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ID1110601600

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    Plenarprotokoll 11/106 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 106. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Czaja 7277 A Erweiterung der Tagesordnung 7277 B Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Ergebnisse der Reise des Bundeskanzlers und seiner Delegation in die UdSSR Dr. Kohl, Bundeskanzler 7278A Dr. Vogel SPD 7284 B Rühe CDU/CSU 7287 D Schily GRÜNE 7291 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 7294 A Heimann SPD 7296 C Frau Geiger CDU/CSU 7299 C Frau Beer GRÜNE 7301 B Genscher, Bundesminister AA 7302 A Erler SPD 7305 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 7307 D Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und des Wohnungsbaugesetzes für das Saarland (Wohnungsbauänderungsgesetz 1988) (Drucksachen 11/3160, 11/3264) 7309C b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Aufhebung des Visumzwanges gegenüber Ungarn (Drucksache 11/2203) 7309 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Für eine Politik der offenen Grenzen — für ein Recht auf Zuflucht — Flüchtlings- und Asylkonzeption (Drucksache 11/3249) 7309D Tagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes (Drucksachen 11/1823, 11/3131) 7310A Tagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Sechzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 11/2726, 11/3123) 7310B Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Drucksache 11/3245) 7310B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 86 zu Petitionen (Drucksache 11/3289) 7310 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 87 zu Petitionen (Drucksache 11/3290) 7310 C Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umwandlung der deutschen Pfandbriefanstalt in eine Aktiengesellschaft (Drucksachen 11/2047, 11/2992) Uldall CDU/CSU 7310 C Dr. Wieczorek SPD 7311D Dr. Solms FDP 7313 C Hüser GRÜNE 7314 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF 7315 A Tagesordnungspunkt 13: a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung für die Bemühungen um Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen in Chile und um Gerechtigkeit für ihre Opfer (Drucksache 11/2985) b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortige Aufnahme der in Chile mit der Todesstrafe bedrohten politischen Gefangenen (Drucksache 11/2986) c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung der Oppositionspresse in Chile (Drucksache 11/2987) Volmer GRÜNE 7316B Schreiber CDU/CSU 7317 D Duve SPD 7319 C Irmer FDP 7321 A Schäfer, Staatsminister AA 7322 B Volmer GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 7323 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN: Errichtung einer internationalen Begegnungsstätte für Frieden und Versöhnung in Guernica, Baskenland zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Geste des Friedens und der Freundschaft durch die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der baskischen Stadt Guernica in Spanien (Drucksachen 11/362, 11/483, 11/3180) Frau Kelly GRÜNE 7324 A Dr. Pohlmeier CDU/CSU 7325 A Duve SPD 7325 C Irmer FDP 7326 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung asylverfahrensrechtlicher und ausländerrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 11/2302, 11/3189) Spranger, Parl. Staatssekretär BMI 7327 D Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 7328 D Dr. Hirsch FDP 7330 D Frau Olms GRÜNE 7332 A Dr. Olderog CDU/CSU 7332 D Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung (Drucksachen 11/2065, 11/3279) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wittmann, Marschewski, Dr. Hüsch, Eylmann, Dr. Langner, Seesing, Geis, Hörster und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kleinert (Hannover), Funke, Irmer und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren (Drucksachen 11/2991, 11/3279) Dr. Pick SPD 7334 B Helmrich CDU/CSU 7334 D Hüser GRÜNE 7335 A Kleinert (Hannover) FDP 7335 C Engelhard, Bundesminister BMJ 7335 D Tagesordnungspunkt 10: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Duve, Dr. Apel, Dr. Penner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erhaltung des halben Mehrwertsteuersatzes für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften (Drucksachen 11/920, 11/1978) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 III b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu einer Mitteilung der Kommission an den Rat über Maßnahmen im Bereich des Buches (Drucksachen 11/706, 11/2505) Weisskirchen (Wiesloch) SPD 7337 A Frau Pack CDU/CSU 7338 A Hüser GRÜNE 7338 D Neuhausen FDP 7339 B Schulhoff CDU/CSU 7340 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF 7341A, 7341D Duve SPD 7341 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags des Abgeordneten Wüppesahl (fraktionslos): Sitzplatz des Abgeordneten Wüppesahl im Plenarsaal (Drucksache 11/3198) Bohl CDU/CSU (zur GO) 7342 B Wüppesahl fraktionslos 7342 B Tagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Humanitäres Kriegsvölkerrecht (Drucksache 11/2118) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Humanitäres Kriegsvölkerrecht (Drucksache 11/3295) Verheugen SPD 7344 A Graf Huyn CDU/CSU 7345 B Frau Schilling GRÜNE 7346 B Irmer FDP 7347 B Dr. Scheer SPD 7348 D Schäfer, Staatsminister AA 7349 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: Humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan im Zusammenhang mit dem Abzug der sowjetischen Truppen (Drucksache 11/2437) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Das Genfer Abkommen zwischen Afghanistan und Pakistan vom 14. April 1988 und humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan (Drucksache 11/3272) Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 7351 C Dr. Holtz SPD 7352 A Frau Folz-Steinacker FDP 7353 B Frau Olms GRÜNE 7354 C Höffkes CDU/CSU 7355 B Schäfer, Staatsminister AA 7356 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1988 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1988) (Drucksachen 11/2742, 11/3293, 11/3297) Regenspurger CDU/CSU 7358 A Lutz SPD 7359 B Dr. Hirsch FDP 7360 B Nächste Sitzung 7361 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 7362* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 7277 106. Sitzung Bonn, den 10. November 1988 Beginn: 15.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens** 11. 11. Amling 11. 11. Antretter 10. 11. Frau Beer 11. 11. Böhm (Melsungen)* 11. 11. Börnsen (Ritterbude) 11. 11. Dr. Bötsch 11. 11. Bühler (Bruchsal)* 10. 11. Dollinger 11. 11. Dr. Dregger 11. 11. Ebermann 11. 11. Frau Eid 11. 11. Dr. von Geldern 10. 11. Dr. Glotz 11. 11. Grüner 10. 11. Frau Dr. Hamm-Brücher 11. 11. Dr. Hauff 11. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Hensel 11. 11. Frau Hoffmann (Soltau) 11. 11. Irmer 10. 11. Dr. Klejdzinski* 10. 11. Dr. Knabe 10. 11. Kolb 10. 11. Leonhart 11. 11. Frau Luuk* 10. 11. Dr. Müller** 11. 11. Müller (Düsseldorf) 10. 11. Frau Nickels 11. 11. Niegel* 10. 11. Paintner 11. 11. Reddemann** 10. 11. Reuschenbach 11. 11. Frau Rock 11. 11. Frau Saibold 10. 11. Dr. Schäuble 10. 11. Scherrer 10. 11. Dr. Schmude 11. 11. Dr. Schneider (Nürnberg) 10. 11. Frau Trenz 11. 11. Voigt (Frankfurt) 11. 11. Frau Wieczorek-Zeul 11. 11.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Otto Schily


