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ID1110600300

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/106 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 106. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abg. Dr. Czaja 7277 A Erweiterung der Tagesordnung 7277 B Tagesordnungspunkt 2: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Ergebnisse der Reise des Bundeskanzlers und seiner Delegation in die UdSSR Dr. Kohl, Bundeskanzler 7278A Dr. Vogel SPD 7284 B Rühe CDU/CSU 7287 D Schily GRÜNE 7291 C Dr. Graf Lambsdorff FDP 7294 A Heimann SPD 7296 C Frau Geiger CDU/CSU 7299 C Frau Beer GRÜNE 7301 B Genscher, Bundesminister AA 7302 A Erler SPD 7305 C Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE (Erklärung nach § 32 GO) 7307 D Tagesordnungspunkt 3: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und des Wohnungsbaugesetzes für das Saarland (Wohnungsbauänderungsgesetz 1988) (Drucksachen 11/3160, 11/3264) 7309C b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Aufhebung des Visumzwanges gegenüber Ungarn (Drucksache 11/2203) 7309 C Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Für eine Politik der offenen Grenzen — für ein Recht auf Zuflucht — Flüchtlings- und Asylkonzeption (Drucksache 11/3249) 7309D Tagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Weinwirtschaftsgesetzes (Drucksachen 11/1823, 11/3131) 7310A Tagesordnungspunkt 5: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der Bundesregierung: Aufhebbare Sechzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung (Drucksachen 11/2726, 11/3123) 7310B Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung: Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens (Drucksache 11/3245) 7310B II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 Zusatztagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 86 zu Petitionen (Drucksache 11/3289) 7310 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 87 zu Petitionen (Drucksache 11/3290) 7310 C Tagesordnungspunkt 7: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Umwandlung der deutschen Pfandbriefanstalt in eine Aktiengesellschaft (Drucksachen 11/2047, 11/2992) Uldall CDU/CSU 7310 C Dr. Wieczorek SPD 7311D Dr. Solms FDP 7313 C Hüser GRÜNE 7314 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF 7315 A Tagesordnungspunkt 13: a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung für die Bemühungen um Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen in Chile und um Gerechtigkeit für ihre Opfer (Drucksache 11/2985) b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Sofortige Aufnahme der in Chile mit der Todesstrafe bedrohten politischen Gefangenen (Drucksache 11/2986) c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Unterstützung der Oppositionspresse in Chile (Drucksache 11/2987) Volmer GRÜNE 7316B Schreiber CDU/CSU 7317 D Duve SPD 7319 C Irmer FDP 7321 A Schäfer, Staatsminister AA 7322 B Volmer GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 7323 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN: Errichtung einer internationalen Begegnungsstätte für Frieden und Versöhnung in Guernica, Baskenland zu dem Antrag der Fraktion der SPD: Geste des Friedens und der Freundschaft durch die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der baskischen Stadt Guernica in Spanien (Drucksachen 11/362, 11/483, 11/3180) Frau Kelly GRÜNE 7324 A Dr. Pohlmeier CDU/CSU 7325 A Duve SPD 7325 C Irmer FDP 7326 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung asylverfahrensrechtlicher und ausländerrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 11/2302, 11/3189) Spranger, Parl. Staatssekretär BMI 7327 D Frau Dr. Sonntag-Wolgast SPD 7328 D Dr. Hirsch FDP 7330 D Frau Olms GRÜNE 7332 A Dr. Olderog CDU/CSU 7332 D Tagesordnungspunkt 9: a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Konkursordnung (Drucksachen 11/2065, 11/3279) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wittmann, Marschewski, Dr. Hüsch, Eylmann, Dr. Langner, Seesing, Geis, Hörster und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Kleinert (Hannover), Funke, Irmer und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren (Drucksachen 11/2991, 11/3279) Dr. Pick SPD 7334 B Helmrich CDU/CSU 7334 D Hüser GRÜNE 7335 A Kleinert (Hannover) FDP 7335 C Engelhard, Bundesminister BMJ 7335 D Tagesordnungspunkt 10: a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Duve, Dr. Apel, Dr. Penner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Erhaltung des halben