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ID1109114300

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    Plenarprotokoll 11/91 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 91. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 8. September 1988 Inhalt: Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung) : a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1989: (Haushaltsgesetz 1989) (Drucksache 11/2700) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1988 bis 1992 (Drucksache 11/2701) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt (Fortsetzung) : Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1988: (Nachtragshaushaltsgesetz 1988) (Drucksache 11/2650) Roth SPD 6209 B Hauser (Krefeld) CDU/CSU 6214 C Sellin GRÜNE 6217D Dr. Graf Lambsdorff FDP 6219C Frau Dr. Martiny-Glotz SPD 6224 B Rossmanith CDU/CSU 6227 A Schäfer (Offenburg) SPD 6229 A Schmidbauer CDU/CSU 6232 D Dr. Daniels (Regensburg) GRÜNE . . . 6235 C Baum FDP 6238 B Lennartz SPD 6241 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 6243 C Dr. Töpfer, Bundesminister BMU . . . 6245 C Dr. Zimmermann, Bundesminister BMI . 6254 C Dr. Penner SPD 6256 C Frau Seiler-Albring FDP 6262 C Frau Olms GRÜNE 6263 D Dr. Laufs CDU/CSU 6265 D Dr. Hirsch FDP 6268 D Wüppesahl fraktionslos 6270 D Gerster (Mainz) CDU/CSU 6273 A Engelhard, Bundesminister BMJ 6276 A Dreßler SPD 6276 C Cronenberg (Arnsberg) FDP 6280 B Frau Beck-Oberdorf GRÜNE 6282 A Frau Hasselfeldt CDU/CSU 6284 D Dr. Blüm, Bundesminister BMA 6287 D Heyenn SPD 6293 A Tagesordnungspunkt 2: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag des Bundesministers der Finanzen Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der bundeseigenen Wohnsiedlung in Mariental-Horst bei Helmstedt (Drucksachen 11/2301, 11/2561) Roth (Gießen) CDU/CSU 6250 C Müntefering SPD 6251 B Zywietz FDP 6252 B Brauer GRÜNE 6252 D Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF . . . 6253 C Nächste Sitzung 6295 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 6296* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 91. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 8. September 1988 6209 91. Sitzung Bonn, den 8. September 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens* 9. 9. Dr. Becker (Frankfurt) 9. 9. Böhm (Melsungen)* 9. 9. Dr. von Bülow 8. 9. Gallus 8. 9. Gattermann 9. 9. Dr. Glotz 9. 9. Dr. Götz 9. 9. Dr. Hauff 9. 9. Hiller (Lübeck) 9. 9. Höpfinger 9. 9. Frau Hoffmann (Soltau) 9. 9. Ibrügger* * 9. 9. Dr.-Ing. Kansy* * 9. 9. Frau Karwatzki 9. 9. Frau Kelly 8. 9. Kiechle 9. 9. Klose 9. 9. Dr. Kreile 9. 9. Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Kroll-Schlüter 9. 9. Kuhlwein 9. 9. Dr. Kunz (Weiden)* * 9. 9. Dr. Meyer zu Bentrup 8. 9. Niegel* 9. 9. Oostergetelo 9. 9. Poß 8. 9. Dr. Probst 9. 9. Rappe (Hildesheim) 9. 9. Reuschenbach 9. 9. Schäfer (Mainz) 9. 9. Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) 9. 9. Frau Steinhauer 9. 9. Tietjen 9. 9. Toetemeyer 8. 9. Frau Weiler 9. 9. Westphal 9. 9. Frau Wilms-Kegel 9. 9. Wissmann 9. 9. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates * * für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Marieluise Beck-Oberdorf


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider ist jetzt hier der Usus eingetreten, daß sich die Minister erst nach der Debatte äußern. Ich fand es umgekehrt besser, weil man dann auf sie antworten konnte.

    (Dreßler [SPD]: Das ist die blanke Angst, Frau Kollegin! — Bohl [CDU/CSU]: Was soll das denn? Sie müssen sich an die Vereinbarungen in den Fraktionen halten! Immer dagegen!)