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden verstehen, daß ich nach dem heutigen beschämenden Vormittag nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann. Ich glaube, es besteht Anlaß für uns alle, einmal in einer besonderen Sitzung den gesamten Themenkreis, der Gegenstand des heutigen Vormittags war, ohne übertrumpfende Selbstgerechtigkeit in diesem Hause zu behandeln. Dazu möchte ich aufrufen. Ich möchte den Herrn Bundestagspräsidenten bitten, rasch zu einer Selbstprüfung zu gelangen, ob er seinem Amt wirklich gewachsen ist.
    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand bestreitet, daß es der europäischen Entwicklung im Sinne einer friedlichen Zielsetzung von Nutzen ist, wenn auch die Bundesregierung und die sowjetische Führung wieder ins Gespräch kommen. Wenn der Bundeskanzler die Tatsache, daß es in Moskau nach längerer Pause Verhandlungen zwischen der sowjetischen Führung und der Bundesregierung gab, als Erfolg sieht, sei es ihm gegönnt, obwohl es vielleicht doch etwas zu großspurig war, daß er in der Öffentlichkeit die Freilassung politischer Gefangener als Ergebnis seiner besonderen Bemühungen dargestellt hat.
    Es besteht, denke ich, eine weitgehende grundsätzliche Übereinstimmung, daß der deutsch-sowjetische Dialog in Gang kommen muß, nicht zuletzt angesichts der weitreichenden Veränderungen in der Sowjetunion. Ehe sich aber die Bundesregierung voreilig als Wegbereiter einer neuen Ostpolitik feiert — ich wiederhole an dieser Stelle ganz bewußt einen Hinweis von Herrn Vogel — , wäre es nicht unangebracht, wenn der Bundeskanzler seinen Dank dafür zum Ausdruck brächte, daß für ihn die Fahrkarte nach Moskau von Willy Brandt gebucht worden ist.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)




    Schily
    Es hieß — der Bundeskanzler ist nicht mehr da —,

    (Frau Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]: Ich habe es Ihnen doch gesagt, warum! Er kommt wieder!)

    daß der Bundeskanzler mit großen Erwartungen nach Moskau gefahren sei. Heute zieht er eine positive Bilanz. Aber er wird uns doch noch einiges erklären müssen. In den Zeitungen war zu lesen, daß sich der Bundeskanzler in den Gesprächen mit Generalsekretär Gorbatschow auf die übliche Seifenblasenspielerei mit Wiedervereinigungsillusionen eingelassen hat. Sehr glanzvoll war dieser Auftritt wohl nicht. Gewiß, einer bestimmten politischen Klientel in der Bundesrepublik mag es gefallen haben, daß der Bundeskanzler wacker die Wiederherstellung des Deutschen Reiches eingeklagt hat.
    Ich frage mich nun aber eines: Wovon hat der Bundeskanzler in seinem Hotelbett in Moskau geträumt?