Mehrwertsteuersatzes für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften (Drucksachen 11/920, 11/1978) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 III b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu einer Mitteilung der Kommission an den Rat über Maßnahmen im Bereich des Buches (Drucksachen 11/706, 11/2505) Weisskirchen (Wiesloch) SPD 7337 A Frau Pack CDU/CSU 7338 A Hüser GRÜNE 7338 D Neuhausen FDP 7339 B Schulhoff CDU/CSU 7340 B Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär BMF 7341A, 7341D Duve SPD 7341 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags des Abgeordneten Wüppesahl (fraktionslos): Sitzplatz des Abgeordneten Wüppesahl im Plenarsaal (Drucksache 11/3198) Bohl CDU/CSU (zur GO) 7342 B Wüppesahl fraktionslos 7342 B Tagesordnungspunkt 11: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Humanitäres Kriegsvölkerrecht (Drucksache 11/2118) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Humanitäres Kriegsvölkerrecht (Drucksache 11/3295) Verheugen SPD 7344 A Graf Huyn CDU/CSU 7345 B Frau Schilling GRÜNE 7346 B Irmer FDP 7347 B Dr. Scheer SPD 7348 D Schäfer, Staatsminister AA 7349 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP: Humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan im Zusammenhang mit dem Abzug der sowjetischen Truppen (Drucksache 11/2437) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN: Das Genfer Abkommen zwischen Afghanistan und Pakistan vom 14. April 1988 und humanitäre Hilfeleistungen der Bundesrepublik Deutschland an Afghanistan (Drucksache 11/3272) Vogel (Ennepetal) CDU/CSU 7351 C Dr. Holtz SPD 7352 A Frau Folz-Steinacker FDP 7353 B Frau Olms GRÜNE 7354 C Höffkes CDU/CSU 7355 B Schäfer, Staatsminister AA 7356 B Zusatztagesordnungspunkt 13: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1988 (Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 1988) (Drucksachen 11/2742, 11/3293, 11/3297) Regenspurger CDU/CSU 7358 A Lutz SPD 7359 B Dr. Hirsch FDP 7360 B Nächste Sitzung 7361 C Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten 7362* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 106. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 10. November 1988 7277 106. Sitzung Bonn, den 10. November 1988 Beginn: 15.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens** 11. 11. Amling 11. 11. Antretter 10. 11. Frau Beer 11. 11. Böhm (Melsungen)* 11. 11. Börnsen (Ritterbude) 11. 11. Dr. Bötsch 11. 11. Bühler (Bruchsal)* 10. 11. Dollinger 11. 11. Dr. Dregger 11. 11. Ebermann 11. 11. Frau Eid 11. 11. Dr. von Geldern 10. 11. Dr. Glotz 11. 11. Grüner 10. 11. Frau Dr. Hamm-Brücher 11. 11. Dr. Hauff 11. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Hensel 11. 11. Frau Hoffmann (Soltau) 11. 11. Irmer 10. 11. Dr. Klejdzinski* 10. 11. Dr. Knabe 10. 11. Kolb 10. 11. Leonhart 11. 11. Frau Luuk* 10. 11. Dr. Müller** 11. 11. Müller (Düsseldorf) 10. 11. Frau Nickels 11. 11. Niegel* 10. 11. Paintner 11. 11. Reddemann** 10. 11. Reuschenbach 11. 11. Frau Rock 11. 11. Frau Saibold 10. 11. Dr. Schäuble 10. 11. Scherrer 10. 11. Dr. Schmude 11. 11. Dr. Schneider (Nürnberg) 10. 11. Frau Trenz 11. 11. Voigt (Frankfurt) 11. 11. Frau Wieczorek-Zeul 11. 11.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hans-Dietrich Genscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Wir sind bereit, im KSZE-Rahmen nach Menschenrechtskonferenzen in Paris und Kopenhagen auch eine solche Konferenz in Moskau mitzutragen, wenn — dies will ich deutlich unterstreichen, das ist die Voraussetzung — diese den Standards, die die vorausgegangenen Treffen setzten, folgt und wenn auch weitere inhaltliche Fragen und Voraussetzungen geklärt sind.
    Meine Damen und Herren, obwohl ich meinen Besuch bewußt in diesen weitgespannten Rahmen stelle, muß ich zugleich betonen, daß ich heute nur eine Zwischenbilanz ziehen kann. Denn von Anfang an war vereinbart, daß mein Besuch in Moskau und der Gegenbesuch Generalsekretär Gorbatschows eine Einheit bilden werden. Wir erwarten den Generalsekretär, wie ich denke, in der ersten Hälfte des kommenden Jahres. Ich glaube aber, schon die Zwischenbilanz kann sich durchaus sehen lassen.
    Das Gesprächsprogramm, das meine Kabinettskollegen und ich in Moskau absolvieren konnten, war von großer Dichte. Ich selbst habe mit Generalsekretär Gorbatschow weit über zehn Stunden unter vier Augen und im Delegationskreis gesprochen. Wir haben in einem außerordentlich offenen und angenehmen und auch freundlichen Gesprächsklima die Themen abgesteckt.