    Jedenfalls ist vorherzusehen, was er uns erzählen wird. Er wird uns erzählen, daß der Etat Arbeit und Sozialordnung um 8,3 % erhöht worden ist, d. h. 66,9 Milliarden DM. Nimmt man Erziehungsgeld, Kindergeld und Wohngeld hinzu, so sind es 95 Milliarden DM, so daß fast ein Drittel des gesamten Bundeshaushalts für soziale Aufgaben aufgewandt wird.
    Trotzdem — das ist es, womit wir uns auseinandersetzen müssen — gibt es in diesem Land Millionen von Menschen, die am Rand stehen, die von sozialer Normalität und Teilhabe ausgeschlossen sind: die Alten, für die Alter mit bitterer Armut verbunden ist; die Behinderten und Erwerbsunfähigen, die ausgegrenzt und isoliert werden; die Erwerbslosen, denen kein Weg zurück ins Arbeitsleben eröffnet wird; die Kranken und Pflegebedürftigen, die in unseren Kliniken und Heimen oft mehr schlecht als recht versorgt werden und die bei oft schmalem Geldbeutel von Zuzahlung bedroht sind, weil es keine vernünftige finanzielle Regelung für die Pflege gibt.
    Angesichts dieser Tatsachen langweilt der schon sattsam bekannte Schlagabtausch zwischen der SPD und der Regierungsbank; denn wir wissen doch alle, daß Verschiebebahnhöfe, Finanzierungstricks und
    Sparmaßnahmen im sozialen Bereich auch die SPD in ihrer Regierungszeit schon eingeleitet hat.

    (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

    Es ist keine Frage: Was diese Regierung als epochale soziale Reformen anpreist, was sie als notwendigen Umbau des Sozialstaats verkauft, ist eine schamlose Umverteilung von unten nach oben, die von der SPD mit dieser Unverfrorenheit nicht durchgezogen worden wäre;

    (Beifall des Abg. Buschfort [SPD])

    denn Sie gestalten nicht Sozialpolitik, sondern Sie betreiben die Konsolidierung der Finanzen mit der Folge zunehmender Ausgrenzung, Entrechtung und sozialer Kontrolle.
    Die Debatte um soziale Politik erstarrt jedoch zu einem langweiligen Ritual, wenn hier nicht begriffen wird, daß die Höhe der Sozialausgaben nicht gleichzusetzen ist mit Wohlfahrt, daß wir den Kosten immer nur hinterherlaufen werden, wenn nicht endlich den wohlstandszerstörenden Aktivitäten dieser Gesellschaft zu Leibe gerückt wird.
    Das, was diese Regierung als Wachstum feiert — ich behaupte, daß Sie sich als Sozialdemokraten von diesen Denkmustern auch nicht gelöst haben

    (Heyenn [SPD]: Dann beweisen Sie es mal!)

    — dazu kommen wir gleich — , beinhaltet neben wohlstandsschaffender Produktion in zunehmendem Maße wohlstandszerstörende Aktivitäten, und die nachsorgenden und reparierenden Kosten explodieren.
    Dieser Sachverhalt erklärt die Armut, die sich hinter den relativ hohen Ausgaben des Sozialministeriums trotzdem verbirgt.

    (V o r sitz : Vizepräsident Cronenberg)

    Wenn wir uns nicht endlich von der Ebene der Symptomkuriererei wegbewegen, wenn nicht endlich die Ursachen von Krankheit, Erwerbslosigkeit und Armut im Mittelpunkt der Diskussion stehen, werden wir die kommenden Jahrzehnte über die explodierenden Kosten im Sozialsektor weiter verhandeln, ohne wirklich soziale Politik gestalten zu können.
    Lassen Sie mich diese These an einigen Bereichen belegen, die die sozialpolitische Debatte zur Zeit bestimmen. Ich nenne zunächst das Gesundheitswesen. Ich lasse hier die sattsam bekannte Tatsache beiseite, daß sich viele an Krankheit gesundstoßen: die Pharmaindustrie, die hohen Ärzteeinkommen, die Kurmittelindustrie usw., und daß Sie mit Ihrem sogenannten Reformgesetz die chronisch Kranken, die Rentnerinnen, die schwachen Einkommensschichten zur Kasse bitten; denn diese Debatte ist an anderer Stelle geführt worden und wird in diesem Hause noch geführt werden.
    Ich möchte heute einen anderen fundamentalen Gedanken ansprechen. Statt über die Kostenexplosion im Gesundheitswesen zu lamentieren, müssen wir über die Ursachen von Krankheit reden.
    Da haben wir z. B. die Kosmetikindustrie, einen blühenden Industriezweig. Jahrelang wurde dort Formal-