    (Rühe [CDU/CSU]: Er war nicht im Hotel, er war im Gästehaus! Da fängt es mit den Fehlern schon an!)

    — Ich war ja nicht dabei, Herr Rühe ; Sie können es mir dann genauer erläutern. — Wie immer man es bewerten mag, als Wunschtraum oder als Alptraum: Wie hat der Bundeskanzler den Traum überstanden? Vielleicht ist ihm Michail Gorbatschow im Traum erschienen und erklärte: Gut, Gospodin Kohl, warum nicht, versuchen wir es mit der Wiedervereinigung. Aber was bieten Sie dafür? Den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO, die Neutralisierung der beiden deutschen Staaten, die Aufgabe der EG-Mitgliedschaft der Bundesrepublik?
    Und was hat dann der Bundeskanzler im Traum geantwortet?

    (Dr. Vogel [SPD]: Um Gottes willen!)

    Oder ist der Bundeskanzler eventuell mit Schweißperlen auf der Stirn aufgewacht, nachdem ihm Freund François Mitterrand mit drohendem Zeigefinger erschienen ist?

    (Rühe [CDU/CSU]: Der hat von Ihnen geträumt!)

    Bei Beginn Ihrer Regierungszeit haben Sie die NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik als unwiderruflich und als Kern der deutschen Staatsräson überhöht. Wie geht das zusammen, NATO-Mitgliedschaft und Wiedervereinigung?
    Die Diskussion in seiner eigenen Partei hat den Bundeskanzler längst eingeholt. Die Äußerungen von Heiner Geißler, Norbert Blüm und Lamers einerseits sowie Heinrich Lummer und Todenhöfer andererseits beweisen, daß die krassen Widersprüche in Ihren politischen Aussagen nicht länger ignoriert werden können. Die furchtsame Abstinenz, mit der sich der Bundeskanzler aus der Diskussion heraushalten will, wird ihm auf Dauer nicht weiterhelfen. Es besteht dringender Klärungsbedarf. Einige in Ihren Reihen, Herr Bundeskanzler, haben längst erkannt, daß das krampfhafte Festhalten an der Wiedervereinigungsillusion nichts anderes als der alte überlebte Nationalstaatsgedanke ist und daß es ein Zurück zu den Grenzen von 19xy nicht geben kann.
    Da gibt es Arbeit für den Bundeskanzler. Sie müssen Ihr Programm entrümpeln, auch wenn es schmerzt.
    Noch ein zweiter Widerspruch ist zu benennen, mit dem sich der Bundeskanzler in der Ostpolitik in eine Sackgasse manövrieren könnte. Sie waren bekanntlich mit großem Gefolge in Moskau, darunter die Minister Genscher und Scholz.

    (Frau Beer [GRÜNE]: Ja, wo ist der eigentlich, der Scholz?)

    Vielleicht sollte ich mich hüten, Herrn Genscher zum Gefolge des Bundeskanzlers zu zählen, aber das brauchen wir nicht zu vertiefen.

    (Rühe [CDU/CSU]: Er hat sich da wohlgefühlt!)

    Jedenfalls haben die beiden Herren dafür gesorgt, daß der Bundeskanzler gewissermaßen wie Buridans Esel zwischen zwei gleich großen Heuhaufen stand. Herr Genscher bietet ihm die Fortsetzung des nuklearen Abrüstungsprozesses, die dritte Null-Lösung vielleicht, während Herr Scholz — ein Novize unter den Verteidigungsministern — mit der Nuklearen Planungsgruppe der NATO stramm auf eine neue Nachrüstung zumarschiert, was der Öffentlichkeit nach der gewohnten Methode als Modernisierung untergejubelt werden soll. Von dem Bundeskanzler, der dazu ausersehen ist, die Richtlinien der Politik zu bestimmen, haben wir dazu bisher kein klares Wort gehört.

    (Frau Berger [Berlin] [CDU/CSU]: Billiger geht es wirklich nicht!)