    (Zuruf von der SPD)

    — Ich weiß gar nicht, warum Sie sich darüber erregen. Ich finde, Sie sollten sich doch freuen und Applaus geben.
    Wir haben über die geschichtlichen Grundlagen unserer Beziehungen gesprochen. Wir haben unsere Entschlossenheit bekräftigt, an die guten und an die konstruktiven Traditionen der gemeinsamen Geschichte anzuknüpfen. Wir waren uns einig über die Bewertung unserer Gespräche und darin, daß jetzt die Chance gegeben ist, ein neues Kapitel mit vielen positiven Seiten zu eröffnen.
    Wir haben die Zukunftsperspektiven erörtert. Hier hebe ich insbesondere unsere Verabredung hervor, auch über den Gegenbesuch von Generalsekretär Gorbatschow hinaus uns regelmäßig zu treffen und die persönlichen Kontakte in verschiedenen Formen aufrechtzuerhalten.
    Wir haben vor allem auch über die Entwicklung in Europa gesprochen und über die kulturelle und menschliche Dimension, die diese Entwicklung bekommt. Generalsekretär Gorbatschow hat seine Idee eines „gemeinsamen Hauses Europa" umrissen und immer wieder betont, daß selbstverständlich die USA



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    und Kanada dazugehören, daß die Bündnissysteme unberührt bleiben und die unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen gegenseitig respektiert werden sollten.
    Ich habe ihm geantwortet, daß aus unserer Sicht dieses „Haus Europa" nur dann einen Sinn macht, wenn dieses Haus, um im Bild zu bleiben, viele Fenster und Türen hat, wenn die Menschen frei zueinander kommen können, wenn nichts und niemand den Austausch von Gütern und von Ideen, von Wissenschaft und Kultur hemmt; dann bin ich und sind wir alle mit diesem Bild gerne einverstanden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir haben sehr intensiv auch über unsere Vision eines gemeinsamen Europas, einer europäischen Friedensordnung diskutiert, die alle Europäer in gemeinsamer Freiheit zusammenführt und die für uns immer auch die Verbundenheit mit den nordamerikanischen Demokratien einschließt, einer Friedensordnung, in der alle Länder und Völker in friedlichem Wettbewerb miteinander leben und in immer engerem Austausch einander begegnen, einer Friedensordnung, in der jeder sein Auskommen hat und in der unsere natürlichen Lebensgrundlagen pfleglich behandelt werden, einer Friedensordnung, deren Voraussetzung die Achtung von Menschenrecht und Menschenwürde ist.
    Generalsekretär Gorbatschow und ich waren uns einig, daß für das Europa der Zukunft, an dem wir bauen wollen, der Helsinki-Prozeß Bauplan und Hausordnung sein kann.
    Wir waren uns einig, kurzfristig alle Anstrengungen darauf zu konzentrieren, daß das Wiener KSZE-Folgetreffen mit einem ausgewogenen, substantiellen Abschlußdokument beendet wird und daß zu diesem Abschluß auch die Verabredung eines weiteren Forums über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen sowie des Mandats für Verhandlungen über konventionelle Stabilität in ganz Europa gehören. Ebenfalls waren wir uns einig, daß diese Verhandlungen über konventionelle Stabilität möglichst noch in diesem Jahr beginnen sollten.
    Für den Vorschlag des Generalsekretärs, ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs unter Teilnahme der USA und Kanadas einzuberufen, habe ich mich offen gezeigt, dabei aber betont, daß solche Konferenzen ungewöhnlich gründlich vorbereitet werden müßten und vorher eine klare Verständigung über Themen und Zielsetzungen notwendig sei. Wir erwarten hierzu in Kürze sowjetische Erläuterungen. Das gilt auch für das angekündigte Zentrum zur Verminderung der Kriegsgefahr.
    Die beiden Außenminister haben dieses Thema weiter vertieft. Der Kollege Genscher wird hierzu noch Näheres erläutern.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle auch hervorheben, daß mit dem Bundesminister Scholz erstmals ein Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland Moskau besucht hat. Ich habe gegenüber Generalsekretär Gorbatschow angeregt, den sowjetischen Verteidigungsminister Jasow im nächsten Jahr in seine Delegation einzuschließen, und er hat diesen Vorschlag sehr positiv gewürdigt und aufgenommen.
    Auch die Verteidigungsminister haben in einem konstruktiven Gespräch ihr Augenmerk auf die konventionellen Ungleichgewichte in Europa gerichtet und dabei sowohl quantitative als auch qualitative Kriterien dieser Politik erörtert. Einig waren sie sich darin, daß die bestehenden Asymmetrien auf dem Wege der Abrüstung und der Rüstungskontrolle beseitigt werden müssen.
    Meine Damen und Herren, Nüchternheit und Sachlichkeit prägten auch die Gespräche über Abrüstung und Rüstungskontrolle, die ich in Moskau mit Generalsekretär Gorbatschow hatte, die Bundesminister Genscher und Bundesminister Scholz mit ihren jeweiligen sowjetischen Kollegen führten. Generalsekretär Gorbatschow und ich waren uns einig, daß wir von den Realitäten auszugehen haben und versuchen sollten, uns auf das Machbare, d. h. auf das Nächstliegende, zu konzentrieren.
    Generalsekretär Gorbatschow will mit seinem Willen zur Abrüstung ernstgenommen werden. Er pocht auf das Prinzip der Gegenseitigkeit als ein wesentliches Kriterium für die Abrüstung. Dies muß selbstverständlich auch für uns gelten.
    Das Nächstliegende, meine Damen und Herren, ist der Abschluß des Wiener KSZE-Folgetreffens mit einem Mandat für Verhandlungen über konventionelle Stabilität in ganz Europa sowie über neue vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen. Dort sind jetzt nicht nur Worte, sondern von allen Seiten Taten gefordert.
    Generalsekretär Gorbatschow will keine Verhandlungen an den laufenden und noch zu schaffenden Rüstungskontrollforen vorbei, sondern erklärte, daß sachdienliche Beiträge zum erfolgsorientieren Verhandeln in diesen Foren auch von seiner Seite geleistet werden.
    Er hat auch — ich will auch dies wegen mancher öffentlicher Äußerungen in diesen Wochen sagen — nicht etwa mit Vorschlägen zum Tauschhandel mit einseitigen, aber unkontrollierten Truppenreduzierungen im Gegenzug für bündniswidriges „Wohlverhalten" gelockt. Im Gegenteil: Es gilt die Verabredung, sich im Rahmen der Bündnisse für gemeinsame, für vernünftige Lösungen auf dem Wege zu einer sicheren Welt mit weniger Waffen einzusetzen.
    Dabei soll auf den Grundprinzipien des INF-Vertrags aufgebaut werden: Wer mehr Waffen hat, muß mehr abrüsten, und erst strikte Überprüfung schafft Vertrauen.
    Meine Damen und Herren, nichts verdeutlicht besser die außerordentlich breite deutsch-sowjetische Themenpalette als die Fachgespräche, die die fünf Kabinettskollegen und die Staatssekretäre in Moskau geführt haben, als die sechs Verträge und Abkommen, die wir unterzeichnet haben, und als die Fülle von Absichtserklärungen zu weiteren Verhandlungen und Projekten, die in einer abgestimmten Mitteilung über die Besuchsergebnisse festgehalten sind.
    Lassen Sie mich hervorheben:



