn, geradezu albern, die Überwindung der Teilung als eine nationale Frage zu betrachten.
    Die eigentliche Frage ist, wie der Antagonismus der Bündnisse und Systeme in Europa überwunden werden kann,

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Schily [GRÜNE])

    und zuvor, wie Theo Sommer sagt, die Wende von der konfrontativen zur kooperativen Koexistenz gelingen kann. Damit sind wir aber wieder bei der Ausgangsfrage. Ein Europa vom Atlantik bis zum Ural, oder, was dasselbe ist, als gemeinsames Haus wird nur gelingen, wenn das Werk von beiden Seiten der Bündnis- und Systemgrenze aus in Angriff genommen wird. Ohne Zweifel können die Deutschen, in zwei Staaten geteilt, mehr zum Gelingen beitragen, wenn jeder der beiden deutschen Staaten die ihm zukommende Rolle in seinem Bündnis- und Gesellschaftssystem spielt, als wenn ein neutralisiertes Deutschland — was Gott sei Dank kaum jemand ernsthaft anstrebt — erneut in eine unglückliche, schwankende und einflußlose Lage in der Mitte gedrängt werden würde.
    Die Zweistaatlichkeit Deutschlands wurde in der Vergangenheit mit Recht als Unglück betrachtet, jedenfalls von uns, weil die Folgen für das Volk wie für den einzelnen einfach nicht akzeptabel waren. Aber ist es nicht an der Zeit, darüber nachzudenken, ob in der Zweistaatlichkeit in Zukunft nicht auch eine besondere europäische Chance der Deutschen liegen kann, und zwar, wenn die Grenzen ihren trennenden Charakter verlieren und die Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten über Bündnis- und Systemgrenzen hinweg eine beispielhafte Wirkung für Gesamteuropa hat?

    (Lintner [CDU/CSU]: Wie halten Sie es denn mit der Wiedervereinigung, Herr Heimann?)

    Herr Rühe, warum sagen Sie das eigentlich nicht so deutlich? Warum werfen Sie an dieser Stelle immer diesen Nebel mit der deutschen Geschichte? Natürlich geht diese Geschichte weiter, aber keiner weiß von uns genau, wohin.

    (Rühe [CDU/CSU]: Ich bin doch immer relativ deutlich!)

    Wenn eines Tages Militärbündnisse in Europa überflüssig gemacht und Systemgegensätze überwunden sein werden — Herr Lintner, das auch als meine Antwort auf Ihre Frage —, dann werden wir sehen, in welchen Verhältnissen die beiden deutschen Staaten dann ihren weiteren Weg in die Geschichte gehen, vielleicht auch gemeinsam.

    (Lintner [CDU/CSU]: Aber in unserer Verfassung steht's!)

    Aber das ist doch jetzt nicht der Punkt. Jetzt kommt es darauf an, anzufangen, Militärbündnisse überflüssig zu machen und Systemgegensätze zu überwinden. Dazu ist es eben nötig, daß jetzt die beiden deutschen Staaten so eng wie möglich zusammenarbeiten und daß man eben nicht die Existenz sich gegenseitig dauernd in Frage stellt. Wenn es um eine solche Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten geht, dann ist es gleichgültig, ob man das „privilegierte Sonderbeziehung" oder anders nennt. Wichtig ist, daß mehr und intensiver als anderswo — aber eingebettet in eine gesamteuropäische Politik — die Wende von einer konfrontativen zu einer kooperativen Koexistenz gerade im Verhältnis der beiden deutschen Staaten vollzogen wird.
    Deshalb sollte der Bundeskanzler möglichst bald nach seinem Besuch in der Sowjetunion einen Besuch in der DDR folgen lassen. Genauso sollte — wie Dr. Vogel das hier schon gesagt hat — sein Verteidigungsminister möglichst bald mit dem Verteidigungsminister der DDR sprechen. Wir alle aber sollten aus intellektueller Redlichkeit und politischer Klugheit gerade jetzt den Kernsatz der Ost- und Vertragspolitik wiederholen; er handelt von der Unverletzlichkeit der Grenzen und der Achtung der Integrität und Souveränität aller Staaten in ihren Grenzen in Europa, aber eben auch von dem Begründungszusammenhang, der zwischen diesem Satz und unserer gemeinsamen Zielsetzung besteht, den trennenden Charakter dieser Grenzen, aller Grenzen in Europa, auch der Mauer in Berlin, zu überwinden.
    Damit zum Schluß ein Wort zu Berlin: Die Ausbalancierung sehr unterschiedlicher, teilweise gegensätzlicher Interessen von insgesamt sechs Staaten ist