    Gelegenheit wird dazu spätestens im kommenden Jahr sein, wenn Michail Gorbatschow zu einem Gegenbesuch noch Bonn kommt.
    Wir hoffen, daß zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik in der Tat eine „systemöffnende Kooperation" zustande kommt, wie es Bundespräsident Richard von Weizsäcker zutreffend gekennzeichnet hat. Wenn die Bundesregierung dazu beiträgt, werden wir sie dabei unterstützen. Jedoch werden wir Sie selbstverständlich fragen und fragen Sie bereits heute: Was ist die Grundlage und was ist die Substanz der Zusammenarbeit mit Osteuropa nach Ihren Vorstellungen?
    Eine Kooperation, die darin besteht, daß Sie mit dem Hochtemperaturreaktor sicherheitstechnisch gefährliche, energiepolitisch nicht verantwortbare und in der Bundesrepublik politisch nicht mehr durchsetzbare Atomtechnik in die Sowjetunion verkaufen, lehnen wir rundweg ab.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir meinen auch, daß die Prioritäten in der Zusammenarbeit richtig gesetzt werden müssen. Weltraumforschung mag interessant sein. Vielen mag es imponieren, daß nun ein bundesdeutscher Raumfahrer zu einem Ausflug in einer sowjetischen Rakete eingeladen worden ist. Aber Sie hätten mit viel mehr Beifall von uns rechnen können, wenn es Ihnen gelungen wäre, die Sowjetunion davon zu überzeugen, künftig



    Schily
    keine Atomreaktoren in den Weltraum zu verfrachten.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Wichtiger ist im übrigen und verdient bei weitem den Vorrang, daß die Zusammenarbeit in der Umweltpolitik in einem sehr umfassenden Rahmen intensiviert und beschleunigt wird, daß der ökologische Umbau der europäischen Industrien gemeinsam in Angriff genommen, der Abrüstungsprozeß entschlossen fortgesetzt und eine gemeinsame solidarische Politik gegenüber den Dritte-Welt-Ländern entwickelt wird. Wir fordern eine gesamteuropäische Umweltcharta. Wir fordern europaweite Sofortmaßnahmen zum Schutz der Ozonschicht. Wir fordern ein gesamteuropäisches Bodenschutzprogramm, ein Programm der Reinhaltung der Luft und ein gesamteuropäisches Gewässerschutzprogramm.
    Zusammenarbeit mit dem europäischen Osten muß in einer gemeinsamen europäischen Perspektive konzipiert werden. Die Vision eines gemeinsamen Europäischen Hauses nehmen wir als Herausforderung an. Niemand hat bisher Detailpläne für die Architektur dieses gemeinsamen Europäischen Hauses vorlegen können. Jedoch lassen sich aus grüner Sicht jedenfalls die Grundelemente für die künftige Struktur Europas benennen:
    Erstens. Nach unserer Überzeugung kann es nur um einen gesamteuropäischen Entwurf gehen. Ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, ein zweigeteiltes Europa würde neue Spannungen hervorrufen und den Ost-West-Gegensatz unweigerlich wieder verschärfen.
    Zweitens. Ein friedfertiges, kooperatives und seinen humanistischen Traditionen verpflichtetes Europa muß sich seiner globalen Verantwortung stellen und seine wirtschaftlichen und politischen Beziehungen in der Nord-Süd-Achse neu bestimmen, im Sinne von mehr Gleichberechtigung und Respektierung eigener Entwicklungswege in den Ländern der Dritten Welt. Zu der neu zu definierenden globalen Verantwortung Europas gehört zugleich, alle technischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Ressourcen zusammenzufassen und zu nutzen, um die gegenwärtige industrielle Produktionsweise mit ihren gigantischen ökologischen und sozialen Schadensfolgen grundlegend zu verändern.
    Drittens. Wir wollen kein kulturell nivelliertes und homogenisiertes Europa, übrigens auch keine homogenisierte Bundesrepublik. Wir wollen auch kein Europa mit zentralen Machtinstanzen, die demokratisch nicht mehr kontrolliert werden können. Und wir wollen kein Europa, das sich den Direktiven wirtschaftlicher Machtgruppierungen unterwerfen muß. Deshalb muß die regionale Struktur Europas erhalten bleiben und ausgebaut werden. Der kulturelle Reichtum des Europas der vielen Gesichter und Charaktere, der Mannigfaltigkeit, darf nicht verlorengehen. Kulturelle Zusammenhänge müssen sich über Staatsgrenzen hinweg ausbilden, aber zugleich gegenüber überstaatlichen Instanzen behaupten können. Aus Europa wird dann ein vielfältiges Geflecht unterschiedlicher gesellschaftlicher Beziehungen entstehen. Eine regionale und funktionale Autonomie ist dafür die Voraussetzung. Nach unserem Verständnis kann Europa durch Aufhebung der Grenzen zu einer stärkeren Zusammenarbeit gelangen und zugleich eine regionale und funktionale Differenzierung und Dezentralisierung fördern.
    Viertens. Wir wollen ein ziviles, entmilitarisiertes Europa, das nicht an Rüstungsexporten verdient und das durch friedliche Austragung von Konflikten beispielgebend wirkt.