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    Erstens: Generalsekretär Gorbatschow und ich waren uns einig, daß angesichts grenzüberschreitender Gefährdung unserer Umwelt gemeinsames Handeln auch im deutsch-sowjetischen Verhältnis geboten ist. Das Umweltschutzabkommen ist deshalb ein besonders notwendiges, aber auch in die Zukunft weisendes Instrument, im Interesse aller unserer europäischen Nachbarn Luft, Boden und Gewässer — und ich denke hier insbesondere an die Ostsee — von gegenwärtigen Belastungen zu befreien und unseren Nachkommen in einem besseren Zustand zu hinterlassen.
    Zweitens: Mit dem Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit bei Erforschung und Nutzung des Weltraums zu friedlichen Zwecken vertiefen wir die Zusammenarbeit. Wir freuen uns auf eine gemeinsame Raumflugmission sowjetischer Kosmonauten und eines Wissenschaftsastronauten oder einer Wissenschaftsastronautin aus der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Unser wissenschaftliches Potential — das war bei diesen Gesprächen erkennbar — macht uns dabei zu einem besonders geschätzten Partner.
    Drittens: Mit dem Abkommen über die Förderung von Unternehmenszusammenarbeit im Bereich der Nahrungsmittelindustrie werden wir einem Schwerpunkt des sowjetischen Reformprogramms Rechnung tragen und ihn in einer guten Weise abstützen.
    Viertens: Mit der Vereinbarung über die Verhütung von Zwischenfällen auf See außerhalb der Hoheitsgewässer nach dem Vorbild entsprechender Abkommen der USA und Großbritanniens haben wir erstmals ein militärisch relevantes Abkommen mit der Sowjetunion geschlossen. Es wird nach unserer Überzeugung helfen, den Zustand guter Nachbarschaft — das gilt insbesondere für den Bereich der Ostsee — zu stabilisieren.
    Fünftens: Unser Abkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen und den Informationsaustausch über Kernanlagen geht wesentlich weiter als das von der Internationalen Atomenergie-Organisation in Wien entworfene Musterabkommen: Unser Ziel ist die Verhütung von Störfällen durch erhöhte Sicherheitsstandards. Dazu ist ein konkreter Sicherheitsvergleich bestehender Kernkraftwerke auf beiden Seiten vereinbart worden.
    Sechstens: Nicht zuletzt eröffnet das erste ZweiJahres-Programm zum deutschsowjetischen Kulturabkommen von 1973 ein breites Feld des Austauschs und der Zusammenarbeit. Darüber hinaus ist verabredet, Verhandlungen über einen Austausch von Kulturinstituten aufzunehmen — ein Schritt, der angesichts der großartigen kulturellen Tradition beider Völker und ihres Beitrags zum kulturellen Erbe Europas längst überfällig ist.
    Der Schwerpunkt der Abschlüsse auf wirtschaftlichem Gebiet lag diesmal bei unseren Privatunternehmen und ihren sowjetischen Partnern. Die rund 30 Abschlüsse, die von traditionellen Liefergeschäften bis zu neuen Formen der Kooperation gingen, insbesondere joint ventures, werte ich als eine wichtige
    Aussage darüber, was die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des gegenseitigen Nutzens zur Entwicklung der sowjetischen Volkswirtschaft beitragen kann. Wir können dabei bekanntlich auf einer jahrzehntealten Erfahrung und einem erheblichen Vertrauen unserer Partner auf diesem Feld aufbauen. Besonders befriedigt bin ich — das will ich hervorheben — darüber, daß bei dieser Zusammenarbeit vor allem die mittelständische Wirtschaft voll einbezogen wird.
    Meine Kollegen und ich haben uns in Moskau nachdrücklich für bessere Arbeitsbedingungen für die deutschen Geschäftsleute und vor allem für bessere rechtliche Rahmenbedingungen für Gemeinschaftsunternehmen eingesetzt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Verabredung, daß bis zum Gegenbesuch des Generalsekretärs im nächsten Jahr ein Abkommen über Schutz und Förderung von Investitionen unterschriftsreif verhandelt wird.
    Ich will das besondere Interesse der Bundesregierung an zwei Projekten betonen, deren Bedeutung über den Rahmen der wirtschaftlichen Beziehungen hinausgeht:
    Zum einen geht es um ein Zentrum für Industrie und Handel, kurz „Haus der deutschen Wirtschaft" genannt, das als Gemeinschaftsunternehmen in Moskau eingerichtet werden soll. Eine entsprechende Verabredung wird in nächster Zeit unterzeichnet. Dieses Projekt steht für eine langfristig angelegte, enger werdende wirtschaftliche Zusammenarbeit. Es ist unerläßlich und von besonderem Wert für die mittleren und kleineren Unternehmen unseres Landes, die, wie ich in Moskau immer wieder betont habe, gerade durch Flexibilität und Innovationskraft einen wichtigen Beitrag zu den deutsch-sowjetischen Beziehungen leisten können.
    Zum anderen nenne ich mein Angebot, im Rahmen eines Drei-Jahres-Programms von 1989 bis 1991 und auch auf der Grundlage von Pilotprojekten jährlich rund 1 000 junge Sowjetbürger zu Studium, Aus- und Fortbildung, insbesondere im Managementbereich, sowie zu Informationsreisen in die Bundesrepublik Deutschland einzuladen. Ich verbinde mit diesem ersten Schritt die Hoffnung auf deutliche Fortschritte beim Jugend- und Schüleraustausch zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns einig, daß eine Intensivierung dieses Austausches eben nicht nur den fachlichen Kenntnissen beider Seiten zugute kommt, sondern vor allem auch das menschliche Miteinander fördert.
    Generalsekretär Gorbatschow und alle seine Mitarbeiter haben diesen Vorschlag ausdrücklich begrüßt und sich bereit erklärt, ihren Beitrag zu leisten. Ich wäre dem Hohen Hause dankbar, wenn wir die notwendigen Mittel bereits in den Bundeshaushalt 1989 einbringen könnten.
    Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich bin in Moskau auch für mehr Begegnungen zwischen dem Deutschen Bundestag und dem Obersten Sowjet ein-