    Frau Beck-Oberdorf
    dehyd als Konservierungsmittel eingesetzt, ein krebserregender Stoff, wie Sie alle wissen. Was geschieht nach dessen Verbot? Hinter dem Rücken der Konsumentinnen, auch hinter dem Rücken der Ärzte und Ärztinnen setzt die Kosmetikindustrie nun Kathon zu, einen in höchstem Maße allergieerregenden Stoff. Das Katz-und-Maus-Spiel nimmt seinen Lauf: Menschen erkanken an Allergien, die Medizinmaschine läuft an, Ärzte machen sich auf die Suche nach den allergieauslösenden Substanzen, und schon steht wieder die Chemieindustrie mit ihrem Angebot an nun heilenden Medikamenten auf der Matte. Das ist die wahnwitzige Logik unserer Industriegesellschaft — ein widersinniger Kreislauf.
    Wenn heute vermeldet wird, daß das Bruttosozialprodukt um 3,9 % gewachsen ist, der Anteil der Chemieindustrie an diesem Wachstum mit 5,7 % sogar noch überproportional hoch ist, verbirgt sich hinter diesem Wachstum ein Gutteil destruktiver Kraft, die bei Ihnen, Herr Blüm, als Kostenexplosion im Gesundheitswesen wieder auftaucht.
    Da ist mein Vorwurf an die Sozialdemokratie, daß sie sich mit solchen Sachen nicht auseinandersetzt. Herr Rappe ist meines Wissens Mitglied Ihrer Partei und forciert genau diese Politik des Wachstums der Chemieindustrie.
    Die Liste der Beispiele ließe sich verlängern. So müßte der Hormonskandal bei der Kälbermast und die dahinter stehende Erzeugung mit chemischen Substanzen versetzter Nahrung eigentlich die Gesundheits- und Sozialpolitiker interessieren, denn unsere an der Profitmaximierung ausgerichtete Agrarpolitik, die nichts mehr mit Nahrungsmittelerzeugung zu tun hat, verursacht Kosten im Gesundheitswesen. Wachstum und Profit heißen aber auch: Verdichtung von Arbeitsprozessen, Leistungsdruck, Streß am Arbeitsplatz, Lärm, Umgang mit giftigen Stoffen, Nachtarbeit, Schichtarbeit, die Sie mit Ihrer Politik gerade ausweiten. Das alles steigert das Bruttosozialprodukt, und das alles fordert seinen Tribut sowohl von der Natur als auch vom Menschen.
    Die sogenannten Volkskrankheiten, wie Allergien, Krebs, Neurodermitis, Rheuma, Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, das alles taucht als Teil des Bruttosozialprodukts auf, als Teil des vermeintlich gewachsenen Wohlstandes, aber in Wirklichkeit schlägt es auf der Kostenseite zu Buche, sowohl menschlich als auch fiskalisch. Daß die Reparaturkosten immer höher werden, interessiert zumindest die Unternehmen nicht, denn sie können die Kosten ja externalisieren. Sie als Politiker übernehmen die Aufgabe, die Kosten von krank machendem Leben und Arbeiten auf die davon betroffenen Menschen auch noch zu verteilen.

    (Hoss [GRÜNE]: Genauso ist es!)

    Jede Regierung, egal, ob schwarz oder rot, wird stets im Kampf um die explodierenden Kosten des Gesundheitswesens verharren, wenn wir die von mir benannten Zusammenhänge nicht endlich zum Gegenstand der Debatte und politischen Gestaltens machen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Nicht anders sieht es bei der mit viel Getöse eingeleiteten Rentenreform aus. Auch dieses gesellschaftspolitisch so wichtige Vorhaben bleibt auf der Ebene fragwürdiger finanztechnischer Korrekturen stehen. Jede von uns weiß, was herauskommen wird: eine Absenkung des Rentenniveaus bei gleichzeitig höherer Belastung der Erwerbstätigen und die Heraufsetzung der Altersgrenze. Bevor wir aber in die Debatte um Bundeszuschüsse, Beitragssätze und ähnliches einsteigen, stellen wir GRÜNE unmißverständlich fest: Die erste Aufgabe jeder Reform wäre es, allen Menschen im Alter eine Grundversorgung zukommen zu lassen, die ein Altern in Würde und ohne Not überhaupt gestattet. Von Ihnen, Herr Blüm, stammt der Satz, daß Rente Alterslohn für Lebensarbeit ist. Bedeutet das also, daß die 13 % der älteren Menschen, die angeben, gar kein eigenes Einkommen zu haben — das sind fast nur Frauen —, daß die 28 % mit einem Einkommen von unter 1 000 DM im Monat in Ihren Augen nicht gearbeitet haben? Die 1 Million Frauen, die weniger als 600 DM Rente beziehen, die 1,7 Millionen Frauen, die zwischen 600 und 1 000 DM zur Verfügung haben, sind das alles Menschen, die nicht oder nur wenig gearbeitet haben? Diese Zahlen entstammen übrigens einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung.