    (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

    Mit den sowjetischen Reformen eröffnet sich eine neue historische Dimension für die europäische Zukunft. Dennoch soll vor blinder Euphorie gewarnt werden. Wer in dem alten Machtkalkül denkt und auf einen schnellen, trügerischen Machtzugewinn aus ist, geht in die Irre. Aber Vorsicht kann auch nicht schaden; denn niemand kann sich wünschen, eine Abhängigkeit gegen eine andere einzutauschen. Die Entwicklung in der Sowjetunion und im europäischen Osten insgesamt vollzieht sich in einer atemberaubenden Dynamik, von der niemand sicher vorauszusagen weiß, zu welchen Konstellationen sie führen wird. Eines aber ist gewiß: An Schwierigkeiten und Risiken wird es nicht fehlen.
    Die bundesrepublikanische Außenpolitik muß sich darauf einstellen, wie sie sich gegenüber dem Prozeß einer Differenzierung und Metamorphose im Sinne von mehr Pluralismus in der bisher monolithischen Sowjetunion verhalten will. Eine Festung Westeuropa, die militärisch, wirtschaftlich und politisch als neue Supermacht debütieren will, womöglich mit einem kräftigen deutschen Übergewicht, verbaut den Weg in eine friedliche gemeinsame Zukunft Europas und würde den Prozeß der Differenzierung und Lokkerung in der Sowjetunion verhindern.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

    Umgekehrt, wenn die sowjetische Führung aus machtpolitischen Gesichtspunkten die Sowjetunion und ihre osteuropäischen Verbündeten als Festung erhalten will, könnte das nicht den Grundriß für ein europäisches Haus bilden, weil die Statik aus dem Gleichgewicht geriete. Dann wird es unverzichtbar sein, daß die politische Anwesenheit der USA und Kanadas in Europa zum Austarieren der Machtgewichte gesichert bleibt. Auch das ist ein denkbarer Entwurf Europas, daß die Mächte mit dem Doppelgesicht, einerseits die USA und Kanada mit ihrer europäischen und pazifischen Orientierung und andererseits die Sowjetunion mit ihrer europäischen und asiatischen Perspektive, an der europäischen Kooperative und Friedensstruktur beteiligt bleiben.
    Die künftige europäische Architektur muß sich nach den Interessen der europäischen Völker richten. Sie sind die wahren Bauherren. Wir wollen und die europäischen Völker wollen eine gesamteuropäische Kooperative, kulturelle Vielfalt, die Zurücknahme staatlicher Machtansprüche, reduzierte Rüstung und die uneingeschränkte Durchsetzung der Menschenrechte. Der Wille der europäischen Völker wird sich aber nur in einer europaweiten pluralistischen Demokratie verwirklichen lassen.



    Schily
    Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)



Rede von Heinz Westphal
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Graf Otto Lambsdorff


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Vogel, die FDP hat mit Respekt die Art zur Kenntnis genommen, wie Sie die Vorgänge des heutigen Vormittags behandelt haben. Wir wollen uns dem anschließen. Ich sage für die Freie Demokratische Partei: Es ist eine schwierige Aufgabe, an einem solchen Tage und zu einem solchen Anlaß sprechen zu müssen. Niemand wird darum beneidet, wenn er diese Aufgabe wahrnimmt. Aber wir müssen feststellen, daß die Ansprache von heute morgen auf weiten Strecken, wenn auch sicher ungewollt, den Eindruck des Versuchs einer Rechtfertigung oder Teilrechtfertigung der schlimmsten Ereignisse jüngster deutscher Geschichte erweckte. Die Mitglieder der FDP-Fraktion fühlen sich durch diese Rede nicht vertreten.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Reise des Bundeskanzlers und seiner Delegation in die UdSSR war auch nach Auffassung der FDP ein Erfolg. Dieser Erfolg ist nicht zuletzt das Ergebnis einer langfristig auf Kontinuität angelegten Politik, an der die FDP immer beteiligt war und für die ihr Außenminister Hans-Dietrich Genscher in erster Linie steht. Wir sehen mit Vergnügen und nicht mit irgendwelchem Neid die Diskussion darüber, wer denn nun der Erfinder, der Betreiber und der Promotor der Ostpolitik war, und wir denken an die 50er Jahre, an Karl Georg Pfleiderer und viele andere.

    (Rühe [CDU/CSU]: Adenauer!)

    Uns bereitet es Vergnügen, wenn Dinge, die auch von uns mitbetrieben worden sind, von anderen aufgenommen und gemeinsam zum Erfolg geführt werden.

    (Beifall bei der FDP — Schily [GRÜNE]: Pfleiderer hat nicht sehr viel zu sagen gehabt!)

    — Bitte?

    (Schily [GRÜNE]: Er hat nicht die Oberhand gewonnen!)