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    getreten. Wir haben unseren Wunsch nach mehr Begegnungen der Kirchen, der Gewerkschaften und anderer wichtiger gesellschaftlicher Gruppen deutlich gemacht, den Wunsch nach Städtepartnerschaften und vor allem auch nach einem verbesserten Kontakt der Medien. Ich hoffe, daß sich die positiven Äußerungen auch bald in entsprechenden Aktionen niederschlagen.
    Ausdrücklich, meine Damen und Herren, würdige ich, daß in den Tagen meines Moskauer Besuchs die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik und das Institut für Europa der Akademie der Wissenschaften ein regierungsunabhängiges Gesprächsforum vereinbart haben, zu dem selbstverständlich auch die Vertreter der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien gehören werden.
    Als einen Schlußpunkt dieser Liste erwähne ich meine Verabredung mit Generalsekretär Gorbatschow, beim Gegenbesuch im nächsten Jahr ein gemeinsames Dokument zu unterzeichnen, das, aufbauend auf den Erfahrungen des Moskauer Vertrages, diesen konzeptionell weiterentwickeln und Perspektiven des deutsch-sowjetischen Verhältnisses im Rahmen eines immer enger zusammenwachsenden Europa aufzeigen wird.
    Ich habe Generalsekretär Gorbatschow in all diesen Gesprächen gesagt: In der Perspektive eines Europa, das seine alten Wunden heilt, das sich auf seine geschichtliche und kulturelle Einheit besinnt, gemeinsame Wege in die Zukunft sucht, wollen auch wir als Deutsche die Teilung unseres Vaterlandes überwinden. Ich habe betont, daß Krieg und Gewalt für uns kein Mittel der Politik sind, daß wir die bestehenden Verträge ohne Wenn und Aber achten, daß aber der Zusammenhalt der Deutschen und die Einheit unserer Nation zu den menschlichen und zu den politischen Realitäten unseres Kontinents gehört, an denen auf Dauer niemand vorbeigehen kann.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe deutlich gemacht, daß wir deshalb am Auftrag unseres Grundgesetzes und am Ziel unserer Politik festhalten, so wie sie anläßlich der Unterzeichnung des Moskauer Vertrages im Brief zur Deutschen Einheit erläutert wurde — ich zitiere — : „auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt" .
    Ich habe mit Generalsekretär Gorbatschow auch sehr intensiv und mit großem Ernst über die Lage in und um Berlin gesprochen. Meine Damen und Herren, Berlin ist in die geschlossenen Verträge sowie in die sich intensivierende Zusammenarbeit insgesamt voll einbezogen. Generalsekretär Gorbatschow und ich haben vereinbart, daß die Außenminister auf der Grundlage des Vier-Mächte-Abkommens für die noch offenen Fragen praktikable Lösungen erarbeiten.
    Sie wissen, daß hier die Unterschiede im Grundsätzlichen nicht überbrückt sind. Der Generalsekretär hat dies in seiner Tischrede mit großer Klarheit festgestellt. Wir haben jedoch in unseren Gesprächen Einigkeit erzielt, daß Unterschiede im Grundsätzlichen nicht den Weg zu praktischen und vor allem für die
    Menschen sinnvollen und vernünftigen Lösungen versperren dürfen.
    In dieser Perspektive weise ich darauf hin, daß Generalsekretär Gorbatschow ebenfalls in seiner Tischrede erklärt hat, die Sowjetunion sei nicht gegen die Teilnahme der Stadt am europäischen und internationalen Verkehr und sei bereit, ihre spezifischen Interessen in Wirtschaft und im kulturellen Leben in Rechnung zu stellen. Hier, meine Damen und Herren, sehe ich politischen Gestaltungsraum, den wir im Einvernehmen mit den Mächten, die für Berlin und Deutschland als Ganzes besondere Verantwortung tragen, ausloten müssen. Das ist eines der wichtigen Ziele für die nächste Zeit.
    Ich bin mir darüber im klaren, daß auch dieses Feld schwierig bleibt. Wie vor meinem Moskau-Besuch warne ich auch heute vor unrealistischen Erwartungen. Aber wir werden in unserem Einsatz für eine Zukunftsfrage unserer Nation nicht nachlassen.
    Meine Damen und Herren, zu den menschlich bewegenden Begegnungen in der sowjetischen Hauptstadt gehörte mein Treffen mit Vertretern der deutschen Minderheit und mit Aussiedlern, die in unserer Botschaft gerade ihre Pässe und Ausreisepapiere in Empfang nehmen konnten. Beide Begegnungen spiegeln positive Entwicklungen wider, die noch vor wenigen Jahren, ja noch vor einigen Monaten unvorstellbar gewesen wären.
    Auch hier hat sich beharrliche Arbeit im stillen ausgezahlt. Wir wollen uns weiterhin bemühen, die Lage unserer Landsleute, die dort leben — zum Teil seit zehn, zwölf Generationen — , insbesondere in kultureller und religiöser Hinsicht nachhaltig zu verbessern, und wir wollen alles tun, den Aussiedlern, die zu uns kommen, den Start in einer neuen Heimat zu erleichtern. Ich würdige ausdrücklich das Verständnis, das ich bei der sowjetischen Führung für diesen besonderen Wunsch der Deutschen gefunden habe.
    Meine Damen und Herren, in seiner abschließenden Bewertung unserer Begegnung hat Generalsekretär Gorbatschow davon gesprochen, daß wir in den deutschsowjetischen Beziehungen anläßlich dieses Besuchs in Moskau eine „große Wende " erlebt und mitgestaltet haben. Ich will mir dieses Wort zu eigen machen und ergänzen: Wir wollen die günstigen objektiven Voraussetzungen, die ich angesichts der weltpolitischen Entwicklung eingangs umrissen habe, nach besten Kräften nutzen, um unsere Beziehungen auf eine neue, höhere Stufe zu stellen. Wir wollen den politischen Willen darauf konzentrieren, das jetzt realistisch Machbare mit großer Energie auf den Weg zu bringen und dabei über unvermeidbare Schwierigkeiten im Detail die große Zielsetzung nicht übersehen. Wir wollen dazu beitragen, daß sich das Klima in unseren Beziehungen im Interesse des West-Ost-Verhältnisses insgesamt freundlicher entwickelt und daß wir zum Nutzen aller unserer europäischen Nachbarn einen Zustand guter Nachbarschaft dauerhaft begründen.
    Die Bundesregierung und ich selbst sind fest entschlossen, hierzu unseren Beitrag zu leisten.
    Meine Damen und Herren, die Voraussetzungen für weitere Fortschritte im West-Ost-Verhältnis stehen



    Bundeskanzler Dr. Kohl
    heute so günstig wie kaum je zuvor in der Nachkriegszeit.
    In diesen Tagen hat das amerikanische Volk George Bush zu seinem 41. Präsidenten gewählt. Ich darf ihn auch von dieser Stelle aus zu seiner Wahl sehr herzlich beglückwünschen. Ich wünsche ihm ein erfolgreiches Wirken für den Frieden und die Freiheit seines Landes.