    (Bohl [CDU/CSU]: Das ist eine gute Stiftung!)

    Das werden Sie wohl kaum zu behaupten wagen. Dennoch gibt es aus Ihrem Hause keine Überlegungen, wie zunächst allen Menschen im Alter ein Sockel, eine Grundrente für ein würdevolles Alter eingerichtet werden kann.
    Es ist ein Hohn, daß Frauen, selbst wenn sie neben der Kindererziehung und Hausarbeit noch erwerbstätig gewesen sind und in die Rentenversicherung eingezahlt haben, dennoch mit ihren Rentenansprüchen oft unter den Sozialhilfesätzen liegen, weil Frauenlöhne immer noch so schamlos niedrig sind. Altersarmut ist vor allem Frauenarmut. Die Chance der späten Freiheit, von Altersforschern gerade den Frauen, deren Leben oft in Aufopferung für andere bestanden hat, in Aussicht gestellt, scheitert an ihrer Armut, denn Armut und Freiheit schließen sich aus. Auch da sind diese Lieblingswörter des Kanzlers wirklich nur Wortgetöse. Armut und Alter bedeuten bei uns Isolation, Einsamkeit, Ausgeschlossensein von Kultur und Öffentlichkeit und damit von der Gesellschaft.
    Wir werden uns nicht an einer Debatte beteiligen, die von der Alterslast redet und damit vor allem schon einmal die Stimmung verbreitet, eigentlich seien die Alten kaum finanzierbar, sondern wir fordern die Verständigung auf den Grundkonsens, daß keiner und keine in dieser Gesellschaft Angst vor Armut im Alter haben dürften.
    Ihr Kollege Fink ist da ein bißchen weiter als Sie. Er formuliert zumindest die Aufgabe, daß alte Menschen von unwürdiger Sozialhilfeabhängigkeit befreit werden müßten, daß alte Menschen nicht mehr auf ihre Kinder verwiesen werden dürften. Nur bewegen sich seine Vorschläge auf einem viel zu niedrigen Niveau. Dieser Gedanke spielt jedoch in der bevorstehenden Rentendebatte offensichtlich keine Rolle.



    Frau Beck-Oberdorf
    Ich wiederhole, Sie werden keine Rentenreform, sondern nur eine schlechte Rentenreparatur vornehmen. Solange nicht jeder alte Mensch in dieser so reichen Gesellschaft mit wenigstens einem Minimum von 1 200 DM ausgestattet wird, kann von Sozialstaat nicht die Rede sein.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Das alles ist finanzierbar. Allerdings würde das ein anderes Verteilungsmuster verlangen; es würde bedeuten, an Privilegien zu rütteln, an denen der Beamten z. B., auch an denen der Selbständigen, und es verträgt sich vor allem nicht mit einer Gesellschaftspolitik, die sich, wie z. B. die Steuerreform zeigt, den Wohlhabenden verschrieben hat.
    Ganz und gar zynisch ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag der FDP, wenn sie von privater Altersvorsorge spricht. Der Herr Graf ist leider nicht da, aber ich möchte ihn trotzdem fragen, wie er denn den Frauen mit einem Einkommen von 440 DM die private Altersvorsorge empfehlen kann?

    (Widerspruch bei der FDP)

    Mit besonderer Spannung aber werden wir beobachten, auf welche Seite sich die SPD schlagen wird. Wie nicht selten sehen wir hier ein doppeltes Spiel. Der Parteitag hat soeben die Idee einer Grundsicherung festgeschrieben,

    (Andres [SPD]: Das macht euch schwer zu schaffen!)

    und die Damen und Herren der Fraktion buhlen bereits um die Aufnahme in den großen Kompromiß der Reformer, die jede Form einer Grundversorgung ablehnen: ein typischer SPD-Spagat.