    — Wenn Sie sich richtig erinnern, Herr Schily, und wenn Sie das damals auch schon so verfolgt hätten, dann wüßten Sie, daß sich von dort an eine ununterbrochene ost- und deutschlandpolitische Diskussion in meiner Partei entwickelt hat, die wir in den verschiedenen Koalitionen — ich komme darauf gleich noch zurück — durchgesetzt haben. Diese Politik, die auf Kooperation und Dialogbereitschaft setzt, hat die Vertrauensbasis mit geschaffen, die zu den deutlich verbesserten deutsch-sowjetischen Beziehungen geführt hat. Vertrauen bedeutet für uns nicht Vertrauensseligkeit. Wir stimmen dem zu, Herr Rühe. Wir haben dies bewiesen. Ich weiß, mancher mag das heute nicht mehr gerne hören. Die heutige Atmosphäre sieht auch nicht mehr so aus. Trotzdem sei es noch mal gesagt. Wir haben dies dadurch bewiesen, daß wir den NATO-Doppelbeschluß nicht nur mit beschlossen — das mit Ihnen von der SPD — , sondern
    auch mit durchgeführt haben — dieses mit Ihnen von der CDU —,

    (Beifall bei der FDP — Frau Matthäus-Maier [SPD]: Das war ein Fehler!)

    mit dem bekannten positiven Ergebnis,

    (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Daß Gorbatschow Generalsekretär wurde! — Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

    das wir heute vor uns haben. — Herr Kollege Ehmke, wenn Sie den Findungsprozeß im Zentralkomitee und Politbüro der KPdSU so gut beherrschen, dann können Sie uns vielleicht ein paar nähere Informationen darüber vermitteln. Das wäre sicher interessant.
    Die Gespräche des Bundeskanzlers in Moskau zeigen, daß die deutsch-sowjetischen Beziehungen zu einem der Drehpunkte des Ost-West-Dialogs geworden sind. Das belegt nicht zuletzt die Breite der angesprochenen Themen. Neben der Vielzahl bilateraler Fragen standen die Fortschritte der Abrüstungsverhandlungen, das Verhältnis der Sowjetunion zur Europäischen Gemeinschaft, die mögliche Menschenrechtskonferenz — hoffentlich wird sie zustande kommen — im Mittelpunkt der Gespräche. Der erneut bekräftigte Wunsch beider Staaten, das Wiener Folgetreffen der KSZE auf der Basis des vorliegenden Schlußdokuments bis Mitte November 1988 zum Abschluß zu bringen, sollte diesen Verhandlungen einen zusätzlichen Impuls verleihen, damit der Weg zu Verhandlungen über die konventionelle Abrüstung sobald wie möglich geöffnet wird.
    Im übrigen, wie sich die Welt geändert hat: Derjenige, der heute das Ergebnis in Wien blockiert, wurde früher dafür gelobt, daß er eine von der Sowjetunion unabhängige Außenpolitik betrieb. Heute hätten wir ihn gerne auf dem Kurs der Sowjetunion.
    Mit Befriedigung, meine Damen und Herren, können wir zur Kenntnis nehmen, daß sich die positive Haltung der Sowjetunion zur Europäischen Gemeinschaft während des Besuchs des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers in Moskau bestätigt hat. Wir alle wissen: Auch das ist eine neue Entwicklung. Früher lief da nichts. Es wurde von sowjetischer Seite positiv bemerkt, daß sich die EG und der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe gerade während der deutschen EG-Präsidentschaft nähergekommen sind. Die Sowjetunion sieht in der Bundesrepublik einen ihrer wesentlichen Gesprächspartner im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. Es wird jetzt darauf ankommen, die begonnenen bilateralen Verhandlungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Sowjetunion zu einem für beide Seiten befriedigenden Ergebnis zu führen.
    Der Erfolg der Reise des Bundeskanzlers, des Bundesaußenministers und der übrigen Kabinettsmitglieder dokumentiert sich auch in der Vielzahl der abgeschlossenen bilateralen Abkommen und ihrer Bedeutung. Das Paket enthält für beide Partner Bereiche von besonderem Interesse.
    Aus meiner Sicht ist das Abkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei einem nuklearen Unfall und den Informationsaustausch über Kernkraftanlagen besonders wichtig. Das Abkommen ermöglicht