    (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

    Aus vielen persönlichen Begegnungen in den letzten Jahren mit ihm weiß ich, daß George Bush ein Freund unseres Landes ist und daß ich in ihm bei unseren Gesprächen einen Partner haben werde, der mit Nüchternheit und Weitblick den von Ronald Reagan beschrittenen historischen Weg der Abrüstung und Rüstungskontrolle konsequent weiter gehen wird, der die amerikanisch-sowjetischen Beziehungen auf allen Feldern mit neuem Schwung weiterentwickeln und für Achtung von Menschenrecht und Menschenwürde in allen Staaten auch unseres Kontinents kämpfen wird.
    Wir setzen darauf, daß nach den Konfrontationen des Kalten Krieges und nach den Verwerfungen der sogenannten Stagnationszeit nunmehr auf unserem Kontinent eine Chance für mehr Dialog und Zusammenarbeit eingeleitet ist, die es West und Ost ermöglicht, sich auf gemeinsame Zukunftsaufgaben zu konzentrieren, die es West und Ost ermöglicht, ihrer Verantwortung gegenüber den Völkern der Dritten Welt gerecht zu werden und an einer friedlichen Zukunft für alle Länder und Völker zu bauen.
    Nicht Kleingläubigkeit und nicht Blauäugigkeit, sondern ein solides, Schritt für Schritt begründetes Vertrauen ist der Schlüssel in diese Zukunft.
    Die Bundesregierung wird alles tun, daß wir auf diesem Weg gemeinsam entschlossen vorankommen.

    (Langanhaltender lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen in diesem Hause zur Stunde wohl alle noch unter dem Eindruck der Rede, die wir heute vormittag in diesem Saal gehört haben. Ich habe meiner Betroffenheit und der meiner Fraktion bereits außerhalb dieses Saales Ausdruck gegeben. Es war meine Absicht, die Gründe der Betroffenheit hier von der gleichen Stelle aus zu erläutern, an der die Rede gehalten worden ist. Ich bin gebeten worden, das nicht zu tun, um Gespräche, die zwischen den Fraktionen stattfinden sollen, nicht zu erschweren. Ich will dieser Bitte entsprechen. Ich beschränke mich deswegen auf zwei Sätze.
    Ich ziehe nicht — das gilt auch für meine Fraktion — die innere Einstellung des Redners zu dem damaligen Geschehen in Zweifel. Aber wir bezweifeln, ob wesentliche Passagen dessen, was gesagt wurde, dem gerecht geworden sind, was der Anlaß an gedanklicher und sprachlicher Einfühlung und Sorgfalt von einer Rede erfordert, die in einer solchen Stunde für
    das gesamte Parlament und damit für unser ganzes Volk gehalten wird.

    (Zustimmung bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Schily [GRÜNE])

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es ist gut, wenn wir gerade in dem Zusammenhang nicht außer acht lassen, daß auch das, was jetzt noch geschieht und gesagt wird, mit dem Geschehen vor 50 Jahren in irgendeinen Zusammenhang gebracht wird. Ich meine, was von dem heutigen Vormittag in jeder nur denkbaren Hinsicht bleiben wird, ist, daß das Eis hinsichtlich dieser furchtbaren Ereignisse und ihrer Bewältigung auch nach 50 Jahren dünn ist. Und wenn noch jemand einen Zweifel gehabt hat, ob wir diesen Abschnitt der Geschichte bereits hinter uns lassen können, dann hat uns der heutige Vormittag gezeigt, daß die Geschichte selbst beim besten Willen noch immer ungeheuer gegenwärtig sein kann.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zu Ihrer Regierungserklärung. Es ist dankenswert, daß Sie, Herr Bundeskanzler, das Parlament heute über den Verlauf und die Ergebnisse Ihrer Moskau-Reise unterrichtet haben. Noch dankenswerter wäre es allerdings gewesen, wenn das schon am Freitag vor acht Tagen, also unmittelbar nach Ihrer Rückkehr, geschehen wäre. Das hätte dem Rang des Deutschen Bundestags entsprochen, und auf diese Weise wäre auch vermieden worden, daß der Bundestag von Ihnen — wieder einmal, muß ich leider sagen — erst nach der Presse und nach zahlreichen anderen Gesprächspartnern als letzter ins Bild gesetzt wird.

    (Beifall bei der SPD)

    Aber über Fragen, die den Umgang mit dem Parlament betreffen, sind wir ja, Herr Bundeskanzler, nicht selten ganz unterschiedlicher Meinung. Das ist unter anderem auch bei der Auseinandersetzung über das Beratungsprozedere deutlich geworden, das Sie dem Bundestag bei der Behandlung der Gesundheitskostenvorlage zugemutet haben und trotz einiger Korrekturen noch immer zumuten.
    In der Beurteilung des Verlaufs und der Ergebnisse Ihrer Reise stimmen wir zum Teil mit Ihnen überein, zum Teil kommen wir zu anderen Folgerungen.
    Ich beginne mit den positiven Aspekten, und ich stehe nicht an, Ihnen auch für meine Fraktion für den Teil Ihrer Anstrengungen, den wir positiv bewerten, meinen Respekt zu erweisen.

    (Beifall bei der SPD)

    Es ist gut, Herr Bundeskanzler, daß Sie die Reise, die lange überfällig war, jetzt unternommen haben. Es ist erfreulich, daß mehrere Verträge, die schon seit längerem ausgehandelt worden sind, bei dieser Gelegenheit unterzeichnet wurden. Das kann der Kooperation auf dem Gebiet der Kultur, der Wissenschaft und des Umweltschutzes neue Impulse geben. Wir begrüßen auch die Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und die von deutschen Banken bei Gelegenheit Ihres Besuchs getroffene Vereinbarung über einen Kredit in Höhe von 3 Milliarden DM. Ich habe gern die Ankündigung jetzt gerade aus Ihrer



    Dr. Vogel
    Erklärung gehört, daß weitere westliche Kredite in noch größerer Höhe folgen werden. Das liegt in unserem wirtschaftlichen Interesse.
    Es liegt aber auch in unserem Interesse, daß dadurch die Erfolgsaussichten für die Politik des Umbaus und der Erneuerung gestärkt werden. Denn darüber, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, müssen wir uns wohl im klaren sein: Wenn diese Politik scheitern würde, könnte und würde uns das nicht unberührt lassen. Weder könnten wir weiterhin so leben wie bisher, wenn der andere Teil Europas ohne Hoffnung in wirtschaftlichen Schwierigkeiten versinken würde. Noch könnten wir dann eine konstruktive Fortsetzung der Politik der Öffnung, der Abrüstung und der Entspannung erwarten.