    Heimann
    im Viermächteabkommen gelungen. Dennoch bleibt der gefundene Ausgleich empfindlich und verträgt weder eine unnötige Verleugnung eigener Standpunkte noch ein allzu forsches Draufsatteln. Das hat den Bundeskanzler nicht daran gehindert, im Vorfeld seines Moskau-Besuchs, nach dem bekannten Grundsatz zu handeln: Klappern gehört zum Handwerk.
    In bezug auf West-Berlin hat er so laut geklappert, daß der Verdacht aufkommt, er hätte von vornherein über den zu erwartenden mäßigen Erfolg seiner Bemühungen mit dem lautstarken Beweis seines guten Willens hinwegtäuschen wollen. Ob das aber WestBerlin genützt hat?
    Sicher, die seit 1972 gefundene Frank-Falin-Formel für die Einbeziehung von Berlin (West) in Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Sowjetunion hat sich als unzureichend herausgestellt, was die tatsächliche Berücksichtigung der Anstalten und Einrichtungen des Bundes in Berlin (West) angeht. Es ist also ohne Zweifel ein Fortschritt, wenn für die jetzt in Moskau unterzeichneten Abkommen die Ad-personam-Regelung mit Sternchen — Aufzählung in alphabetischer Reihenfolge und Postfach — vereinbart werden konnte.
    Was der Bundeskanzler nicht erreicht hat, ist, daß diese Regelung nun automatisch auch für alle künftigen Abkommen gelten kann. Auch im Flaggenstreit bei Binnenschiffen oder hinsichtlich einer vernünftigen Betreuung Westberliner Politiker in Moskau durch die Botschaft der Bundesrepublik zeichnet sich keinerlei Ergebnis ab. Das gleiche gilt für die Teilnahme Berliner Bundestagsabgeordneter bei Ausschußreisen in die Sowjetunion unter akzeptablen Bedingungen. Also: Nicht viel, was der Herr Bundeskanzler erreicht hat.
    Die ungelösten Probleme hat er an Herrn Genscher weitergereicht, der nun mit seinem sowjetischen Kollegen nach einem Ausweg suchen soll. Allzu leicht kann aus dem Weiterschieben von Problemen ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bundeskanzleramt und Auswärtigem Amt werden. Deshalb werden wir uns an das halten, was der Bundeskanzler auf seiner Pressekonferenz in Moskau gesagt hat, und werden ihn zur gegebenen Zeit erinnern.
    Über das, was bei diesem Anlauf noch nicht lösbar war, dürfen wir nicht das aus den Augen verlieren, was jetzt lösbar ist. Die Sowjetunion und wohl auch die DDR haben verstanden, daß ein gemeinsamer Weg nach Europa Berlin (West) nicht ausklammern kann. Gerade Berlin (West) war im Kalten Krieg mehr als jede andere Stadt Ausdruck des konfrontativen Charakters des Ost-West-Verhältnisses. Jetzt muß es, wieder mehr als jede andere Stadt, seine Sicherheit, Integrität und Zukunft in der Umformung des OstWest-Konflikts zu einer gesamteuropäischen Kooperation finden.
    Berlin (West) will nicht sosehr Prüfstein, schon gar nicht Stolperstein, sondern Scharnier und Brücke zwischen der Europäischen Gemeinschaft, zu der es gehört, und den Staaten des RGW sein. Es könnte sogar eine europäische Region besonderer Art werden. Seine rechtliche und politische Verfassung ist so kompliziert, daß daran erst gerührt werden darf, wenn
    eine bessere Lösung einvernehmlich durchsetzbar ist.
    Berlin (West) will nicht länger nur Schaufenster des Westens nach Osten sein. Es wäre doch eine Chance — die die Sowjetunion und die DDR ergreifen sollten —, Berlin (West) auch zu einem Schaufenster des Ostens nach Westen zu machen. Vieles ließe sich in dem kleinen, überschaubaren Markt entwickeln, erproben, testen und vorführen, was sich auf dem größeren Europäischen Markt später durchsetzen und behaupten muß. Und das würde nicht nur in einem engen wirtschaftlichen Sinne gelten.

    (Beifall bei der SPD)