    Dr. Graf Lambsdorff
    den regelmäßigen bilateralen Informationsaustausch über den Betrieb aller zivilen Kernkraftanlagen. Wir wollen dieses Abkommen nutzen, um an einer beschleunigten Einführung von international anerkannten Sicherheitsstandards in der Sowjetunion mitzuwirken. Das trägt zu einer Erhöhung der Sicherheit für uns bei und eröffnet unserer Industrie, die auf dem Gebiet der Sicherheitsstandards von Kernkraftanlagen international eine führende Stellung einnimmt, neue Exportchancen.
    Ich weise weiter auf die vereinbarte Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Hochtemperaturreaktorkonsortium und dem sowjetischen Staatskomitee zur Nutzung der Atomenergie hin. Der privatwirtschaftliche Vertrag sieht die industrielle Zusammenarbeit bei Planung und Bau von Hochtemperaturreaktoren mit kleiner Leistung vor. Fernziel dieser Zusammenarbeit ist der gemeinsame Bau von Kernkraftwerken zur Erzeugung von Strom- und Prozeßwärme in der Sowjetunion und der Export derartiger Anlagen in Drittländer. Wir eröffnen der deutschen Industrie angesichts des eindeutigen sowjetischen Bekenntnisses zum weiteren Ausbau der Kernindustrie die Möglichkeit, eine von der deutschen Industrie entwickelte Spitzentechnologie mit besonders hohen Sicherheitseigenschaften international zu demonstrieren.
    Wir fragen uns allerdings, meine Damen und Herren, was sich Ministerpräsident Rau und die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen dabei denken, wenn sie Bau und Betrieb des Hochtemperaturreaktors in Nordrhein-Westfalen behindern und gleichzeitig deren Export begrüßen. Auf Dauer kann man nicht exportieren, was man zu Hause nicht benutzen will.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schily [GRÜNE]: Das ist richtig!)

    — Sie sind wenigstens konsequent, Herr Schily; das muß ich in dem Zusammenhang bestätigen.
    Mir scheint das Projekt zur Aus- und Weiterbildung von sowjetischen Managern von besonderer Bedeutung zu sein. Wenn es um das immer wieder zitierte Wort: „Wir wollen Herrn Gorbatschow helfen" geht, dann geht es in meinen Augen um diesen Bereich. Technisches Know-how, Management-Know-how, da herrscht bittere Not, man hat dort keine Ahnung. Hier können wir zur Verfügung stehen, und das kostet auch gar nicht viel Geld. Das ist machbar, und es ist dringend erforderlich. Es geht darum, sowjetische Führungskräfte auf neue Aufgaben vorzubereiten, die im Rahmen der Reform des sowjetischen Wirtschaftssystems auf sie zukommen. Das heißt insbesondere: eigenverantwortliche betriebswirtschaftliche Entscheidungen treffen, auch im Hinblick auf die verstärkte Integration der sowjetischen Wirtschaft in den internationalen Wettbewerb. Hier liegt wirklich ein Aufgabenbereich auch für uns.
    Die Errichtung von je einem Industrie- und Handelszentrum in der UdSSR und der Bundesrepublik wird zur Intensivierung und Ausweitung der wirtschaftlichen Beziehungen beitragen.
    Die Einbeziehung von Berlin ist bei den jetzt abgeschlossenen Regierungsabkommen pragmatisch und befriedigend geregelt. Die grundsätzlichen Differenzen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik in der Berlin- und Deutschlandfrage konnten bei den Moskauer Gesprächen nicht ausgeräumt werden. Nach Auffassung der FDP gebührt Bundeskanzler Kohl Dank für seine klaren Worte zur Haltung der Bundesregierung und der Bundesrepublik.
    Die Überwindung der Teilung Europas und die Überwindung der Teilung Deutschlands sind auch für die FDP untrennbar miteinander verbunden. Die Sowjetunion hat demgegenüber in Moskau an ihren alten Positionen zur Berlin- und Deutschlandpolitik festgehalten.
    Es gilt, die Dynamik zu nutzen, die durch den Besuch des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers und durch den geplanten Gegenbesuch des Generalsekretärs in Bonn in die deutsch-sowjetischen Beziehungen gekommen ist, um auch in der Berlin- und Deutschlandpolitik weitere Fortschritte zu erzielen.
    Wir sind uns darüber im klaren, daß sich derartige Fortschritte nur schrittweise durch einen oft mühsamen Dialog erreichen lassen. Wir wissen auch, daß Fortschritte nicht erreicht werden können, wenn die bestehenden Grenzen in Europa in Frage gestellt werden, und wir tun dies nicht.
    Herr Schily, die NATO im gegenwärtigen Zeitpunkt in Frage stellen? Man kann sehr schnell zwischen allen Stühlen sitzen, und wer will hier mit solchen Anregungen eigentlich wirklich veraltete Nationalpolitik?
    Meine Damen und Herren, parallel zu den Gesprächen des Bundeskanzlers haben Vertreter der deutschen Wirtschaft erfolgreiche Verhandlungen über eine Kooperation mit der Sowjetunion in vielen Bereichen geführt. Das Vertrauen, das die deutsche Industrie in die künftige wirtschaftliche Entwicklung der Sojwetunion legt, ist zu begrüßen. Umgekehrt ist unverkennbar, daß die Sowjetunion der Kooperation mit deutschen Firmen erhebliche Bedeutung beimißt und daß ihre Erwartungen in diese Zusammenarbeit sehr hoch sind. Das Stichwort von Joint-ventures und Kapitaleigner bis zu Mehrheitsverhältnissen ist ja sensationell neu. Ein deutsches Bankenkonsortium ist bereit, auf rein kommerzieller Basis einen Betrag von 1 Milliarde Rubel zu kreditieren.
    An die in- und ausländischen Kritiker gerichtet merke ich an, daß dieser Rahmenkredit deutlich niedriger ist als die Beträge, über die andere westliche Staaten zur Zeit mit der Sowjetunion verhandeln.
    Meine Damen und Herren, für die deutsche Wirtschaft ist festzustellen, daß es sich bei dem Rahmenkredit um eine rein kommerzielle und nicht präferenzierte Vereinbarung handelt, die voll in Übereinstimmung mit den westlichen Leitlinien über die WestOst-Wirtschaftsbeziehungen, nämlich dem OECD-Konsensus, steht. Ich halte diesen Kredit auch unter politischen Gesichtspunkten für wichtig, weil er ein Beitrag zur Reformpolitik der Sowjetunion ist und weil er die Integration der Sowjetunion in die Weltwirtschaft fördert.
    Für die Sowjetunion wird es darauf ankommen, die zur Verfügung gestellten Auslandskredite sinnvoll einzusetzen und der warnenden Überschrift eines In-