    (Beifall bei der SPD)

    Vielmehr wäre dann mit neuen Spannungen und der Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufs zu rechnen.
    Wir halten mit Ihnen die Begegnung zwischen dem Bundesverteidigungsminister und seinem sowjetischen Kollegen und die Diskussion für bedeutsam, die Herr Scholz in der Militärakademie mit sowjetischen Kommandeuren und anderen Offizieren geführt hat. Das setzt fort, was wir schon vor längerer Zeit, damals übrigens begleitet von Kommentaren des Mißtrauens und der Fragezeichen, eingeleitet haben. So ich selbst in einer mehrstündigen Unterredung mit Marschall Achromejew, dem sowjetischen Generalstabschef, im Mai dieses Jahres. Oder die Kollegen von Bülow und Voigt, die in den vergangenen Jahren mehrfach mit Angehörigen des sowjetischen Generalstabs über konkrete Schritte zur Herbeiführung eines Zustands der strukturellen Angriffsunfähigkeit der beiden Streitkräfte diskutiert haben. Das ist geeignet, die wechselseitigen Feindbilder, die jahrelang, und zwar nicht nur auf der sowjetischen Seite, gepflegt worden sind, abzubauen.

    (Beifall bei der SPD)

    Deshalb wäre es übrigens gut, wenn Herr Scholz jetzt auch bald mit dem Verteidigungsminister der DDR, Herrn Keßler, und auch mit seinem polnischen Kollegen zusammentreffen würde. Auch eine Begegnung der ranghöchsten Generäle der jeweiligen Teilstreitkräfte sollte angestrebt werden, und zwar, Herr Kollege Scholz, ohne Vorbedingungen, die in der gegenwärtigen Situation eher kleinlich, jedenfalls aber überholt wirken.

    (Beifall bei der SPD)

    Das wichtigste Ergebnis Ihrer Reise sehen wir allerdings in der Verbesserung des Klimas zwischen Ihnen und der sowjetischen Führung und darin, Herr Bundeskanzler, daß Sie Ihre Einschätzung der Persönlichkeit und der Politik Gorbatschows vollständig korrigiert haben. Ihrem unseligen Vergleich vom Herbst 1986 haben wir mit aller Entschiedenheit widersprochen; Ihre jetzige Beurteilung stimmt mit der unseren in wesentlichen Punkten überein. Es wäre besser gewesen, es hätte diese Übereinstimmung schon vor zwei Jahren gegeben.

    (Beifall bei der SPD)

    Wir erkennen auch an, daß Sie sich bemüht haben, die von Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen
    entwickelte Ostpolitik nunmehr auch ihrem Inhalt nach und nicht nur verbal fortzusetzen. Es gab ja eine Periode, in der die verbalen Berührungspunkte im Vordergrund standen. Wir entnehmen dieses Bemühen unter anderem daraus, daß Sie während Ihres Besuches eine KSZE-Menschenrechtskonferenz in Moskau ebenso befürwortet haben wie einen sicherheitspolitischen Europagipfel.
    Willy Brandt, der diese Politik seinerzeit gegen den erbitterten Widerstand Ihrer Partei und auch gegen Ihren Widerstand eingeleitet und durchgesetzt hat, wird diese Teile Ihrer Regierungserklärung nicht ohne Aufmerksamkeit und nicht ohne Bewegung registriert haben. Ich meine, es besteht gerade in diesem Zusammenhang aller Anlaß, Willy Brandt und dem Kollegen Bahr sehr herzlich zu danken - wenn es sein kann, sogar gemeinsam — für die Einleitung dieser Politik.

    (Beifall bei der SPD und des Abg. Schily [GRÜNE])

    — Aber ich sehe, die Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen sind mit einer solchen Annahme überfordert.

    (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie haben Helmut Schmidt vergessen!)

    Vielleicht wird sogar — und wir lassen uns durch diese eher kleinliche Reaktion nicht beirren — hinsichtlich wichtiger Elemente dieser Ostpolitik nunmehr eine gewisse, das ganze Haus einschließende Gemeinsamkeit möglich. Unseren nationalen Interessen und dem Frieden in Europa würde das in hohem Maße dienen. Ich bin ziemlich sicher: Der Herr Kollege Genscher als Außenminister sieht das ähnlich.
    Eine zusätzliche Bemerkung kann ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, allerdings nicht ersparen. Es ist die Erinnerung daran, daß Sie seinerzeit nicht nur die Ostverträge und auch den Grundlagenvertrag abgelehnt haben, sondern auch zur Schlußakte von Helsinki, auf die Sie sich heute in Ihrer Erklärung an fünf Stellen berufen haben, ja, sogar zum UNO-Beitritt der Bundesrepublik nein gesagt und mit Nein gestimmt haben.

    (Frau Matthäus-Maier [SPD]: Hört! Hört!)