    (Heyenn [SPD]: Wo haben Sie das gelesen? Partielles Wahrnehmungsvermögen! — Dreßler [SPD]: O Gott, o Gott! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Glauben Sie tatsächlich, meine Damen und Herren von der SPD, Ihre zukünftige Regierungsfähigkeit dadurch unter Beweis stellen zu können, daß Sie in einer derart existenziellen Frage klein beigeben? Wir werden uns noch sprechen.

    (Zurufe von der SPD: Ja! — Bohl [CDU/CSU]: Das sind leere Versprechungen!)

    Wir werden sehen, wie das bei Ihnen weitergeht.
    Am Rand stehen in diesem Lande vor allem auch die, die landläufig als arbeitslos bezeichnet werden, die aber nur ohne Erwerb sind. Auch hier hilft Ihre satte Zufriedenheit über das wirtschaftliche Wachstum nicht. Fast 4 % Wachstum, und die Zahl der Erwerbslosen nimmt nicht ab! Wollen Sie die Männer und Frauen, die Jugendlichen, die angeblich nicht gebraucht werden, auf 10%iges Wachstum vertrösten? Es gibt keine Ansätze von Ihnen, das Selbstverständlichste der Welt anzusteuern, nämlich allen Menschen Erwerbsmöglichkeiten zu bieten, und das, obwohl die notwendigen Aufgaben überall sichtbar sind, die Betreuung der Alten und Kinder, die Beseitigung von Luft- und Müllnotstand, die Sanierung der Kläranlagen und und und. Statt dessen liegt Arbeitskraft brach, während andere durch Überstunden und Mehrarbeit fast erdrückt werden.
    Diese Regierung bleibt tatenlos, was die Umverteilung von Arbeit angeht, nein, sie hat sie sogar bekämpft. Sie haben mit Ihrer Reform der Arbeitszeitgesetzgebung die historische Chance zur Umverteilung von Arbeit auf alle vertan. Ebenso hat Herr Zimmermann in der letzten Tarifrunde für den öffentlichen Dienst die Möglichkeit dieser Umverteilung von Arbeit und Einkommen blockiert. Statt dessen treiben Sie die erwerbslosen Menschen in Verzweiflung. Offensichtlich halten Sie das für politisch gefahrlos, solange es Ihnen weiterhin gelingt, die Erwerbslosen zu marginalisieren.
    Es kommt sogar noch schlimmer. Im Hause Blüm wird bereits die nächste schamlose Umverteilungsorgie eingeläutet, die da heißt: 9. AFG-Novelle, mit der Sie ein weiteres Mal beweisen, daß Ihre Phantasie keine Grenzen kennt, wenn es darum geht, die steigenden Kosten der Erwerbslosigkeit die Erwerbslosen selbst tragen zu lassen.

    (Andres [SPD]: So ist das!)

    Welche Kürzungen hier anstehen, geht bereits durch die Presse, obwohl wir als Parlamentarier die Vorlage skandalöserweise noch nicht einmal haben.
    Die CDU in Bremen startet gerade eine Kampagne gegen das zunehmende Betteln auf der Straße. Der Anblick bettelnder Menschen paßt wohl nicht in das Bild der so aufgeräumten Bundesrepublik. Armut soll unsichtbar bleiben. Der erste Schritt gegen ihre Politik muß in der Sichtbarmachung von Armut und Ungerechtigkeit bestehen. Im zweiten werden die Menschen sich hoffentlich zur Wehr setzen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)



Rede von Dieter-Julius Cronenberg
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hasselfeldt.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Gerda Hasselfeldt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Arbeitsminister am Schluß der Debatte spricht, Frau Beck-Oberdorf, dann war dies der ausdrückliche Wunsch der Fraktionen und war so mit allen Fraktionen abgestimmt. Ich empfehle Ihnen, daß Sie sich künftig, bevor Sie so etwas öffentlich kritisieren, sachkundig machen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die beiden Reden der Oppositionspolitiker veranlassen mich, gleich am Anfang eines deutlich festzustellen: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ging es der Bevölkerung so gut wie heute. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik konnten wir auch den sozial Schwachen und Schwächeren in unserer Gesellschaft so tatkräftig unter die Arme greifen wie bisher, und ich erkläre Ihnen das auch.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

    Wir verfügen über steigende Realeinkommen. Wir verfügen über steigende Renten. Allein in den Jahren zwischen 1985 und 1987 sind die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte um real 8,5 % gestiegen.
    Wir verfügen über Preisstabilität. Während Ihrer Regierungszeit in den 80er Jahren hatten wir eine