    Dr. Graf Lambsdorff
    terviews, das man vor einigen Tagen in deutschen Zeitungen lesen konnte — „Zu schnell und zu viel" —, durch Erfolge zu begegnen.
    Der Generalsekretär hat eine wesentliche Reform der sowjetischen Wirtschaft angekündigt. Eine Steigerung der Effizienz des sowjetischen Wirtschaftssystems liegt auch in unserem Interesse. Der bilaterale Handel zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion wie auch mit anderen westlichen Staaten ist in den letzten Jahren durch die nicht ausreichende Exportfähigkeit der Sowjetunion und den dadurch mitbestimmten Devisenmangel wesentlich beeinträchtigt worden. Die Sowjetunion wird Wert darauf legen müssen, das Konsumgüterangebot im Inland zu erhöhen, um den Erfolg der neuen Wirtschaftspolitik ihrer Bevölkerung augenfällig zu machen. Das für Wirtschaftsfragen zuständige Politbüromitglied, Herr Szjunkow, sagte mir im Juli in Moskau: 40 Jahre nach dem Kriege haben unsere Menschen doch einen besseren Lebensstandard verdient. Wohl wahr, habe ich ihm gesagt, dann macht's mal!
    Bei den Gesprächen der deutschen Delegation in Moskau war viel von marktwirtschaftlichen Elementen die Rede — der Bundeskanzler hat ja Ludwig Erhard in dem Zusammenhang erwähnt; übrigens sollte ihn mancher zu Hause auch wieder lesen — , die in das sowjetische Wirtschaftssystem eingebaut werden sollen. Ich begrüße eine derartige Entwicklung, nicht nur weil sie Liberalen grundsätzlich sympathisch ist, sondern auch weil dies der richtige Weg zu einer auch in unserem Interesse liegenden Effizienzsteigerung ist, vor allem aber weil ein Prozeß der Dezentralisierung der Entscheidungsverfahren notwendigerweise mit größerem gesellschaftlichem Pluralismus verbunden ist. Die FDP, meine Damen und Herren, beobachtet mit großem Interesse, ob und wie eine kommunistische Partei ohne Zentralverwaltungswirtschaft ihre dominierende Rolle im staatlichen Leben behaupten kann.
    Beide Delegationen haben sich vorgenommen, die Zeit bis zum Besuch von Generalsekretär Gorbatschow im Frühjahr des kommenden Jahres dazu zu nutzen, ein gemeinsames Dokument für die Perspektiven der künftigen Zusammenarbeit auszuarbeiten. Es wird darauf ankommen, insbesondere auf den Gebieten, auf denen während des Besuchs des Bundeskanzlers in Moskau noch keine ausreichenden Fortschritte erzielt werden konnten, voranzukommen. Das beabsichtigte Investitionsschutzabkommen sollte bis dahin unterschriftsreif sein.
    Die FDP sieht in dem Besuch des Bundeskanzlers und des Bundesaußenministers in Moskau — ich wiederhole das — die geradlinige Fortsetzung einer von den Liberalen seit Jahrzehnten für richtig gehaltenen und betriebenen Ost- und Deutschlandpolitik, und wir werden die Bundesregierung in ihren Bemühungen, die Beziehungen zu unserem großen Nachbarn Sowjetunion zu verbessern, auch weiterhin nachhaltig und tatkräftig unterstützen.
    Ich bedanke mich.

    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)