    Auch Sie, Herr Bundeskanzler, wissen genau, daß Sie als Exponent Ihrer damaligen Verweigerungspolitik niemals zu einer konstruktiven Begegnung mit der sowjetischen Führung gelangt wären. Es wäre nicht unredlich gewesen, wenn Sie das heute an dieser Stelle selber gesagt hätten.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Ich habe von Übereinstimmungen gesprochen. Es gibt aber auch Punkte, die unsere Kritik herausfordern. Wir haben nicht zu tadeln, daß Sie die Situation Berlins und die Deutschlandfrage angesprochen haben. Das tun wir und gerade ich als Berliner Abgeordneter bei unseren Begegnungen mit der sowjetischen Seite auch. Die Art und Weise, auf die Sie das getan haben, halten wir allerdings für wenig förderlich. Sie haben damit die sowjetische Antwort, die Ihnen zuteil wurde, geradezu herausgefordert. Bundespräsident von Weizsäcker hat auf eine wohlbedachte und behutsam vorgetragene Formulierung derselben Frage



    Dr. Vogel
    eine wesentlich konstruktivere Antwort erhalten, nämlich die, daß die Geschichte entscheiden werde, was in diesen beiden Fragen in Zukunft sein wird.
    Was Berlin angeht, so sagen wir — soweit ich sehe, einmütig in diesem Hause — : Berlin muß in den Prozeß der Entspannung und der Zusammenarbeit voll einbezogen werden. Wer Berlin davon ausnehmen wollte, würde die Entspannung und die Zusammenarbeit insgesamt beeinträchtigen.
    Das ist aber etwas ganz anderes als die Wiederbelebung des Formelstreits, die beispielsweise Herr Zimmermann im Vorfeld Ihres Besuchs versucht hat. Sicher hat es sich als notwendig erwiesen, die FrankFalin-Formel, die seit den 70er Jahren die Einbeziehung von Berlin (West) in Verträge mit der Sowjetunion gewährleistet, in bezug auf die Einrichtungen des Bundes im Westteil der Stadt so zu konkretisieren, daß diese Einbeziehung nicht in jedem einzelnen Fall wieder aufs neue zum Gegenstand schwieriger und kontroverser Verhandlungen wird. Aber gerade in dieser Hinsicht, Herr Bundeskanzler, hat Ihr Besuch nichts erbracht, was über das hinausginge, was Herr Genscher und Herr Schewardnadse schon vorher erreicht hatten. Es wäre gut, wenn diese heikle Sache in den Händen der beiden Außenminister und damit in den diplomatischen Kanälen bliebe, die nach den bisherigen Erfahrungen am ehesten und am geräuschlosesten Fortschritte erwarten lassen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Außerdem war es wohl nicht der Weisheit letzter Schluß, daß Sie in Ihrer Tischrede die DDR und die Tatsache nicht erwähnt haben, daß wir die Existenz der DDR als Staat anerkennen. Das konnte den Eindruck erwecken, als wollte man hinter den auf dem Grundlagenvertrag beruhenden und anläßlich des Besuchs des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker bekräftigten und konkretisierten Stand der deutschdeutschen Beziehungen zurückfallen. Schon dieser Eindruck wäre geeignet, an der Stetigkeit unserer Absichten Zweifel hervorzurufen. Und dies um so mehr, als Sie bei Ihrem vorletzten Aufenthalt in Moskau anläßlich der Beisetzung von Generalsekretär Tschernenko in einem gemeinsamen Kommuniqué mit Herrn Honecker ausdrücklich erklärt haben — ich zitiere wörtlich — :
    Die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen sind eine grundlegende Bedingung für den Frieden.
    Es wäre sicher förderlich und gut gewesen, Sie hätten in Ihrer Tischrede diesen entscheidenden Satz, den Sie dazu noch gemeinsam mit dem Staatsoberhaupt der DDR erklärt haben, wiederholt.

    (Beifall bei der SPD)

    In diesem Zusammenhang wirft auch Ihre Reaktion auf eine Äußerung von Herrn Geißler weitere Fragen auf. Immerhin ist Herr Geißler, was ich nicht zu beklagen habe, von Ihnen deshalb gerügt und zu Beginn der Woche in der Sitzung der Unionsfraktion scharf attackiert worden, weil er die Wiederherstellung der Vorkriegsgrenzen für illusorisch erklärt und damit
    etwas wiederholt hat, was Franz Josef Strauß schon 1965 gesagt hat: ein bemerkenswerter Vorgang, der all Ihre Äußerungen hinsichtlich der Unverbrüchlichkeit von Grenzen in einem Licht erscheinen läßt, bei dem Sie sich nicht wundern müssen, wenn Fragen gestellt werden.
    Sie haben in Moskau zu Recht die Lage der deutschstämmigen Bevölkerung in der Sowjetunion angesprochen. Wenn Ihr Besuch dazu beitragen konnte, die kulturelle Autonomie derer, die dort leben, zu stärken und ihre Lebenssituation zu verbessern, dann begrüßen wir das. Jüngste Veröffentlichungen in der „Prawda" darüber, daß für die früheren Wolga-Deutschen eine gewisse Form der Autonomie — in der Übersetzung hieß es sogar: eine gewisse Form der Staatlichkeit — in Erwägung gezogen werde, lassen in diesem Punkt Hoffnungen zu. Ich bin mir der Zustimmung des ganzen Hauses sicher, wenn ich sage: Die beste Option wäre es, wenn den Menschen deutscher Abstammung nicht nur in der Sowjetunion, sondern überall da, wo sie zu Hause sind, Perspektiven eröffnet würden, die sie zum Bleiben in ihren angestammten Geburtsländern ermutigen könnten.

    (Beifall bei allen Fraktionen)


    (Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

    Es war auch richtig, sich für diejenigen einzusetzen, die nach reiflicher Überlegung zu uns in die Bundesrepublik ausreisen wollen. Damit allein, Herr Bundeskanzler — wenn ich Sie bei Ihren Dienstgesprächen gelegentlich stören darf —, ist es aber nicht getan.

    (Zurufe von der CDU/CSU))

    — Meine Damen und Herren, es war ursprünglich der Sinn des Parlaments, daß man zuhört, daß man redet und daß der Kanzler, wenn er eine Regierungserklärung abgegeben hat, die Chance hat, dazu auch die Auffassung der Opposition zu hören. Das war einmal der Sinn dieser Veranstaltung.

    (Beifall bei der SPD)