    Frau Hasselfeldt
    Inflationsrate von etwa 6 %. Preisstabilität kommt allen Bürgern unseres Landes — insbesondere den sozial Schwächeren — zugute.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wir verfügen nun schon im sechsten Jahr über ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum, von dem Sie während Ihrer Regierungszeit nur träumen konnten und nicht einmal das. Wirtschaftswachstum gewährleistet uns allen den Wohlstand und soziale Sicherheit.
    Meine Damen und Herren, es wundert angesichts dieser Fakten niemanden, daß wir wegen dieser wirtschaftlichen Entwicklung, wegen unseres Wohlstandes und auch und im besonderen wegen unserer Sozialleistungen auf der ganzen Welt beneidet werden. Wir haben dies nicht dadurch erreicht, daß wir nach den Vorstellungen der Opposition der Allmacht des Staates vertraut hätten. Nein, wir haben es erreicht, weil wir nie den Zusammenhang zwischen einer funktionierenden Wirtschaft auf der einen Seite und sozialpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten auf der anderen Seite aus den Augen verloren haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nur dann nämlich, wenn es uns gelingt, unsere Wirtschaft leistungsfähig und wettbewerbsfähig zu erhalten, haben wir auch den Spielraum, um den sozial Schwächeren zu helfen, und den sozial Schwächeren gilt auch künftig unser Augenmerk. Es gilt den Arbeitnehmern. Es gilt steigenden Realeinkommen, Herr Dreßler. Es gilt den Rentnern, die vertrauensvoll in die Zukunft blicken können. Bis in die 90er Jahre hinein verfügt die Rentenversicherung über ein solides Finanzpolster. Darüber, was danach kommt, werden wir uns noch unterhalten.
    Unser Augenmerk gilt im besonderen auch den Familien, die während Ihrer Regierungszeit völlig außen vor gelassen wurden.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Widerspruch bei der SPD)

    Wir haben durch die Einführung des Erziehungsgeldes, durch die Anrechnung der Erziehungszeiten in der Rentenversicherung und durch die steuerlichen Erleichterungen für die Familien Marksteine gesetzt, von denen Sie während der sozialliberalen Koalition wirklich nicht einmal geträumt haben, weil es die Familie als sozialpolitisch zu förderndes Objekt überhaupt nicht gegeben hat.

    (Zuruf von der SPD: Und was ist mit den Arbeitslosen?)

    — Und unser Augenmerk gilt natürlich den Arbeitslosen, gilt dem Arbeitsmarkt.

    (Zuruf von der SPD: Deswegen wird das Arbeitslosengeld wieder gekürzt!)

    Wir haben auch hier zu mehr Beschäftigung und zu einer Verbesserung der Situation der Arbeitslosen beigetragen, und zwar durch berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, durch die Besserstellung der älteren Arbeitslosen beim Bezug von Arbeitslosengeld.

    (Zurufe von der SPD)

    — Meine Damen und Herren, ich verstehe schon sehr gut, daß Sie etwas aufgebracht sind, wenn man diese Fakten objektiv darstellt. Diese Erfolge lassen sich messen. Sie lassen sich im besonderen an Ihrer sozialpolitischen Konzeptionslosigkeit messen, die Sie ja auch in Münster wieder unter Beweis gestellt haben.

    (Lachen bei der SPD)

    So wie Sie es dort gemacht haben, kann man seine Regierungsunfähigkeit natürlich auch unter Beweis stellen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Lebhafte Zurufe von der SPD)

    Wissen Sie, es ist schon bedeutsam, wenn sogar ein Mann wie Herr Steinkühler, der ja wirklich nicht im Verdacht steht, daß er uns nahesteht, sagt, die SPD sei in der Sozialpolitik kopflos. Das muß Ihnen doch zu denken geben.

    (Zurufe von der SPD)

    Ich verhehle nicht, meine Damen und Herren, daß auch mir die Zahl der Arbeitslosen zu hoch ist. Dahinter verbergen sich schwere Schicksale. Ich frage mich aber: Muß es nicht verwundern, daß es in allen Teilen unseres Landes nicht wenige Betriebe gibt, die ihren Bedarf an Arbeitskräften trotz der vielen arbeitslos Gemeldeten nicht decken können? Angesichts dieser Tatsache müssen wir uns doch überlegen, ob das vorhandene Instrumentarium bezüglich der Zumutbarkeit dem Gedanken der Solidarität in der Arbeitslosenversicherung noch gerecht wird.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Abg. Schreiner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)